„Schmusen“

Ich verband mit dem Wort „Schmusen“ immer eine Gewisse Zärtlichkeit. Stimmt ja auch, wenn man das Wort nachschlägt, steht da „sich zärtlich berühren“. Auch die Synonyme lassen auf einen sanften Kontext schließen: kraulen; liebkosen; kuscheln; tätscheln; ei, ei machen (umgangssprachlich); streicheln; schmiegen; herzen.

2006 änderte sich meine Vorstellung von schmusen schlagartig. (Haha! Schlagartig passt so gut in diesem Zusammenhang!)

2006 lernte ich nämlich das damals fast dreijährige Kind 1.0 kennen. Schmusen wurde zu irgendwas mit Knien.

Wenn ein Kleinkind (im Grunde zieht sich das bis ins Grundschulalter) „schmusen“ möchte, zieht sich mein Körper instinktiv zusammen. Kinn an die Brust, Bauchmuskeln anspannen, der Körper bildet ein C. Arme schützend überkreuzen, am besten einrollen, Augen zur Sicherheit schließen, totstellen. Nach einigen Jahren mit Kindern, kann nicht mehr anders. Es ist ein Reflex geworden. Auch wenn meine Vorstellung nach wie vor unerschütterlich romantisch ist. Ich falle nämlich immer wieder auf den Schmusewunsch der Kinder rein.

Vielleicht bin ich nur ein bedauerlicher Einzelfall – aber bei meinen kleinen Kindern bedeutet schmusen in der Regel mit den Knien voraus auf einen springen. Das ist nicht unbedingt angenehm. 20 kg (+) beschleunigte Masse mit zwei spitzen Knien voraus. LKW-Fahrer, die sich mit dem Thema „Ladung angemessen sichern“ beschäftigen, werden die zu erwartenden Schmerzen sogar exakt ausrechnen können.

Ich hab leider in Physik nicht so gut aufgepasst, sonst könnte ich es nachrechnen, aber meine Recherchen ergaben: Ein 40kg schwerer Hund, der mit 50 km/h auf einen draufspringt, entwickelt eine kinetische Energie von 3,8 Tonnen. Kann man das einfach halbieren, wenn das Kind 20 kg wiegt? Und äh nur mit 10 km/h auf einen springt?

Im Grunde ist die physikalische Korrektheit an dieser Stelle auch völlig egal. Ob nun eine halbe Tonne oder eine ganze… es tut furchtbar weh. Je nach Größe des schmusebereiten Kindes und nach Geschlecht des Zubeschmusten sogar noch mehr. Ich habe in einem komplizierten Verfahren errechnet, dass das Maximum an Schmerz erreicht wird, wenn ein ca. 1,05 m großes Kind auf einen ca. 1,80 m großen, aufrecht stehenden Mann springt.

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Neben dem Besprungenwerden kennen Kleinkinder auch andere Schmusevarianten. Eine unter der ich immer wieder leide, ist die Beschmusung von unten mit dem beschleunigten Kinderkopf an das eigene Kinn.*

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Eher harmlos ist die Bekletterung im liegenden Stadium, in der das gesamte Kindesgewicht auf die Füße oder ebenfalls Knie konzentriert wird.

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Als schmusebereite Eltern durchläuft man verschiedene Phasen der Beschmusung. Unerfahrenen Eltern empfehle ich deswegen Phase I besonders intensiv zu genießen. Die Phase kommt nie wieder.

Phase 1: passives Schmusen I; Kindesalter unter 2 Jahre, Gewicht unter 20kg; das noch relativ unbewegliche Kind kann nach belieben geherzt werden.

Phase 2: aktives Schmusen I, Kindesalter über 2 Jahre, Gewicht über 20kg; die Eltern sind noch ahnungslos und empfangen die Kinder mit offenen Armen.

Phase 3: aktives Schmusen II, Kindesalter unter 7 Jahre, Gewicht unter 40kg; die Eltern haben eine Reihe sehr eindringlicher Schmuseerfahrungen gemacht und reagieren wie Gürteltiere in Gefahr, wenn das Kind schmusen möchte.

Phase 4: passives Schmusen II, Kindesalter über 7 Jahre, Gewicht über 40kg; das Kind möchte (zumindest öffentlich) nicht mehr geherzt werden (Tut den Eltern nur im Herzen weh, äußerlich keinerlei Schmerzen).

