Sorgearbeit braucht mehr als einen Blumenstrauß

So glücklich sehen Mütter am Muttertag aus, wenn es nach der CDU geht

Im BR2 gibt es einen Podcast, der heisst „Eltern ohne Filter„. Vor einiger Zeit habe ich dort die Folge mit Solvejg und Christoph gehört und noch während des Hörens meinen Partner angeschrieben, ob er bereit wäre in einem Podcast zu erzählen wie wir unseren Alltag beschreiten. Danach habe ich an die Redaktion geschrieben, weil mich nahezu jedes Wort in der gehörten Folge schmerzte.

„Christoph ist vielbeschäftigter Anwalt, Solvejg arbeitet als Lehrerin in Teilzeit. Gemeinsam haben die beiden drei Kinder. Die Pandemie hat uns endgültig in das Rollenbild der 50er zurück katapultiert, sagen die beiden. Ein Gespräch über alte Rollenbilder und einen Alltag, der so nicht mehr zu schaffen ist.“

lautet die Zusammenfassung der Folge und aus dem Feedback zu meinem Buch „Raus aus der Mental Load-Falle“ weiß ich, dass die beiden bei weitem nicht alleine sind. Was schon vor der Pandemie ungerecht war, ist in der Pandemie nicht mehr zu stemmen.

Ich verstehe in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht die Mär von der Re-Traditionalisierung. So richtig modern – im Sinne von gleichberechtigt – haben die meisten Paare in Deutschland noch nie gelebt. Denn der überwiegende Teil der Paare hat sich für das sogenannte Zuverdienermodell entschieden. D.h. der Mann geht 100% erwerbsarbeiten und die Frau verdient Geld dazu.

Hochinteressant finde ich, dass dieses dazuverdiente Geld geistig oft gar nicht als Erweiterung des Familieneinkommens bewertet wird, sondern es wird verrechnet mit den entstehenden Kinderbetreuungskosten und zusätzlichen Kosten für z.B. Mobilität (2. Auto auf dem Land beispielsweise) oder Kosten für haushaltsnahe Dienstleistungen (z.B. Putzkraft). So kommen viele Paare zu dem Schluss: Es lohnt sich im Grunde gar nicht wenn die Frau arbeiten geht…wenn sie es trotzdem tut, dann äh ja dann zur (egoistischen?) Selbstverwirklichung.

Die zeitliche Zusatzbelastung der Frau wird nicht als Einsatz der Frau zum Familieneinkommen gesehen, sondern als etwas, das der Familie letztendlich fehlt.

Wenn Frauen erwerbstätig sind, dann ganz oft, „trotz“ Familienverpflichtungen. Sie sind angewiesen familiäre Sorgearbeit auszulagern, um sich dann „leisten“ zu können auch arbeiten zu gehen.

Reduzieren Männer auf der anderen Seite ihre Erwerbstätigkeit, verringert sich das Einkommen und das wird oft als eindeutiger Nachteil für die Familie gewertet und nicht etwa als Vorteil, weil der Vater dann auch Sorgearbeit übernimmt, die Kinder eine weitere Bezugsperson haben und die Mutter im größeren Rahmen erwerbstätig sein kann und somit ein weiteres finanzielles Standbein für die Familie etablieren kann.

Nur 12% der Paare arbeiten beide Vollzeit – bei einem noch geringeren Teil der Paare – nämlich bei 5% arbeiten beide Teilzeit. Das wären ja erstmal die augenscheinlich gerechten Erwerbsarbeitsmodelle, weil es hier ziemlich logisch wäre sich auch die Sorgearbeit im gleichen Verhältnis aufzuteilen.

Interessanterweise wird der Zeitgewinn von Teilzeit bei Männern und Frauen aber ganz unterschiedlich investiert. Während Frauen im Schnitt die „gewonnene“ Zeit in Sorgearbeit investieren, gehen Männer eher einem persönlichen Hobby nach oder versuchen nebenher eine Selbständigkeit aufzubauen.

Aber gut, ich komme total vom Thema ab. Was ich eigentlich sagen wollte. Mich schmerzte zu hören wie Paare teilweise leben. Im konkreten Fall des oben zitierten Paares: Der Mann geht erwerbsarbeiten, 50-60 Stunden die Woche, die Frau arbeitet Teilzeit und übernimmt fast zu 100% die Sorgearbeit für drei Kinder. Das war schon immer so, nur dass eben außerhalb der Pandemie der Staat durch die Kindergartenbetreuung (z.B.) einen Teil der Sorgearbeit übernommen hat.

Durch die Kindergarten- und Schulschließungen fällt das alles auf die Frau zurück.

In durchschnittlichen Zahlen außerhalb der Pandemie – das muss man sich mal im Gehirn zergehen lassen – übernehmen Frauen ohnehin schon 52% mehr Sorgearbeit. Durchschnittlich über alle Familienformen und Erwerbsmodelle hinweg. Das nennt man Care Gap. Und der Care Gap erreicht seinen Höhepunkt wenn Frauen 31 Jahre alt sind und ein Kind haben. Da beträgt er 111%.

Das sind die durchschnittlichen Zahlen OHNE Pandemie. In der Pandemie kommt für einen großen Teil der Frauen einfach die ausgelagerte Sorgearbeit on top.

Kein Wunder also wenn viele Frauen einfach nicht mehr können.

Es war mir deswegen ein Anliegen zu schildern wie man als Paar gerechter aufteilen kann und was das auch seelisch für mich bedeutet. Eine entsprechende Folge „Eltern ohne Filter“ haben wir deswegen aufgenommen (verlinke ich wenn sie veröffentlicht wird).

