#rp13, Tag 2, Menschen

Begonnen hat mein Tag mit TERESA BÜCKERs „Der Montag liebt dich„. Ein gut ausgearbeiterer, informativer Vortrag, so wie ich ihn aus der Uni kenne. Teresa schilderte wie stark Arbeits- und Privatleben heutzutage miteinander verwoben sind und  warum es deswegen wichtig ist, die Bedingungen so zu gestalten, dass beide Bereiche miteinander vereinbar sind.

Irgendwann fiel mir auf, dass einige Vortragende das Publikum ausschließlich mit „ihr“ adressierten. So auch Teresa „Ihr müsst dies und jenes“, „damit sich das verändert, müsst ihr xy“. Sascha Lobo hatte sich am Vortag wenigstens noch ein bißchen über die Trennung von Publikum und seiner Person („in der Zwischenzeit meine ich mit ihr tatsächlich manchmal auch mich„) lustig gemacht. Teresa ließ es bei dem ihr, was mir vor allem nachträglich seltsam aufstößt. Wer ist sie, wenn nicht wir? Steht sie da auf der Bühne und weiß Dinge besser als wir im Publikum? Gibt sie die Richtung und wir (überspitzt) Fußvolk führen aus? Ich bin mir sicher, dass sie es so nicht gemeint hat. Aber es klopfte so an mein Hirn an. Ich glaube, sie hat sonst ihre Sprache SEHR bewußt ausgewählt, denn z.B. sprach sie nie im generalisierten Maskulinum sondern (wie nennt sich das Gegenteil?) generalisierten Femininum von „Kolleginnen, Chefinnen, Freundinnen, Partnerinnen“ und das wiederrum hat mir gut gefallen – v.a. auch, weil ich das schon versucht habe, aber sich die außschließlich weibliche Formulierung noch holprig und sperrig in meinem Mund anfühlt. Ihr kam das sehr locker und selbstverständlich von den Lippen und das hat mir – wie gesagt – sehr gut gefallen.

Danach sprach JUTTA ALLMENDINGER über „Zeit – Geld – Familie„. Jutta Allmendinger ist u.a. Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.

Ich habe als Diplom-Psychologin oft erhebliche Kommunikationsprobleme wenn ich mich mit Soziologen unterhalte, was sicherlich am unterschiedlichen Blickwinkel liegt (außen nach innen, innen nach außen und v.a. auf die Beziehungen und Relationen zwischen den Individuen) und konnte gestern erfreut feststellen, dass ich Frau Allmendinger sehr gut verstand. Allerdings referierte sie nicht so sehr den theoretischen Unterbau sondern schilderte Forschungsergebnisse einer von ihr angelegten Langzeitstudie, in der Frauen wie Männer zu ihren Einstellungen und Wünschen befragt wurden und diese dann jeweils aus ihrer Perspektive und dann aus der Perspektive des anderen Geschlechts beantworteten. Mir gefiel, dass sie sich gerade zu den neusten Auswertungen sehr offen zeigte und aufforderte, ihr zu mailen, wenn jemand eine bessere Idee hätte als alle Ergebnisse mit sozialer Erwünschtheit zu begründen.

Offensichtlich war sie vorher bei einem Termin mit Google-Leuten, die sie warnten, niemand im Publikum würde sie anschauen, weil alle beinahe beleidigend desinteressiert in ihre Handys starren würden. Seltsam, dass sie sowas als Warnung von vermeintlichen Internetexperten gesagt bekommt – ohne dass diese erwähnen, dass das z.B. auch heißen kann, dass alle wie wild über den tollen Vortrag twittern oder parallel Dinge recherchieren und bookmarken, die sie angesprochen hat. Bizarr, dass selbst bei Google die Internetangstmacher sitzen.

Die nächsten Sessions, die ich mir ausgesucht hatte, konnten mich leider nicht bis zum Schluss begeistern. Auch das viertelstündige Philosophy-Slam der Haeuslers konnte mich nur so mittelmäßig begeistern. Was weniger an der Sache an sich lag, als an meiner Erwartung ein bißchen was anderer Eltern aus persönlicher Sicht zum Thema Kinder und Internet zu hören. So weiß ich jetzt, dass sie ähnliche Kritikpunkte am Bildungssystem und dem allgemeinen Umgang unserer Gesellschaft mit Kindern haben wie ich. In persönlichen Gesprächen mit anderen re:publica-Besuchern habe ich aber gemerkt, dass das Thema „Wie gehe ich konkret damit um, wenn meine Kinder ins internetfähige Alter kommen?“ brennt. Wir werden alt und unsere Kinder offensichtlich groß.

Alle weiteren Panels waren eher so gähn. Aber auch da: im Laufe der Jahre habe ich unglaublich hohe Erwartungen aufgebaut und so waren die Vorträge wirklich in Ordnung, aber es fehlte ein bißchen der Wow-Effekt.

