Relevanz und Firlefanz

Relevanz, Zugriffszahlen und die Vielfalt der deutschen Blogosphäre

Ich begebe mich auf heikles Terrain. Denn erstens soll man nicht auf jedes Brett springen, das einem hingehalten wird und andererseits war ich gar nicht persönlich anwesend als Sascha Pallenberg was zum Thema „Rockstars und Mimosen – Wie die deutsche Blogosphäre veramerikansiert wird“ erzählt hat. Ich beziehe mich also auf Hörensagen. Es entzieht sich auch meiner Kenntnis welche Blogs auf der Folie zum Thema relevante Blogs in Deutschland standen – es waren aber nur Blogs, die von Männern betrieben geschrieben werden. Allerdings meine ich, die Sache richtig erzählt zu bekommen haben, wenn ich folgenden Tweet lese:

[blackbirdpie url=“https://twitter.com/#!/sascha_p/status/198884611445628928″]

Die breite Öffentlichkeit also. Ich sage jetzt mal, die breite Öffentlichkeit, das ist zum Beispiel mein Vater. Den habe ich gefragt: „Papa, wer ist Sascha Pallenberg?“ Wie zu erwarten war, mein Vater kennt ihn nicht. War auch unfair gefragt. Es ging ja um die Relevanz von Blogs. Also recherchiere ich kurz welchen Blog Sascha Pallenberg betreibt und frage wieder: „Und Netbooknews.de?“ Mein Vater, technisch wirklich sehr interessiert, zuckt erneut mit den Schultern „Aber Netbooknews.com? Neben Walt Mossberg und David Pogue erhielt er den Top 20 Smart Mobile Device Pundits von Freescale und wurde in die Liste der 20 einflussreichsten Mobile Computing-Experten weltweit gewählt!!!111!!ELF!“ Als Reaktion trotzdem nur ein Schulterzucken.

Klar, mein Papa ist nicht die gesamte breite Öffentlichkeit – aber ich spare mir trotzdem eine repräsentative Stichprobe per Befragung x-beliebiger Passanten zu machen und erfinde das Ergebnis einfach. Es lautet nämlich niemand auf der Straße kennt netbooknews.de, niemand kennt dasnuf.de und niemand kennt ankegroener.de. Die Annahme Blogs mit hohen Zugriffszahlen und Blogs, die tatsächlich nennenswerten Umsatz mit Werbung generieren, sei gleichzusetzen mit Bekanntheit in der breiten Öffentlichkeit ist natürlich Unsinn.

Techblogger unter sich mögen natürlich alle SOFORT wissen was netbooknews.de ist und wer dieses Blog betreibt. Oder auch nerdcore oder auch Fefe. Aber sind diese Blogs deswegen relevanter als andere? Im Rahmen meiner phantasierten Studie zum Thema Blogs und Relevanz würde übrigens herauskommen, dass wenn überhaupt jemand bekannt ist, dann Sascha Lobo. Der allerdings nicht als Blogger sondern als Internet-Kenner. Das liegt aber eben nicht an den Zugriffszahlen sondern daran, dass er sich außerhalb des Netzes positioniert und nicht gerade öffentlichkeitsscheu ist und auch eine sehr genau durchdachte Inszenierungsstrategie verfolgt – schließlich ist dieses Ich bin ein Internet People sein Beruf.

Antje Schrupp hat sich einige sehr lesenswerte Gedanken zum Thema Relevanz gemacht:

„Denn Reichweite an Zahlen zu bemessen, das ist irgendwie 20. Jahrhundert. (…) Relevanz ist ja eine relative Angelegenheit. Sie ist keine objektive Eigenschaft einer Information, sondern ergibt sich erst aus der Wechselbeziehung zwischen einer Information und den Interessen und Wünschen anderer: Was für mich relevant ist, muss für jemand anderen nicht auch relevant sein.

Wahre Relevanz bemisst sich also nicht an Zahlen, sondern an der Passgenauigkeit dieses Scharniers: Ein Blogpost, der zwei Leute zum Umdenken anregt, ist objektiv „relevanter“ als einer, der zwanzigtausend in ihrer Meinung bestätigt. (…)

Ich schreibe meinen Blog deshalb nicht für euch. Aber auch nicht nur für mich. Sondern ich schreibe meinen Blog, weil ich der Meinung bin, dass das, was ich hier schreibe, geschrieben werden muss, weil ich glaube, dass die Welt das braucht. Ob das auch noch andere so sehen, ist für mich kein Kriterium.“

Ich stimme allerdings nicht in allen Punkten zu. Denn ich finde, es schwingt diese bescheidene Einstellung mit, die ich oft bei Frauen höre: Ich mache das nicht für Aufmerksamkeit oder Geld sondern weil ich eine Botschaft habe oder weil ich Spaß am schreiben habe und deswegen zählen für mich Zugriffszahlen und Reichweite nicht. Leider bin ich nicht so ein bescheidener Mensch. Mir ist natürlich auch das Schreiben wichtig und mein Herz geht auf, wenn mir Menschen erzählen, dass sie hier gerne lesen und dass ich sie oft zum lachen bringe. Aber Kraft meines schlechten Charakters hätte ich statt 1.000 Kernleser gerne 10.000 Leser oder auch 100.000.

