Pokémon Go

Als Kind und Jugendliche habe ich mich wahnsinnig gerne mit Mystery-Kram beschäftigt. Eines meiner Lieblingscomics hieß Vanessa – die Freundin der Geister.

Die Hauptfigur im Comic heißt Vanessa Bunburry und lebt mit ihren Eltern auf Schloss Westwood Manor in der englischen Grafschaft Essex. Sie kann Geister sehen und mit ihnen sprechen. Ihr bester Freund wird der ca. 16 Jahre alte Geisterjunge Harold.

Mir gefiel die Idee, dass es Dinge ausserhalb meines eigenen Wahrnehmungsapparats geben könnte. Soooo unwahrscheinlich ist das schließlich nicht. Fledermäuse z.B. können z.B. Ultraschall hören und ich nicht…

Mein Grundgedanke war immer: nur weil ich etwas nicht wahrnehmen kann, heisst es nicht, dass es nicht existiert. Ob das nun Geister oder außerirdische Lebensformen waren, die in anderen (für mich nicht wahrnehmbaren) Dimensionen lebten, war mir herzlich egal.

In der Zwischenzeit glaube ich nicht mehr an Geister und wünsche mir auch nicht sehnlichst einen Geisterfreund zu haben.

Kind 3.0 hingegen hat sich in seiner Fantasie eine eigene Welt aufgebaut, die nur von ihm wahrgenommen wird. Es lebt in der Menschenwelt und in der Taluga-Welt. Talugas sind kleine puschelige Wesen, welche die Menschen begleiten. Ich habe auch einen Taluga.

Konversationen mit Kind 3.0 sind manchmal etwas schräg.

Kind 3.0 lacht
Ich: Was ist denn?
Kind 3.0: Dein Taluga hat Quatsch gemacht.
Ich: Oh. Ist er hier?
Kind 3.0: Ja, da hinter dir (zeigt an eine Stelle)
Ich (drehe mich um, deute auch in die Richtung): Da?
Kind 3.0: Ja! Pass auf, er mag das nicht, wenn du ihn anstupst.

Dann lasse ich mir genau erklären, wie mein Taluga aussieht. Das Wesen hat schwarzes Fell und ist ungefähr so groß wie eine Faust. Es schwebt immer mit mir mit.

Kind 3.0 kann so lebhaft von den Talugas erzählen, dass ich irgendwann das Gefühl bekomme, dass nicht das Kind etwas sieht, was es nicht gibt, sondern ich nicht sehe, was es gibt.

Eine zweite Realitätsebene – Augmented Reality

Ich bin durchaus bereit zu glauben, dass es eine zweite Realitätsebene gibt. Eine Augmented Reality quasi.

Deswegen liebe ich auch Augmented Reality Spiele und hab ich mir am Wochenende Pokémon Go runtergeladen und bin höchst fasziniert.

Pokémon Go ist eine App mit der man (wenig überraschend) Pokémons einfangen kann. Man klickt sich einen Charakter, eine Trainerin, zusammen und dann macht man die App – wann immer man sich in der realen Welt bewegt – an und schaut sich um. Schon nach wenigen Metern erscheint das erste Pokémon, das man einfangen kann.

Manche sind sogar handzahm
Manche sind sogar handzahm/Foto @Marcus Richter

Pokémon Go basiert auf Google Maps und man kann die Karte, die man sieht, wirklich zur Navigation und Orientierung benutzen. Das fand ich sehr faszinierend.

Am Wochenende waren wir z.B. am Liepnitzsee und die App zeigte uns den Weg durch den Wald. Natürlich sieht man „in echt“ auch die Trampelpfade – man muss sich aber ohne App merken, wo man abgebogen ist oder hoffen, dass das Gefühl zur Richtung ungefähr stimmt.

Jedenfalls hab ich am See einige Entons (entenartige Pokémon) eingefangen und auch einige Karpadors (fischartige Pokémon) . Welche Pokémon wo zu finden sind, scheint auch von der Gegend abzuhängen. In der Stadt z.B. gibt es viel mehr Rattfratz (rattenähnliche Pokémon) und Taubsis (taubenartige Pokémon).