Übrigens gibt die etymologische Herkunft des Wortes werdenden Eltern eigentlich schon ausreichend Hinweise. Schmusen kommt tatsächlich von „Schmus“ – schmues – Gerüchte. Es ist nämlich nur gerüchteweise schön mit Kleinkindern zu schmusen. Das weiß man dann jedes Wochenende morgens im Bett, wenn die Kinder um 6.20 Uhr schmusen kommen. Je mehr, desto schmerzlicher.


 

*In billigen Liebesromanen soll frau angeblich in totaler Ekstase  Glocken läuten hören. Leider ist mir das noch nie widerfahren. Sehr wohl habe ich in diesem völlig unsexuellen Schmuseszenario schon öfter Sterne gesehen. Das nur am Rande.

U8

Unsere Kinderärztin ist aus den Zeiten in denen in unserem Land noch Zucht und Ordnung herrschte. Wir bleiben trotzdem bei ihr. Wenigstens versteht sie was von ihrem Fach – also zumindest rein medizinisch. Das Personal ist freundlich, man muss sich nur ein halbes Jahr vorher einen U-Termin sichern und es gibt ein großes Wartezimmer mit vielen Spielsachen.
Leider stimmt die Chemie zwischen der Ärztin und Kind 3.0 nicht so und weil Kind 3.0 nunmal sehr lebhaft und phantasiebegabt ist, gab es die ein oder andere Meinungsverschiedenheit. Die Ärztin schaute dann immer freundlich zu mir und fragte Dinge wie: „Regeln? Gibt es bei ihnen zuhause so etwas?“ oder „Ihnen gefällt seine lebhafte Art, ja?“
Ich lächle dann milde und denke mir, ich bin schließlich nicht gekommen, um mich über Erziehung und die Parameter von Wohlgeratensein auszutauschen und sage „Jaja.“ oder „Hmdochdoch.“ Persönlich hat mich die U-Untersuchung gut unterhalten.

Helferin: „Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob Du schon einen Mensch malen kannst!“, reicht Kind 3.0 ein Blatt und einen Stift.
Kind 3.0 malt:

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Helferin: „Da fehlt aber was!“
Kind 3.0: „Stimmt! Die Augenbraue.“, korrigiert die Zeichnung
Helferin: „Da fehlt immer noch was. Schau Du hast Augen und einen Mund gemalt – aber das Gesicht braucht noch?“
Kind 3.0: „Hmmmm…“
Helferin: „Na, schau mal was Du im Gesicht hast. Augen, Mund und ….“
Kind 3.0: „Nase!“
Helferin: „AHA! Dann mal die mal noch.“
Kind 3.0: „Nein.“
Helferin: „Warum nicht?“
Kind 3.0: „Das ist ein Pobeißer. Wenn Du möschtest, mal isch noch einen Hund. Hunde können gut rieschen. Der riescht dann für den Pobeißer mit.“
Helferin macht sich Notizen.

Helferin zeigt Kind 3.0 ein Schaf: „Was ist das?“
Kind 3.0: „Eine Ziege.“
Helferin: „Naja fast, es ist viel flauschiger. Deswegen ist es ein …“
Kind 3.0: „Eine FLAUSCHZIEGE!“

Die Helferin hat eine bunte Mischung an Tieren ausgepackt. Darunter Schaf, Schwein, Esel, Kuh, Tiger, Elefant, Giraffe.
Helferin: „Zeig mir mal die Tiere, die auf einen Bauernhof gehören.“
Kind 3.0 zeigt auf Schwein, Esel, Elefant.
Helferin: „Nein, der Elefant nicht! Bauernhof! Das ist kein Bauernhoftier.“
Kind 3.0: „Wohl. Dschungelbauernhof. Der Elefant ist zogar ein Arbeitstier.“

Helferin: „Was ist das für eine Form?“
Kind 3.0: „Ein O“
Helferin: „Nicht Buchstabe! Form!“
Kind 3.0: „Rund?“
Helferin: „Form!“
Kind 3.0: „Das hat keine Ecken.“
Helferin: „Ein Kreis! Das ist ein Kreis.“
Kind 3.0: „Stimmt. Das hast Du rischtisch gesagt.“
Helferin zeigt Dreieck: „Male mir bitte ein Dreieck“
Kind 3.0 malt:

Dreieck

Das Kind hätte wohl arge Probleme Instruktionen zu befolgen. Ob es auch sonst alles infrage stelle? Es hätte ja immerhin einen ganz guten Wortschatz. Und Phantasie.

Immerhin!

Ich ziehe keine Socke an! Nein! Nein, meine Socke ziehe ich nicht an!

An Erziehung glaube ich nicht. Die Kinder werden so geboren wie sie sind und dann wachsen sie einfach. Egal wie man sich abmüht und was man für tolle Ratgeber liest.

