Mickey Mouse-Abhängigkeit

Als mein Vater Mickey Mouse süchtig war und was mir das heute sagt.

Anfang der 50er Jahre kam das erste Mickey Mouse Heft auf den Markt. Es dauerte nur wenige Jahre bis Mickey Mouse meinen Vater erreichte, der damals in einer kleinen sizilianischen Stadt lebte. Von seinem Taschengeld kaufte er sich die Comics und die Jungs tauschten sie untereinander. Sie trafen sich und taten nichts anderes als den ganzen Tag in den Comics zu lesen. Sie malten Mickey Mouse, sie erzählten sich selbst ausgedachte Mickey Mouse Geschichten und sie stellten sich vor selbst Mickey Mouse zu sein.

Meine Oma machte sich über dieses Verhalten große Sorgen. Sehr große Sorgen. So große Sorgen, dass sie meinem Vater das Konsumieren von den Heftchen unter Strafandrohung verbot.

Natürlich hörte mein Vater nicht auf damit.

Das heißt, er hörte lange Zeit nicht auf damit. Ich kann dem besorgten Leser aber bestätigen – in der Zwischenzeit ist er runter von dieser gefährlichen Droge „Mickey Mouse“.

Vielleicht mag diese Geschichte ein wenig lustig klingen – aber sie ist (ausnahmsweise) mal wahr und wahr ist auch, dass meine Oma WIRKLICH besorgt war, mein Vater könne verdummen, seine sozialen Kontakte würden sich reduzieren, seine Schulleistung könne absinken, etc.

Heutzutage wäre man froh wenn die Kinder „nur“ Mickey Mouse abhängig wären. Wahrscheinlich würde man für so eine Sucht das Taschengeld erhöhen.

Man ahnt es, ich möchte nochmal auf das Thema Internetsucht hinaus. Ich habe in der Zwischenzeit die viel zitierte Studie nochmal gelesen und auch in andere Studien zum Thema Internetsucht rein geschaut. Da ich keine Wissenschaftlerin bin, kann ich meine Eindrücke nur wie folgt zusammenfassen:

1. Kernaussage der Studie ist: Statt der bislang befürchteten 3,6% sind anscheinend nur 1% der 14 – 64 Jährigen betroffen.

2. Zu“ Internet“ gehören neben Onlinespielen, sozialen Netzwerken auch Internettelefonie, Email schreiben und Unterhaltung (Internetradio, Filme, etc.)

3. Die Skala, welche die Internetsucht misst, ist 5stufig. Es gibt so etwas wie eine Tendenz zur Mitte, d.h. es wird unbewußt gerne die aussagelose Stufe 3= „manchmal“ gewählt. (Mehr zu der Statistik beim DRadio Wissen)

4. Schaut man sich die Veränderungen der Prävalenz nach Alter an, stellt man fest: Je älter, desto weniger Internetsucht (v.a. bei Mädchen bzw. Frauen). Wild spekuliert hat das was mit den sich aufdrängenden Lebensumständen zu tun (Job, Kinder, Haushalt, etc.).

Kurz gesagt: Ich halte die Zahlen für übertrieben und die öffentlichen Reaktionen darauf für albern. Wie in so vielen Fällen gilt:

Panik, Verbote und Sperrungen helfen nicht. Im Gegenteil. Man sollte sich als Eltern, Lehrer, Mensch intensiv mit dem Thema Internet auseinandersetzen, um die Thematik überhaupt beurteilen zu können und als nächstes sollte man sich der tatsächlichen Gefahren bewusst werden (z.B. Umgang mit den persönlichen Daten im Netz). Dann sollte man seine Kinder altersgemäß an das Thema heran führen und ihnen dann Vertrauen schenken. Das ist besonders wichtig, denn wenn es wirklich mal Probleme geben sollte („Cybermobbing“), dann sollten die Kinder Ansprechpartner haben, an die sie sich wenden können. Verbietet man, schiebt man die Kinder weg von sich und wie sollen sie sich Hilfe holen, wenn sie nicht mal sagen können, was aktuell vorliegt – eben weil allein schon das im Internet sein ein Verbot bricht…

Abschließend kann man sagen, es gibt bestimmt Fälle von suchtähnlichem Verhalten, die man ernst nehmen sollte und denen man Hilfe angedeihen lassen sollte – aber man sollte wirklich mal prüfen an welchen Stellen das der Fall ist. Für mich, wie bereits gesagt, gibt es einen Unterschied von Sucht und Abhängigkeit.

