Corona-Mathe für Kinder

Der nachfolgende Artikel beschreibt die Situation in Berlin:

Die Schulen werden wieder komplett schließen, wenn die 7-Tages-Inzidenz auf 165 ansteigt. Darauf habe ich gehofft. Zwar haben wir in Berlin – und dafür bin ich unendlich dankbar – aufgehobene Präsenzpflicht, doch bei uns heisst aufgehobene Präsenzpflicht: das Kind kann zuhause bleiben, wird aber nicht beschult, denn geteilte Klassen heisst schlichtweg halber Unterricht und der findet in Präsenz statt.

Wenige Lehrer:innen stellen Lehrstoff bereit, den sich die Kinder dann selbst aneignen können. Nach den Büchern wird nicht vorgegangen und so können die Kinder schauen, wo sie bleiben.

Deswegen habe ich gehofft, dass die Schulen wieder schließen. Mir ist allerdings klar geworden, dass das sehr wahrscheinlich in den neun Wochen bis zu den Sommerferien nicht passieren wird.

Schaut man sich nämlich die Statistik der 7-Tages-Inzidenz aufgeschlüsselt nach Altersgruppen an, sieht man folgendes: Die Inzidenz in den Altersgruppen, die in die Schule gehen, steigt kontinuierlich an. Die Inzidenz der älteren Jahrgänge sinkt dank der Impfungen kontinuierlich.

Berlin hat in der durchschnittlichen 7-Tages-Inzidenz außerdem gerade einen beträchtlichen Schritt nach unten gemacht, denn man orientiert sich jetzt nach einer anderen Quelle. Wir liegen plötzlich „nur noch“ bei 135.

Quelle: Lageso

Schon vorletzte Woche (KW 15) lag die Inzidenz der 15-19jährigen – die Jahrgänge, die just da wieder in den Präsenzunterricht mussten, bei 270,2.

Herr Spahn fasst es dann so zusammen: „Zwei Drittel aller Ausbrüche im privaten Bereich„.

Diese Aussage macht, dass ich nur noch schreien möchte. Denn ja, wow Rocketscience! Schaut euch an wie Corona sich mit den geöffneten Schulen unter den Kinder und Jugendlichen verbreitet, die dann ja rate, rate – wen anstecken? Die Eltern. Wow. Ja gut.

Pech für die Eltern, nicht wahr? Zumal die sind so jung, dass sie, sofern sie keine diagnostizierten Vorerkrankungen haben, ungefähr Ende des Sommers mit impfen dran sind. Und zwar mit dem 1. Termin. Wenn das AstraZeneca ist, bedeutet das nach der Impfung im Sommer 12 Wochen bis zur Immunität*. Bei den anderen Impfstoffen ca. 6 Wochen bis zur Immunität.

Die durchschnittlichen Zahlen werden also sinken, die Schulen werden offen bleiben und die Ansteckungszahlen bei den Kindern werden steigen und damit auch die Inzidenzen der ungeschützen 35 bis 55jährigen.

Wenn die durchschnittliche Inzidenz dann am Ende des Sommers deutlich gesunken ist und die +55jährigen aus dem Gröbsten raus sind, dann wette ich, wird irgendwem einfallen: „Oh, so niedrige Inzidenzen! Ja, da machen wir die Klassen wieder voll. Das mit dem Wechselunterricht** ist ja sehr anstrengend. Ach naja und diese schrecklichen Masken im Unterricht, die braucht man dann auch nicht…“

So meine Dystopie.

Mein persönlicher Albtraum ist übrigens nicht, dass ich schwer erkranke oder sterbe. Dieser Gedanke wird mühelos getoppt davon, dass mein Kind mich anstecken könnte und sich dann verantwortlich dafür fühlen könnte. Absolutes schrecklichstes Szenario.

Aber wie sollen wir Eltern uns schützen? Wie sollen sich die Kinder schützen? Gar nicht in die Schule gehen. Ok. Bei den älteren kann man das unter Schmerzen verantworten. Fallen die Noten eben in den Keller. Mir sind Noten egal. Den Kinder nicht so sehr, aber das bekommen wir aufgefangen. Genauso wie die Lernlücken. Das wird schon gehen.

