Sei 609060

609060

Journelle schrieb vor einiger Zeit einen sehr schönen Artikel mit dem Titel „Mehr auf den Leib geschneidet und weniger geschneiderter Leib„, in dem es unter anderem darum ging, dass ein großer Teil der Mode leider nur für idealisierte Körper entworfen und hergestellt wird. Diese Körper kommen in der unidealen Welt so gut wie gar nicht vor. Unter dem Tag 609060 veröffentlichen seit einiger Zeit Menschen Bilder, die sich selbst in der alltäglichen Kleidung zeigen. Ich hab irgendwann auch damit angefangen, weil mir die Aktion sehr gut gefällt. Anne hat die Aktion wohl auch gefallen, wie bei „609060 oder was normale Menschen so anziehen“ nachzulesen.

Natürlich gibt es auch die Gegenposition „#609060 oder: was heißt hier eigentlich “normal”?„, die beklagt, dass die Aktion rein gar nichts verändere.

Zur Zeit habe ich ja Spaß beim Senf dazu geben, deswegen schildere ich mal meine persönliche Sicht.

Zum Begriff der Normalität. Normal ist für mich immer das, was man klassisch unter der Normalverteilungskurve kennt. Eine Glocke mit einem breiten Mittelteil, zu der aber auch beide Extreme gehören. In der Modewelt gibt es diese Glocke nicht. Es gibt eine große Ausbeulung links bei „dünn“ und der Rest weiter rechts ist die Ausnahme. Das gilt jedenfalls für die Darstellung. Das führt dazu, dass ich mich persönlich mit Größe 40/L schon als nicht normal empfinde. Meiner Meinung nach liegt das an dieser Differenz „wie die Menschen eigentlich sind“ zu „wie sie dargestellt werden“. Würden sie anders dargestellt werden, würde ich mich nicht als abnorm empfinden.

Genau diesen Effekt hat nämlich das Betrachten der #609060-Bilder bei mir: Ich finde mich normal. Rational wusste ich schon immer, dass jede andere Einschätzung eher ein Wahrnehmungsproblem ist. Leider leide ich (zumindest innerlich) an einigen der gängigen Frauenklischees (neben „Mein Gott bin ich dick“ auch an „ich seh immer doof auf Fotos aus“). Ich merke aber, wie dieses Gefühl wahrhaft verpufft beim Anblick der vielen 609060-Fotos. Also wirklich das Gefühl/die Überzeugung.

Eng daran gekoppelt ist für mich das aufrichtige Gefühl, dass ich die anderen #609060-Bilder total schön finde – und damit meine ich natürlich nicht die Bilder sondern die Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind. Ich würde auch gerne noch mehr sehen. mehr unterschiedliche. Aller Art!

Auf Twitter kam sinngemäß die Frage auf, warum denn jetzt auch die Konfektionsgröße 36 Frauen mitmachen würden. Aus meiner Sicht machen sie mit, weil sie auch normale Menschen sind und es in dem oben genannten Artikel gar nicht um dünn oder dick sondern um die zwanghafte Prototypisierung ging. Man kann ja Kleidergröße 36 und überlange Beine haben und schon passen die gängigen Hosen nicht mehr. Oder der Busen ist größer als das die Standardgröße 36 vorsieht. Oder die Hüften breiter, die Beine kürzer. Deswegen finde ich es toll, wenn möglichst alle Varianten von Körper/Mensch mitmachen (Männer natürlich auch!). Ich kenne ähnliche Probleme von meinem Mann, der nie Anzüge findet, weil er Größe 46 trägt und sich ständig anhören muss, was er alles essen soll, um endlich mal zuzunehmen. Das ist auf Dauer wahrscheinlich genauso anstrengend und nervig wie die Sprüche, die sich Menschen anhören, die in der Normalverteilungskurve weiter rechts liegen. Deswegen egal welche Kleidergröße – letztendlich geht es doch darum zu zeigen wie schön die Vielfalt ist und wie langweilig die standardisierten und gephotoshoppten Kunstmenschen der bunten Medienwelt sind.