Kind 3.0 beispielsweise schreit gerne. Wenn man es genau nimmt, hat es schon geschrieen als der Kopf gerade mal geboren war. Kopf raus und RÄÄÄBÄÄÄHHHHHH.

Zu Beginn war ich beunruhigt. Was fehlt dem Kind bloß? Man muss dazu sagen Kind 2.0 , das hat eigentlich kaum geschrieen. Vielleicht mal weil ich versehentlich vergessen habe es zu füttern, aber wenn mir dann einfiel was der Grund des Unbehagens sein könnte, dann schlief es einfach wieder ein.

Jedenfalls Kind 3.0 schrie und sah dabei nicht mal unzufrieden aus. Irgendwann schwante mir, dass das Kind tatsächlich nicht aus Unbehagen schrie. Es schrie, weil es schreien gut findet. Vier Jahre später sehe ich meine Hypothese bestätigt und mache mir keine Sorgen mehr.

Ich würde schätzen, im Schnitt schreit Kind 3.0 drei bis vier Stunden über den Tag verteilt. Gründe gibt es sehr viele. Das fängt an beim Aufstehen. „ISCH WILL NISCH AUFSTEHEN!!!“, geht weiter beim Frühstück „ISCH WOLLTE DIE STINKEWURST NISCH. DIE IS FAUL!!!“, erstreckt sich über das Zähneputzen „ISCH WILL NISCH! KARIES UND BAKISCHIUS SIND BAKTERIEN, DIE KANN ISCH MIT PUTZEN NISCH TÖTEN!“, geht weiter beim Anziehen „NEIN! ISCH ZIEHE MISCH NISCH AN, ISCH BIN ZU KLEIN DAFÜR!“.

Es ist nicht so, dass das Kind keine Argumente hätte. Als ich z.B. erläuterte, es sei jetzt kurz vor der Vorschule doch mal Zeit, dass es sich selbst anziehe, schaute es mich entgeistert an und sagte: „Ich bin dafür viel zu klein. Ich muss noch so viel lernen. Jetzt lerne ich erst mal ein- und ausatmen!!!“

Ich gestehe, gerade das morgendliche Anziehritual treibt mich zur Zeit in den Wahnsinn. Ich lüge nicht, wenn ich behaupte, dass das Anziehen morgens rund 1,5 Stunden in Anspruch nimmt. Dabei sind die Anforderungen nicht mal besonders hoch. Es geht ja nicht ums Schuhe binden oder Krawatten knoten. Es geht um Socken. Ab 6.00 Uhr knie ich flehend vorm Kind und fordere es auf die Socken anzuziehen. Wenn bei den anderen Kindern irgendein Trick irgendwann mal geholfen hat, bei Kind 3.0 hilft nichts. Kein „Ich wette, ich bin schneller als Duhuuu“. Da schaut mich Kind 3.0 nur gelangweilt an und stellt fest: „Ja, Mama. Du bist ja auch Erwachsene.“ Damit hat sich das dann auch erledigt.

In meiner Verzweiflung versuche ich es auch schon mal mit Konsequenzen aufzeigen. „Wenn du dich nicht anziehst, nehme ich dich im Schlafanzug mit in die Kita!“ Auch das perlt an Kind 3.0 ab. „Isch finde meinen Schlafanzug schick.“

Ich gestehe, ich habe sogar schon sinnlos gedroht „Wenn Du Dich nicht anziehst, dann dann dann gibt es keine Süßigkeiten!“ „Muss isch dann auch keine Zähne putzen, weil dann hab isch ja kein Zucker gegessen?“ fragt es dann interessiert.

An manchen Morgen möchte ich mich am Boden wälzen. Dieses Kind! Es ist nicht zu knacken. Wenn es dann meine Verzweiflung spürt, legt es sein Patschehändchen mitfühlend auf meine Schulter und sagt: „Wenn Du misch abends nisch ausziehst, musst Du misch morgens nisch anziehen, weisst Du?“.

Ich bin also der Gnade des Kindes ausgesetzt. Es macht entweder mit oder nicht. Und da es keinen Sinn darin sieht, sich selbst anzuziehen, zieht es sich eben nicht selbst an. Ich resigniere dann gelegentlich und fange an es wieder anzuziehen obwohl mir Selbständigkeit so wichtig ist.

Drei Tage später hat sich das Kind rekalibriert und schreit: „ISCH KANN DAS ALLEINE!!!“ und schlägt mir die Hose aus der Hand. So ist das mit diesem Kind. Und es ist immer so gewesen. Und es wird nie anders sein. Und ich, ich bin ein stiller, tiefer See. Ommmmmm!

