Dieser Adventskalender darf gerne 1.000 Euro kosten

Je älter ich werde, desto größer mein Wunsch, dass Weihnachten einfach so aussieht: Im Kamin* brennt ein Feuerchen, die ganze Familie sitzt im Kreis, wir trinken Tee und Kakao und spielen Brettspiele.

Anstatt dessen soll ich konsumieren, konsumieren, Konsum verschenken und noch mehr konsumieren. Es ist völlig irrsinnig, was man alles kaufen soll. Weihnachtsschmuck, extra Dekokrempel, Adventskalender, Adventskranz, Weihnachtsbaum, Geschenke, Nikolausgeschenke vorher nicht zu vergessen.

Wenn ich auch sonst nicht sehr auf Müll bzw. dessen Vermeidung achte, so fällt mir dennoch auf, dass Weihnachten besonders ein Fest des Mülls ist. Die Tonnen an Süßigkeiten müssen plötzlich nochmal extra eingepackt werden und deswegen zum doppelten Preis verkauft werden.

Ja, ich werde bin eine alte Frau, die mit einem Krückstock fuchtelt.

Ich weiß auch nicht, warum mir die Adventskalenderbasteleien anderer Menschen Gefühle machen. Also auch mehr als anderer Konsum. Werde ich meine Therapeutin mal fragen. Aber besonders Weihnachten macht es mich aggressiv wenn mir die Timeline tolle Ideen für Adventskalender in die Timeline spült, die am Ende nicht nur 10 Stunden Bastelarbeit kosten, sondern deren Inhalt einen Wert von ungefähr 100 Euro hat.

Irgendwo im Internet ist mir eine Idee begegnet, die mir im Gegensatz dazu sehr gut gefallen hat: Der umgekehrte Adventskalender

Die Idee ist ganz einfach. Ihr sucht euch ein Projekt aus, das (Sach)spenden annimmt. Ein Kinderhospiz, das Spielsachen sammelt. Ein Flüchtlingsprojekt, das Hygieneartikel sammelt. Lebensmittel für die Stadtmission. Von mir aus Euromünzen für Netzpolitik. – ihr findet da bestimmt was.

Wichtig ist nur, dass man vorher schaut, was überhaupt benötigt wird.

Dann nehmt ihr eine Kiste und legt bis zum 24. Dezember jeden Tag eine Sache da rein. Zu Heiligabend spendet ihr das Ganze. Fertig.

Wohlstand teilen.

Umgekehrter Adventskalender


*ich hab nicht mal einen. Den müsste ich erst kaufen, hahahaha.

 

#Bastelgate

Adventskalender
pixabay @condesign
Basteln als Politikum

Ich mache mich ja immer wieder darüber lustig, dass man als Eltern  zum Basteln genötigt wird. Es gibt unterjährig viele Anlässe. Mindestens zur Laternenzeit und Weihnachten kommt man kaum drumherum.

In meinem Blog habe ich (toitoitoi) eigentlich nie hitzige, unsachliche Diskussionen oder angreifende Kommentare. Es sei denn, ich schreibe über das Basteln.

Das ist höchst erstaunlich. Basteln ja/nein kann tatsächlich einfach aufgenommen werden in die Liste Familienbett ja/nein, impfen ja/nein, Stillen ja/nein.

Menschen, die basteln zu kritisieren, ist offenbar damit gleichzusetzen ihre generelle Art zu leben zu kritisieren.

Ich habe gestern einen Artikel (Rotwein, vielleicht) über den Zwang des Adventskalenderbasteln auf Twitter verlinkt und damit eine Diskussion zum Thema Adventskalender ausgelöst, die ich sehr interessant fand.

In der Elternblog-Szene gibt es anscheinend einen Authentizitätszwang

Mal abgesehen davon, dass ich es fast schon belustigend finde, wie wörtlich manche Texte genommen werden. Die Autorin schreibt z.B.

Das muss man alles nachts machen, wenn die Kinder schlafen. Darf dabei nicht rauchen, wegen der Kinder. Darf keine laute Musik dabei hören, weil die Kinder schlafen. Darf nicht kiffen, kein MDMA, kein Speed, kein Koks, kein Heroin nehmen. Rotwein vielleicht.

und

Oder würdet ihr von eurem Mann verlangen, er soll euch beim Weihnachtskalenderbasteln helfen? Ich glaube, ich könnte mit meinem Mann nicht mehr schlafen, wenn er mir beim Weihnachtskalenderbasteln geholfen hätte. Frauenkleider dürfte er tragen, oder Kuchen backen, oder Knöpfe annähen. Aber Beutelchen befüllen? Nein!

