Ungehobelt aber ehrlich

Aus den Simpsons kennt man bereits den „Niedliches-Schaf“-Effekt: Lisa und Bart stehen vor einem kleinen Schaf und sind entzückt ob dessen Niedlichkeit „Oh wie süß!“. Die Kamera schwenkt weiter nach rechts. Dort steht ein noch kleineres, viel niedlicheres Schaf „Ohhh wie süüüüß!“. Die Kinder lassen das erste Schaf ungestreichelt stehen und eilen entzückt zum Minischaf. Noch weiter rechts im Bild erscheint ein noch viel kleineres, viel, viel niedlicheres Schaf, welches freudestrahlend liebkost wird „Uiiiii wie süüüüüüüüüüüß!!!“. Das erste plüschige Schaf gesellt sich hinzu und will ein Paar Streicheleinheitan abbekommen. Bart tritt es herzlos aus dem Weg.
Just jenes Gefühl überkam wohl Kind 2.0, welches wir aufrichtig für sehr süß halten, als wir am Wochenende Freunde besuchten, die ein ebenfalls sehr bezauberndes Kind haben. Kind 2.0 entwendete dem Freundeskind am ersten Tag den Schmusehasen um diesen grimmig mit einem aufblasbaren Knüppel zu bearbeiten.
Auf die optimistische Frage, was es denn mit dem Hasi mache, antwortete es einsilbig: HAUEN.
Als Kind 2.0 ausreichend geübt hatte, wendete es sich dem fremden Nachwuchs zu. Ebenfalls mit Riesenkeule.
Die Riesenkeule wurde eingezogen.

Das Ende der Niedlichkeit

Wenn man ein Neugeborenes hat und es öffentlich herumträgt, strömen von allen Ecken und Enden Menschen herbei, um in die Hände zu klatschen und zu rufen „Ach, das ist aber noch ganz frisch. Wie niedlich!“. Dann betatschen sie es.
Mit dem jakobsonschen Organ eines Aals und den 30.000 Augen einer Libelle scanne ich die Fremden. Zigarettenrauch, altes Fett, Schweiß, schmutzige Finger, eiternde Blasen und Nagelmykose überall!
Ich drücke meinen Säugling an mich, zücke eine Fliegenklatsche und wedele die verkeimten Greifer weg.
Mit der Zeit jedoch härtet man ab, denkt an das kindliche Immunsystem und hält das Baby selbst den interessierten Punkerhunden unter die Nase.
Immerhin erntet man dafür Komplimente und Ausdrücke des Wohlgefallens.
In dieser Phase der Glückseligkeit verharrt man einen weiteren Monat. Doch dann kommt eines Tages der Tag des Erwachens.
Das Baby ist schon vier (!) Monate als sich eine ältere Frau dem Kind, das im Tragetuch an meinem Dekolletee gedrückt befindet, nähert.
„Ach, was haben Sie denn da?“ Ihre Augen strahlen. „Was ganz Kleines noch?“ Sie streckt mir ihre knochigen Finger entgegen. Ich lächle (… die Hormone!).
Sie schaut aufs Kind und ihre Mundwinkel fallen nach unten.
„Bah! Ist ja schon groß!“ und wendet sich ab.

 P.S. Schaaahaaatz, wir brauchen Nachschub!