Aber die jüngeren? Die unterrichten sich schon so lange selbst und vereinsamen langsam. Denn jahrelange Best Practice Medienerziehung hat ja darauf geschworen, dass Kinder unter 12 bitte keine eigenen Endgeräte, keine Chats, um Gottes Willen kein Discord*** haben, keine bösen Onlinespiele miteinander spielen pfui, pfui, pfui… sie haben also all die Möglichkeiten nicht, die ältere haben, um weiterhin sozial vernetzt zu bleiben.

Schickt man die Kinder also in den Unterricht? Es wird ja getestet… dass leider 40% der positiven Fälle nicht rausgefiltert werden, weil die Tests eben im frühen Stadium einer Ansteckung, in der jemand aber schon ansteckend ist, noch nicht anspringen… äh ja. Auch Pech.

Und dass es wirklich an Idiotie nicht zu überbieten ist, dass die Kinder sich morgens gemeinsam in der Schule testen müssen, die private Testung zuhause wurde verboten… auch äh tragisch.

Der Senat geht nämlich davon aus, dass sieht auch in der Grundschule so aus: Die Kinder testen sich selbst (!) und nehmen dafür max. 30 Sek die Maske ab. Jede/r Erwachsene, der sich selbst schon mal getestet hat, kann da nur lachen. Fünfzehn z.B. Siebenjährige, die einen unangenehmen medizinischen Test selbst korrekt durchführen und mit Masken nur 30 Sekunden für die Hauptprozedur brauchen.

Ja, gut. Da schicke ich mein Kind also hin: In eine Klasse mit 15 Kindern, die sich im Klassenzimmer morgens gemeinsam testen, bei einer Inzidenz, die schon vorletzte Woche bei 166 lag (in der Beispielaltersgruppe).
(Und noch besser: Wenn die 1. Stunde Sport ist [ja, bei uns gibt es sogar noch Hallensport], dann wird erst in der nächsten Unterrichtsstunde getestet. Wieder hach ja, Pech wenn es dann einen positiven Fall gibt.

Oder man schickt die Kinder nicht in die Schule.

Und selbst wenn nicht: Es verpasst einfach 9 Wochen Unterricht, bekommt schlechte Noten (Pech für die Übergangsjahrgänge und ja, die Lehrer:innen haben bei uns teilweise aus Note 1 eine schöne 3 gemacht, weil you know Lernlücken!) und wenn die Sommerferien vorbei sind, dann sind bestenfalls die Eltern geimpft, aber Kinder werden ab 12 allerallerfrühstens ab Anfang 2022 geimpft. Was mit den jüngeren sein wird…ähhh Pech?

Die Chancen sich als Kind noch auf den letzten Metern der Pandemie anzustecken stehen also „nicht schlecht“. Es steckt sich an, ist symptomlos, steckt die Eltern an, die werden (ernsthaft) krank oder alles geht bei allen gut, aber dann gibt es immer noch die Aussicht auf Long Covid Kids. 10-15% der Kinder betrifft das, wird derzeit geschätzt.

Egal wie ich es drehe und wende. Die Aussichten für uns Eltern sind derzeit bescheiden**** und die für unsere Kinder sind beschissen. Denn abgesehen von der Krankheit selbst, gehen die Kinder auf dem Zahnfleisch. Sie haben sich eingeschränkt, alles hingenommen und wissen durch die Pandemie v.a. eines: Kinder haben keine Priorität.

Nachträgliche Ergänzung (26.04.21)

Wenn ein Kind bei den Schnelltestungen positiv getestet wird, wird es isoliert und muss nach Hause. Die anderen Kinder haben dann regulär Unterricht. Selbst wenn der Verdachtsfall durch einen PCR-Test bestätigt wird, sieht die Regelung des Gesundheitsamts keine Quarantäne für Mitschüler:innen und Lehrer:innen vor. Es geht einfach weiter. Auch wenn ein weiteres Kind positiv wird.
Außerdem gibt es keinen offiziellen Kommunikationskanal, der darüber informiert, dass es positiv getestete Kinder gab.