Darauf dann die Frage: „Warum sollte der Mann nicht basteln dürfen?“, „Warum sollte man keinen Sex haben wollen, mit Partnern, die basteln?“ „Wieso sollte man Drogen nehmen wollen, wenn man basteln muss?“

Herrje. Ich kenne diese Reaktionen aus meinen Amazon Buchkritiken. Meine Einsternbewertungen werfen mir beispielsweise vor:

„Es sind keine Erfahrungsberichte, sondern schlicht an den Haaren herbeigezogene Geschichten.“

„Überdrehte Mutter, da würde ich als Kind ausrasten, so wie diese es auch tun.“

„[…] sehr weithergeholt und übertrieben“

Ja, liebe Leserinnen und Leser, es tut mir ja leid, aber ich überspitze die Geschichten rund ums Elternsein, manchmal erfinde ich sie sogar komplett, weil es mir um ein bestimmtes Thema geht, das mir im Muttersein begegnet und ich verarbeite es, indem ich mich darüber lustig mache.

Ohne Frau Ruth zu kennen, würde ich jetzt auch behaupten, bestimmt hat sie nicht wirklich vor beim Basteln Heroin zu nehmen und womöglich würde sie weiterhin Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner haben, selbst wenn er energisch nach dem Bastelkleber greift.

Mal abgesehen davon, dass also manche alles sehr wörtlich nehmen, ist doch interessant, wie viele Emotionen der Artikel wecken kann.

Im Wesentlichen spannen die ein Spektrum zwischen „I feel you“ bis „JETZT LASST DOCH DIE ARMEN MENSCHEN BASTELN“ auf.

Tatsächlich hatte ich dann plötzlich auch eine Emotion. 2012 habe ich dazu schon geschrieben: „Ich glaube, 80% der anderen machen Dinge selbst, um Menschen wie mich in den Wahnsinn zu treiben.“

Und ja, das ist auch übertrieben und ja, ich würde 2016 nicht mehr schreiben, dass ich Menschen hasse, die basteln – aber es bleibt bei einer Sache:

Basteln kann nicht jede/r

Ich finde wirklich (auch wenn das eine Sache der Prioritäten ist) – man muss zum Basteln erstmal Zeit haben. Und so albern das klingen mag, es gibt Lebenssituationen – im Extrem wenn man alleine für einen Haushalt mit mehreren Kindern verantwortlich ist – die das Zwangsbasteln und Selbermachen zur Belastung werden lassen.

Um durch den Alltag zu kommen, habe ich also alle Aufgaben priorisiert und prüfe: was muss ich machen, was ist optional, was kann ich irgendwie ersetzen.

Und nein, manche Dinge im Eltern-Kind-Umfeld kann man nicht einfach ignorieren. Für mich gibt es oft eine Art Bastel/Back/Klöppelzwang

Wenn das ganze Umfeld Adventskalender bastelt und befüllt, dann viel Spaß bei der Aufgabe, den Kindern für 1,99 einen gekauften Kalender in die Hand zu drücken.

Mal abgesehen davon ist basteln oft teuer. Wenn man bereits Besitzerin eines Bastelarsenals ist, dann ist das einem vielleicht gar nicht so bewusst. Um beim Thema Adventskalender zu bleiben, bei drei Kindern und einer Befüllung pro selbstgefalteten Adventskalendertürchen von 1 Euro plus Bastelmaterialen (5 Euro) ist man bei 87 Euro.

Bitte verschont mich also mit der Aussage, das sei doch alles kein Problem.

Natürlich hat das was mit Konsum zu tun und natürlich kann sich das nicht jede/r leisten und zwar sowohl was den Zeitaspekt als auch den finanziellen Aspekt angeht.

Und das finde ich, darf man durchaus berücksichtigen.

Und ja es gibt schöne Alternativen, z.B.

Und wenn auch einiges aus meinem Text von 2012 anders formulieren würde, diese Aussage bleibt:

„Ich habs ja versucht. Aber ich schaffe das nicht. Ich schaffe nicht 30 Stunden zu arbeiten, den Haushalt, die Kinder zum Sport zu bringen, Laternen zu basteln, Plätzchen zu backen, dabei immer schick auszusehen, ICHWILLDASNICHT und ich will nicht, dass die anderen mir ständig zeigen, was sie alles selbst machen.“

Und deswegen fand ich den Text von Frau Ruth so toll.

Adventskalender basteln ist (wie alles andere) nicht Privatsache

Denn ja, den Druck mache ich mir zum Teil selbst, aber ab einem gewissen Grad gibt es auch kein Entrinnen. Ein Kind, das umgeben ist von Kindern, die jeden Tag ein gekauftes Spielzeug in einem selbstgebastelten Kalender finden, muss schon ganz schön bearbeitet werden, um sich nicht zu fragen: Warum alle andern und ich nicht?

Es geht in der Sache der Adventskalender also v.a. um den bereitgestellten Inhalt und Zitat: „Noch schlimmer wird es dadurch, in dem man bereit ist, dem Konsumwahn auch noch eine persönliche Note durch eine Aura des Handgemachten zu verleihen„.

So und jetzt gehe ich basteln. Es gibt nämlich keine Lösung für dieses Dilemma. Denn das was man tut, hat eben auch Auswirkungen auf andere. Ob man will oder nicht und ich finde, dessen darf man sich wenigstens bewusst sein. Ob man dann in diesem Wissen Rücksicht nehmen kann oder möchte, ist nochmal eine andere Frage.

Leider ist es eben sogar beim Adventskalender so, dass das was man selbst tut, nicht im luftleeren Raum steht.