Die Hackfleischbesprechungen, Teil 11, Schweden

Hackschweden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine freundliche Leserin hat mir eine Hackfleischabbildung aus Schweden zugeschickt. Schon auf den ersten Blick springt die Andersartigkeit der Inszenierung ins Auge. Diversität ist hier das Stichwort. Wenn in Deutschland Hackfleisch gerne als einheitliches Gemenge in Szene gesetzt wird, bestenfalls mit ein wenig Grünzeug aufgepeppt, so ist auf der schwedischen Darstellung völlig klar: Hackfleisch kommt auf viele Arten in unser Leben. Sorgfältig verpackt, frei und doch in kompakter Form, zerteilt im Verhältnis des goldenen Schnittes oder gar als Hackbällchen – Köttbullar, wer kennt sie nicht… Symbol der schwedischen Seele.

Das Foto gibt jeder Hackfleischform seinen Platz, seine Existenzberechtigung im Leben.

Auch die Dekoration weicht stark von den deutschen Sehgewohnheiten ab. Dekoriert ist das Hack mit 3 Stangen glatter Petersilie, ein wenig frisch gemahlenem Pfeffer, einer dunklen Pfeffermühle, einem abgerundeten aber robusten Messer und einer Zwiebel, teils gewürfelt, teils halbiert. Auch hier lohnt ein zweiter Blick. Die Zwiebel – genauer gesagt – die anderthalb Zwiebeln sind einmal quer und einmal längs geteilt. Das intakte Wurzelende zerfällt in viele feine Würfel.

Jetzt könnte man sagen: typisch schwedisch und man hätte sogar Recht. Es geht um die ausgeglichene Darstellung aller Hackfleischelemente. Für alles ist Platz: für alle Formen, für Gewürze UND Kräuter, kein entweder oder, kein „nein, das bringen wir nicht auch noch unter“. Es wird einfach Platz gemacht. Die Vielfalt wird selbstbewusst in Szene gesetzt.

In Deutschland will man von alle dem nichts wissen. Die Hackfleischinszenierungen sind alle mehr oder weniger gleich. Das Hack als kompakter Klumpen immer im Vordergrund, keine Lockerheit, keine Offenheit, Hack ist Hack und nur so! So ist es schon immer gewesen, so soll es für immer sein.

Ganz anders die lockeren Schweden.

Und das nicht ohne sozialkritisch zu sein. Natürlich gibt es eine Aufteilung von arm und reich. Reich, symbolisiert durch den kleinen, weißen Zwiebelanteil am oberen linken Rand des Bildes. Der Rest, die Peripherie, arm. Eine Anspielung auf die Wohnverhältnisse in der Hauptstadt, in Stockholm. Die Stockholmer Innenstadt ist für geringere Gehaltsklassen unerschwinglich. Stockholm hat die Armut, seine Geringverdiener und Immigranten erfolgreich in der Peripherie untergebracht. Die Innenstadt ist weiß (die Zwiebel!), wohlhabend, sauber und ordentlich. Eine quasi segregierte Stadt (Quelle).

Wem das zu feingeistig ist – das Messer zeigt es nochmal etwas plumper. Schweden ist trotz all seiner Schönheit ein geteiltes Land. Reich und arm. Reich der kleinere, abgetrennte, zwiebelnahe Teil. Arm der größere Teil. Wir erinnern uns an die Statistik: Jedes 3. Kind in Malmö lebt in Armut. Das Bild ruft uns das schmerzhaft in Erinnerung.


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Die Hackfleischbesprechungen, Teil 10

Ihr habt nur sieben Jahre gewartet. Jetzt ist er da, der 10. Teil der #Hackfleischbesprechungen. Ihr erinnert euch?

Es gibt viele missachtete Kunstformen. Einer möchte ich in meinem Blog angemessen huldigen: Fotos von Hackfleisch in Werbeprospekten. 2008 habe ich mit dieser Serie angefangen, aber dann gingen mir die Darstellungen von Hackfleisch in Werbeprospekten aus. Ich hatte alles gedeutet, was es zu deuten gab. Jahrelang wurde Hackfleisch nicht neu inszeniert. Jetzt endlich fiel mir neues Material in die Hand. Sehr interessant und aufschlussreich der Vergleich 2008 zu heute:

