Ich blicke zurück auf eine Zeit, in der mein Tag 40 Stunden hatte und ich die Energie hatte, diese zu füllen. Rein rechnerisch geht das mit Multitasking und Schlafverzicht. Die Kinder waren klein, sie wollten beschäftigt, gewickelt, angezogen, gefüttert werden. Nebenbei der Erwerbsjob, freilich nur 32 Std/Woche – ich brauchte ja Zeit für die Care-Arbeit. Daneben das Blog, an Büchern schreiben, Ideen entwickeln, Ausflüge planen, lesen, mitbekommen welche Ausstellungen demnächst eröffnen und sehenswert sind. Freundinnen treffen, alle bekochen, Blumen gießen, Regal reparieren, Geschenke für die Kinder befreundeter Mütter basteln.
All das ging. Es war Kraft da und v.a. mein Kopf war ein sprudelnder Quell von „Was noch, was als nächstes?“.
Seit Monaten ist diese Quelle versiegt. In mir nur noch Leere. Ich schaue träge auf die Welt, verstehe sie nicht und habe das Gefühl, dass mir nichts mehr Freude bereitet. Nicht mehr so wie früher. Die Limo schal. Alles wie Mineralwasser Medium. Es regnet, die Sonne scheint, der Himmel ist grau. Wolken. Aha. Alles ist unglaublich zäh und Alltägliches wird unerklärlich. Ich bemerke, dass der Himmel blau ist und es fühlt sich an, als hätte ich das vergessen. Dass er blau sein kann. Kann er offensichtlich.
Alles hat sich verlangsamt. Träge. Wie die unendlich langen Sommerferien meiner Kindheit.
Ich schaue Pandemie-Filme. Auch da tragen manche Masken und manche reißen sie direkt vor einem offensichtlich Infektiösen runter. Vor der Pandemie hätte man noch den Kopf geschüttelt. Heute ist das der Teil am Film, der schmerzhaft realistisch erscheint. Warum nach drei Tagen Film-Pandemie alles brennt und das Benzin ausgeht, verstehe ich allerdings nicht. In den Filmen bricht überhaupt alles in wenigen Tagen zusammen und niemand muss mehr arbeiten gehen. „Gut haben es die Pandemie-Leute im Film“, denke ich. Sie müssen zwar ihr Essen jagen, aber sie müssen sich nicht fragen wie sie Kinder beschulen, wie sie ihre seelische Gesundheit in dem Hin- und Her, der sozialen Isolation erhalten. Wie sie das tun, während sie weiter erwerbsarbeiten gehen. Vereinbarkeit ist nicht mal als Fiktion in der Pandemie ein Thema.
Überhaupt. In Pandemie-Filmen machen die Erwachsenen alles gemeinsam. Sie schließen sich in Gruppen zusammen, sie sind nie alleine. Kein Pandemie-Film hat mir in Aussicht gestellt, dass ich 18 Monate alleine vor meinem Rechner sitze.
Das immer gleiche Leben macht müde. Aufwachen, essen, arbeiten, nicht durchdrehen beim Nachrichtenlesen, kochen, essen, nebenher Bruchrechnen, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Potato famine, Subjonctif, die Anden, Koreakrieg, schlafen. Repeat.
In Filmen ist es auch immer ein kurzer dramatischer Kampf und dann wirds wieder. Es ist nicht anderthalb Jahre zäher Alltag.
Sehr gut beschrieben. Danke.
Ja, wie lahmes Wasser. Ätzend.
Wow. Eine bessere Beschreibung für meine Gefühle in den letzten anderthalb Jahren hatte ich nie gefunden.
Ich fühle es so! Ich war echt gut im multitasking und bringe unter Druck oft die besten Ergebnisse. Im Moment kann ich das nicht mehr und brauche so viel mehr Zeit für Erholung.
Deshalb hätte ich Lust auf Interrail 3 Monate alleine, Internatpflicht für alle K’s, einen Aufenthalt auf der ISS, einen Zauberer der aus mir einen alten weißen Manager macht oder sowas in der Art. ??
Ja, da sagt sie was Wahres.
Eine Therapeutin hat mal zu mir gesagt: Das Leben nicht im eigenen Tempo leben zu dürfen, kann sehr müde machen.
Weise Worte.