Wenn es meine Zeit zulässt, schaue ich gerne in meine Statistik, ich freue mich einen Keks wenn ich vom Bildblog „6 vor 9“ verlinkt werde und von jeder Rivva-Erwähnung würde ich gern ein Screenshot für mein Ego-Bilderbuch machen. Ich fahre total auf die Bestätigung ab, die ich durch +1, facebook-Shares und Tweets bekomme. Ich habe eine ungefähre Ahnung welche Blogs und Blogger eine größere Reichweite als ich haben und somit als Multiplikatoren wirken und wenn sie mich verlinken, freue ich mich auch. Das zu meinem Ego, das offensichtlich sehr durch Bestätigung durch andere gestreichelt wird.

Es gibt aber noch einen anderen Grund warum ich es schön finde, wenn ich viele Leser habe. Ich mag Vielfalt. Ich mag eine bunte Blogosphäre und dazu gehört, dass Frauen wie Männer wahrgenommen werden. Dass sowohl Technikthemen als auch Gesellschaftsthemen Platz finden, dass es nicht nur um die neusten Gadgets, Urheberrecht und Netzpolitik im Web geht, sondern dass auch z.B. Kinder, Katzen, Kunst und Essen.

Und das hängt leider an der Thematik Zugriffszahlen und die Wahrnehmung anderer Themen (und Frauen in der Blogosphäre) wiederrum spiegelt sich in der Art und Weise wieder, wie dann auch z.B. das Fernsehen über Events wie die re:publica berichtet, wie z.B. N24, die in 40 Minuten Beitrag eine einzige Frau befragen und diese im Gegensatz zu den befragten Männern nicht mal mit Namen nennen.

In der Vorbereitunsgmail der Organsisatoren der re:publica war erfreulicherweise zu lesen: „Bitte beachte: Wenn du eine Session mit mehreren Leuten eingereicht hast, dürfen dies inklusive Moderation nicht mehr als 5 Teilnehmende sein und mindestens 2 davon müssen weibliche Speaker sein.“ das gefiel mir sehr. Wenn ich allerdings die instagram-Bilder durchschaue, fallen mir solche auf und ich frage mich: Was ist da mit dieser Regel passiert, z.B. hier:

Foto von labuero auf instagram

Was ich sagen will: Wahrnehmung von Frauen in der breiten Öffentlichkeit wenn es um solche Themen geht, ist von vielen Dingen abhängig und ich wünsche mir tatsächlich ein Gegengewicht. Alleine schon der Abwechslung wegen. Man kann doch nicht immer und immer wieder den  gleichen Sud aufkochen und sich dann wundern, dass es die breite Öffentlichkeit niemanden interessiert.

Deswegen hätte ich gerne, dass auch Frauen selbstbewußt nach vorne treten und sich selbst für relevant halten und auch gerne mal, so wie Mama Miez das gemacht hat, nebenher erwähnen, dass sie locker 68.000 Besucher im Monat haben. Jahhaaaa kann man da jetzt auch wieder schreien, 68.000 gääähn ich hab eine Schrillionen! Allerdings muss man da die Motivation hinter dem Bloggen und Schreiben sehen. Es mag Menschen geben, die ihren Lebensunterhalt damit beschreiten und das tun sie wahrscheinlich hauptsächlich über Werbeeinnahmen und dann sind 68.000 eine müde Zahl. Aber erstaunlicherweise gibt es auch die Blogs, die es auf ansehliche Zugriffszahlen kommen und denen das im Grunde völlig egal ist, weil sie das Bloggen als Hobby ansehen und einfach eine Plattform haben möchten, um ihre Gedanken zu teilen und dann ist die Zahl doch recht ansehlich.

Dennoch. Ich bin immer interessiert an neuen Blogs und an Themen, zu denen ich im Alltag wenig Schnittmengen habe, einfach weil ich persönlich das Gefühl habe mich nur weiter entwickeln zu können, wenn ich immer wieder Neues aufnehme und deswegen mag ich die einseitige Darstellung der Blogosphäre oder des Internets nicht. Das Internet ist eben nicht nur iPhone, ACTA und Urheberrecht.

Wir sollten uns wohl öfter gegenseitig erwähnen und Blogrolls wieder auferstehen lassen und so andere daran teilhaben lassen, was sie gerne lesen (deswegen ein Hoch auf Quote.fm!). Und damit bin ich sogar einer Meinung mit Herrn Pallenberg, der zur Beschreibung seiner re:publica Session geschrieben hat: „Anstatt sich staerker zu vernetzen und miteinander zu kooperieren, ist sie (die deutsche Blogosphäre) staerker denn je fragmentiert, kreist aber immer noch wunderbar um sich selbst.

Deswegen -> Ich z.B. lese für mein Leben gerne:

Journelle
Antje Schrupp
Anke Gröner
Kaltmamsell
Pia Ziefle
ruhepuls
Julia Probst
Anders Anziehen
Anne Schüssler
Franziskript
Katia Kelm
Frau Julie
Modeste

Und ihr so?


!!! Nachtrag: Nochmal, da ganz wichtig: Ich beziehe mich nicht auf den gesamten Vortrag. Da ging es um etwas völlig anderes. Ich beziehe mich nur auf eine einzige Aufzählung (relevante Blogs) und die Publikumsnachfrage „Warum ist kein Blog aufgeführt, der von einer Frau geschrieben wird?“ und die sinngemäße Antwort, es gäbe eben keine (Siehe Kommentar). !!!