„Schmusen“

Ich verband mit dem Wort „Schmusen“ immer eine Gewisse Zärtlichkeit. Stimmt ja auch, wenn man das Wort nachschlägt, steht da „sich zärtlich berühren“. Auch die Synonyme lassen auf einen sanften Kontext schließen: kraulen; liebkosen; kuscheln; tätscheln; ei, ei machen (umgangssprachlich); streicheln; schmiegen; herzen.

2006 änderte sich meine Vorstellung von schmusen schlagartig. (Haha! Schlagartig passt so gut in diesem Zusammenhang!)

2006 lernte ich nämlich das damals fast dreijährige Kind 1.0 kennen. Schmusen wurde zu irgendwas mit Knien.

Wenn ein Kleinkind (im Grunde zieht sich das bis ins Grundschulalter) „schmusen“ möchte, zieht sich mein Körper instinktiv zusammen. Kinn an die Brust, Bauchmuskeln anspannen, der Körper bildet ein C. Arme schützend überkreuzen, am besten einrollen, Augen zur Sicherheit schließen, totstellen. Nach einigen Jahren mit Kindern, kann nicht mehr anders. Es ist ein Reflex geworden. Auch wenn meine Vorstellung nach wie vor unerschütterlich romantisch ist. Ich falle nämlich immer wieder auf den Schmusewunsch der Kinder rein.

Vielleicht bin ich nur ein bedauerlicher Einzelfall – aber bei meinen kleinen Kindern bedeutet schmusen in der Regel mit den Knien voraus auf einen springen. Das ist nicht unbedingt angenehm. 20 kg (+) beschleunigte Masse mit zwei spitzen Knien voraus. LKW-Fahrer, die sich mit dem Thema „Ladung angemessen sichern“ beschäftigen, werden die zu erwartenden Schmerzen sogar exakt ausrechnen können.

Ich hab leider in Physik nicht so gut aufgepasst, sonst könnte ich es nachrechnen, aber meine Recherchen ergaben: Ein 40kg schwerer Hund, der mit 50 km/h auf einen draufspringt, entwickelt eine kinetische Energie von 3,8 Tonnen. Kann man das einfach halbieren, wenn das Kind 20 kg wiegt? Und äh nur mit 10 km/h auf einen springt?

Im Grunde ist die physikalische Korrektheit an dieser Stelle auch völlig egal. Ob nun eine halbe Tonne oder eine ganze… es tut furchtbar weh. Je nach Größe des schmusebereiten Kindes und nach Geschlecht des Zubeschmusten sogar noch mehr. Ich habe in einem komplizierten Verfahren errechnet, dass das Maximum an Schmerz erreicht wird, wenn ein ca. 1,05 m großes Kind auf einen ca. 1,80 m großen, aufrecht stehenden Mann springt.

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Neben dem Besprungenwerden kennen Kleinkinder auch andere Schmusevarianten. Eine unter der ich immer wieder leide, ist die Beschmusung von unten mit dem beschleunigten Kinderkopf an das eigene Kinn.*

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Eher harmlos ist die Bekletterung im liegenden Stadium, in der das gesamte Kindesgewicht auf die Füße oder ebenfalls Knie konzentriert wird.

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Als schmusebereite Eltern durchläuft man verschiedene Phasen der Beschmusung. Unerfahrenen Eltern empfehle ich deswegen Phase I besonders intensiv zu genießen. Die Phase kommt nie wieder.

Phase 1: passives Schmusen I; Kindesalter unter 2 Jahre, Gewicht unter 20kg; das noch relativ unbewegliche Kind kann nach belieben geherzt werden.

Phase 2: aktives Schmusen I, Kindesalter über 2 Jahre, Gewicht über 20kg; die Eltern sind noch ahnungslos und empfangen die Kinder mit offenen Armen.

Phase 3: aktives Schmusen II, Kindesalter unter 7 Jahre, Gewicht unter 40kg; die Eltern haben eine Reihe sehr eindringlicher Schmuseerfahrungen gemacht und reagieren wie Gürteltiere in Gefahr, wenn das Kind schmusen möchte.

Phase 4: passives Schmusen II, Kindesalter über 7 Jahre, Gewicht über 40kg; das Kind möchte (zumindest öffentlich) nicht mehr geherzt werden (Tut den Eltern nur im Herzen weh, äußerlich keinerlei Schmerzen).

Übrigens gibt die etymologische Herkunft des Wortes werdenden Eltern eigentlich schon ausreichend Hinweise. Schmusen kommt tatsächlich von „Schmus“ – schmues – Gerüchte. Es ist nämlich nur gerüchteweise schön mit Kleinkindern zu schmusen. Das weiß man dann jedes Wochenende morgens im Bett, wenn die Kinder um 6.20 Uhr schmusen kommen. Je mehr, desto schmerzlicher.


 

*In billigen Liebesromanen soll frau angeblich in totaler Ekstase  Glocken läuten hören. Leider ist mir das noch nie widerfahren. Sehr wohl habe ich in diesem völlig unsexuellen Schmuseszenario schon öfter Sterne gesehen. Das nur am Rande.

133 Gedanken zu „„Schmusen““

  1. Pingback: marmeladenschuh
  2. Aginor sagt:

    Selbst bei Babies muss man zuweilen aufpassen, manche von denen verteilen Kopfnüsse!

