Survival auf dem Üetliberg

Gestern hatte ich eine tolle Idee. Ich könnte eine kleine Wanderung auf dem Üetliberg machen. Ich glaube, das muss man sogar machen, wenn man Tourist in Zürich ist. Jedenfalls waren mir die 10 km Standardstrecke Felsenegg zum Üetliberg zu wenig und da hatte ich eine ganz tolle Idee. Ich könnte ja statt mit der Seilbahn zu fahren von Adliswil zu Fuß hoch gehen. Schlappe 1,9 km mehr. Lachhaft. 300 m Höhendifferenz, das nehmen echte Wandersleut wahrscheinlich gar nicht als Anstieg war. Die blinzeln kurz, dann sind sie da.

Dabei hatte ich vergessen, dass ich Berlinerin bin. Aka „wir haben keine Berge“. Der höchste Berg in Berlin ist der Arkenberg (120m) und da war ich natürlich noch nie. So kam es, dass ich nach ca. 900m Aufstieg keine Lust mehr hatte. Der Weg ist einfach nur steil und v.a. sehr, sehr langweilig. Nicht so wie in der sächsischen Schweiz, wo einen wunderschöne Feldformationen ablenken. Der gesamte Berg ist aus Nagelfluh, der nicht ohne Grund scherzhaft als Herrgottsbeton bezeichnet wird, weil er an schlecht gerüttelten Waschbeton erinnert. Gesteinsmäßig also ein Fall für „Die Gärten des Grauens“. Aber das nur am Rande. Das eigentliche Problem war ja, dass mich einfach die Lust verlassen hatte beim Anstieg. Sie war plötzlich weg. Puff. Verschwunden. Blöderweise eben genau auf der Hälfte.

Es wäre also genauso weit zurück gewesen wie es nach oben war und mein Körper befand: Dann bleibe ich eben stehen.

Am Abend zuvor hatte ich eine Mini-Serie gesehen, in der eine Anwältin in der kanadischen Wildnis mit einem Kleinflugzeug abstürzt und überleben muss. Sie trifft dabei sehr zweifelhafte Entscheidungen. Zum Beispiel sammelt sie unterschiedliche Beerensorten von denen sie nicht weiß, ob sie giftig sind oder nicht. Statt nur eine oder zwei zu essen und abzuwarten, stopft sie sich eine ganze Hand rein, um dann festzustellen, dass sie nicht tödlich sind (naja, war Folge 1), aber ungenießbar. Folglich erbricht sie sich erstmal einen Abend. Glücklicherweise macht das aber nichts mit ihrem Makeup (das hatte den Flugzeugabsturz in einen See bereits gut überstanden). Als sie sich in Folge 2 aufmacht, um in die Zivilisation zurückzufinden lässt sie das praktische Kabel ihres Macbooks zurück, nimmt aber das Macbook mit. Hä? Um später auf ihrer Wanderung Ballast loszuwerden, trennt sie sich von ihrer Zahnseide. Wow. 8 Gramm Gepäck gespart.

Dennoch hatten mich beim Schauen starke Survivalvibes in meinem Pensionszimmer gepackt. Ich musste schließlich mit 100ml zimmerwarmen Eistee und einen angebrochenen Müsliriegel bis zum Morgen durchhalten, denn es war nach 21 Uhr und alles hatte geschlossen. Exakt so wie in der kanadischen Wildnis.

