Es war so gewesen… in der Pandemie habe ich mir mein erstes Paar Wanderschuhe gekauft. Man musste ja zum Erhalt der seelischen Gesundheit ständig spazieren gehen. Bereits nach zwei Wochen habe ich mich gefragt, warum es überhaupt andere Schuhe als Wanderschuhe gibt. Sie geben Halt, sind warm, dazu wasserfest, sie sind so schwer, dass man sich geerdet fühlt. Ja gut, ohne Schuhlöffel kommt man nicht rein – aber ich bin jetzt einfach in dem Alter, in dem ich würdevoll zu Schuhlöffeln stehen kann. Ich hab immer einen dabei, an der Gürtelschnalle, gleich neben meinem Taschenmesser und dem 10l Trinkwasserbeutel, den ich allerdings wie einen Rucksack trage. So laufe ich meine tägliche Runde durch Berlin Friedrichshain. Jeden Tag 10.000 Schritte. Wenn ich sie durch meine Straßenwanderung nicht voll bekomme, marschiere ich sie in meiner Wohnung ab.
Am Wochenende dann lade ich mir Podcasts auf mein Smartphone und dann fahre ich mit der S-Bahn an den Stadtrand von Berlin und schlage mich mit meinem Kompass zurück in die Innenstadt.
Meine Smartwatch belohnt mich dabei indem sie regelmäßig mit einer gewissen Aufregung meldet: „Es gibt Änderungen in Deinen Trends, Patricia!“ Der Trend geht selbstverständlich stets nach oben, ich halte das genau im Auge. Ein Schritt mehr als gestern, das geht immer. Ich habe ausgerechnet, in 17 Jahren habe ich deswegen keine Zeit mehr für eine Beziehung und/oder meine Kinder. Wobei letztere sind dann sowieso schon lange ausgezogen und der Partner, der kann mich ja begleiten auf meinen Touren, wo ein Wille ist, ist quasi ein Weg.
Natürlich kann man die App auch ein bisschen austricksen. Jedenfalls bei dem Messwert „Anzahl Schritte“, denn hier kann ich aus einem Schritt auch zwei machen, d.h. wenn ich in 8 Jahren anfange, die Schrittlänge sukzessive zu verkleinern, bliebe täglich immerhin noch Zeit für ein gemeinsames Abendessen.
Jedenfalls seis drum, das ist Zukunftsmusik. Was wichtig ist, ist jetzt und jetzt hab ich bald Geburtstag und habe die Familie gefragt, ob sie mit mir wandern wollen. „Ja“ haben sie gesagt, was mich sehr freut, jetzt sorge ich mich aber, dass sie nicht ausreichend vorbereitet sind.
Weil ich am Geburtstag natürlich was besonderes erleben will, wandere ich nicht in und um Berlin sondern in der sächsischen Schweiz. Das ist für sich genommen, erstmal kein Problem, aber in der Pandemie habe ich eine sehr ausgeprägte Form von Natur-FOMO entwickelt. Während ich früher Wald als eine langweilige Ansammlung von Bäumen sah (kennste einen, kennste alle), habe ich heute große Angst irgendwas wunderschönes zu verpassen. Eine seltene Baumart, einen Vogel, den ich noch nicht kenne, eine besonders schöne Bemoosung, eine witzige Ansammlung von Steinen, eine interessante Felsformation, eine besonders fluffige Wiese, einen schillernden Käfer, eine irrwitzige Raupe, einen Ameisenhügel, ein leuchtendes Blätterdach, eine romantische Wegestrecke, rankendes Efeu, das einen Wald in ein Feenreich verwandelt, prächtige Schmetterlinge, atemberaubende Libellen, besonders blauer Himmel, einen Sonnenauf oder -untergang, harzige Luft, den Duft von Hollunder, eine unscheinbare Quelle… naja you get the idea. Es gibt einfach so viel zu verpassen, es ist schrecklich, es treibt mir den Schweiß auf die Stirn. Jeden Atmenzug wird mir bewusst, dass ich irgendwas nicht gesehen haben könnte.
Ja und jetzt stellen Sie sich vor unter dieser Prämisse plant man eine Wanderung, die – weil es sich um den Geburtstag handelt – ja ein besonderes Highlight sein muss.
Klar, dass man sich da nicht nur läppische 10.000 Schritte vornimmt – schließlich hat man den ganzen Tag Zeit. Was ich allerdings bei der Planung eventuell übersehen habe, ist dass es in Berlin keinerlei Berge gibt und dass leichte bis mittlere Anstiege* Wanderungen für schwächliche Städterinnen wie mich erheblich erschweren. Im Nachhinein kann ich Gelegenheitswanderern auf jeden Fall auch empfehlen die Google Rezensionen der einzelnen Anstiege vorab eindringlich zu studieren.
