Alle Kinder wollen Haustiere. Natürlich auch meine.
Es gibt da nur ein Problem: Ich hasse Haustiere.
Das hat unzählige Gründe. Der Dreck (an den Pfoten, die Haare, die ausfallen, die Ausscheidungen), der Gestank (der nasse Hund, das Katzenklo, der Hasenstall, das Futter), die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten (wohin mit dem Tier, wenn wir in den Urlaub fahren), die Streitpotenziale (wer geht mit dem Hund? Wer füttert die Meerschweinchen?), die Kosten (Ausstattung! Tierarzt! Nahrung!) und nicht zu letzt: Am Ende hat man das Vieh eben doch lieb und dann stirbt es irgendwann und alle sind fix und fertig mit den Nerven.
Meine Ansage diesbezüglich war also immer sehr klar. So lange wir keinen Bauernhof haben, haben wir keine Tiere.
– Einen Hund vielleicht?
– Nein.
– Einen kleinen Hund?
– Nein.
– Katze?
– Nein.
– Hasen?
– Nein.
– Meerschweinchen?
– Nein.
– Hamster, Mäuse, Ratte?
– Nein.
– Vögel?
– NEIN!
– Ok, Schildkröte?
– Nein. Himmelherrgott! Ihr habt doch eure Geschwister. Spielt mit denen.
Letztendlich kann ich nicht rekonstruieren wie es dazu kam, aber ich stand irgendwann mal mit den Kindern in einem Zoofachgeschäft. Sie streunten durch den Laden, ich sah wie sie hinter einem Regal verschwanden. Es sah so aus, als ob sie etwas miteinander beraten würden. Dann kam Kind 2.0 festen Schrittes auf mich zu: „Mama, wir haben da eine Frage!“ Die Geschwisterkinder nickten und machten ernste Gesichter.
– Ja, bitte?
– Du magst Haustiere nicht, weil sie teuer sind, weil sie Dreck machen, sich immer einer kümmern muss, richtig?
– Das ist korrekt
– Ok, wir hätten gerne eine Wasserschnecke.
Kind 2.0 zog mich zu einem der Aquarien. Gelbe Apfelschnecke stand da: 1,20 Euro/Stck.
– Hm, sagte ich
– Sie machen keine Arbeit. Das Kind schnappte sich einen der Mitarbeiter.
– Brauchen Wasserschnecken ein Aquarium?
– Nein.
– Hm, sagte ich.
Der Mitarbeiter schwärmte mir vor, wie pflegeleicht Wasserschnecken sind. Sie brauchen eigentlich kein sauerstoffangereichertes Wasser. Ein paar Algen, dann müssen sie auch nicht gefüttert werden. Etc. etc.
Um es abzukürzen, ich habe eingewilligt. Wir kauften zwei Schnecken. Eine gestreifte und eine gelbe und drei Wasserpflanzen. Die Kinder zahlten mit ihrem Taschengeld.
Zuhause füllte ich in eine große, rechteckige Glasvase Wasser und schmiss Pflanzen und Schnecken rein.
Sie sanken auf den Boden.
– Sie sollen Rosi und Zenta heißen!
– Jaja, sagte ich und ging in die Küche um zu kochen.
Als ich eine Stunde später den Tisch deckte und nach den Schnecken schaute, lag Zenta die Zebraschnecke immer noch eingerollt auf dem Boden. Rosi hingegen war an die Wasseroberfläche gerobbt.
Zwei Tage später hatte sich das Bild nicht geändert. Rosi oben, Zenta eingerollt unten.
In mir keimte ein schrecklicher Verdacht. Zenta war auf mysteriöse weise verstorben. Warum Rosi als Wasserschnecke aber unter allen Umständen dem Wasser entkommen wollte, war mir ein Rätsel.
Ich googelte „Apfelschnecke an Wasseroberfläche“ und bekam meine Antwort. Apfelschnecken haben Lungen und Kiemen. Wenn das Wasser zu wenig Sauerstoff hat, kommen sie an die Wasseroberfläche, um dort über ihre Lungen zu atmen.
Auch sonst stimmte rein gar nichts von dem was der Zooladenmitarbeiter mir gesagt hatte. Wasserschnecken haben komplexe Bedürfnisse, wollen gefüttert werden, mögen Sauerstoff im Wasser und sind auch ansonsten so kompliziert wie jedes x-beliebige andere Haustier.
Nachdem am fünften Tag Zenta noch so aussah wie am ersten Tag, erklärte ich sie für tot. Die jüngeren Kinder heulten Rotz und Wasser. Zenta! Zanta! Die wunderbare Zebraschnecke! Sie war tot! Tot! Tot!
Wir mussten sie beerdigen und ein Grab basteln und man verlangte von mir eine mitfühlende Rede. Es war grauenhaft. Ich kannte Zenta doch gar nicht. Wie sollte ich meine Worte wählen, wenn ich doch gar nichts über sie wußte?
Um Rosi machten wir uns auch große Sorgen. Sie saß da am oberen Rand der Glasvase, war einsam, vermutlich hungrig und atmete lautlos durch ihre Lungen.
Da der Kindergarten ein Aquarium hat, haben wir sie am nächsten Morgen in den Kindergarten gebracht.
Alle Kinder waren fröhlich!
Am übernächsten Morgen war Rosi verschwunden. Genau genommen war Rosis Schneckenhaus noch da, nur der Fleischteil von Rosi war fort. Einer der Fische sah etwas dicker und zufriedener aus als sonst.
Als wäre das nicht genug, hat Rosi beim Wasserwechsel kurz vor ihrem Dahinscheiden noch mal ordentlich abgelaicht. (Wie sagt man da bei Schnecken? Abgeschneckt?) Sie gebar mehrere Dutzend gelbe Minischneckchen, die wiederum mehrere Duzend Minischnecken gebaren, die ihrerseits …
Das war vor einem Jahr. Seitdem werden wir nicht Herr über die Schneckenplage im Aquarium. Selbst die Fische haben aufgegeben die Schnecken zu fressen. Es sind einfach zu viele.
Und das liebe Kinder ist, warum ich ab jetzt WIRKLICH NIE MEHR EIN HAUSTIER MÖCHTE.