Alles hat einen Preis. Wenn man zum Beispiel genug Geld hat mitten in Berlin in einer der durchgentrifizierten Einfamilienhausgegenden zu wohnen, dann hat man den Preis an Halloween zu zahlen. Denn dann wird man heimgesucht von wilden Horden süßigkeitsuchender Kinder.
Ich würde schätzen, zwischen 16 und 20 Uhr wird durchschnittlich fünfzig mal an einem Haus geklingelt. Die Straße ist voll von verkleideten Kindern. Die Gespenster, Mumien und Hexen drängeln sich genervt aneinander vorbei. Kinderstau und teilweise ist es nicht möglich die Tür überhaupt zwischen den klingelnden Gruselgruppen zu schließen. Sie bleibt offen und die BewohnerInnen verteilen apathisch Bonbons und Lutscher.
Die Art wie man sich diesem Schicksal ergibt – oder aber auch nicht – ist unterschiedlich. Die Halloweenhasser parken ihr Auto nicht vor der Garage sondern quer vor der Eingangstüre. So eng, dass niemand vor die Haustür treten kann. Damit die Klingel nicht erreichbar ist, wird der Seitenspiegel des Autos eingeklappt. Ein Parkmeisterwerk! Ich bereue jetzt noch, dass ich das nicht fotografiert habe.
Manche begnügen sich mit Schildern auf denen böse schauende Smileys verkünden: Hier kein Halloween. Fenster verdunkeln und sich in den eigenen Keller zurück zu ziehen bis alles vorbei ist, ist auch eine beliebte Handlungsalternative.
Der sanfte Widerstand gegen Halloween sieht vor, dass statt der gottlosen Süßigkeiten Äpfel, Nüsse und Tofubratlinge an die Kinder ausgegeben werden. Manche halten auch Vorträge über den Reformationstag. Das hat v.a. die älteren Kinder in unserer Gruppe gegruselt.
Die gutherzigen AnwohnerInnen, die womöglich sogar freiwillige HalloweenliebhaberInnen sind, die verkleiden sich und schmücken das Haus. Leuchtende Kürbisse verheißen aus der Ferne einen warmen Empfang. Manche Erwachsene öffnen als Hexen die Tür und verteilen schrill lachend Leckereien in die Sammeltüten der Kinder. Highlight der Nachbarschaft war ein Skelett, das freundlich ein Paar Schokoriegel verteilte, während sich leise schweigend der Gevatter Tod von hinten dazu gesellte.
Der Tod hätte ECHT voll doof geguckt, berichtet eines der 1,30m großen Gespenster empört.
Als es für die Kinder Zeit ist ins Bett zu gehen, sind auch die SüßigkeitenverteilerInnen müde und erschöpft. Einige werfen die Bonbons vom ersten Stock aus dem geöffneten Fenster schlapp auf die Straße.
In der Ferne ruft jemand Hellau.
Mein Gruselhighlight war die Geisterbahn für Kindergartenkinder. In die wollte Kind 3.0 unbedingt rein. Ein maximal ein Meter hohes Deckenlabyrinth durch das man sich schlängeln muss. Stockfinster ist es dort. Die muffigen Raumteiler schmiegen sich von rechts und links an meinen Körper. Nach drei Metern hat das Kind so Angst, dass ich es tragen soll. Ich muss auf Knien rutschen, weil die Decke so niedrig ist. In meinem Alter schmerzen die Knie da sehr. Was für eine Freude zusätzliche 15 kg auf den Arm zu nehmen. Während ich mich also quäle und blind durch das Schwarz taste, greifen plötzlich Hände an meine Beine (also Knie eigentlich), an meine Arme und berühren meine Haare. Ich habe beinahe laut geschrien, so furchteinflößend fand ich das. Es genügt mir schon im normalen Gespräch, wenn mich Menschen jovial anfassen – einfach so – mitten im Satz – und mich dabei anlächeln. Schauderlich! Und plötzlich ÜBERALL diese Hände, die ich nicht mal kenne. Sie greifen nach meiner Seele – ahhhh!
Mit laut schlagendem Herzen und geschundenen Knien gelange ich wieder an die frische Luft. Das Kind, die ganze Zeit auf meinem Arm, das Gesicht meinem Körper zugewandt, verkündet: „Da geh isch nisch mehr hin. Das is zu gruselisch.“ Ich pflichte ihm bei und wir lassen den Abend bei einer Kürbissuppe ausklingen.
Es gibt da noch einen seltsamen Brauch im Winter. Da springen jugendliche Narren und Närrinnen plötzlich auf die Straße. Man möchte voll in die Eisen gehen oder vor Entsetzen schreien. Sie halten ein Schild in der Hand mit der Aufschrift „Zoll“ und sie nehmen auch Bares m(. Fastnacht sagt man in meiner Gegend dazu
Ich habe überhaupt nix gegen Halloween solange die Kinder sich wirklich Mühe geben sich besonders gruselig zu verkleiden und auch mal was originelleres als „Süsses sonst gibt’s Saures“ zu nuscheln (ausgenommen jetzt mal die ganz Kleinen). Aber 80 Prozent von denen, die da an der Tür klingeln, möchte ich am liebsten selber richtig fies erschrecken zur Strafe dafür dass sie so kreativ wie ein Kürbis sind …
Ich steh dazu: Bei mir bekommen die Kinder Tonnen an Süßigkeiten. Einfach weil ich mich immer daran erinnere, wie verdammt cool ich als Kind selbst Halloween gefunden hätte. Verkleiden dürfen im Herbst! Nicht etwa süß, sondern gruselig! Und dann noch einen frechen Spruch sagen dürfen! Und dafür noch Süßigkeiten bekommen! Ein wahrer Kindertraum.