Wenn ich keine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr und kein Auto habe, bin ich abhängig von meinem Fahrrad und fahre durchaus viel. Zu den täglichen Fahrzeiten (im Moment über den Tag verteilt gut zwei Stunden), kommen die Zeiten die ich mit Reparatur etc. verbringe. Dennoch: Ich bin nicht Fahrradfahrsüchtig.

Sucht umfasst neben (durchaus exzessivem) Gebrauch immer soziale, psychische und/oder leistungsmäßige Beeinträchtigungen.

Außerdem ist es langsam an der Zeit zu verstehen, dass das Internet einen gesellschaftsstrukturellen Wandel eingeläutet hat. Peitsche für jeden der das Wort „neue Medien“ benutzt. Neue Medien sind langsam kalter Kaffee. Wer mehr darüber wissen will, liest und schaut ein bisschen Gunter Dueck. Internet ist das Betriebssystem unserer Gesellschaft.

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Lesetipp: Ein weiterer Artikel zum Thema Panikmache & Internet (via Blog für Kultur)

12 Gedanken zu „Mickey Mouse-Abhängigkeit“

  1. Sebastian sagt:

    Damit nicht der Eindruck entsteht, ich wäre immer nur dagegen:

    volle Zustimmung.

    Bis ich 9 war habe ich nicht ein Buch gelesen. Dann habe ich ein TKKG-Buch bekommen und es 3 Jahre lang liegen gelassen -und mit 12 dann innerhalb eines Jahres knapp 40 Stück dieser blauen Bücher gelesen und dann mit Stephen King angefangen. „ES“ habe ich in Rimini am Strand gelesen während einer Freizeit mit dem Fußballverein – 14 Tage Strand und ich war nicht ein Mal im Wasser, weil ich das Buch nicht weglegen konnte.

    Es kann per se alles zur Sucht führen. Komischerweise ist es vollkommen in der Gesellschaft akzeptiert, dass sich 400.000 Menschen jedes Jahr durch die Folgen von Jahrzehntelangem Alkoholkonsum zu Tode bringen – weil man wenn man blau ist ohne Probleme noch produktiv sein kann. Ich habe mal drei Wochen auf dem Bau gearbeitet mit 16 und durfte den beiden Mitarbeitern aus dem Osten jeden Morgen eine 0,75l-Flasche Jägermeister kaufen. Der Händler hatte nix dagegen – vielleicht träum ich ja bis heute, dass das harter Alkohol war und mir nicht hätte verkauft werden dürfen.

    Fazit: wehe die Sucht hat Auswirkungen auf das Arbeitsleben. Wenn Produktivität verloren geht ist Holland in Not.