Ausnahme war am frühen Abend der Vortrag von CASPAR CLEMENS MIERAU zum Thema „Weder süß, noch salzig: Wie mir die Piratenpartei meine Freizeit nahm„. Caspar hat einfach sehr sympathisch, frei und offen über das Popcornpiraten-Blog berichtet. U.a. wie er dazu gekommen ist, wie er dabei vorgeht, was ihm dabei wiederfährt und welche Reichweite es hat. Er lockerte den Vortrag mit ein Paar skurrilen Beispielen auf und ich hätte am Ende gedacht „yo das war ganz ok“, wenn er nicht selbst den Bogen ganz grandios geschlossen hätte. Gerade als ich in Gedanken formte „schön, jetzt weiß ich das alles, aber …“ endete er mit „im Grunde habe ich euch jetzt eine Anleitung zur Verfügung gestellt damit andere Blogs über die Skurilitäten anderer Parteien machen können.“ Und tatsächlich der Gedanke gefällt mir. Jede Partei sollte ein eigenes Popcorn-Blog bekommen.

Mein Abend endete mit „Ohne Jauch gehts auch„. Persönlich gehts ohne Jauch ohnehin auch – aber wie ich feststellen musste – gehts auch Ohne Jauch gehts auch auch. Die Talkrunde hat mich zwar inhaltlich nicht aufgeregt, aber ähnlich gelangweilt, weil der angekündigte interaktive Publikumsbeteiligungsteil per Hashtag auch nach 20 Minuten noch nicht begonnen hatte. Außerdem gefallen mir Vereingemeinerungen nicht. Das Ganze wurde mit einem Rant zum Thema Arbeit gestartet in dem ich mich absolut nicht wiederfinden konnte. Auch mit der Forderung, wir müssten alle unsere eigenen Chefs werden, kann ich nichts anfangen. Nicht jede/r ist dazu geeignet. Nicht jede/r ist unzufrieden mit ihrem/seinen Job. Nicht jede/r hat Arbeitsbedingungen zu erleiden. Ich gehöre zu den Glücklichen, die mit Arbeitgeber und Arbeitsbedingungen im Besonderen zufrieden sind und wie ich an anderer Stelle bereits schrieb, ich sehe keinen Grund, dass Arbeit ständig „Spaß“ machen muss. Auch deckt es sich nicht mit meiner Erfahrungswelt dass selbständig sein automatisch bedeutet in besseren Verhältnissen zu arbeiten und gleichzeitig Job und Privatleben besser miteinander vereinigen zu können oder gar mehr Freizeit zu haben. So hat mich die geschätzte Sue an diesem Punkt leider völlig verloren und ich konnte auf den Zug wohl nicht mehr auspringen, weswegen ich irgendwann auf den Hof wechselte.

Was mir an diesem zweiten re:publica Tag jedoch wirklich gefiel waren die Bekanntschaften, die ich machen konnte. Meine Scheu Menschen anzusprechen, hat sich langsam gelegt und so konnte ich mein Vorurteil bestätigen, dass Menschen im Internet in der Regel mindestens so sympathisch sind wie in echt. Allen voran die bezaubernde Jademond, deren Blog ich schon lange lese und wirklich sehr schätze, einfach weil ich immer wieder Anregungen finde, die ich in meiner homogenen Welt nicht finden kann.

Dank Journelle, die mir am Vortag vorgemacht hat, wie man fröhlich Menschen anspricht, habe ich auch Michaela angesprochen, um ihr zu sagen, dass ich durch #609060 auf sie aufmerksam geworden bin und dann sowohl in ihrem Blog gelesen habe, als auch die Interviews angeschaut habe (u.a. mit Farah). Ihre Schilderungen haben mir ebenfalls eine Tür zu einer Welt aufgemacht, die keine Schnittmenge zu meinem Alltag darstellt und waren sowohl berührend als auch (teilweise) erschütternd. Michaela ist eine Frau mit transidenter Vergangenheit und berichtet z.B. davon wie sie im Arbeitsleben als Frau anders als als Mann behandelt wird – und zwar nicht weil sie sich entschlossen hat, als Frau zu leben sondern weil sie jetzt Frau ist und Frauen ganz offensichtlich anders als Männer behandelt werden (absurderweise selbst dann, wenn es sich um ein und den selben Menschen handelt). Nicht nur wegen solcher Beobachtungen lohnt es sich jedenfalls ihr Blog zu lesen.

Besonders lange habe ich Beetlebum beim Malen angestarrt, bevor ich mich getraut habe, hin zu gehen und „Hallo“ zu sagen. Mein Mann und ich lieben sein Blog und seinen Humor sehr und so hätte ich mich eigentlich kreischend vor Begeisterung auf dem Boden wälzen müssen, als ich ihn zwischen zwei Sessions im Saal sitzen und malen sah, aber da das nicht meinem Naturell entspricht, tat ich meiner Begeisterung nur verbal kund.

10 Gedanken zu „#rp13, Tag 2, Menschen“

  1. Seit dieser Erwähnung von Beetlebum (die ich allerdings sehr spät gelesen habe) ist sein Blog in meinem Reader, und ich prokrastiniere mich so durch sein Archiv. Es ist fantastisch, vielen Dank für diese Anregung !