Eine andere Sache ist mir dann beim Betrachten der Bilder aber doch seltsam aufgestoßen. Bei einigen Fotos sind neben dem 609060 Tag auch Tags wie #losingweight in Kombination mit #sounsovielweeksafterbirth zu finden. Das hat mich persönlich doch sehr gewundert, was ich auch kommentiert habe. Daraufhin wurde empört gegenkommentiert, jeder könne doch abnehmen und sein Gewicht reduzieren, wenn er wolle – zumal wenn man sich mit diesem Gewicht unwohl fühle.

Dazu kann ich nur sagen: Bitte! jeder darf tun und lassen was er will und abnehmen und Diät machen gehört dazu. Aber was mir eben nicht gefällt (und so empfand ich diese Kombination), ist dieser Druck nach einer Geburt seine „alte“ Figur zurückzubekommen und das so schnell es geht. Für mich ist das Heidi Klum Promi Quatsch. (Ach fiele mir der tolle Beitrag über den postnatalen Körper und die falschen Priorisierungen wieder in die Hände, ich würde ihn so gerne verlinken). Wenn ein Kind geboren wird, ist es doch nicht wichtig möglichst schnell Kilos los zu werden. Es ist wichtig eine Beziehung aufzubauen. Warum geißeln sich so viele Frauen? Die ersten Monate nach der Geburt sind doch anstrengend genug? Als Argument wurde genannt, man fühle sich eben nicht wohl. Da möchte ich die Frage stellen: Warum? Warum fühlt sich eine Frau nach einer Geburt nicht wohl, weil sie 5?6?7? „überflüssige“ Kilos hat? Ist das wirklich etwas, das von innen heraus kommt? Ich zweifle das an und finde es persönlich nicht schön, wenn das mit #609060 vermischt wird.

Jedenfalls glaube ich sehr wohl, dass es helfen würde, wenn die Zeitungen/Serien/Kinofilme dünne/dicke/große/kleine Menschen zeigen würden und nicht nur die 906090-Exemplare.

 

Update (Weitere Stimmen)

Denkding zu #609060
Anne zu #609060 – Ein Nachtrag zum Normalsein
Dentaku als Kommentar zu #609060
Wortschnittchen zu #609060
Nido Debatte: 60-90-60
Jawl #609060
Anke Gröner zu #609060 oder: Mein Problem mit dem Mem (wichtiger, mir neuer Aspekt mit den „headless fatties“)
Tadellos, himmelblau „Versteh einer die Welt
stoewhase als Kommentar „für mich liest sich der text oben etwas zu destruktiv […]

Und weil es passt:
Vorspeisenplatte „Echte Körper und die Macht von Medienbildern –
ein Beispiel

Linklisteneröffnung

Natürlich habe ich in der Schwangerschaft keine Sackleinen getragen, sondern Unmengen an Geld ausgegeben halbwegs attraktiv zu bleiben. Da mir aufgefallen ist, dass es einige Leserinnen in guter Hoffnung gibt, hier eine Liste von Läden, in denen man glücklich und arm werden kann:

9 Monate Berlin

Formes

Jibboo

Klamutter

Mia Nana

Mother

Punkt und Pünktchen

Sexymama

Dicke Dinger

Ohne Laden gleich bestellen bei Mamarella

Bei den meisten gibt es übrigens auch Still-BHs und praktische Stillmode, die es nicht nur ermöglicht das Baby dezent zu säugen sondern auch den Ex-Schwangerschaftsbauch ansehlich kaschiert.

