Als mich plötzlich für +120 min Fußball interessierte

Zu meiner eigenen Überraschung, hat mich das Finale der Frauenfußball-EM emotional bewegt. Überraschend v.a. weil ich mich für Fußball wirklich rein gar nicht interessiere. Ob da nun Männer oder Frauen auf dem Feld hin- und herlaufen – das ist mir wirklich wumpe. Für mich sind alle Spiele gleich langweilig. Da laufen Menschen (sehr klein) auf einem Feld (sehr groß) hin und her. That’s it.

Das Finale nun hatte dann aber in meiner Bubble zumindest sowas wie einen Gemeinschaftscharakter. Alle gucken das (vielleicht wie manche Menschen Tatort schauen auch wenn sie Tatort vielleicht gar nicht soooo super finden), also gucke ich das auch.

Natürlich hatte ich im Vorfeld die Sache mit dem Geschirr und den 60.000 EUR gelesen und weiß, dass es für die Frauen viel schwieriger (fast unmöglich) ist vom Profisport zu leben. Unabhängig davon war ich total überrascht, dass ich v.a. am Ende Gefühle hatte. Zunächst dachte ich wahrscheinlich hat man die einfach wenn man gut ausgebildete Spiegelneuronen hat und andere Menschen beobachtet, die starke Gefühle haben.

Aber das Gefühl ist nachhaltiger. Zum einen hat mich irgendwie beeindruckt, dass das Spiel auf dem Feld tatsächlich so aussah wie ein x-beliebliges gutes Spiel mit ausgeglichenen Ballbesitz und Torchancen im Männerfußball.

Mir ist dann aufgegangen, dass ich natürlich theoretisch davon ausgehe, dass Frauen in allen Gebieten so gut sein können wie Männer, dass ich das praktisch aber erst erlebe, seit ich aktiv danach suche. Von alleine kommen die Spitzenleistungen von Frauen in der Regel nicht zu mir.

Gehe ich z.B. in ein durchschnittliches Museum, hängen da zum allergrößten Teil Bilder von Männern – es sei denn, ich suche extra nach Ausstellungen, die Frauen oder eher eine bestimmte Frau in den Vordergrund stellen.

Gehe ich in eine Buchhandlung, dann liegen da zunächst erstmal v.a. männliche Autoren. Die herausragenden Romane, die von Frauen geschrieben wurden, entdecke ich durch Empfehlungen meiner feministischen Bubble.

Schaue ich in mein Musikregal (ja, ich habe eins), dann sind da v.a. CDs (!) aus meiner Vergangenheit und ehrlich: es sind v.a. Männer

Es steht also vor der theoretischen Gewissheit, dass Frauen herausragendes leisten können, immer erst das Bemühen diese Frauen zu finden.  Jetzt sind die Beispiele, die ich aufgezählt habe auch noch Felder, die „wohlwollend“ ohnehin als weibliche Interessen gelten können: Kunst, Literatur, Musik etc.

Andere Felder, wie eben Fußball, sind so männerdominiert, dass ich bislang nicht mal die Schlumpfinen aufzählen konnte. Also die EINE Frau unter 100 Männern. Seit dieser EM kenne ich für Deutschland wenigstens Alexandra Popp. Tadaaa – da ist sie – die eine Frau unter 100 Männern, die ich namentlich einfach so kenne. Immerhin. In meinem Gehirn gibt es jetzt also eine neue Spur für das Schema „Profi-Fußballerin“ und es gibt eine konkrete Repräsentanz dafür.

So richtig Freude bereitet hat mir allerdings das Tor von Chloe Kelly bereitet – genauer gesagt, der Moment, in dem sie sich abfeiert und dazu ihr Shirt auszieht und damit propellert und sich unbändig freut. Ein unfassbar starkes Bild.

Leute! Frauen ziehen sich nicht einfach aus (passend dazu titelt Deutschlands Boulevard ziemlich dämlich „Trikot ausgezogen! Englands nackter Jubel-Wahnsinn“). Ja gut. Sie war halt überhaupt nicht nackt (im Vergleich zu einer Profi-Volleyballspielerin sogar sehr angezogen), aber das ist schon ein Tabu-Bruch (gibt seit 2004 unabhängig vom Geschlecht als Strafe eine gelbe Karte).

Einen, den übrigens schon 1999 Brandi Chastain begangen hat. Wer das Bild kennt – es ist unfassbar, wie die Presse darauf reagiert hat:

„So gab es zum Beispiel Vorwürfe, dass ihr Jubel ein orchestrierter Werbe-Coup für den Hersteller des BHs gewesen sei – oder auch, dass der Jubel „unangebracht“ gewesen sei, weil er die Aufmerksamkeit von ihren Teamkolleginnen weg und auf sich gelenkt habe, von der sportlichen Errungenschaft auf eine sexuelle Pose. Chastain habe sich inszeniert „wie in einem Victoria-Secret-Katalog“, sei „in ihrer Unterwäsche herumgehüpft und besitzt nun die bekanntesten Brüste des Landes“, notierte die Denver Post in galliger Hinterfotzigkeit. „

Quelle: Sport1

Dabei ist es genau das:

Und es kann auch gut daran liegen, dass ich generell wenig sportinteressiert bin – aber auch der generelle Jubel des Gewinnerteams war so kraftvoll – das hat mich wirklich bewegt.  Frauen stehen doch selbst nach größten Leistungen relativ gefasst huldvoll lächelnd rum und empfangen Glückwünsche. Wie toll ist es zu sehen, wenn die Glücksgefühle Menschen überwältigen und sie das mit ganzem Körper ausdrücken.

Ich fands toll!

Am Ende bleibt nämlich diese Erkenntnis: Vorbilder in allen Bereichen sind wichtig.

32 Gedanken zu „Als mich plötzlich für +120 min Fußball interessierte“

  1. Genau!
    Habe letztens zufällig einen Standard-Action-Film geschaut. Irgend so ein Kick-Boxen mehr oder weniger ohne Regeln und wer am Ende übrig bleibt, kriegt als einziger was.
    Was ist daran so besonders: es waren ausschließlich Frauen, die gegeneinander gekämpft haben.
    Total verrückt, habe ich zuerst gedacht. Da repliziert man diesen stumpfen Schlag-Mich-Quatsch nur einfach mit Frauen.
    Habe dann mit meiner 16-jährigen Tochter drüber gesprochen und sie sagt: „Das ist sehr gut so. Meine kleine Schwester (12) kann jetzt ihren ersten Stumpfen-Action-Film sehen und es sind nur Frauen, die sich die Köpfe einschlagen.“
    Ist sozusagen eine der Möglichkeiten aus dem Abschluss-Tweet Deines Artikels.
    Sichtbarkeit von Möglichkeiten, so dass man an das „Du kannst alles werden, was Du willst!“ viel einfacher glauben und es dann auch umsetzen kann.

  2. Ich war neulich so stolz, als irgendsoein Tour de France Kommentator eine Profifahrerin fragte „Gibt’s denn bei den Frauen auch so ein Ausnahmetalent wie Pogacar bei den Männern?“ und ich „ANNEMIEK VAN VLEUTEN!!“ brüllen konnte bevor die Person „Annemiek Van Vleuten“ sagen konnte

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