Der große Teigrausch

Kind 3.0 ist noch im Kindergarten und trotzdem hatte es neulich seinen ersten Rausch.

Im Auftrag von Kind 2.0 haben wir Kuchen gebacken. Nicht so was gesundes, lautete die Anweisung. Also haben wir ein Kuchenrezept mit ordentlich Zucker rausgesucht. Kind 2.0 ist ziemlich streng und ich hatte keine Lust ausgeschimpft zu werden.

Kind 3.0 hat beim Backen fleißig unterstützt. Butter zermatscht. Reichlich Zucker eingearbeitet. Mehl aus zwei Meter Entfernung dazu. Kleine Kinder machen das alle auf die selbe Art und Weise. Auf den Stuhl stellen und dann mit ausgestrecktem Arm von ganz oben ein Kilo Mehl in einem Schwall in die Schüssel schütten. Dann die Eier, die es teilweise sogar aufgeschlagen hat.

Schon vom ersten Arbeitsschritt an fragte Kind 3.0, ob es nicht probieren könne. Kind 3.0 kennt da nichts. Es leckt auch gerne Butter einfach so von den Fingern ab. Als Mutter, die Wert auf Erziehung legt, habe ich das Ablecken allerdings erst erlaubt, als der Teig fertig angerührt und in die Kuchenform gefüllt wurde. Erst dann durfte Kind 3.0 die Teigreste ablecken.

Als die Erlaubnis einmal erteilt war, leckte und leckte es, als ginge es um sein Leben. Erst die Rührhaken, dann die Schüssel und ganz am Ende sogar die Arbeitsplatte auf die einige Teigreste getropft waren.

Ich verließ die Küche kurz um Hausaufgaben mit dem größeren Kind zu machen und war doch sehr erstaunt als ich in den blitzblank geschleckten Raum zurück kam. Im Grunde war es wirklich nicht mehr nötig sauber zu machen. Ich erwischte mich beim Betrachten der perfekt abgeleckten Küche bei dem Gedanken zukünftig benutzte Kochtöpfe (die ich besonders ungern von Hand spüle) und das gesamte Geschirr mit Teigresten zu beschmieren und die Spülmaschine abzuschaffen. Das lästige Ein- und Ausräumen wäre unnötig. Man könnte alles stehen lassen und nachdem Kind 3.0  wieder alles sauber geleckt hätte, erneut benutzen.

Kind 3.0 war nach der Teigvernichtungsaktion zunächst etwas zittrig. Es tanzte und sang laut durch die Wohnung, drehte sich wie ein Brummkreisel, sprang ein Paar Mal vom Hochbett und verkündete dann lauthals Wurstbrothunger.

Ich schmierte für die ganze Familie einige Stullen und wir machten Abendbrot. Kind 3.0 biss genau einmal vom Brot ab und sank dann erschöpft auf den Teller. Man könnte fast behaupten, es klappte regelrecht zusammen und stöhnte: „Isch kann nisch mehr“.

„Isch glaub, isch muss misch breschen“. Es röchelte schwach und schleppte sich dann ins Bett. Wenige Sekunden später war es eingeschlafen. Es schlief bis zum nächsten Morgen um 7 Uhr.

Als es gut gelaunt am Frühstückstisch erschien und ich darauf hinwies, dass es jetzt gerne ein Stück Kuchen nehmen könne, winkte es nur müde ab: „Kein Kuchen für misch, Mama.“

Willkommen in der Bastelmuttihölle

Bastelmuttihoelle
Illustration: Johannes @beetlebum Kretzschmar

Wenn man darüber nachdenkt, ob man gerne Kinder haben will,
geht einem vieles im Kopf herum. Man denkt an die Schwangerschaft, an die Geburt, das Zahnen, das Krabbelalter, an vollgekackte Windeln und durchwachte Nächte.

Wenn das erste Jahr geschafft ist und die sprachliche Entwicklung langsam einsetzt, das Kind »Da!« rufen und gezielt auf Objekte seiner Begierde deuten kann, ist man erleichtert, weil man glaubt, im Wesentlichen war’s das. Die größten Herausforderungen sind gemeistert. Ab jetzt isses erst mal bis zur Pubertät ausgestanden.

Worüber man nicht nachdenkt, sind die Meilensteine der elterlichen Entwicklung. Niemand malt sich aus, welche Qualen man an Elternabenden erleiden muss und noch weniger ist einem gewahr, dass man für jedes Kind mindestens drei Mal im Jahr zum Bastelnachmittag gebeten wird.