Wir beginnen mit

Teil 10

REICHELT, „Premios“ Hackfleisch gemischt, zum Braten, SB verpackt

Die Supermarktkette Reichelt präsentiert das Hackfleisch auf den ersten Blick etwas chaotisch. Rind und Schwein gemischt, frisch aus dem Fleischwolf, etwas in Form gebracht, sieben Stängel Schnittlauch scheinbar zufällig auf der oberen Seite des Hackfleischquaders fallen gelassen. Erst wenn man näher an das Bild heranrückt, sieht man ganz rechts im Bild einige in Würfel geschnittene Zwiebeln. Sie fallen kaum auf. Was aber auffällt, statt der gewöhnlichen Weißzwiebel hat man sich für die mildere, rote Variante entschieden. Ganz vorne im Bild ein einziges Minzblättchen. Zweifelsohne eine leise Referenz zu dem Fressgelage von Monty Pythons „The Meaning of Life“ (Triggerwarnung für den Link). Eine 500 Gramm Packung, so wird angedeutet, die ist so gerade noch alleine zu verspeisen. Mehr sollte es nicht werden, wenn man nicht wie der werte Herr in „The Meaning of Life“ enden möchte.

Und da kommen wir schon zum Clou der Hackfleischinszenierung! Bei der Betrachtung des Bildes entsteht im Inneren eine leichte Spannung und man weiß sie erst zu deuten, wenn man den Blick nach links oben lenkt. Fast unbemerkt wird dort der ehemals freie, etwas unsortierte Hackfleischquader, der das Hauptelement des Bildes zu sein scheint, in einer Plastikverpackung gebändigt – ja regelrecht eingesperrt. Hat sich der Blick erstmal festgesetzt am oberen SB verpackten Premios-Produkt, so möchte man wild werden. Die Verpackung von Hand aufreißen, das Hack befreien. Und kaum hat man diesen Gedanken angedacht, so spürt man regelrecht das Hack zwischen den Fingern. Weich, frei, zügellos und deutlich kälter als die eigene Hand, ganz so, wie wenn man Frikadellen knetet. Das befreite Hack möchte man wieder ablegen, so wie den ursprünglichen Hackquader. Friedlich auf eine zugegebenermaßen nicht ganz so hygienisch erscheinende Holzplatte, länglich, nach hinten unscharf verwischt, scheinbar ins Unendliche reichend.

Man muss schon sehr genau hinschauen, um zu verstehen was der Künstler hier zum Ausdruck bringen möchte. Das Minzblättchen weist die Spur. Der biblisch geschulte Blick weiß sofort: es geht um Völlerei! Es geht um die sechste der sieben Todsünden. Der rote Preis des Pfundes bestätigt das. Zwei Mal 2,99, das sind aufgerundet sechs (!) Euro. Und ist das erstmal klar, so ergibt auch der Schnittlauchbund plötzlich einen Sinn. Auch er weist den Weg mahnend gen Todsünden. Sieben Stängel! Sieben Todsünden! Grün und unschuldig erinnert der Kräuterbund: Mäßigt euch! Werdet Herr über euer ungezügeltes Leben! Bringt alles in Ordnung, grenzt euch ab gegenüber der Maßlosigkeit, bleibt dennoch transparent. Werdet einer SB Verpackung gleich! Widersteht dem Drang aus dieser züchtigen Form auszubrechen und euch wird am Ende die Unendlichkeit, die Freiheit zuteil.



 

Wenn ihr weitere Hackfleischinszenierungen kennt, sendet mir per Mail ein Foto an dienuf(@)gmail.com unter Angabe der Quelle und ich werde die tiefere Bedeutung des Bildes ergründen.

Die Hackfleischbesprechungen, Teil 9

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Kaufland, Hackepeter fettreduziert

Der Fooddesigner von Kaufland beschreitet einen gänzlich unkonventionellen Weg und inszeniert das gemischte Hack in zwei Erscheinungsformen. Ein großes Rechteck und ein kleinerer Kreis aus Hackepeter auf einem Schneidebrett mit abgerundeten Ecken.
Das Rechteck ist schmucklos aber formstabil wohingegen der Fleischkreis mit Paprika, Petersilie, Pfefferkörnern, Salat UND Minipaprikaschote verziert ist.
Schnell springt ins Auge dass es sich um ein ganz aktuelles Thema handelt: Eltern und Kinder in der Postmoderne.
Der Nachwuchs rechts ist räumlich getrennt, gar ohne Verbindung zu den Eltern links. Wer hier urteilt die Eltern seien herzlos, urteilt vorschnell. Selbst spartanisch und schmucklos, überlassen sie alle Dekorationen dem Kind und lassen es im Überfluss leben.
Das Kind jedoch wünscht sich nicht Paprika, noch Salatblätter oder Zwiebelstücke. Nein, einzig und allein Liebe, Wärme und Nähe hätte es gern. Doch die Eltern, in seltsam entnaturierten Traditionen erwachsen, halten jeglichen Kontakt für gefahrvoll. Schnell könnte das Kind sich daran gewöhnen und danach fordern, verzogen und gesellschaftsunfähig werden. Das wollen die Eltern um jeden Preis vermeiden.
So hält das Fleischeck starr seine Form und damit im übertragenen Sinn seinen hölzernen Erziehungsansichten – im Glauben dem Kind nur Gutes zu tun.
Traurig stimmt das Bild den Betrachter. Innerlich will man schreien: Fleischrechteck nimm Deinen kleinen Fleischknödel in Dich auf und bilde eine Einheit.
Doch das Foto gibt dem Wunsch nicht nach.

