Seit Jahren wollte ich zum Kongress des ccc. Da der aber traditionell zwischen Weihnachten und Silvester liegt und das irgendwie immer heilige Familienzeit war, hab ich es nie geschafft. Dieses Jahr war unser Familienbesuchsprogramm etwas abgespeckt und nachdem wir Eltern mit den Kindern Heilig Abend und die Weihnachtstage miteinander verbracht hatten, zogen die Kinder mit dem Vater weiter zu dessen Eltern und ich hatte vier Tage frei.
Abgesehen von dem Termin zu dem der Kongress alljährlich stattfindet, gab es noch eine weitere Hürde. Ich bin technikaffin und halte Netzpolitik für ein wichtiges Gesellschaftsthema, bin aber selbst keine Software-Entwicklerin, geschweige denn Hackerin und habe mich gefragt, ob ich als Frau (die zweifelsohne in dieser Szene eine Minderheit darstellen) dort überhaupt willkommen bin.
Zufällig habe ich vor Weihnachten im Lila-Podcast von dem Patinnen-Konzept gehört und mich dort angemeldet. Die Idee ist großartig. Man gibt Interessensgebiete an und wird mit anderen ErstteilnehmerInnen gematcht und dann in kleinen Gruppen kongresserfahrenen Mentoren zugeordnet und erhält so einen Einstieg in den Kongress.
Der Kongress ist wirklich unfassbar groß (über 10.000 TeilnehmerInnen), vielfältig und damit auch unübersichtlich. Neben dem Programm (202 Speaker, 186 Talks), gibt es viele, viele kleine Assemblys (228 Stück) und von Lockpicking über Löten über Coffeenerds und den Cocktailroboter gibt es so gut wie alles, was man sich rund um das Thema Computer nur ausmalen kann.
Am ersten Tag trafen sich alle MentorInnen und Patenkinder und erhielten eine allgemeine Einführung. Wir haben uns zur Eröffnungsveranstaltung einen schönen Platz gesucht und sind im Anschluss gemeinsam über das Gelände spaziert. Die Mentorin hat uns danach unserer Wege ziehen lassen und dank Threema-Gruppenchat haben wir die folgenden Tage immer wieder zusammengefunden. Zu Extraführungen (z.B. durch die Serverräume des NOC – dem Network Operation Center* – oder zu einer Tour mit Tim Pritlove), zu interessanten Veranstaltungen oder einfach um gemeinsam Kaffee trinken zu gehen. Das Patinnensystem ist eine Sache, die ich wirklich sehr empfehlen kann.
Durch die re:publica und mein Blog kannte ich schon viele, die ebenfalls am Kongress waren und konnte mich vier Tage lang mit Vorträgen und Unterhaltungen beschäftigen. Ich habe pro Tag maximal fünf Vorträge geschafft und mich ziemlich schnell an den Rhythmus gewöhnt. Zur re:publica habe ich mich immer gewundert, wieso es so zahlreiche Beschwerden über die Startzeit (10 Uhr) gab. Als Mutter bin ich meistens spätestens um 7 Uhr wach und ab 8 Uhr voller Tatendrang. Ein Kongress, der um 11.30 Uhr anfängt und dessen letzte Sessions um 24 Uhr starten, war für mich erstmal exotisch. Tatsächlich hab ich es am zweiten Tag schon nicht zur ersten Session geschafft…
Jedenfalls, um nochmal auf meinen Punkt ganz am Anfang zu kommen. Ich habe mich sehr willkommen gefühlt. An keinem Punkt gab es auch nur im geringsten das Gefühl unerwünschter Fremdkörper zu sein. Das Motto des Kongress lautete „A new dawn“. gemeint war wahrscheinlich eher die Post-Snowden-Ära und die damit verbundene Aufforderung an die (Hacker)Community das Internet sicherer im Sinne von sicher vor flächendeckender Überwachung zu machen.
Für mich war „A new dawn“ aber auch eine generelle Öffnung der Hackercommunity, die ja zweifelsohne Wurzel des ccc-Kongresses ist, gegenüber der breiten Bevölkerung. Schließlich ist das ganze Überwachungs- und Internet-Thema nicht durch einzelne „ElitehackerInnen“ zu lösen sondern ausschließlich durch die Miteinbeziehung aller internetfähigen Menschen. Dezentralisierung der Strukturen und Erschwerung der Überwachung durch Verschlüsselung der Kommunikation muss durch alle und nicht durch einige wenige getragen sein. Neben den technischen Fragestellungen gibt es viele netzpolitische Themen, die eigentlich im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen müssten. Erst wenn mir eine andere Mutter im Kindergarten erklären kann, warum Netzneutralität wichtig ist, ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen und kann so auch ausreichend vorangetrieben werden. Dafür muss alles einfacher und verständlicher werden.