Doch dann kommt der erste Herbst und es heißt: »Liebe Eltern, am 05. November basteln wir Laternen für den Laternenumzug.«

Bevor ich an meinem ersten Bastelnachmittag teilnahm, stellte ich mir Bastelnachmittage wie folgt vor:

Ich komme um 16 Uhr leicht abgehetzt von der Arbeit in die Kita. Mein Kind nimmt mich gut gelaunt in Empfang und führt mich zu meinem Platz. Auf dem Tisch liegen bereits vorpräparierte Materialien und eine Kopie, die mich in einfachen Piktogrammen aufklärt, wie ich aus einer DIN-A-4-Seite eine stabile Laterne baue.

Spätestens fünf nach vier sind alle Eltern da. Die Eltern schlürfen Kaffee während sich die Erzieherinnen wie Flugzeugbegleiterinnen vor uns aufreihen. Die Leiterin hält die Bastelbeschreibung nach oben, während die anderen mit synchronen Bewegungen kurz und prägnant erläutern, wie gebastelt wird.

Die Eltern beginnen zu basteln, während die Erzieherinnen die Kinder leise mit Fingerspielen beschäftigen. Alle beginnen gleichzeitig mit dem Basteln. Ungeschickten Eltern helfen die Erzieherinnen mit Ausbildungsschwerpunkt Bastelpädagogik. Sie sind dabei sensibel und achten darauf, dass das zarte Bastelselbstbewusstsein nicht schon in einem so frühen Stadium gekränkt wird.

Eine weitere Erzieherin schlendert durch die Reihen der eifrig bastelnden Eltern und legt motivierend ab und an die Hand auf eine Schulter. Nach zwanzig Minuten sind alle Laternen fertig. Dann kommen die Kinder an den Platz, bewundern die Laterne, bedanken sich, drücken ihre Eltern und alle gehen zufrieden nach Hause.

Liebe Menschen ohne Kinder, die noch planen, welche zu bekommen. Für euch ist der Artikel an dieser Stelle leider beendet.

Ich bitte euch, nicht weiterzulesen. Da ihr ohnehin nichts an der Realität eines Bastelnachmittags ändern könnt, lasst ihn einfach auf euch zukommen.

Wirklich. Lest nicht weiter.

Tut es lieber nicht.

* * *

Die Realität eines Bastelnachmittags ist so hart und ernüchternd, dass in jeder Bewerbung um einen Job unter dem Punkt »Besondere Qualifikationen« die genaue Anzahl aller überstandenen Bastelnachmittage stehen sollte. Und stünde da eine Zahl unter zehn, wäre die Person für das mittlere oder obere Management nicht geeignet.

Bastelnachmittage beginnen mit dem einstündigen Ankommen der Eltern. Manchmal dauert es auch anderthalb Stunden, bis endlich alle Eltern da sind. Weil es bereits nachmittags ist, sind die meisten Kinder nicht mehr sooo gut gelaunt. Einige liegen schreiend im Flur, andere schlagen sich gegenseitig mit stumpfen Gegenständen.

Überall auf den Tischen liegen »Bastelmaterialien«. Ich schreibe das mit Anführungszeichen weil »Bastelmaterialien« bedeutet, dass dort stumpfe Kinderscheren, angeschnittene Polyeder-Papiere (jedenfalls niemals irgendetwas Genormtes, das man auf Kante falten könnte!) und stark angetrocknete Klebestifte liegen.

Sehr oft liegt dort auch zur Verschönerung der Endergebnisse sehr viel Glitzerstaub. Wenn man dann an einem der kleinen Tische auf einem der klitzekleinen Stühle Platz genommen hat, kann man langsam bis Hundert zählen und spätestens dann ertönt ein erster Aufschrei, weil ein Kind eines der Glitzerstaubgefäße versehentlich umgeworfen hat.

Meistens so, dass sich der Glitzerstaub in hohen Bogen in die Luft entleert, um
dann minutenlang als glitzernder Smog den Raum zu verdunkeln. Danach rieselt der Glitzernebel langsam auf Tische, Stühle und Menschen herunter.

Sobald er mit Haut in Kontakt kommt, wird eine chemische Reaktion in Gang gesetzt und es bildet sich eine unentfernbare Patina.

Keine Dusche der Welt, kein Schwamm und keine Bürste entfernen diese Glitzerschicht. Wenn man sie erst mal hat, muss man etwa sieben Jahre warten, bis sich alle Zellen im Körper erneuert haben. Erst dann fällt sie ab.

