Aus irgendeinem Grund gehe ich wahnsinnig gerne in Aquarien. Besonders mag ich Heringschwärme. Die glotzen einen durch die große Glasscheibe an, als sei man seltsam. Das ist so ein existentialistisches Erlebnis.
Leider sind Aquarien in den letzten Jahren immer teurer geworden. Als die Zehneuromarke überschritten wurde, beschloss ich, den Besuch von Aquarien von meiner Freizeitbeschäftigungsliste zu streichen. Natürlich wollte ich auf das Erlebnis als solches nicht verzichten und durch Zufall entdeckte ich ein angemessenes Surrogat:
Die Kosmetikabteilung der Galerie Lafayette. Ein Besuch dieser Ansammlung exotischer Wesen ist wirklich sehr zu empfehlen und das Schöne ist, die Kreaturen können ohne störende Gitter, Glasscheiben oder Zäune bewundert werden.
Die Kosmetiketage ist so aufgebaut, dass man leicht einen Rundgang machen kann.
Vom Eingang der Friedrichstraße kommend, sieht man auf der rechten Seite den Shihiseido Beauty Stand. Im Vordergrund stehen die schönen Mädchen aus den Hinterwäldern Mecklenburg-Vorpommerns, daneben die etwas zottigen, aber hellstimmigen Fränkinnen aus den Hochebenen Bayerns. Man folgt dem Wegverlauf bis man bei Dior ankommt. Dort ist die Runde beendet.
Das Gestaltungskonzept setzt dabei bewusst auf sammlerische Artenvielfalt.
Die Stände sind bunt dekoriert und vor ihnen stehen kleine Weibchen mit biegsamen Körpern. Alle Geschöpfe haben gefärbte Haare, was ihren Anblick besonders abwechslungsreich macht. Ihre Haare glitzern wie Plastikhauben im Licht der Neonröhren.
Ihre Gesichter setzen sich von den bunten Haaren deutlich ab, weil sie bleich geschminkt oder gepudert sind. Ihre Lippen erstrahlen in den wundersamsten Farbtönen von Blassrosa über tiefes Karminrot bis Schokoladenbraun. Die bunten Farben sind Warnfarben. Sie sagen: Vorsicht! Ich bin giftig! Die Gifte bewahren jedoch nicht nur vor dem Gefressenwerden, sie schützen die empfindliche Haut auch vor Bakterien und Pilzen.
Man sollte jedoch nicht nur auf die Haartracht acht geben. Denn es sind die Augen, die das Hauptdifferenzierungsmerkmal darstellen. Es gibt grau, blau, grün und schwarz umrandende Augen. Manche Lidstriche sind dezent und andere fingerdick.
Einige Exemplare haben angeklebte Wimpern und andere haben ihre eigenen so dick getuscht, dass ihnen die Anstrengung ins Gesicht geschrieben steht, die es kostet, die schweren, schweren Augen aufzuhalten.
Es ist ein absolut phantastisches Erlebnis. Nichts gegen Aquarien, wo die Fische einen nur stumm anglotzen.
Die Galerie Lafayette bietet mehr! Wenn man näher als einen Meter an die Frauen kommt, die wie Zierfische aussehen, dann beginnen sie zu sprechen. Zur Begrüßung sagen sie
„Hallo_haben_sie_vielleicht_Interesse_an_einem_unserer_wunderbaren_Produkte?“
Heuchelt man Interesse, so greifen sie nach den Schminkutensilien hinter sich und beginnen damit, ihre Handoberflächen zu bemalen. Sie machen bunte Striche aus Lippenstift und finden passende Lidschattenfarben, die sie daneben pinseln.
Wenn man sie anlächelt, sagen sie „Möchten_sie_es_vielleicht_auch_mal_auftragen?“
und wedeln mit Kosmetiktüchern. Wer möchte, kann sich ausgiebig anmalen lassen und die verschiedenen Pröbchenverteilerinnen aus der Nähe erleben.
Vom Füttern außerhalb der Mittagszeiten ist abzusehen. Für die Nahrungsaufnahme stehen spezielle Automaten mit kaloriearmen Rohfaser-Futter zur Verfügung. Dies stellt sicher dass die Schönheitsberaterinnen auch an besucherreichen Tagen nicht überfüttert werden.
Eine Runde vom Startpunkt bis zum Ausgang dauert gut neunzig Minuten. An verregneten Tagen eine ideale Beschäftigung.
Für die olfaktorisch Interessierten empfiehlt es sich, die Zusatzrunde durch die Parfümabteilung zu machen. Denn in der Großkolonie der Wickelschwanzskinke geht es besonders lebhaft zu. Allerdings ist dort ein Sicherheitsabstand von ca. 1,20 Meter zu empfehlen. Sonst wird man eingespüht.
Die zum Verkauf angebotenen Duftstoffe werden bei Gefahr zur Verteidigung eingesetzt. Dringt beispielsweise eine Konkurrentin in das Territorium ein, so machen die Weibchen schnelle Rückwärts- oder Seitwärtsbewegungen, spreizen ihre angeklebten Fingernägel und besprühen den Eindringling.
Diese Abwehrreaktion kann vom geübten Renner provoziert werden, indem er sich nähert, interessiert schaut, und so tut, als wolle er losreden und dann flott zum nächsten Stand läuft.
Wer das gut kann, wird Zeuge eines wunderbaren Spektakels. Die Parfümweibchen laufen daraufhin synchron los und besprühen sich gegenseitig und rümpfen dazu ihre kleinen Näschen. Manche fauchen sich sogar an oder geben schrille Warnlaute von sich.
Da kann ein Aquarium für 11 Euro Eintritt wirklich nicht mithalten!