    Ging mir selber so. Man hat das kleine Menschlein – kleiner als die gemeine Hauskatze – auf dem Arm, es betrachtet einen neugierig, fokussiert einen mit seinen Kulleraugen, und plötzlich BUMM – Volltreffer mit der Stirn auf den Riechkolben des Erwachsenen. Das Kind schien davon nicht besonders betroffen zu sein, schmiegt sich danach an den Elternteil an.

    Hach, die Freude an kleinen Menschen lässt beinahe den Schmerz vergessen den das Schmusen zuweilen bereitet. :)

  3. Elsa L'Vadore sagt:

    „Mama, fang mich auf!“ rufen, während 5yo schon irgendwo runterspringt – natürlich mit den Knien voraus. Oder das spitze Kinn schmusenderweise irgendwohin bohren. Kampfkuscheln trifft es wirklich gut.

  4. die E. sagt:

    Steht zwar nicht im Duden, aber das Wort dafür heißt bei uns: KAMPFKUSCHELN

  5. Lisa sagt:

    Mein Lieblingsmove ist Ellbogen auf Brust zum Hochstemmen <3

  6. Thomas sagt:

    Na ja, dass sich „herzlich“ und „schmerzlich“ reimen, kann eigentlich auch kein Zufall sein. Die kinetische Energie dürfte übrigens ja umso größer sein, je kleiner der Punkt des Auftreffens ist. Daher können bspw. Shaolin-Mönche (und andere Leute mit etwas Übung) federleichte Nadeln durch Glasscheiben werfen.

  7. Pingback: Tanja Fründ
  8. christine sagt:

    Schmusen = gebrochen Nase der Mutter

  9. Tiffy Eff sagt:

    Schön ist auch Kopf/Stirn an Nasenbein! ??

  10. Mama 2.0 sagt:

    Großartig! Kann ich genau so bestätigen!

  11. So was von genau beschrieben…

  12. Ok, dann geniesse ich es, von dem 10 Monate Knopf mit der Rotznase im Gesicht gestempelt zu werden, wenn er kuschelt :)

  13. jennifer-heart sagt:

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    Genau!
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  14. Uwe sagt:

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    Made my day
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  15. Thankmar sagt:

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    Genau!
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  16. heibie sagt:

    Als Vater entwickelt man recht schnell aus dem Fußball bekannte Schutzmechanismen.

    Bei uns ausserdem sehr beliebt: Der Kitzelalarm. Dazu vielleicht mal späte mehr.

  17. Philipp sagt:

    Ich hab in Physik auch nicht so doll aufgepasst, kann Ihnen aber sagen, dass ein Hund, egal wie schwer er ist und wie schnell er läuft, so gut wie nie eine kinetische Energie von 3,8 Tonnen entwickeln kann. Die einzige Möglichkeit, dass dieser Fall eintritt, besteht dann, wenn die Distanz zwischen Ihnen und dem Hund exakt 45 Watt beträgt.

    1. dasnuf sagt:

      Ich hab nur abgeschrieben, was unter dem Link steht (fand die Rechenbeispiele alleine schon sehr lustig).

    2. goldammer sagt:

      tschuldigung, da möchte mein physikerinnenherz mal was klar stellen: die kinetische energie ist proportional zur masse und zum quadrat der geschwindigkeit. da das kind halb so viel wie der hund wiegt, hätte es bei gleicher geschwindigkeit also die halbe kinetische energie. wenn das kind ein fünftel so langsam ist wie der hund, hat es bei gleicher masse ein fünfundzwanzigstel der kinetischen energie (da das quadrat von einem fünftel ein fünfundzwanzigstel ist). bei halber masse und einem fünftel der geschwindigkeit wie im nufschen beispiel ist also die kinetische energie des kindes um ein fünfzigstel (ein halb mal ein fünfundzwanzigstel) kleiner als die des hundes.

      übrigens erreicht das kind einen größeren schaden, wenn es mit einer geschwindigkeit von oben auf einen liegenden körper auftrifft als wenn es mit derselben geschwindigkeit frontal auf einen stehenden körper zu rennt. das liegt daran, dass es von oben kommend zusätzlich zur kinetischen energie potentielle energie abzugeben hat, also in der lage ist, die gravitation zur beschmusung zu nutzen.

      1. frater mosses zu lobdenberg sagt:

        Wir haben offenbar das Jahr der Gravitation. Erst Gravitationswellen, dann Gravitationsbeschmusung … was kommt jetzt?

      2. dasnuf sagt:

        Liebe Goldammer,
        vielen Dank! Für sowas unter anderem, liebe ich das Bloggen. Das ist schon fast ein „What if“ und ich habe gelernt, warum es so weh tut liegend im Bett beklettert zu werden.
        <3

  18. Meine schmerzhafteste Erfahrung mit Kindern bisher: Ich hatte mal ein etwa dreijähriges Kind auf dem Schoß und dabei wurde mir — ich muss es annehmen, ich bin kein Arzt — in einer sensiblen Region irgendwas abgeklemmt. Das habe ich aber erst bemerkt, nachdem das Kind wieder von mir runtergeklettert war. Sofort kam wirklich üble Schmerzen, die mir sogar das Atmen schwer gemacht haben.

    Und dabei war das noch nicht mal mein Kind. Ich bin eindeutig zu nett!

  19. @dasnuf Der andere ist jedenfalls noch immer (Ü7) ein zärtlicher Schmuser; aber nur mit mir. Dafür ständig. Auch öffentlich. #Ödipus

  20. @dasnuf Ich habe einen Herrn Rund u einen Herrn Eckig. Was du schreibst, trifft exakt auf einen der beiden zu. Rate auf welchen…

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