Ich weiß nicht genau, wann „man“ (=ich) sich dieses seltsame Verhalten aneignet, aber ich glaube, es war irgendwann zu Schulzeiten. Da hängt man mit Freundinnen ab und erzählt sich gegenseitig was alles doof ist. Ich erinnere mich schon in der 5. Klasse meine Haare doof gefunden zu haben. Und dann habe ich mir einen schönen Blumenstrauß an stetig wechselnden Komplexen zugelegt. Nase zu groß, Kinn zu hervorstehend, Füße häßlich, Arme zu dick. Eigentlich völlig egal. Es gab lediglich eine Stelle, die ich immer super fand. Leider war die nur 4 Quadratzentimeter groß (Ein winziges Stück Haut rechts und links an den Hüften – warum ich ausgerechnet diese Stelle immer toll fand, das weiß der Fuchs).
Nachdem meine Freundin und ich uns ständig gegenseitig erzählt haben, was wir an uns doof und hässlich fanden, sind wir in der Pubertät dazu übergegangen Sachen an anderen doof und häßlich zu finden. Wir verbrachten fortan unsere Freizeit damit uns mit anderen zu vergleichen und das herauszustellen, das nicht perfekt war. Perfekt im Sinne von den Abbildungen der Zeitschriften, die wir lasen oder der Fernsehsendungen und Musikvideos, die wir anschauten (geschmackvolle Dinge wie Cinderella 80 mit Bonnie Bianco!).
Irgendwann hat das aufgehört. Ich glaube, weil ich nicht mehr so viel Freizeit, keinen Fernseher und v.a. Zugang zum Internet hatte. Genau weiß ich es aber nicht.
Viel hat sich auch mit dem Mutterwerden und Vorbildseinwollen geändert. Ich habe das gewohnheitsmäßige Gejammere über meinen unperfekten Körper einfach eingestellt. Ich habe aufgehört mich ständig zu vergleichen und ich versuche meinen Kindern ein positives Körpergefühl zu vermitteln. In der Geo Wissen „Mütter“, S. 21 ist ein schönes Bild zu sehen, das Mutter und Tochter im Handtuch bzw. nackt zeigt. Darunter steht „Ein positives Körpergefühl der Mutter beeinflusst auch die Eigenwahrnehmung der Tochter […] in Israel war es üblich, in Unterwäsche in der Wohnung herumzulaufen oder miteinander im Bad zu sein.“ Es wird auch erwähnt, dass viele (in den USA) ihre eigene Mutter noch nie nackt gesehen haben. Das ist nicht nur in den USA so. Ich kenne viele FreundInnen, die ihre Eltern noch nie nackt gesehen haben. Diese Vorstellung fand ich schon als Kind total verrückt.
Jedenfalls was ich eigentlich sagen wollte. Man kann sich diese negative Brille wirklich abgewöhnen. Am Anfang erscheint es wie eine alberne, gedankliche Turnübung. Man sagt sich einfach immer das Gegenteil von dem was man als Automatismus im Kopf hat. Dann sucht man mal bewusst nach Dingen, die man toll an sich und auch an anderen findet.
Jetzt bin ich bald 40 und mir ist das alles ziemlich egal. Ich schaue auch kaum noch in den Spiegel. Ich fühle mich gut und bin manchmal so absurd zufrieden mit mir, dass ich mich frage, warum konnte ich das nicht vorher haben? Ab und an wundere ich mich noch über Fotos, die ich von mir sehe, weil ich da gar nicht aussehe, wie ich mir mich eigentlich vorstelle.
Lediglich mein Kind 2.0 hat plötzlich Fragen zu meiner Imperfektion:
„Diese Falten an der Nase zum Mund, hat die jeder erwachsene Mensch?“
„Stört dich dein dicker Bauch nicht?“
„Dein Po ist ganz schön fett! Das haben aber nicht alle Erwachsenen, oder?“
Kind 2.0 ist offenbar in die Phase gewachsen, in der Körper keine Werkzeuge mehr sind, sondern irgendwie bewertet werden müssen.
Ich finde das erschütternd.
Mein Kind ist die Sportskanone der Familie. Total drahtig und besteht quasi nur aus Muskeln. Isst wie ein Vögelchen und klettert den ganzen Tag auf Bäume und plötzlich fragt es mich beim Abendessen: „Findest du mich dick?“
Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte diesen Gedanken energisch aus dem Kind rausgeschüttelt.
Stattdessen frage ich: „Wieso fragst du das?“
„Ich weiß nicht. Ich finde mich auch nicht dick. Aber die Mädchen in der Schule sagen sowas.“
Es ist so ekelhaft, warum kommt das offenbar automatisch? Ich würde das alles so gerne von meinen Kindern fernhalten, aber ich fürchte, das geht einfach nicht. Mir fällt auch nicht so richtig ein, was ich dagegen tun kann, ausser ein gutes Vorbild zu sein und immer wieder darüber zu sprechen.
In dem Zusammenhang bin ich in dieser Woche auf zwei schöne Beiträge im Netz gestoßen:
Lisa Rank schreibt in ihrem Blogbeitrag „What you see is what you see“ über ihr erstes graues Haar und man möchte sie küssen.