Die Hackfleischbesprechungen, Teil 8

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REAL, Schweine-Gehacktes

Die heutige Hackfleischdarstellung geht das dargestellte Thema erstaunlich offensiv an. Ein ganzes Kilo ungeordnetes Schweinemuskelfleisch auf einem modernen, eckigen Keramikteller. Garniert mit deutscher und japanischer Riesenkresse sowie einem einzelnen Schnittlauchhalm.
Traditionelles Haschee mit exotischen Kräutern als leise Mahnung an die westliche Industriegesellschaft nicht weiter den hanebüchenen Weg der kapitalistischen Marktwirtschaft zu gehen, sondern sich trotz aller Modernisierungsmaßnahmen auf die eignen Traditionen und Kernkompetenzen zu besinnen.
Der Fleischberg als beinahe schmerzhafte Spiegelung der amerikanischen Finanzkrise. Als Zusammenbruch aller abendländischen Prinzipien der Volkswirtschaft.
Hätte man den Hackhaufen von links vorne betrachtet, so wäre die Zerrüttetheit des Fleisches gar nicht aufgefallen. Erst wenn man hinter die Kulissen schaut, wird offenbar auf welch wackelig, zerbröselnden Mechanismen Kreditwesen und Immobilienmärkte stehen.
Erkennt die Wahrheit, schaut hinter die Offensichtlichkeiten!, so scheint es, will der Hackfleischfotograf und Inszenierer den Werbungsrezipienten beschwören.

Die Hackfleischbesprechungen, Teil 7

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PLUS, First Fresh Hackepeter

Fünfhundert Gramm ungewürztes Schweinefleisch vom Fleischwolf direkt auf das weiße Tablett serviert. Schmucklos der Gesamtrahmen. Demgegenüber besonders liebevoll garniert das Hack: drei gelbe Paprikastreifen, drei unterschiedlich große Zwiebelringe und sechs Blätter Zitronenmelisse schmücken den oberen rechten Rand.
Damit begnügt sich PLUS jedoch nicht.
Als Ausblick auf die reale Kaufsituation ein weiteres Pfund Schweinehack, frisch abgepackt und abholbereit im oberen Bildviertel.
Wie in den vorangehenden Bildbesprechungen liegt der Schlüssel zum Verständnis der heutigen Hackfleischinszenierung im Detail – im Paprikastreifen nämlich. Etymologisch kommt der Begriff Paprika aus dem Kroatischen und bedeutet ‚die, die scharf ist’.
Hat der Bildbetrachter diesen Hinweis erst einmal verstanden, so ist es nicht weit zum Schluss dass PLUS hier ein Vorher-Nachher-Szenario darstellt und somit leicht verschmitzt auf das westliche Frauenideal anspielt.
‚Die, die scharf ist’ – die Frau also – ist in der heimischen Styroporschale wild verwurstelt und emotional bewegt. Doch kaum tritt die Frau ans Tageslicht, nimmt sie eine geordnete, angepasste Form an und passt in jede sinnbildliche EU-Verpackungsnorm.
Die Gesellschaft verlangt ein nach außen hin gebändigtes Weibchen, welches nur in den eigenen vier Wänden das wahre Gesicht zeigen darf. Ein weiterer schlangenzüngiger Dualismus der durch eine schnöde Hackfleischwerbung zur Schau gestellt wird.