Rattfratz
Ein Rattfratz versperrt mir den Weg
Auch ohne das eigentliche Spiel zu spielen, bringt Pokémon Go Spass

Sinn des Spiels ist allerdings nicht nur das Einsammeln der Pokémon. Man muss sie auch entwickeln und in Pokémon Arenen gegen andere Pokémon antreten.

Mir gehts aber eigentlich gar nicht so sehr ums Spiel an sich. Ich finde die App einfach toll, weil sie möglich macht etwas zu sehen, was andere nicht sehen.

Ich laufe auf mein Display starrend durch die Straßen und wenn plötzlich vor mir ein Pokémon auf dem Screen erscheint, hebe ich meinen Kopf und bin jedes Mal verwundert, dass ich es nicht sofort sehe, sondern erst das Handy hochhalten muss, um es wirklich zu sehen.

Das Traumato ist doch wirklich da!
Das Traumato ist doch wirklich da!

Mein Gehirn ist jedenfalls sehr bereit diese Unterscheidung Spiel und echte Welt nicht mehr so genau zu nehmen.

Mit großer Freude hab ich z.B. entdeckt, dass die Türme des Frankfurter Tors zwei gigantische Pokémon Kampf-Arenen sind. Ich werde sie nie wieder als normale Bauwerke sehen können…

Das Frankfurter Tor ist in Wirklichkeit eine Pokémon Arena
Das Frankfurter Tor ist in Wirklichkeit eine Pokémon Arena

Das Spiel hat ausserdem auch Pokéstops. Auch dieses Feature gefällt mir sehr. Die Pokéstops sind nämlich echte Mini-Sehenswürdigkeiten. Dinge, die da sind, die man aber ganz leicht übersieht, die man nicht wahr nimmt, selbst wenn man hundert mal an der Stelle vorbei läuft. Ornamente in Bauwerken z.B.

Der Pokéstop zeigt ein Detail, das mir noch nie aufgefallen ist
Der Pokéstop zeigt ein Detail, das mir noch nie aufgefallen ist
Und tatsächlich: da ist der lesende Mann
Und tatsächlich: da ist der lesende Mann

Oder banale Orte, die einem, weil man sonst den Weg in der Parallelstraße wählt, nie auffallen.

Ansicht am Display
Ansicht am Display
Voransicht - lohnt es sich einen kleinen Umweg zu laufen?
Voransicht – lohnt es sich einen kleinen Umweg zu laufen?
Ansicht Kohlenstoffwelt
Ansicht Kohlenstoffwelt

Ich liebe sowas.

Spielerweiterungen im Sinne von Akku-Pack und Armband sind nützlich

Einzig nervig ist wirklich, dass das Spiel so viel Akku frisst. Rund zwanzig Prozenz in dreißig Minuten. Weswegen man ohne Akku-Pack [ich empfehle das Akku-Pack von Anker (Amazon Werbelink)] keine längeren Spaziergänge machen kann.

Das andere Problem ist tatsächlich die Haltung. Beim Laufen ständig auf das Display zu schauen, macht mir Nackenprobleme.

Offenbar war das auch nicht Idee der Spielemacher. Es wird wohl bald ein Armband zu kaufen geben, welches auf die Pokémon der Umgebung durch Vibrationsalarm aufmerksam macht. Ständiges auf das Display starren wird dann nicht nötig sein.

Das Spiel selbst ist übrigens kostenlos. Das Band, es heißt Pokémon Go Plus, soll um die 40 Euro kosten und wird Ende Juli in Deutschland verfügbar sein.

Im Moment kann man das Spiel offiziell in Deutschland noch gar nicht spielen. Da wo es offiziell möglich ist, sind die Server schon des öfteren überlastet. Das Spiel scheint also nicht nur mir Freude zu bereiten.

Ich bin übrigens Team Blau und wer mit seinen Pokémon gegen mich kämpfen will, finde sich gelegentlich am Frankfurter Tor ein.


tldr: Pokémon Go macht Spaß. Man kann nicht nur Pokémon fangen und trainieren sndern auch in der Kohlenstoffwelt neue Dinge entdecken. Die empfohlenen 10.000 Schritte pro Tag schafft man ganz neben bei.