ABER! Mir ist es sehr, sehr wichtig folgendes zu festzuhalten: Es liegt nicht zu 100% in unserer Hand zu bestimmen wie wir leben. Es liegt nicht ausschließlich an der Art wie wir uns organisieren, wie wir miteinander reden oder wie wir verhandeln.

Die Mikroebene – also das was wir als Paar direkt beeinflussen können ist nur ein Aspekt in dem Geflecht. Schon unser direktes Umfeld, die Mesoebene – also unsere Familien, den Freundeskreis, die Arbeitgeber etc. – können wir nur begrenzt beeinflussen und noch weniger Möglichkeiten (v.a. kurzfristig) etwas zu verändern haben wir auf der Makroebene – also auf Staat und Gesellschaft.

Wir rütteln kaum an gesellschaftlichen Vorstellungen (aka „Die Mutter gehört zum Kind!“), nicht an Geschlechterstereotypien (aka „Das Kümmern liegt den Frauen im Blut“), es liegt nicht in unserer Hand den unterschiedlichen Wert von Erwerbsarbeit in den verschiedenen Branchen (z.B. schlecht bezahlter Dienstleistungs-/Caresektor) kurzfristig zu ändern, wir schaffen nicht mal eben schnell die Standard-40-Stundenwoche ab, verbessern die Qualität und Quantität von Betreuungs- und Pflegeangeboten oder finden Sanktionen für Betriebe, die nicht familienfreundlich sind…

Die Barrieren des Systems sind gleichzeitig Barrieren im Märchen von „Du musst dich nur anstrengen, dann wirst du das auch erreichen“.

Damit Paare gleichberechtigt und auf Augenhöhe leben können, braucht es eine ganze Reihe von Vorraussetzungen:

  • geringe Einkommensunterschiede bei den beiden Partnern vor der Geburt des 1. Kindes
  • starke Berufsorientierung der Mutter
  • starke Familienorientierung des Vaters
  • vorhandene und qualitativ hochwertige Kinderbetreuungsangebote
  • Arbeitgeber, der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit möglich macht
  • Entscheidungen auf privater Ebene werden reflektiert und bewusst getroffen und regelmäßig neu ausgehandelt

Und – niemanden wird das wundern – es braucht v.a. ausreichend Geld und Zeit. Nur wenn die Paare genug Geld haben, können sie sich Entlastung schaffen. Es braucht Geld für Putzhilfen, für zusätzliche Babysitter, für die Anschaffung von Geräten wie Wäschetrockner, Saugrobotern, etc. – und sehr wertvoll ist es natürlich wenn man Familie und/oder Freunde in der Nähe hat, die ebenfalls durch unbezahlte Sorgearbeit unterstützen kann.

Das alles muss überhaupt erstmal da sein, damit man als Paar auf Augenhöhe verhandeln und leben kann.

Deswegen bitte: Auch wenn es mir ein Bedürfnis ist zu schildern wie gleichberechtigtes Paarleben aussehen kann, dann ist das in den allermeisten Fällen nicht verbunden mit einem „Strengt euch halt mehr an“-Appell.

Und jetzt kommt noch der Schlenker zum Muttertag!

Quelle: Trautner: Möglichkeit zum Blumenverkauf am Muttertag

Der Muttertag, wie z.B. durch das Ideal der CDU propagiert zementiert einen Grundgedanken: Sorgearbeit ist durch Frauen zu leisten. Sorgearbeit muss an 364 Tagen im Jahr unsichtbar sein. An einem Tag im Jahr wird Wertschätzung in Form von Blumen ausgedrückt. Dafür bitte dankbar sein.

Alles soll so bleiben wie es ist.

Oder auch nicht. Also bestimmt nicht, wenn wir Gleichberechtigung wollen und dann sollten wir uns alle einsetzen, dass der große gesellschaftliche Rahmen sich ändert, so dass Paare wirklich die freie Wahl haben, wie sie leben wollen und dass speziell Frauen nicht mit Altersarmut dafür zahlen müssen, dass sie sich bereit erklärt haben den Großteil der Sorgearbeit zu übernehmen.

Beim Muttertag sollten deswegen die politischen Forderungen im Vordergrund stehen:

  • Reduktion der Vollzeit auf 30 Stunden
  • finanzieller Ausgleich für die Ausübung von Sorgearbeit (u.a. auch sowas wie „Vaterschutz direkt nach der Geburt eines Kindes“)
  • Wahlrecht bei der Arbeitszeit
  • qualitativer (!) und quantitativer Ausbau von Betreuungs- und Pflegeangeboten
  • Aufwertung der SAHGE-Berufe (bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen)
  • Flexibilisierung der Kinder(kranken)tage (1/2 Tage, Freistellung für Elterngespräche, U-Untersuchungen etc.)

Naja. Die Liste ist lang und unvollständig – aber was soll ich sagen? Blumen stehen nicht drin.

377 Gedanken zu „Sorgearbeit braucht mehr als einen Blumenstrauß“

  1. Heike Müller sagt:

    Liebes Nuf,
    das sogenannte Zuverdienermodell wird ja durch das steuerliche Ehegattensplitting zementiert.
    Solange es das noch gibt, wird sich nichts ändern.
    Lieben Gruß

  2. Super Text! Für mich wäre noch die Abschaffung der Steuerklassenkombi 3/5 wichtig, die das „es lohnt sich ja nicht“ leider noch künstlich verstärkt. Bei bei meiner momentanen Beratungsfamilie war der Anfang die Neu-Verteilung und Reorganisation mit Apps, Kondo, und viel ausmisten

  3. Jay Cee sagt:

    Treffend!
    Eine sehr einfache, gerechte und flächendeckende Lösung: bedingungsloses Grundeinkommen.
    Schafft Freiraum für familienfreundliche Entscheidungen und setzt wertvolle soziale Ressourcen frei.
    Wir haben’s im September in der Hand.

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