Und Katrin Rönicke beantwortet bei Freisprecher die Frage „Bin ich schön?“
Ich wünschte wirklich die Welt wäre voll mit solchen Menschen, dann müsste sich mein Kind nicht solche Fragen stellen.
P.S.: Ich bin Tochter eine bildhübschen Mutter, die ihr Leben lang diätet hat. Das wurde mir also immer-immer-immer vorgelebt. Dummes Vorbild, das.
Dieses mich selbst häßlich/dick/verbesserungsbedürftig finden kenne ich auch. Das Schlüsselerlebnis hatte ich vor meinem 50sten Geburtstag, als ich Fotos von mir für eine kleine Diaschau raussuchte und immer mich im Laufe der Jahre betrachtete… Da fragte ich mich plötzlich und aus Sicht der fast 50 Lebensjahre, WARUM ich eigentlich immer so unzufrieden mit mir gewesen war – war doch alles total in Ordnung und überhaupt nicht so „häßlich“, wie es sich für mich ein Leben lang angefühlt hatte. Seit diesem Moment bin ich wesentlich entspannter. Leider was spät…
Ich denke, dass Kinder in dem Alter oder auch wenn sie noch älter sind solche blöden Sachen gesagt bekommen, weil diese neidisch sind. In der Entwicklung wird erst nach außen gesehen und dann nach innen, also werden beim Heranwachsen Dinge mit denen man unzufrieden ist auch erstmal nach außen projeziert. Nichtsdestotrotz ist es echt traurig, dass Menschen bestimmte Zyklen leider durchlaufen müssen, weil die Umwelt zu nichts anderem fähig ist bzw. sehr lange Zeit benötigt um sich zu verändern…
Vielleicht kann man der Betrachtungsweise des Kindes helfen, indem man die Frage „Was ist dick?“ zusammen erarbeitet. Was sind Eigenschaften von dick? Wann ist man dick? Wann fühlt man sich dick? Was für Nebenwirkungen hat dick-sein (z.B. gesundheitliche)? etc. Wenn man es nicht als Eigenschaft sondern als Sache betrachtet meine ich, kann man es analysieren, auch wenn es eher etwas subjektives ist. Dadurch wird es „erfassbarer“ und kann man zumindest klarer machen, dass all diese Punkte, wenn sie beantwortet sind, auf das Kind nicht zutreffen.
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Genau!
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Gerade gestern saß ich in der Sauna und jammerte darüber, dass ich mein Shampoo vergessen hatte, und auf meinen Kommentar, dass meine Haare dann morgen furchtbar aussähen, kam es mehrstimmig von links und rechts von mir: „Orr, ist doch egal wie am Sonntagmorgen deine Haare aussehen!!“ ;)
Wie viele Leute mich schon nackt gesehen haben und wie viele Leute ich schon nackt gesehen habe! Ich war schon mit meiner Familie in der Sauna, mit Rotkreuz-Gruppen, mit Freundinnen, mit gemischten Chören, mit einem Mann, den ich interessant fand ;) ….. ich bin für Sauna-Sozialisation für alle.
oh, wie ich dich verstehe!!!!
kind #1, 13, w, findet sich dick.
objektiv ist da nix wahres dran – und selbst wenn!
aber ich könnte in die luft gehen, weil ich mich so hilflos fühle, so ohnmächtig, ich könnte werbeplakate von den tafeln reißen und durch mein konterfei ersetzen, splitterfasernackt, nur um alld iesen töchtern und söhnen klar zu machen „EY! Nix zu schämen – alles echt und alles OK!“
statt dessen: vorbild sein und die worte von papadopoulos noch mal drehen & wenden – ist ’n guter gedanke, der hilft, seine kids zu begleiten. vielen dank an der stelle!
Sich selbst mit anderen zu vergleichen ist ein Mittel, Identität zu konstruieren. Körperliches ist sehr leicht zu vergleichen, weil sichtbar. Insofern ist es naheliegend. Schlecht ist das erstmal nicht, vielmehr ein Ausdruck von aufkommender Wahrnehmungsfähigkeit.
Und das resultierende Urteil kann man dann wiederum der übenden Reflexion unterziehen. Maßstäbe und Werte müssen ausgehandelt werden. Das ist Kultur, Gesellschaft, Menschheit.
und selbst gegen „dick“ ist nix einzuwenden.
Das stimmt natürlich.
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Gerne gelesen
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wenn du dich immer so verhältst, wie du sein möchtest, dann bist du irgendwann so, wie du dich verhältst. bei den meisten dingen reichen 2-3 wochen, habe ich festgestellt.
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Genau!
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(sehr interessiert gelesen, gehört zu den schwierigsten phasen, diese auseinandersetzung mit dem eigenen/ mit anderen körpern. und enden tut sie ja tatsächlich nie. wenn die kinder, die um mich herum leben fies zu einander sind, versuche ich auch leicht zu moderieren aber sehe dann, dass sie lernen müssen das selbst für sich zu regeln. da gibt es nur diesen eigenen, steinigen weg. seufz.)