Nuparu?

Kein Wunder dass „yu gi oh“ zu den meist gesuchten Googlebegriffen gehört. D.h. wenn man erst mal rausbekommen hat, wie man das schreibt. Schließlich kommt das schreib- und buchstabierunfähige Kind eines Tages vom Kindergarten und verlangt jokiko.
Jokiko? denkt der pädagogisch vorgebildete Erwachsene, der das Kind und seine Welt verstehen möchte, eilt an seinen Laptop und sucht vergeblich den Begriff. Erst Wochen später im Kreise seiner anonymen Kinderverstehergruppe erwähnt er das ungelöste Rätsel und wird verständig von den anderen Eltern aufgeklärt.
„Yu-gi-oh!“ eine fiese Erfindung der Konsumgesellschaft. Karten, die man teuer erwirbt, die jedoch regelmäßig ihre Gültigkeit verlieren, so dass man immer neue und wieder neue kaufen muss, damit das Kind auf der Beliebtheitsskala seiner Peer-Group ganz oben bleibt.
Man wehrt sich drei, vier Monate diese Ausgeburt des Bösen zu unterstützen, aber eines Tages kommt der Tag, da erträgt man die rotgeweinten Augen des Kindes nicht mehr, zückt das Portemonnaie und schon wirft man die wöchentlich für die Rente zurückgelegten Euroscheine in den Rachen der Yu-gi-oh-Merchandise-Maschinerie.
Ist das Kartendeck halbwegs komplett und das Kind glücklich, so glaubt man schnell seinen Seelenfrieden wieder gefunden zu haben und redet sich unterstützend ein: Wenigstens nicht Tokio Hotel, wenigstens das nicht!.
Doch es vergeht keine Woche und das Kind will Pikatschu. Dazu macht es die Stimme hell und ruft: Pikatschu, Pikatschu! Es verweigert jede Kommunikation und auf jede Frage oder Aufforderung erhält man nur Pikatschu! zur Antwort.
Aus der ersten Erfahrung schlau geworden, stellt man sich dennoch taub und eines Nachts, als man sich schlaflos durch die Privatsender zappt, bleibt man bei der Zeichentrickserie Pokémon hängen und denkt: Ich schau mir das jetzt an und nach ausführlicher Begutachtung mache ich meinem Kind eine große Freude und kaufe eine Pokémon-DVD, die wir gemeinsam anschauen und anschließend darüber reden.
Doch nach nur drei Minuten ist die Schmerzgrenze erreicht, man kann dem Plot nicht folgen und wacht einen Augenschlag plötzlich schweißgebadet auf und das erste, was man mit heiserer Stimme in das Morgengrauen krächzt ist: PIKACHU!, worauf man schwört: Das Kind wird nie, nie, nie Pokémon sehen!
Doch dann kommt es mit einer Bionicle-Zeitung, die ihm irgendein Bösewicht geschenkt und verlangt – wieder unter Tränen – abends diese und nicht eines dieser langweiligen Märchen vorgelesen zu bekommen.
„They came to Yoya Nui as Matoran villagers. Then six bolts of lightning from a red star transofmed to the Toa Onika. Their goal: Find the powerful Kanohi Mask of Live […]“
– Stiefmutter, was ist Yoya Nui?
30 Minuten Internetrecherche später: Ein Vulkan, liebes Kind.
– Stiefmutter was ist Toa Onika?
[]
– Stiefmutter, was ist Kanohi?
Das sind Masken, die v.a. von den Toa, Turaga, and Matoran getragen werden.
– Was sind Toa?

Und schon fühlt man sich wieder wie in der Vorhölle und fragt sich, was aus den guten alten Glückbärchi geworden ist. Man breitet die Arme aus, drückt den Bauch nach vorne und ruft LIIIIIIIEEEEBEEEEE in die kalte, dunkle Nacht hinaus.

Spätfolgen