Genau in dem Bereich ist noch ziemlich viel zu tun. Ich habe ja mal darüber geschrieben, dass ich zu faul bin, um nicht überwacht zu werden und leider gilt das immer noch so lange es so kompliziert ist (z.B.) Mails zu verschlüsseln.
Ich brauche Produkte wie Threema oder ZenMate um „mitzumachen“. Am liebsten hätte ich eine Session gehabt, die mir nicht nur ein „HowTo“ in die Hand gibt sondern auch ein „what“. Mir ist z.B. aufgefallen, dass ich gar nicht weiß, was ich alles sichern muss. Meine Verbindung ins Internet, meine Mails, mein Chat – aber was noch?
Ach und damit nicht der Eindruck entsteht, dass es nur um Technik und Überwachung ging – es gab jeden Tag ausreichend Vorträge, die wirklich gut allgemein verständlich waren.
Meine Highlights waren:
„Mit Kunst die Gesellschaft hacken“ vom Zentrum für Politische Schönheit, das ich bereits 2012 als Jury-Mitglied der Best of Blog Awards in einer der Kategorien nominiert hatte.
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„Gefahren von Kameras für (biometrische) Authentifizierungsverfahren“ von starbug
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„From Computation to Consciousness“ von Joscha
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„IFG – Mit freundlichen Grüßen“ von Stefan Wehrmeyer
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(Übrigens auch sehr zu loben, die Übersetzungen ins Englische und ins Deutsche sowie die durchgängigen Untertitel)
Also liebe Elternbloggerfilterbubble – der Kongress ist für alle da und auch für größere Kinder interessant. 400 Kinder und Jugendliche nahmen insgesamt teil. Am 28.12. zum Beispiel war Junghackertag, der sich an Kinder ab 8 Jahre richtet und kostenlos** ist. Geht man als Familie zum Kongress, kann man sich gut mit dem Kindersitten abwechseln. Während ein Elternteil zu den Vorträgen geht, kann der andere sich mit den Kindern die Zeit im Bällebad oder der gigantischen Lego Duploecke vertreiben. Der ganze Kongress ist wirklich mit wahnsinnig viel Liebe und Herzblut gestaltet. Allein schon die ganzen Sofaecken, das Teezelt, die Riesenschneekugel und die Loungeecke sind ausreichend einladend Zeit dort zu verbringen. Von verschrobenen Hackern, die lieber im Keller am Monitor runterfallenden Einsen und Nullen zuschauen (so wie das ubiquitäre Symbolfoto der Print-Medien glauben machen möchte), keine Spur.
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Ansonsten: Wenn man unbedingt auch meckern soll: Dreißig Minuten Vortrag gefällt mir als Format viel besser als sechzig Minuten. Ich hatte den Eindruck, dass die Vorträge dann zugespitzter und dadurch oft verständlicher waren und meiner Aufmerksamkeitsspanne kommt das auch sehr entgegen. Und vielleicht hätte man alle Vorträge, die man auch ohne technisches Grundverständnis verstehen kann in einem n00b-Track oder einer Kategorisierung EinsteigerInnen und Fortgeschrittene*** zusammenfassen können. Für mich war es relativ schwierig anhand der Beschreibungen zu erahnen, ob ein Vortrag für mich geeignet ist oder nicht.
* Ein bisschen enttäuscht war ich, dass der Uplink nicht ein schwarzes Kästchen mit einer roten Diode war und mir mit „This Nuf, is the Internet!“ überreicht wurde.
**Sehr beeindruckend finde ich auch das Ticketkonzept. Es gibt einen Prozess Tickets zu bekommen, auch wenn man sich den vollen Eintritt nicht leisten kann und etwas teurere Supportertickets, mit denen man, sofern man genug Geld hat, ein bisschen mehr zahlt, um eben andere zu unterstützen.
***Ich habe übrigens noch auf keinem Kongress so oft die weibliche Form gehört und auf Folien ausgeschrieben gesehen.
Magst du mal was über ZenMate oder andere Sachen schreiben die du schon benutzt? Ich hätte da auch gerne mal etwas mehr Durchblick…
Ich finde das so einladend beschrieben, – Danke dafür! – dass ich mir diesen Termin „zwischen den Jahren“ mal mit Fragezeichen in den Kalender schreibe – wer weiß… :)
OT: Vielen Dank für den Hinweis auf ZenMate, sowas hat mir auch gefehlt!
Kommt ein Stöckchen ( http://opas-blog.de/2015/01/04/gute-vorsaetze-2015/ ) geflogen … Opas Blog wünscht ein frohes, erfolgreiches und vor allem gesundes neues Jahr.