Es werden folgen: Linkliste zu Baby & Berliner Museen, Linkliste zu arm werden mit schönen Babydesignerklamotten und Linkliste zu Secondhandläden

Ich bin ein Fuß

Als Hochschwangere im Mutterschutz kann man schnell Langeweile bekommen. So entschloss ich mich in der 37. Woche einige Stufen zu übersehen und meinen Fuß wie in einem asiatischen Horrorfilm um 180 Grad zu verdrehen und mir zur Abwechslung mal die chirurgische Abteilung der Notaufnahme anzuschauen.
Dort schilderte ich den Vorfall und man wollte gleich röntgen, was ich mit einer schüchternen Nachfrage, ob man das denn während einer Schwangerschaft so mache, unterbrach. Ach? Schwanger sei ich? Ja, 9. Monat. Große Verwunderung. Ach!
Ja während der letzten Wochen einer Schwangerschaft sei es ganz normal dicke Gelenke und Wasserfüße zu haben. Natürlich schätze ich bei Ärzten einen gewissen Sinn für Normalität jedoch konnte ich es mir nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass das Beschränktsein der Schwellung auf eine Körperseite plus der vorangehende Treppensturz ein gewisser Hinweis auf ein extern verursachte Verletzung sein könnte.
Schulterzuckend wurde mir dann ein Verband angelegt und mir ein Paar Gehhilfen zugewiesen. Mit dem Sport solle ich es jetzt jedoch kürzer treten. Schade, befand ich mich als angehende Monsterbowlingkugel doch gerade auf dem Höhepunkt meiner Vorbereitung für die nächste Leichtathletikmeisterschaft.
Erstaunen beim humorfreien Krankenhauspersonal.
Schön kühlen und dann ab nach Hause, nicht dass das Kind sich jetzt auf den Weg mache. Interessant, bislang bin ich davon ausgegangen, dass ein Krankenhaus ein nicht völlig ungeeigneter Ort sei, wenn es ums Kinderbekommen ging – aber man lernt eben nie aus.
Bei allen Flüchen die man als Elefant auf Krücken der Welt entgegen bringen mag, so bleibt doch festzuhalten, dass dieser Anblick selbst den hartherzigsten Berliner in öffentlichen Verkehrsmitteln dazu bewegt seinen Sitzplatz anzubieten. 

Auffallen um jeden Preis

Wenn man so viel wiegt wie ein grauhäutiges Säugetier, lernt man die Vorzüge der beinahe Schwerelosigkeit schnell schätzen. Die Umgebung der Einrichtungen, die ein solches Leichtgefühl verschaffen hingegen schätzen die Anwesenheit von menschlichen Elefanten jedoch nicht. D.h. ich weiß nicht, wie es ist, wenn man einen dieser Zeltbadeanzüge trägt. Im Bikini wird man mit zunehmenden Bauchumfang angestarrt, als trage man Satans Brut mit sich herum. Dabei ist mir aufgefallen, dass v.a. in sogenannten Wellnessbädern mein Bauch nicht wesentlich kleiner als der der anderen Damen ist. Der einzige Unterschied ist, dass mein Bauch straff ist.
Die Empörung über meinen Anblick missachtend habe ich jedoch jede Chance genutzt ein bisschen schwimmen zu gehen – v.a. dann, wenn es sich um Thermalbäder handelte. Da kann man nämlich kieltreibend durchs Wasser floaten ohne dass einem kalt wird.
Von der Obermaintherme in Bad Staffelstein war ich schwer begeistert. Jede Stunde gibt es hier eine kostenlose Aktivität. Meine Favoriten waren Aquapower und Gesichtsmaske. Aquapower im Kreise der Ü80-Jährigen zu den Smashhits von Mr. President, das ist eine Sache, die man einmal im Leben gemacht haben sollte. Begeistert werfe ich im Takt der Musik Arme und Beine in die Luft, fühle mich wie ein Sportass, schwitze sogar und kann mich kaum davon abhalten laut Coco Jamboo (Yayaya Coco Jamboo yaya yeah, Put me up, put me down, Put my feedback on the ground, Put me up, take my heart and make me happy […]) oder JoJo Action (JoJo Action – satisfaction, Candy apple tree, JoJo Action – satisfaction, JoJo honey bee, Listen JoJo Action, Gimme satisfaction, JoJo come with me) mitzusingen.
Eine Stunde später stehe ich als erste in der Reihe wenn es um die Verteilung der Schlammportion für die französische Heilerde geht. Das erste Mal kam ich zu spät, also musste ich einige Opas und Omas unauffällig vom Beckenrand ins Wasser stoßen um sicherzustellen, dass ich diesmal ausreichend Schlamm zu meiner Hautverschönerung abbekommen würde.
Begeistert schmiere ich mir die Gesichtsmaske auf die Haut und bewundere meinen Anblick im Spiegel. Das Ding aus dem Sumpf hätte sich umgehend in mich verliebt.