  2. TC sagt:

    Ich denke, das zum Thema „Was die Gesellschaft alles als Sucht bezichtigt“ eher schlimm festzustellen, dass es schon immer so war, das die Gesellschaft neuen Dingen sehr unaufgeschlossen gegenüber steht. Beim Computer oder Internet ist es selbstverständlich, dass durch dessen Nutzung Vieles abgelöst und vermehrt genutzt wird. Briefe -> Mails, Fernseher (übrigens in den 80ern viel genutzt von Kindern und Jugendlichen) -> Internetstream, Gesellschaftsspiele -> MMORPGs, Lesen -> Blogs, Onlinezeitungen, PDFs, neue Kontakte finden -> soziale Netzwerke (leichter als wildfremde Menschen, die einem sympathisch erscheinen einfach auf der Straße anzusprechen. Abgesehen davon, dass diese Leute einen dann für merkwürdig oder unheimlich halten würden.) usw.
    Internet ist was Neues, hat vieles Altes abgelöst oder wird jetzt eben für mehrere Bereiche genutzt. Man konnte sich noch nie so schnell Wissen aneignen wie über das Internet, Fragen beantworten lassen oder seiner Persönlichkeit eine Art Ausdruck verleihen (Homepages, Blogs, Facebook)
    Ich als Elternteil hätte lieber einen Jugendlichen zuhause, der viel am PC sitzt, als einen der sich mit der Dorfgemeinschaft zum Saufen an der Bushaltestelle trifft. Das ist nämlich ganz normal und wird in der Öffentlichkeit nicht breit getreten. Schade finde ich es auch, wie im deutschen Sprachgebrauch einfach Wörter wahllos genutzt werden ohne auf dessen wahre Bedeutung zu achten, wie in diesem Fall die Sucht (und das auch noch im Namen der Wissenschaft, die es besser wissen sollte).
    Veränderungen gehen mit dem Menschen einher, auch neue Erfindungen. Die Natur des Menschen Angst genau davor zu haben ist es, die alles schlimmer macht als es in Wirklichkeit ist.

  3. dasnuf sagt:

    @lik™ Das ist ein Zitat von Dueck bzw. Titel seines Vortrags. Du hast also den Vortrag, den ich Dir geschickt habe, nicht angeschaut! Ha!

  4. lik™ sagt:

    Ein Abschluss-Satz wie ein Donnerhall! Danke dafür!

  5. Jeeves sagt:

    Micky Maus? Welch armselige Kindheit.
    Wennschondennschon: Donald & Entenhausen in den Ver- und Visionen von Carl Barks und Frau Fuchs.

  6. bernddasbrot sagt:

    Es ist übrigens so, dass es Disney-Comics erst in Italien gab, dann in Deutschland. Genauer gesagt war Italien überhaupt das erste Land, dass ein Micky-Maus-Heft herausgab, im Dezember 1932 und damit knapp vier Wochen eher, als die Vereinigten Staaten. Das Topolino erscheint seitdem fast ununterbrochen. Ihr Vater war also gar nicht süchtig, das Ganze war zu der Zeit bereits fester Bestandteil der italienischen Kultur.

  7. Nao sagt:

    Ein älterer Herr erzählte mir mal, dass er als Kind / Jugendlicher gerne an Radios herumgeschraubt habe. Seine Eltern waren anscheinend hochgradig besorgt um sein Sozialverhalten und seine Schulnoten angesichts dieses seltsamen Hobbies. ;)

  8. Es sollte angemerkt werden, dass in Deutschland niemals ein „Micky Mouse“-Heft auf den Markt kam.

    Die „Micky Maus“ dagegen erscheint tatsächlich seit 1951. Wobei der Held des Heftes doch von Anfang an Donald Duck war. ;-)

  9. Usul sagt:

    Eine neue Studie hat gezeigt, dass 100% der Menschen vom Luft atmen abhängig sind. Da muss man doch mal was tun!

  10. Petra sagt:

    Aus Erfahrung (nicht mit den eigenen Kindern) möchte ich gern für Eltern anfügen: Es ist WICHTIG, mit den Kindern zu reden. Selbst wenn man dem eigenen Kind FB, Schüler-VZ und andere soziale Netzwerke verbietet – ein Account ist schnell erstellt, auch bei einem Freund / Freundin auf dem PC. Jungs (hier auch mein eigener) haben es raus, Eltern mit Spielen mit der berühmten FSK zu besch…. Das Totschlag-Argument „Der XY darf das auch.“ sollte zunächst mit den anderen Eltern abgeklärt werden. In der Schule versuche ich immer Eltern und Lehrer zu den Eltern-LANs zuchicken.
    http://www.bpb.de/veranstaltungen/5OSRWT,0,ElternLAN_Eine_LANParty_nur_f%FCr_Eltern.html
    Man sollte sich als Erwachsener ein Bild über die Aktivitäten der Kinder und Jugendlichen machen können, wenn sie sich hinter ihren Kinderzimmertüren verbarrikadieren.

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