Das ist ganz sicher, dass was Virologen meinen, wenn von „Unterbrechung von Infektionsketten“ gesprochen wird. Nicht.


*Selbst wenn man jetzt sofort freiwillig AstraZeneca nimmt und einen Termin bekommt… Mai, Juni, Juli – so lange ist man nicht immun.
**Der oft einfach gar kein Wechsel-, sondern halber Unterricht ist.
***Wir waren gerade bei der Kinderärztin, die 4 Stunden Zeit vor dem Rechner (inkl. Schule) für höchst alarmierend hält.
****Ich hatte auch schon das zynische Gefühl: Ach Fuck, ich werde es durch 2021 nicht ohne Infektion schaffen… dann wäre es doch besser gewesen, sich gleich anzustecken, um dann nicht in einem komplett kaputten, überlasteten, ausgelaugten Krankensystem krank zu werden, sondern da, wo es noch Kraft und Betten gab…

640 Gedanken zu „Corona-Mathe für Kinder“

  1. Fujolan sagt:

    Jessas, da krieg ich glasige Augen.

    In diesem Land hier (Belgien) haben sie die Prios anders gesetzt, und dann aber auch konsequent durch gehalten:
    Priorität war und ist, dass Schulen so viel wie möglich offen bleiben (dass das manche Eltern nicht wollen weiss ich).
    Dafür gibt es seit November 2020 (erneut) Home Office Pflicht, zudem werden immer wieder Beschränkungen in puncto Einkaufen (1 Person pro Haushalt, VOranmeldung etc), Restaurants, Hotels etc. zu, kombiniert mit Ausgangssperren (Hauptstadt: 22h-6h, andere Städte: 24h-6h)
    Schulen sind teils auf, und zwar VON UNTEN nach oben gestaffelt. Je jünger desto recht auf Präsenzunterrricht. Kitas und Vorschulen: Auf bis auf 1 Woche vor den Osterferien (Notbremse für alle); Primarstufe: halb anwesend, halb Distanzunterricht; Sekundarstufe: Gestaffelt, (je jünger desto in der Klasse) aber mehr als 50% der SekundarSchülerInnen werden landesweit auf Distanz unterrichtet.

    Wir kamen von NULL IT in den Schulen und jetzt hat jede Klasse mindestens 1 Headset für den LEhrer und 1 Klassen-Ipad und SchülerInnen können für zuhause Geräte anfordern.

    Demnächst kommt Testen dazu.

    Bei positiven Fällen oder Reisen oder so, gehen die Kinder in Iso/Quarantäne und das wird im Unterricht aufgefangen. NOONE LEFT BEHIND und so. Kinder im Kontakt mit der/dem Positiven ab in Quarantäne, Banknachbarn oder FreundInnen.

    Bin froh hier zu sein und nicht da. Und jetzt back ins Home Office

  2. Das beschreibt es auf den Punkt. Das sind exakt die Sorgen, Ängste und Situationen, die wir hier in S-A bei mittlerweile wieder eingeführter!!! Präsenzpflicht durchmachen. inkl. zu niedrig angegebener Inzidenz. Aktuell 145 statt 235 (gestern 100 statt 190)


  3. Danke, Du sprichst mir aus der Seele! In Brandenburg ist sogar Präsenzpflicht. Und nichtmal im Kindergarten wird mehr die ganze Gruppe getestet wenn ein Kind positiv ist. So bleibt hier auch die Inzidenz bei den Kindern niedrig. Es steht auch keine Warnung am Kindergarten.

  4. danke für den Text. fasst meine ganzen Sorgen zusammen…..und jw, im Herbst drohen bestimmt wieder volle Klassen ,falls die Inzidenz dann niedrig ist….ich denke über eine Onlineschule nach (gibt eine in D), aber die Schulpflicht kann man nur mit viel Ärger umgehen..

  5. Richtig. In Köln heute Inzidenz 267, letzte Woche gab es ein „Problem“ bei Übertragung, Inzidenz bei Kindern war die Woche schon 200-250 mit Präsenzpflicht!!!
    Immerhin diese Woche wieder Distanzunterricht für alle. (2/3 der 297 Schulen haben Fälle)


  6. Der nächste Wahnsinn aus Sachsen: Grundschule ab morgen Wechselmodell – endlich! Dafür ab Mittag Hort für alle…, d.h. Kontaktreduzierung durch kleinere Gruppen nur vormittags, nachmittags volle Klassenstärke. Ohne Maske. Noch Fragen?