Die Hackfleischbesprechungen, Teil 6

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Kaufland, 500 Gramm Hackfleisch fettreduziert
Kaufland präsentiert ein Pfund gemischtes Hackfleisch auf einem Styroporschälchen mit abgerundeten Ecken. Garniert ist der Fleischkorpus durch Zwiebelringe und Petersilie. Im Hintergrund verstreute Pfefferkörner. Das Schälchen gebettet im schutzbietenden Schoß einer gewellten Tischdecke.
Bronzene, silberne und goldene Medaillen garantieren für Qualität. Die Bestimmung ist festgelegt. Zum Braten wurde das Muskelfleisch durch den Fleischwolf gejagt.
Fettreduziert ist es, der Seele beraubt. Der Quader vermittelt nach außen eine geschlossene Form. Doch in sich ist er wirr und formlos.
So spiegelt das Hack unsere zerrüttete Jugend wieder.
Rein, wie die Zwiebel welche als weißblühendes Liliengewächs an die Muttermilch die aus Heras Brust tropfte erinnern soll, von welcher der junge Herkules der Sage nach trank.
Gleichzeitig verderblich wie Hack, dessen Zellmembranen durch den Fleischwolf gejagt wurden und deswegen zerplatzt sind.
Jedes einzelne Hackfleischwürstchen verwirrt, vor Qualen gewunden, haltlos. Als Masse jedoch ineinander verhangen – als fleischliche Marginalerscheinung eine gesellschaftliche Gesamterscheinung.

Die Hackfleischbesprechungen, Teil 5

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LIDL, frisches Hackfleisch aus Schweine- und Rindfleisch
Die Botschaft des heutigen Hackfleischbildes ist nicht leicht zu entschlüsseln.
Ungeformt, nicht geknetet und ungeschmückt liegt eine ausgeschütettete 500-Gramm-Pakung gemischtes Hackfleisch auf einem gefleckten Brett.
Nur der aufmerksame Beobachter entdeckt ein aufgeschlagenes Ei am Rande der Darstellung.
Vielleicht ein Ausblick auf die Zukunft als Frikadelle?
Tatsächlich liegt die tiefe Botschaft heute in den Zahlen!
Die Differenz zwischen 1,95 und 1,69 beträgt 27 Cent, was keinesfalls 13 sondern 13,8 also beinahe 14% ausmacht.
Die unvermeindliche Frage lautet daher: Warum wird hier nicht stolz -14% ausgerufen?
Laut hätten die Pytagoräer über diese banale Frage gelacht, waren sie doch die Hüter sämtlicher Geheimnisse der bis heute streng gehüteten Aussagen der Zahlenmagie.

AJS = 1
BKT = 2
CLU = 3
DMV = 4
ENW = 5
FOX = 6
GPY = 7
HQZ = 8
IR = 9

HACKFLEISCH

8+1+3+2+6+3+5+9+1+3+8 = 49

Quersumme 13

Kann das ein Zufall sein?

1+3=4

Die Vier steht für Qualität und Frische, wohingegen die fünf (1+4) Verderben und Tod repräsentiert.
Völlig klar also, dass LIDL 13% postuliert!

Die Hackfleischbesprechungen, Teil 4

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Kaisers, 100 Gramm Gehacktes vom Schwein
Kaisers präsentiert das Schweinehack verstörend anders, indem auf die Hinzunahme von Zwiebeln gänzlich verzichtet wird.
Präsentiert wird ein gut durchgekneteter Batzen Hack auf einem glänzenden, weißen Teller, dessen tatsächliche Form nicht auszumachen ist.
Der Batzen ist frisch angeschnitten und mutet wie ein Laib Brot an. Die obligatorische Petersilie ist im Gegensatz zu den vorangehenden Darstellungen ein Trockengewürz, welches in der Präsentation an eine Linzer Torte erinnert.
Und genau da liegt die Crux begraben!
Schon beim Anblick des Fleischmassivs, welches sehr kompakt dargestellt wird, drängen sich Worte wie „Menge“, „Haufen“ und „Masse“ auf.
Die kleinen Fettstückchen wirken haltlos verloren. Anonym liegen sie in der Masse des pürierten Fleischs und fristen ihr tristes, zwiebelloses Dasein. Sie leben das Leben des anonymen Großstadtmenschen, der seinen Weg ohne sinnstiftende Struktur, fernab jeden lebendigen Petersiliebüschels leben muss. Das Muster der Linzer Torte spielt auf den EInfluss der voestalpine AG-Stahlwerke an – Linzens größter Arbeitgeber. Segen und Fluch zugleich, verspricht er Brot und macht Linz gleichzeitig zu einer staubigen Großstadt der traurigen Menschen.
Trostlos, bejammernswert und öde wird das Individuum der Großstadt, ganz so wie das Fettauge in der formlosen Fleischmasse verschwindet.