Ein bisschen Glitzer schadet nicht, werden die ungehorsamen Kinderlosen, die trotz meiner eindringlichen Warnung weitergelesen haben, denken. Aber jetzt fragt euch mal, in welchen Berufsgruppen man normalerweise glitzert. Niemand denkt bei gold glitzernder Haut ans Laternenbasteln. Bestenfalls gerät der glitzernde Elternteil in den Verdacht nebenberuflich in der großen Gala-Show des Berliner Friedrichstadtpalasts mitzutanzen.

Wenn man also golden glitzernd in einem wichtigen Business-Meeting sitzt, kann das durchaus unangenehm sein. (»Laternenbasteln, Frau Cammarata, ich verstehe. Knick knack.« Mein Gegenüber zwinkert mir verschwörerisch zu und nickt.)

Jedenfalls, um zum Bastelnachmittag zurückzukommen – mit den herumliegenden Materialien kann kein normaler Mensch basteln.

Eine Bastelanleitung gibt es natürlich auch nicht. Die wurde 1873 einmalig auf einem Bastelnachmittag erläutert. Seitdem wird sie per stille Post von Elterngeneration zu Elterngeneration weitergegeben und enthält dementsprechend viele Erklärungs- und Logiklücken.

Und dann ist da noch das eigene Kind, das einem auf dem Schoß sitzt mitbasteln möchte…

Während man also versucht blind zu basteln (der Kopf des Kindes behindert die Sicht), greifen immer wieder kleine Hände von rechts und links dazwischen.

Man malt, faltet, rollt und am Ende klebt alles überall, vor allem an den Fingern die Laterne, die Laterne selbst aber, die klebt nicht.

Während man sich also den Tränen nahe die Papierreste von den Fingern puhlt, sorgt die statistische Normalverteilung zu allem Überfluss dafür, dass pro Tisch genau eine Profibastlerin sitzt. Die hat ihr eigenes Material und das eigene Werkzeug mitgebracht und bastelt aus vielen kleinen Origamipapierchen eine überdimensionierte Laterne. Die Laterne leuchtet in allen Farben des Regenbogens und das eigene Kind, die Laterne der Konkurrenz im Blick, fragt einen ständig:

Kind: »Was machst Du da?«

Ich: »Ich bastele eine Laterne.«

Kind: »Meinst Du Thomas’ Mama?«

Ich: »Nein, ich, ICH bastle gerade eine Laterne!«

Kind: »Wo?«

Ich: »Hier!«

Kind: »Das da ist eine Laterne, Mama?«

Dabei kämpft man die Tränen der Enttäuschung herunter und überreicht dem Kind das fertig gebastelte Objekt. Wenn man Glück hat, hat das Kind ein wenig Mitgefühl und murmelt nur so etwas wie »Eine Laterne?« und dreht sich dann um, damit die Laterne bis zum 11. November in den Schrank gestellt werden kann.

Dann rutscht das Kind auf einem der kleinen Glitzerseen am Boden aus und fällt mit seinem ganzen Gewicht in ebenselbe.

Ich habe für drei Kinder insgesamt dreizehn Laternen gebastelt. Ich kann einfach nicht mehr. ICH KANN NICHT MEHR.

Ich habe dieses Jahr eine fertige gekauft und mich selber drauffallen lassen. Das ging viel schneller.


Nachtrag vom 30. Juni 2016: Mit diesem Text bewerbe ich mich für den scoyo ELTERN! Blog Award.

Trotzyoga

Eltern zwei- bis dreijähriger Kinder wird Trotzyoga ein Begriff sein. Für alle Eltern mit jüngeren Kindern beschreibe ich als Vorbereitung die vier gängigsten Positionen. Achten Sie beim Üben bitte auf eine saubere Ausführung und dass das Kind dabei schallintensiv ausatmet. Nur so erreichen Sie im Blütealter des Trotzes die maximale Ausprägung.