  7. Mein Mann ist Mathematiker und hat mir das mit der Real-Inzidenz schon vorgerechnet. In den Medien habe ich dazu noch nichts gelesen, Mathe-Kenntnisse unterrepräsentiert wahrscheinlich. Danke fürs Aufgreifen. Nicht nur Eltern von Schulkindern sollten besorgt sein.

  8. „ja, die Lehrer:innen haben bei uns teilweise aus Note 1 eine schöne 3 gemacht, weil you know Lernlücken!“
    Und der Applaus des Tages geht an die Pädagog:innen, die einem noch diesen Rotz am Telefon reindrücken, als würde man daheim 0,0 lernen und das sei nichts wert!! ?


  9. Es ist einfach zermürbend.Meine Kinder sind seit Februar beurlaubt (haben trotzdem hervorragende Noten)aber wir werden ständig von allen Seiten wegen unserer Entscheidung angegriffen und kritisiert.Und sie wollen auch gar nicht in die Schule.Die wollen am liebsten nach Neuseeland

  10. ichbindiegute sagt:

    So ist es. Es ist zum Verzweifeln. Warum gibt es keinen Distanzunterricht? Was soll das?

    Man dreht sich mit seinen Gedanken immer im Kreis und kommt zu keinem Ergebnis. Weil Kinder und Familien keine Priorität haben, werden sie nicht geschützt.

  11. datmomolein sagt:

    ? das! genau das!
    und ich habe nur kita kids, und bibbere und zittere und hoffe und bete, dass bis zur einschulung im september, es ein praktikables konzept gibt (auch wenn ich es natürlich besser weiß, aber die hoffnung und zuletzt sterben und so)… ich sehe in meinem umfeld nur, dass es klappt, wenn die lehrer*innen da extremst in eigenverantwortung über ihr soll gehen und extrem mehr machen und wollen und auch unterstützt werden. ich sehe, dass das bei vielen scheitert. ich sehe, wie neugieriger jugendlicher wissensdurst quasi im nichts, das alles aufrisst (kleine neverending story referenz) verebbt, weil frustration gepaart mit depressiven anwandlungen… und ich sehe absolut verzweifelte eltern…

    und dann seh ich querdenkende idioten und muss mich maßlos zusammenreißen. irgendwo sind große teile der bevölkerung aber auch der politiker massivst falsch abgebogen… und offensichtlich gibt‘s da kein navi…

  12. Wir Eltern sürfen wählen zwischen Durchseuchung unserer Familien oder sozialer/schulische Isolierung der Kinder – beides mit negativen Folgen für ihre Psyche. Dabei hätte man Konzepte entwickeln können! Ich bin unendlich wütend auf die Politik, die die Kinder so sinnlos verheizt.

  13. Kati sagt:

    Genau so. Hier wird trotz gegenteiligem Senatsbeschluss zu Hause getestet. Die Kids sind 10. Da erzählt dann schon mal einer, dass der Test zu Hause gar nicht gemacht wurde, die Mama aber trotzdem „negativ“ bescheinigt hat. Wtf? Und ja, ich bin müde. Und dankbar, dass Du noch Kraft hast, Deine Gedanken in die Welt zu schreiben.

    1. Matthias sagt:

      Danke Kati

  14. Ich wünschte so sehr, Leute, die was zu sagen haben, würden das lesen. Genau das. Das macht mir alles so große Angst… Ich weiß gar nicht wohin damit. Und meine ist „nur“ im Kindergarten. Also, theoretisch.

    Und dann lese ich von geimpften, die die Vorsicht fallen lassen…


  15. Ich bin so froh, dass mein 12-jähriger ein StubenhockerGamer mit Discord ist und stundenlang mit seinem Vater in Norwegen spielt. Ich wäre sonst längst durchgedreht – so allein mit dem, was Du beschreibst.

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