Ich ziehe keine Socke an! Nein! Nein, meine Socke ziehe ich nicht an!

An Erziehung glaube ich nicht. Die Kinder werden so geboren wie sie sind und dann wachsen sie einfach. Egal wie man sich abmüht und was man für tolle Ratgeber liest.

Kind 3.0 beispielsweise schreit gerne. Wenn man es genau nimmt, hat es schon geschrieen als der Kopf gerade mal geboren war. Kopf raus und RÄÄÄBÄÄÄHHHHHH.

Zu Beginn war ich beunruhigt. Was fehlt dem Kind bloß? Man muss dazu sagen Kind 2.0 , das hat eigentlich kaum geschrieen. Vielleicht mal weil ich versehentlich vergessen habe es zu füttern, aber wenn mir dann einfiel was der Grund des Unbehagens sein könnte, dann schlief es einfach wieder ein.

Jedenfalls Kind 3.0 schrie und sah dabei nicht mal unzufrieden aus. Irgendwann schwante mir, dass das Kind tatsächlich nicht aus Unbehagen schrie. Es schrie, weil es schreien gut findet. Vier Jahre später sehe ich meine Hypothese bestätigt und mache mir keine Sorgen mehr.

Ich würde schätzen, im Schnitt schreit Kind 3.0 drei bis vier Stunden über den Tag verteilt. Gründe gibt es sehr viele. Das fängt an beim Aufstehen. „ISCH WILL NISCH AUFSTEHEN!!!“, geht weiter beim Frühstück „ISCH WOLLTE DIE STINKEWURST NISCH. DIE IS FAUL!!!“, erstreckt sich über das Zähneputzen „ISCH WILL NISCH! KARIES UND BAKISCHIUS SIND BAKTERIEN, DIE KANN ISCH MIT PUTZEN NISCH TÖTEN!“, geht weiter beim Anziehen „NEIN! ISCH ZIEHE MISCH NISCH AN, ISCH BIN ZU KLEIN DAFÜR!“.

Es ist nicht so, dass das Kind keine Argumente hätte. Als ich z.B. erläuterte, es sei jetzt kurz vor der Vorschule doch mal Zeit, dass es sich selbst anziehe, schaute es mich entgeistert an und sagte: „Ich bin dafür viel zu klein. Ich muss noch so viel lernen. Jetzt lerne ich erst mal ein- und ausatmen!!!“

Ich gestehe, gerade das morgendliche Anziehritual treibt mich zur Zeit in den Wahnsinn. Ich lüge nicht, wenn ich behaupte, dass das Anziehen morgens rund 1,5 Stunden in Anspruch nimmt. Dabei sind die Anforderungen nicht mal besonders hoch. Es geht ja nicht ums Schuhe binden oder Krawatten knoten. Es geht um Socken. Ab 6.00 Uhr knie ich flehend vorm Kind und fordere es auf die Socken anzuziehen. Wenn bei den anderen Kindern irgendein Trick irgendwann mal geholfen hat, bei Kind 3.0 hilft nichts. Kein „Ich wette, ich bin schneller als Duhuuu“. Da schaut mich Kind 3.0 nur gelangweilt an und stellt fest: „Ja, Mama. Du bist ja auch Erwachsene.“ Damit hat sich das dann auch erledigt.

In meiner Verzweiflung versuche ich es auch schon mal mit Konsequenzen aufzeigen. „Wenn du dich nicht anziehst, nehme ich dich im Schlafanzug mit in die Kita!“ Auch das perlt an Kind 3.0 ab. „Isch finde meinen Schlafanzug schick.“

Ich gestehe, ich habe sogar schon sinnlos gedroht „Wenn Du Dich nicht anziehst, dann dann dann gibt es keine Süßigkeiten!“ „Muss isch dann auch keine Zähne putzen, weil dann hab isch ja kein Zucker gegessen?“ fragt es dann interessiert.

An manchen Morgen möchte ich mich am Boden wälzen. Dieses Kind! Es ist nicht zu knacken. Wenn es dann meine Verzweiflung spürt, legt es sein Patschehändchen mitfühlend auf meine Schulter und sagt: „Wenn Du misch abends nisch ausziehst, musst Du misch morgens nisch anziehen, weisst Du?“.

Ich bin also der Gnade des Kindes ausgesetzt. Es macht entweder mit oder nicht. Und da es keinen Sinn darin sieht, sich selbst anzuziehen, zieht es sich eben nicht selbst an. Ich resigniere dann gelegentlich und fange an es wieder anzuziehen obwohl mir Selbständigkeit so wichtig ist.

Drei Tage später hat sich das Kind rekalibriert und schreit: „ISCH KANN DAS ALLEINE!!!“ und schlägt mir die Hose aus der Hand. So ist das mit diesem Kind. Und es ist immer so gewesen. Und es wird nie anders sein. Und ich, ich bin ein stiller, tiefer See. Ommmmmm!

Der Tag an dem die Welt zusammenbrach

Sommer 2007 waren wir Eis essen.
Am 17. September – also fast am Ende der Saison – geschah etwas wundervolles. Der Eishändler unserer Wahl nahm rosa Glitzereislöffel in seine Kollektion auf. Wie sich erfahrene Eltern denken können, war diese Kombination unwiderstehlich und sorgte für ein Umsatzplus von gut 27%.
Allerdings hatte der Plastiklöffelhersteller Lieferprobleme und so kam es, dass wir am 30. September den allerletzten rosafarbenen Glitzerlöffel ergatterten. (Freilich nicht ohne der ein oder anderen Mutti meine gespitzten Ellebogen in die Seite zu rammen…)
Der Löffel wanderte in die Küchenschublade und wurde jeden Morgen feierlich unter Fanfarenmusik zu Tisch getragen, um dort benutzt zu werden.
Zwei Jahre später, am 11. Oktober 2009 geschah das Unvermeidliche. Der Löffel zerbrach.
Das Kind bekam einen Nervenzusammenbruch und konnte nur unter stundenlangem Trösten und dem Versprechen recht bald ein Hauspferd anzuschaffen, beruhigt werden. Die Recherche zum Thema Hauspferd ergab, dass nicht unwesentliche Probleme mit der Anschaffung verbunden wären. Beispielsweise verstehen sich Hauspferde mit Kampfhunden nur mittelmäßig gut – was in Berlin schnell ein Problem werden kann.
Ich entschloss mich alternativ einen neuen Löffel zu kaufen. Sieben Wochen später gab ich auf. Kein Löffel war so wie der zerbrochene und das Kind weinte jeden Morgen bitterlich. Kompromissbereit war es dennoch. Wenn der Löffel farblich ganz genau dem Essen entsprach, trocknete das Kind die Tränen, nickte und begann mit den Worten „Passt farblisch“ zu essen.
Ich kann hier nur berichten, dass es einfacher ist, das Essen auf die Löffel abzustimmen und nicht umgekehrt. Sehr schwierig zu besorgen war z.B. der Salami-Stullen-Löffel: unten am Griff braun, ein gelber Kringel und oben rot mit weißen Punkten. Besser ist es, einen pastellgelben Löffel mit einem Bananenquark zu reichen…
Wie dem auch sei.
Das Hauspferd fühlt sich bei uns eigentlich ganz wohl und den Ausritt machen wir jeden Morgen um 5.12 Uhr. Da schlafen die Kampfhunde noch und es gibt nur selten Ärger.