Mal abgesehen davon, dass ich die Kinder total niedlich finden, weil sie alle ganz gruselig tun, ihren wilden „Süßes oder Saures“-Spruch ablassen und sich dann ausgesprochen höflich bedanken, verabschieden und von dannen ziehen.
Gerne nächstes Jahr wieder. Pfeif auf Kommerz, es macht Spaß :)
… und jetzt frage ich mich, wo genau in Berlin Gentrifizierung und Einfamilienhäuser eine geographische Personalunion einnehmen *grübel*
Bei uns (Einfamilienhausgegend ohne jede Gentrifizierung in Rostock) war es vergleichsweise ruhig. Bemerkenswert fand ich, dass man unbehelligt bleibt, wenn man sich beim Nachbarn zum Feuerchen einlädt. Da sitzt man also ganz offen vor dem Haus am Feuer, und dann laufen die Kinder vorbei. Von uns herangepfiffen und zu den Beweggründen befragt, gaben die ca. elfjährigen Gespenster an, sie haben nicht stören wollen! Weiterhin gaben sie an, nicht in den urbaneren Blocks sammeln zu gehen, da sie selbst dort wohnten und also bekannt seien…
Ich finde diese kommentarlos aus US-Serien übernommenen Bräuche auch blöd, aber die Kinder können ja nun wirklich nichts dafür. Und so sehr ich mir vorgenommen hatte, Halloween zu ignorieren – es geht mir wie auch einigen Vorkommentatoren. Restriktiv Halloween zu verweigern kam mir auf einmal spießig und dämlich vor. Also gab es kleine Haribotütchen. Und für uns natürlich Kürbissuppe…
Ich mach Halloween mit. Nur wegen der Kinder, natürlich. Und jedes Jahr freue ich mich mehr und habe auch mehr Deko, mehr Ideen, grusligeres Essen.
Bräuche wurden schon immer adaptiert, verändern, gelassen, ergänzt. Kackt die Katze drauf! In diesem Sinne: Viel Spaß an Halloween!!
sehr unterhaltsamer text, der glücklicherweise nicht in die spielverderberfalle (motto: das ganze klimbim mit weihnachten und so, soetwas gab es hier vor der christianisierung nicht! ;) tritt! danke.
…Meine Nachbarn über mir feierten eine Techno-Party. Ich finde sämtliche Halloweenbräuche auf einmal im Vergleich dazu sehr, sehr sympathisch ;-).
Ich muss an Halloween immer lange arbeiten. Komisch?!
Ich besuche meine Eltern auf dem Einödhof. Da wandert kein Gespenst freiwillig hin. :-)
So schon wäre es, ein Halloween-Hasser zu sein.
Ich würde an eingebürgerte Bräuche anknüpfen, habe ich mir überlegt. Ein wenig in Vergessenheit geraten ist zum Beispiel das bayerwaldlerische Wasservögelsingen: Die Dorfburschen ziehenvon Haus zu Haus, singen und bekommenbei jeder Tür einen Schnaps, ein hartgekochtes Ei und jeweils einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen.
Jedes Jahr aufs Neue nehme ich mir vor, mit Schnaps, Ei und Wasser vor der Tür zu warten und die herumziehenden Gespenster mit einem furchteinflössenden: „Ah, die Wasservögel sind da!“ zu begrüssen, den Eltern Schnaps zu geben und jedem Kind ein Ei.
Aber dann sind da die kichernden, schon Tage vorher begeisterten Kinder, die sich auf dieses unsinnigste aller Kommerzfeste freuen. Mit ihren strahlenden Augen in diesen glänzenden Karieserwartungsgesichtern, und ich kann nicht anders, als eben doch Süßes bereitzuhalten und Kürbisse vor die Tür zu stellen.
Wobei die Idee mit dem Grusellabyrinth schon auch irgendwie etwas hat. Auf jeden Fall war’s sehr mutig von Dir, mit reinzukriechen.
Mir geht es genauso. NATÜRLICH finde ich das voll doof. Hats ja früher nicht gegeben etc. Aber jetzt zu sehen, wie viel Spaß die Kinder haben… nuja… da bin ich sofort weichgekocht.
Geht mir auch so. Wir haben (in ähnlich ebenerdiger Lage) kiloweise Süßigkeiten verteilen müssen. Aber abgesehen von dem Spaß, den die Kinder haben: wie viele andere Gelegenheiten haben sie denn ansonsten, sich mal richtig daneben zu benehmen?
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Made my day
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Vielleicht sollte man es mal auf diese Weise versuchen:
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Adieu!