Zwischen Adliswil und Felsenegg fiel mir das alles wieder ein und ich habe mich gefragt, ob ich nicht einfach den Rest meiner Urlaubstage auf der Hälfte des Bergs bleiben könnte. Alles erschien mir attraktiver als weiter hoch oder wieder runter zu laufen. Ich hatte immerhin 0,5 Liter Wasser dabei und noch 89% Akku. Genug um z.B. in einem Forum zu fragen wie lange man mit 0,5 Liter Wasser durchkommt (die Leute auf guteFrage.net denken, wenn man sich nicht bewegt, überlebt man zwischen 1 und 7 Tagen…). Ich könnte außerdem Regenwasser von den Eiben lecken, die dort zahlreich wachsen. Ein bisschen Nervenkitzel wäre dabei, so viel ich weiß, ist so ziemlich alles an einer Eibe giftig. Aber vielleicht wenn man ganz vorsichtig leckt, dann gehts. Die spannende Frage wäre eher, was ich essen könnte. Ich hab ja ständig Hunger eigentlich. Das ist in Zürich besonders doof, denn Zürich ist die 6. teuerste Stadt der Welt. Andererseits – wenn ich wirklich einfach im Wald auf halber Höhe bliebe, würde ich natürlich eine Menge Geld sparen. Also klar, es gibt Brombeeren und Himbeeren, aber die esse ich aufgrund meiner Obstphobie ja nicht. Ansonsten käme noch Spitz- und Breit-Wegerich in Frage. Die kann ich eindeutig identifizieren und wenn mich in der Dämmerung Mücken stechen, dann könnte ich den Juckreiz mit diesen Pflanzen auch lindern, wenn ich sie zerreibe. Dann natürlich Löwenzahn. Meine Oma hat früher immer aus den jungen Blättern Salat gemacht. Wenn ich es außerdem schaffen würde ein kleines Feuerchen zu machen (wie die Anwältin im Film mit Sonnenlicht durch meine Brille auf ein paar Geldscheine), könnte ich Löwenzahnwurzeln rösten und mit Regenwasser zu Kaffeeersatz aufbrühen… wobei – dann ist natürlich der Spareffekt verschenkt. Es würde also ohne Kaffee gehen müssen. Im naheliegenden Bach könnte ich mich waschen (trinken würde ich das Wasser nicht, da pullern Rehe rein!) und mit kleinen Hölzchen meine Zähne putzen.

Ich hab meine Pläne dann aber doch spontan verworfen als mich eine Frau in Stöckelschuhen überholt hat und bin tapfer weiter nach oben gelaufen.

Der Ausblick hat sich dann doch gelohnt.

Außerdem war ich dann sehr, sehr schnell. Ich bin nämlich den Planetenwanderweg rückwärts vom Pluto zur Sonne gelaufen. Im Maßstab 1 zu 1 Mrd (1 Erdenmeter sind dann 1 Mio Planetensystemmeter), bedeutet das, wenn man 2 Std für die Strecke bis zur Zugstation Üetliberg braucht, dass man doppelte Lichtgeschwindigkeit läuft. Zumindest wenn man so flotte Wanderschuhe wie ich hat. Die Frau auf den Stöckelschuhen, die hat ziemlich sicher nur einfache Lichtgeschwindigkeit geschafft.

6 Gedanken zu „Survival auf dem Üetliberg“

  1. Eine Wanderung, die als Spaziergang beginnt und sich in ein Abenteuer verwandelt – wer kennt das nicht? Zwischen Erschöpfung und Entschlusskraft entsteht oft die wahrhaft magische Erfahrung. Mit einer Prise Humor und dem Mut, sich der eigenen Grenzen zu stellen, wird selbst der steilste Anstieg zur persönlichen Heldengeschichte. Und wenn wir uns trauen, das Unbekannte zu umarmen – seien es giftige Beeren oder die Erkenntnis, dass High Heels manchmal doch das Rennen machen –, dann öffnet sich der Horizont. Auf jedem Gipfel wartet ein neues Ich. Gehen wir es an!

  2. Dein Bericht über das Survival-Abenteuer auf dem Üetliberg hat mich gleichermaßen fasziniert und zum Schmunzeln gebracht! Von wilden Tieren bis hin zu verrückten Überlebensstrategien – du hast es geschafft, die ganze Spannung und den Humor dieses Abenteuers einzufangen. Vielen Dank, dass du uns an deinem Erlebnis teilhaben lässt, und ich freue mich schon darauf, mehr von deinen Abenteuern zu lesen!

  3. So gehts mir immer, wenn ich mit dem Rad bergauf kämpfe, und dann überholt mich ein entspannt wirkender Rentner auf einem Uralt-Rad ohne Gänge.

  4. Richtig, an Eiben ist fast alles giftig, aber eben nur fast: das rote Fruchtfleisch der Beeren (… und nur das, nicht die Kerne! Über die Haut wurde nicht gesprochen, fällt mir gerade auf.) sei ungiftig, sodass man es problemlos verzehren könne, verriet mir kürzlich ein drogenerfahrener Bekannter.
    Natürlich wäre dann noch die Obstphobie zu bewältigen, aber irgendwas ist ja immer.

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