Des Sumpfdings Liebe

Mein Gesicht ist erst einheitlich dunkelgrün, doch dann atmen sich die Poren ihren Weg frei und ich werde hellgrün/weiß gesprenkelt. Jede auch nur mikromillimetertiefe Falte sieht nach weiteren fünf Minuten aus wie eine Ackerfurche.
Die Haut brennt, doch als Optimist halte ich das für die verschönernde Energie der Gesichtsmaske. Erst beim Abwaschen stelle ich fest, dass es sich um eine allergische Reaktion handelt. Mein Gesicht ist heiß, rot und geschwollen.
Ich entschließe mich, mir einen kleinen Snack im thermaleigenen Bistro zu gönnen. Vom Außenbeckenbereich konnte ich deutlich lesen: Hier sind sie auch in Badebekleidung herzlich willkommen.
Wunderbar, denke ich, und mache mich meinen Kugelbauch vor mich herschiebend auf den Weg ins Café. Als ich dort endlich ankomme, werde ich von den Anwesenden angestarrt als sei ich nicht das Objekt der Begierde des Dings aus dem Sumpf sondern das Monster selbst.
Alle sind komplett angezogen. Manche tragen sogar Schals und Mützen, nur ich stehe im Bikini mit tomatenrotem Schwellgesicht im Thekenbereich.
„Huhu“ grüße ich freundlich und löse mich in Luft auf.

Sigourney Weaver und ich

Wer Alien I bis III gesehen hat, hat eine ungefähre Vorstellung davon, wie es ist, schwanger zu sein. Letztendlich ist der einzige Unterschied, wie das Alien geboren wird. Während nämlich das garstige Alien aus dem All in einer angemessen kurzen Zeitspanne aus dem Bauch platzt, muss das Menschenbaby in einer mehrtägigen Tortour aktiv aus einem winzigen Loch gepresst werden.
Wichtig ist es deswegen für jede Frau sich die glückerfüllten Momente einer Schwangerschaft vor Augen zu führen. Da wäre zum Beispiel das erste Ultraschall, wo man eigentlich nur einen kleinen Saurier sieht, dessen Arm- und Beinstümmelchen an einem großen Körperballon hängen. „Wunder der Natur! Produkt meiner Gene!“ freut man sich und weint Tränen der Glückseeligkeit.
Die nächsten Wochen verbringt man blass, erbrechend und halbschlafend. Doch dann in Woche 16, das nächste Hoch. Das Ding in einem bewegt sich. Wie verschluckte Fischlein, beschreibt die eine romantisch. Wie große, dicke Puddingblasen im Bauch, korrigiert die andere. Wie grässliche Blähungen, umschreibt eine weitere.
Ab da setzt der sog. Schwangerschaftsautismus ein. Immer wenn das Baby sich nämlich bewegt, bekommt die Frau einen seltsam verklärten Gesichtsausdruck und brummelt unverständliche Worte, die im Grunde auch gar nicht für die Außenkommunikation gedacht sind. Wenn das Kind weiter wächst, wird aus dem verzaubertem Gesicht, das eine sanfte Bewegung gemeldet hat, bald eine Fratze. Denn das Kind übt zunächst Milchtreten auf der Blase. Manchmal zerrt es auch an der Nabelschnur wie ein LKW-Fahrer bei 120 an der Hupschnur. Dann kommen die Wochen in denen sich das Baby dreht und dauerhaft mit dem Kopf auf der Blase liegt und mit den Füßen eifrig Magen, Rippen und Zwerchfell traktiert.
Hormone sorgen dafür dass man über die Schmerzen hinaus ächzt: „Ein kleiner Rocky Balboa! Ach wie süß, ein eifriger Ronaldo!“
Doch in diesem Stadium ist der Kontakt der Schwangeren zur Außenwelt ohnehin nur noch sporadisch.
Für die Psyche der Frau ist das ohnehin besser. Die Kinderlosen können das langweilige Gefasel über Stillmethoden, Kinderwagen und Babypflege ohnehin nicht mehr hören. Die Personen, die neulich erst gebärten und deswegen unfreiwillig aber dauerhaft auf jene Themen reduziert wurden, wollen nicht mehr hören. Bleibt also nur der Partner, der sich bereits heimlich beim Chef erkundigt hat, welche Projekte er ab Geburtstermin zusätzlich übernehmen könnte, damit er erst zuhause ankommt, wenn der propere Nachwuchs sauber und gestillt im Bettchen liegt und seine Frau ebenfalls erschöpft auf dem Boden vor dem Stubenwagen zusammengesunken ist.
So schön wird das Leben einer Frau nie wieder!