Ich frage mich immer, was die Leute eigentlich gegen verschrobene Hacker haben, die lieber im Keller am Monitor runterfallenden Einsen und Nullen zuschauen? Ohne die hättet ihr heute weder Internet, noch Computer, noch Mobiltelefone. Es können ja nicht alle „Social Media Experten“ werden – davon gibt es bereits viel zu viele.
Persönlich hab ich gar nichts gegen die. Als Hacker hätte ich vermutlich was gegen diese Art der albernen Darstellung.
danke für den erfahrungsbericht!
sagmal, hast du nicht irgendwann mal erwähnt, dass du gmail nutzt? jetzt schreibst du, du sicherst deine mails – wie denn?
(ebenfalls gmail-aus-purer-faulheit-nutzer hier…)
lg kati
Ich schreibe nicht, dass ich meine Emails sichere sondern dass ich weiß, dass man das tun müsste.
Die weibliche Form gehört und ausgeschrieben, das ist ja schon mal erfreulich – und wie war der Frauenanteil unter den Speakers (auch schön – gilt das Wort generell als geschlechtsneutral, wenn es englisch daherkommt?) und im Publikum? Ich bin da ja schrecklich vorurteilsbehaftet und stelle mir einfach tausende männliche Nerds vor, die in ihrem eigenen Saft kochen.
Ich kenne keine genauen Zahlen und ich hatte dieses Vorurteil auch und sehe es nicht bestätigt. Ich kann wirklich nur empfehlen sich einfach mal selbst einen Eindruck zu verschaffen.
a) Ich kenne selbst 2 Frauen, die dort waren.
b) Selbst wenn ich etwas mehr technisches Verständnis aufweise, kann ich nachvollziehen, dass die Vorträge sehr speziell sind und alleine die Präsentation sich oftmals an ebensolche Spezis richtet.
b.2) Gerade die Eröffnungs-Keynote war alles andere als massentauglich und auch nach Standards für Vortrag und Aufmerksamkeitsspanne äußerst anstrengend.
c) Davon abgesehen sind meiner Meinung nach ganz andere Vorträge hervorzuheben, als diejenigen, die du erwähntest. Es gab welche zum Thema, wie man Ganzkörperscanner überlistet. Ein ernstgemeinter Ratschlag der Akademiker war. Wenn man eine Waffe einschmuggeln will, solle man sie in Plastiksprengstoff um den Körper wickeln. Kreditkarten lassen sich zu 100% ohne viel Aufhebens manipulieren, obwohl Banken etwas anderes behaupten. 85% des Mobilfunknetzes öffnen Manipulation und Abhörung Tür und Tor. Auch wurde von einem Bug in Xerox-Industrie-Kopierern berichtet, der in der Digitalisierung von Dokumenten in den letzten 8 Jahren zu falschen Zahlen geführt hat. Während ein prominentes Opfer Barack Obama mit seiner Geburtsurkunde gewesen ist, bedeutet das schlimmstenfalls, dass Verbrecher Berufung einlegen könnten, weil Beweisdokumente nicht einwandfrei als echte Kopie ausgewiesen werden können. Schuld daran hat ein Bug im Kompressionsalgorithmus der Scan-Funktion. Auch wurden z. B. Solarstrom-Geräte, Windräder und andere alternative Energieerzeuger gezeigt, deren Technik wegen festeingesetzter Passwörter im Quellcode oder alter Software in den Modulen wie ein offenes Buch sind. Organisierte Kriminalität könnte unbemerkt Strom verschieben, aber in jedem Fall könnte man die Stromerzeugung manipulieren und schlimme Dinge wären die Folge. Vielleicht solltest du in deinem Beitrag noch einen Link zu den Videos der Vorträge und weiteren Infos ergänzen, die gibt’s online unter http://media.ccc.de/browse/congress/2014/
LG
Zu 2b) Den Vortrag konnte ich ziemlich gut verstehen, er war ja ausreichend ausführlich. Letztendlich hat mir da aber komplett der Bezug zum Thema „A new dawn“ gefehlt
Zu c) Was relevant ist und was nicht (alte Debatte), lässt sich ja nicht objektiv festlegen. Ich beschreibe hier lediglich meinen persönlichen Eindruck, der sicherlich ein anderer als deiner ist.
Die Dinge, die auch für die breite Öffentlichkeit wichtig waren, konnte man ohnehin in der Zeitung nachlesen.
Super, mal diese Art Perspektive auf den Kongress zu haben! War ebenfalls als Nicht-Hacker da und kann deine Meinung nur teilen. Ich bin begeistert gewesen von den Menschen dort und hatte keine Sekunde Langeweile :D.