Position 1: Die Brücke des Aufstands

  yoga 3

  • Starte auf dem Bauch liegend
  • Stemme die Füße fest in den Boden
  • Mache einen runden Rücken und drücke ihn nach oben. Stelle Dir vor, Du möchtest die Zimmerdecke berühren
  • Einatmen und die Handflächen schulterbreit auf den Boden stellen
  • Fixiere die Daumen und schreie intensiv

Position 2: Der enttäuschte Profifußballer

yoga 2

  • Diese Position startet im stabilen Stand
  • Mit Schwung auf die Knie rutschen, dabei den Körper nach hinten werfen
  • Den Oberkörper soweit wie möglich nach hinten drücken. Die Kraft muss im Bauch gehalten werden
  • Versuche die Balance zu halten und strecke die Arme soweit es geht
  • Wedele mit den Armen in der Luft

Position 3: Der schwebende Bogen

yoga 4

  • Diese Position startet festgekrallt an einem Gegenstand
  • Ein Elternteil versucht das Kind langsam vom Gegenstand zu trennen und hebt es dabei leicht an
  • Strecke jetzt dein Brustbein nach vorne
  • Das Steißbein zieht in Richtung deiner Fersen. Atme dabei in den Raum zwischen deinen Schulterblättern
  • Wirf den Kopf in den Nacken

Position 4: Die Kerze des Aufstands

yoga 1

  • Stehe aufrecht
  • Atme kontinuierlich ein, während du die Arme gestreckt Richtung Boden führst
  • Die Finger sind dabei gespreizt
  • Die Knie sollten etwa hüftbreit geöffnet sein
  • Spanne die Bauchmuskulatur an und halte deinen Körper gerade
  • Versuche zwanzig Atemzüge so zu verweilen

 


Ergänzungen der Leserinnen aus den Kommentaren

Position 5: Des Fingers feuchte Verzweiflung von Julie Paradise

yoga5

…ist eher eine fortgeschrittene Variante, da hier allein mit der Kraft von Speichel und Atemtechnik gearbeitet wird, ausladende körperliche Aktivität tritt zurück zugunsten gekonntester emotional wirkender Manipulation:

  • Achte auf eine leicht gekrümmte Körperhaltung. Dein ganzes Wesen muss zutiefst empfundenen Schmerz ausdrücken, Einsamkeit und Enttäuschung.
  • Führe beide Hände an den Mund, tief atmen, schluchzen, jaulen. Jeweils 10-30 Wiederholungen.
  • Stecke beide Hände so weit wie möglich in den Mund. Zur Verstärkung der Wirkung ist auf guten Speichelfluss zu achten, möglichst so stark, dass sich Fäden und Rinnsale bilden, die herabtropfen können.
  • Achte auf den Ausdruck der Körperhaltung!!! Lautstärke ist hierbei wirklich nebensächlich, zwar solltest Du deutlich hörbar sein, wichtiger aber sind Jammerintensität (Heulton!) und Speichelfluss.
  • Besonders wirksam in der Öffentlichkeit, begleitet von wehklagenden Ausrufen wie “Aaaaauuaaaa!” / “Hunger” (etwa vor dem Süßigkeitenregal an der Kasse) oder “Ich bin lieb!”

Position 6: Der butterweiche Mehlsack von Andrea

yoga6

  • lass bei Berührung (Hochnehmen, Richtungskorrektur, an der Hand nehmen) sofort und blitzschnell alle Muskeln erschlaffen
  • mach dich dabei so schwer wie möglich
  • halte die Entspannung mindestens 10 Atemzüge
  • verwandle deinen Körper beim Hochnehmen in etwas, das sich kaum Greifen lässt

Position 7: Der amselhafte Bauchwurf von Katharina

yoga7

Ausgangsposition ist Position 4: Die Kerze des Aufstands, am besten auf hartem Untergrund.

  • Mit einem kraftvollen Schwung aus den Fussgelenken heraus werfe man sich mit durchgestrecktem Kreuz
  • jedoch ohne Zuhilfenahme der Hände bei der Landung in kraftvollem Bogen auf den Bauch, so dass man noch einen Meter weiterrutscht
  • Danach kräftig und mit viel Timbre ausatmen
  • Das Ausatmen 30x wiederholen (geübte Trotzer bitte ohne zwischenzeitlichem Einatmen). Crescendo!

(Eine Variante dieser Figur beinhaltet das Hochnehmen der Hände, wobei bei jedem tonhaften Ausatmen mit den Handflächen auf den Untergrund geklatscht wird.)

Position 8: Der Seestern zeitgleich von Frische Brise und Frau Mutti

yoga8

  • Strecke Arme und Beine stocksteif von Dir
  • Halte den Atem für eine halbe Minute an
  • Beginne dann laut zu brüllen und wedle mit allen Gliedmaßen wild in der Gegend herum

Position 9: Die meditierende Flunder von Journelle (bei uns bekannt als „Supermann“)

yoga9

  • Die Position startet im Stehen
  • Über den Kniefall (vgl. Position 2) gelangt man in die Liegeposition auf dem Bauch
  • Hände sind weit nach vorn gestreckt
  • Die Beine liegen gerade
  • Es ist möglich, sehr lange und lediglich wimmernd in dieser Position zu verharren und sich so zu positionieren, dass Passaten über den Yogaisten steigen müssen
  • Eine Variante ist das Schlagen mit den Beinen und/oder das Trommeln mit den Händen, dann handelt es sich um den “Stachelrochen”.