Seltene U-Bahn-Konzerte

Es kommt die Zeit in der man sich möglichst nicht mehr bewegen möchte. Theoretisch möchte man gerne sitzen oder liegen. Theoretisch deswegen weil bequemes Sitzen und Liegen freilich nur noch eine schöne Erinnerung der Vergangenheit ist. Tatsächlich verursacht jedes Sitzen und Liegen, das länger als fünf Minuten anhält Atemnot weil der mächtige Bauch auf Zwerchfell und/oder Hauptschlagader drückt. Das ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass man praktisch selten Stehen möchte.
Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Rush-Hour werden deswegen schnell zur Qual. Die Sommerschwangeren haben da vielleicht den Vorteil, dass ob der dünnen Leibchen, die sie tragen können, so manch einen Menschen das Erbarmen packt und er seinen Platz frei gibt. Die Winterschwangere an sich ist ob des Mantels nicht leicht für die Umgebung zu identifizieren. Sie sieht einfach aus wie eine unförmige Tonne und wer will schon seinen Platz für eine unförmige Tonne freigeben?
Wenn der Rücken also schmerzt, die Beine vor Wasserablagerungen spannen und der Bauch krampft, dann knüpfe ich mein Mäntelchen auf und hänge meinen Bauch heraus.
In der Regel gibt es dann zwei mögliche Reaktionen.
A: Meine Mitfahrer sehen den Bauch und starren plötzlich wie hypnotisierte Kaninchen in ihre Reiselektüren, auf die Werbung an den Abteilwänden oder bewundern ihre Schuhe.
Wenn so was passiert, dann suche ich mir in der vollen U-Bahn ein Opfer aus, dessen Gewissen ich wenigstens für die gesamte Fahrt malträtiere. Ich stelle mich ganz nah an ihn ran und halte ihm, der ja sitzt, meinen dicken Bauch genau ins Gesicht. Dazu mache ich ein leidendes Gesicht und manchmal stöhne ich vor Schmerz.
Sollte ich keinerlei emotionale Regung in seinem Gesicht feststellen, so zücke ich mein Handy und spreche Sätze wie „Ach ja, das zusätzliche Gewicht ist eine wahre Folter, wenn man schwanger ist“ oder „Ja, ja, der letzte Schwangerschaftsmonat ist ob des Körpergewichts und der –ausmaße sehr anstrengend . Aber kannst Du Dir vorstellen, wie schrecklich erst die Geburt sein wird, wenn sich das Kindlein mit dem großen Kopf durch meine zarte Vagina pressen wird?“ hinein.
Sollte auch das nicht helfen, so verschütte ich schnell mein Reisegetränk auf den Knien des unwilligen Sitzers, hechele in kurzen Abständen und stöhne dann die Worte „den Schmerz wegatmen, den Schmerz wegatmen“ vor mich hin, rufe meinen Freund an und berichte mit leiser gequälter Stimme, dass mir soeben die Fruchtblase geplatzt sei.
Der Unwilligkeit einer armen, bemitleidenswerten Schwangeren Platz zu machen steht Verhaltensvariante B gegenüber.
Da betrete ich die U-Bahn und die erste ruft „Wollen Sie meinen Platz?“. Wenn ich nur wenige Stationen fahren muss, so erfreut und stärkt mich dies freundliche Nachfrage so sehr, dass ich keine Sitzgelegeheit benötige und so antworte ich laut und freundlich: „Nein, danke, ich fahre nur wenige Stationen. Ich möchte mich aber für ihren Großmut bedanken!“
Kaum ist der Satz ausgesprochen fragt in der Regel ein weiterer Mensch weiter hinten, ob ich vielleicht seinen Platz haben möchte. Sobald er die letzte Silbe ausgesprochen hat, erklingt ein mehrstimmiger Chor aus Stimmen der anderen Mitreisenden, die auch alle möchten, dass ich mich auf ihren Platz setze.
Ich laufe dann kopfschüttelnd durch das Abteil und heiße die Menschen mit wedelnden Armbewegungen sitzen und stimme in deren Gesang ein in dem ich melodisch passend immer wieder wiederhole: „Viiiiiihhhhiiiilen Daaahhhaaaaank aaaberrr ich muhhhuuuusss glaaahhhaaaaich aaaahhhaaaustaaaaahhhaaaaigäääääähhhäänn.“  
Das gibt ein schönes U-Bahn-Konzert und ich erreiche gut gelaunt meinen Zielort.