  2. 20 Minuten volle Power, voller Beschuss – mit all dem, was “da Draußen” auf unsere Kinder eindrischt und mit unseren Kindern gemacht wird. Das war es, was die erfolgreichen Buchautoren und Mit-re:publica-Initiatoren Tanja und Johnny Haeussler uns kraftvoll mitteilten. Harsche Kritik steckt in dem im Wechsel von Tanja und Johnny Haeussler vorgetragenen Rap , der durch den Raum donnerte. Ihr Ärger und ihre Mut, offen dagegen vorzugehen und laut zu werden, beeindruckte die Zuhörer gleich doppelt. Und das ist gut so. Allerdings wünschte ich mir, sie hätten “da Draußen” mehr Gelegenheit dazu – verhallt es nicht noch zu sehr in der Internetgemeinschaft, ohne aktiv weitergetragen zu werden? Die “next-generation” wird es ihnen und allen danken, wenn sie nicht mehr zwischen althergebrachten Ideologien und den teilweise überfordernden Ansprüchen zerquetscht werden. Ihr Wunsch ist es, dass Bildung wirklich von denen gemacht und geplant wird, die direkt drin stecken – und nicht von Politikern, die seit 40 Jahren nichts mehr mit Kind-sein und Lernen zu tun haben.

  3. Hi Patricia,
    mich hat es sehr gefreut, daß du kurz Hallo gesagt hast. Die re:publica hat mir unheimlich gut gefallen und hoffentlich sehen wir uns im nächsten Jahr wieder.
    Ganz liebe Grüsse,
    Michaela

  4. die alternative zur direkten ansprache (ihr/wir) wäre „man“ und „man“ ist doof. „man“ suggeriert eine höhere instanz oder institution, nach welcher „man“ sich richten möge. beinahe göttlich. wenn sich ein/e vortragende/r nun entschließt, sein publikum direkt anzusprechen, würde ich – wenn schon nicht „Sie“ – ein „ihr“ erwarten, da gehe ich mit Hans-Jürgen konform. weil eben, frei nach Lobo, nicht IMMER jemand selbst gemeint ist.

  5. Mein Highlight des Tages war der/das Rant von Tanja und Johnny zum Thema Erziehung. Ich hatte Tränen in den Augen, weil sie mir als Vater aus der Seele sprachen.
    Ich poste hier mal den Link mit Video und Text zum Nachlesen.
    http://www.spreeblick.com/2013/05/07/unser-netzgemuse-rant-vorgetragen-auf-der-republica-2013/

    In Sachen Scheu – geht mir auch so. Insofern hat es mich gefreut, dass wir uns mal „hallo“ gesagt haben.

    „Ohne Jauch gehts auch“ – ich bin kurz nach Beginn der Gesprächsrunde gegangen – denn es wirkte gleich so, als wäre das da vorne eine Jauch-Sendung, nur eben mit Leuten, die bei Jauch nicht eingeladen werden.

    Insgesamt mag ich diese re-publica besonders gern: schöne Location, gute Mischung an Themen, Menschen & Speakers.

    Vielleicht läuft man sich heute noch mal über den Weg – ansonsten wünsche ich noch eine schöne Rest-Konferenz.

  6. Ihr/Wir:
    Was für eine dünnhäutige Merkwürdigkeit … Selbstverständlich besuche ich z. B. einen Vortrag, um dort mehr zu erfahren als ich bisher weiß. Folglich unterscheidet sich der/die Vortragende durch Mehrwissen von mir und ist in diesem Sinne nicht „Wir“ mit den Zuhörerinnen und Zuhörern. Wozu soll ich mir mein Wissen quasi bestätigen lassen, um mich im „Wir“ zu fühlen? Doch nur, wenn ich es selbst anzweifle …

    Arbeit/Spaß/eigener Chef:
    Ausdrücklich sehr einverstanden!

  7. Danke für die schöne Schilderung. Mir ging es gestern sehr ähnlich, auch wenn ich bei gänzlich anderen Vorträgen saß. Irgendwie waberte jeder Vortrag so vor sich hin. Ein grandioses Highlight setzten dann am Abend der nilzendburger und hermsfarm. Da hatte ich wirklich richtig viel Spaß, natürlich weil es einfach ein Spaß-Vortrag war. Dann habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn alle Vorträge tagsüber einen großen Spaß vermitteln könnten und nur abends ab 18 Uhr die schweren, ernsthaften Panels kämen. Den Gedanken habe ich zwar wieder verworfen, aber: bei bisher den wenigsten Panels habe ich wirklich einen großen Spaß der Vortragenden feststellen können. Gerade bei ernsthafteren Themen finde ich ein wenig subtilen Humor sehr angenehm. Doch gestern war irgendwie der Wurm drin.

    Vielleicht sehen wir uns ja heute mal, falls nicht: einen wunderbaren Tag und ganz viel Spaß. Ach ja, gestern war ich natürlich auch selbst etwas schuld, da ich mir nicht wirklich Programmpunkte gesetzt habe. Dafür aber jede Menge nette Menschen getroffen und das ist ein ganz wichtiger Teil der republica.

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