Ein unschuldiger Stinker

An verschiedenen Stellen echauffierte ich mich bereits über den stinkenden Mob in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Dass man aber auch ganz unschuldig stinken kann wie ein inkontinenter Löwe, das habe ich erst kürzlich gelernt.
Da stand ich nämlich nach widerlichem Pipi stinkend zwischen den Menschen und ersehnte mir ein Handtuch, welches mich über meinen Kopf liegend verschwinden lassen könnte.
Dabei hatte ich nichts unrechtes getan. Sogar geduscht war ich.
Das zugrundeliegende Problem lässt sich leicht in ein Wort fassen, welches da KIND lautet.
Just jenes Kind hatte ich nämlich gerade in den Kindergarten gebracht. Die letzten Meter war es fröhlich über einen harmlos aussehenden Sandhaufen geklettert, der zum Erstaunen des Kindes am Vortag noch nicht da gewesen war.
Das Kind erklomm also den Berg, rutschte ihn wieder herab und lies sich dann von mir seine Füße in meinem Schritt baumelnd  über die Straße tragen.
An den Sohlen befand sich, mir bis dato verborgen eine hündische Pipiduftmarke. Just jene strich das Kind also zwischen meinen Beinen ab, bevor es mich wieder in die Welt entlies.
All das konnte ich bestialisch stinkend in der U-Bahn rekonstruieren, während ich zwischen den sitzenden Menschen stand und mich in Grund und Boden schämte.
In der Arbeit angekommen, beschloss ich umgehend meine Hose in der pipibefleckten Zone zu reinigen. Ich rieb also mit Papierhandtüchern die Hose ab, seifte sie ein und rieb und rieb und rubbelte, bis ich nichts mehr von der Urinmarke riechen konnte.
Leider sah es nun aus, als sei meine Blase versehentlich geplatzt.
Da Würde eine Geisteshaltung ist, beschloss ich, mein unmögliches Aussehen zu ignorieren und mich, als sei nichts passiert an meinen Platz zu setzen und zu arbeiten.
Das Höschen wollte und wollte hingegen nicht trocknen. Mir blieb also nichts anderes als meinen Schoss mit Papiertüchern von innen zu befüllen – was mich freilich nicht besser aussehen lies.
Nur drei Stunden später war alles getrocknet und ich war auch keine olfaktorische Beleidigung mehr. Fortan werde ich stinkenden Menschen in der U-Bahn nur Gutes unterstellen.

Tatookid

Hunderte von Büchern wurden zum Thema Motivation geschrieben. Psychologen behaupten gerne, es gäbe keine extrinsische Motivation. Gemäßigtere Meinungen postulieren, dass externe Verstärker zumindest die intrinsische Motivation verderben. Doch Tatsache ist, für einen Stempel tut das Kleinkind ALLES.

Es begann feindosiert im Kindergarten. Einmal ins Klo pullern = ein Stempel.
Das Kind war in vier Tagen windelfrei und soff Wasser wie ein Kamel. Macht 17 Stempel fürs Pinkeln am Tag.
Auf eine lange Tradition der Aufräumverweigerung beim Erstgeborenen zurück blickend, dachten wir so ein Stempelchen würde auch hier seine Wirkung nicht verfehlen. Und tatsächlich: Kind 2.0 räumte regelmäßig auf. Es entwickelte eine wahrhafte Aufräummanie. War ein Gegenstand nur um einen Millimeter von der Soll-Position verrückt, er wurde aufgeräumt. Schreiend verlangte das Kind Stempel um Stempel. Allein dafür kamen weitere 9 Stempel täglich hinzu.
Man muss nun sehen, dass so ein alfgroßes Wesen doch recht bald an Kapazitätsgrenzen kommt, was das freie Hautflächen zur Verfügung stellen angeht. Bald waren 80% des Körpers bestempelt. Nur Hände, Füße und der Kopf boten Freiflächen.
Dann verlangte das Kind weitere Stempel fürs Durchschlafen. Da wir bereits 765 Tage darauf warteten, stempelten wir schweren Herzens das Gesicht.
Gesellschaftlich kommt es nicht sooo gut rüber ein ganzkörpergestempeltes Kind zu haben – doch was soll man tun? Dafür sparen wir Windeln, schlafen durch und es ist picobello aufgeräumt.