So war mir z.B. bis dato der Unterschied zwischen Stiege und Wanderweg nicht vollumfänglich klar. Als ich dann aber interessiert vom Weg abbog, um eine Stiege zu besteigen (sagt man das so?), wurde mir einiges klar. Überhaupt wurde mir vieles über mich und mein Leben klar, als ich mit puddingweichen Beinen auf zwei Metallbügeln an der Felswand klebte und mich fragte, wer mich wie da nun runter holt. Mit zitternden Händen fummelte ich mein Handy raus und prüfte nochmal die Rezensionen, die sich inhaltlich im Wesentlichen einig waren: „5 Sterne! Schöner kleiner Klettersteig. Ziemlich steiler Aufstieg. Auch für Anfänger und Kleinkinder geeignet.“**
Mit diesem Wissen arbeitete ich mich „für Anfänger und Kleinkinder geeignet“ murmelnd die Felswand nach unten. Am Fuße der Stiege angekommen, musste ich mich erstmal eine Stunde ausruhen – aber insgesamt kann ich es doch sehr empfehlen. Mein Wasser und die Verpflegungsstulle, die ich dabei hatte, waren beinahe so schmackhaft wie das Sterne-Menü, das ich 2019 in Irland gegessen hatte. Nur viel günstiger versteht sich. Wobei das mit dem günstig muss ich zurücknehmen, denn man muss ja immer alle Kosten miteinrechnen und in den Gesamtkosten der Wanderung sind unbedingt die Parkgebühren zu berücksichtigen.
Diese betragen pro halbe Stunde ungefähr ein halbes Monatsgehalt, sind aber in bar und genau passenden Münzen zu entrichten, wobei der Automat nicht einfach irgendwelche Münzen annimmt, sondern nur eine ganz bestimmte Stückelung in einer ganz bestimmten Reihenfolge und dies nur innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Wenn man diese nicht einhält, springt alles wieder auf Start und der Automat berechnet die Parkgebühren nach einem geheimen Algorithmus erneut, so dass die vorhandenen Münzen sehr wahrscheinlich nicht mehr passend sind. Man muss dann zur Seite treten und die nachfolgenden Wanderer ihr Glück versuchen lassen, kann aber versuchen die eigene Münzstückelung mit anderen Versager*innen am Parkplatz zu tauschen.***
Jedenfalls zurück zur Wanderung. Die ersten zwei Kilometer lagen also hinter mir!
####### Teil 2 folgt in Kürze – also so ungefähr 2025 oder so #####
*Persönlich hätte ich „steile Anstiege“ geschrieben… aber als ich das mal auf Instagram getan habe, kommentierten all die Schweizer*innen „lol“ und nach kurzer Bildsuche „Berge Schweiz“ entschied ich mich zukünftig eine andere Formulierung zu wählen.
**Was man hier lernt: So wie man Videos im Internet IMMER zu Ende schauen muss bevor man sie verschickt (!), muss man immer ALLE Rezensionen lesen. Für mein Skilllevel passend, wäre folgende gewesen. “ Für erfahrene Kletterer oder Menschen die etwas Abenteuer suchen sicherlich machbar. Einige Rezensionen kann ich aber nicht nachvollziehen. Natürlich kann man hier mit Kindern und ohne Sicherung hoch und runter. Man kann auch unangeschnallt mit 200 über die Autobahn brettern während der Hintermann einem die Augen zuhält. Beides ist möglich, nur nicht sonderlich empfehlenswert.“
***Wichtig zu sagen: Hier geht es um Parkautomaten in Deutschland. Fährt man 15 km weiter in die böhmische Schweiz, kostet es genauso viel, man kann aber auf jede erdenkliche Art problemlos zahlen.
Ich liebe wandern und abendteuer. Danke für die tollen Einblicke.
Lg Tilda
Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich keine Ahnung, was ein „Klettersteig“ sein könnte – abgesehen davon, dass es irgendwie mit Wandern zu tun haben könnte. Aber ich wurde überredet, etwas Neues auszuprobieren.
An einigen Stellen fragte ich mich jedoch, wer solche Passagen überqueren und ob Kinder solche Wege ohne Anzeichen von Angst bewältigen können.
Auf jeden Fall hat es Spaß gemacht.
LG Harald
Wir haben in der Pandemie auch das Wandern für uns entdeckt – und das Fotografieren von Vögeln in der Natur ;)
toller Ort zum Erkunden und den alltäglichen Stress hinter sich zu lassen.
LG Lia
bis vor kurzem konnte ich mir unter „Klettersteig“ nicht viel besonderes vorstellen – abgesehen davon, dass es was wohl mit Wandern zutun haben könnte.
Habe mich überreden lassen, eher wollt ich mal doch was anderes probieren.
Stellenweise hab ich mir auch gedacht, wer solche Passagen überquert und Kinder wohl, ohne Anzeichen von Angst, solch Pfade überqueren.
Spaßig war es allemal.
Dafür gibt es wandern-saechsische-schweiz.de/wordpress/wand…
Steht da auch „für Anfänger und Kleinkinder geeignet“ geeignet?
Nächstes Mal sagste mir vorher Bescheid. Es gibt auch machbare Stiegen und reizvolle Wanderwege in der Gegend.
Ich wünsche Dir selbstverständlich alles Gute nachträglich zum Geburtstag;)
Liebe Grüße
Maika
Gestern schon Das Lied zum Artikel kennengelernt und uch teile den Ohrwurm gerne
youtu.be/bYzMalo0s-w
Hilarious ? — daher wie immer (booooring!).
Bitte mal was wirklich Humorfreies schreiben.
Oh Gott das sieht auch nicht viel einfacher aus.
Ich war wirklich sehr begeistert. Aber Kletterstiegen lasse ich zukünftig aus.
Haha nein. Nur Zwillingsstiege.
Häntzschelstiege?
Sächsische Schweiz ist gut, ne? Nur die Baumsituation ist deprimierend.. Schöner Klettersteig ist auch die wilde Hölle.