Nestverschönerungen

Hormonell tut sich in der Schwangerschaft so einiges. So habe ich seit Monaten eine ausgeprägte Form von 17Uhrwahnsinn. Das geht so: Ich laufe von der Arbeit nach Hause und egal was passiert oder wem ich begegne, ich finde es toll.
Es stürmt, gefühlte minus zwanzig Grad, Hagelkörner peitschen in mein Gesicht, ich habe meine Jacke vergessen. Meine Gedanken: Hach so ein erfrischender Herbststurm. Wie der Straßendreck so durch die Luft wirbelt. Mir direkt ins Gesicht. Das macht ja nichts, das kann ich ja abduschen und die Straßen, die sind dann schön sauber.
Hm, diese Ohrenschmerzen … hach schön, dass man mal die Ohren überhaupt am Körper bemerkt. Das ist ja selten. Hallo ihr kleinen Ohren. Ha, ha.
Ein Punker rotzt vor mir auf die Straße. Der Wind treibt seinen Schleimstreifen auf meinen Schuh. Sein Körpergeruch mischt sich mit hundert Jahre abgestandenen Rauch und weht mir in die Nase. Meine Gedanken: Hach, jetzt habe ich endlich mal einen Anlass die Schuhe ordentlich zu putzen. Macht man ja sonst nie. Und Punker? Schön dass es die in Berlin gibt. In Bamberg gabs ja gar keine richtigen. Also jedenfalls nicht so welche, die auf der Straße leben und richtig stinken – nur so ne Persil-Punker. Das ist ja nichts. Die in Berlin, die sind wenigstens authentisch. Schön!
In einer tiefen Ebene meines Bewusstseins ist mir dabei natürlich klar, dass ich das nicht wirklich denke! Aber ich fühle es. Ich will den Wind umarmen, den Punker und seine Kumpels samt Hunderudel nach Hause auf mein heiliges Sofa einladen, mit ein Paar Jugendlichen kichernd um die Wette rülpsen.
Neben diesen Stimmungshochs habe ich auch furchtbare Attacken von Sorge. Zum Beispiel wenn ich andere Mütter sehe, wie sie ihr hässliches, glotzäugiges Kind liebkosen, es der Freundin vor die Nase halten, die sich angewidert wegdreht und dabei allen ernstes davon ausgehen, sie hätten ein total süßes Baby.
Was wenn das bei mir auch so ist? Schlimmer noch: was wenn das bei mir NICHT so ist und ich erkenne, dass das kleine dauernd Rotzfahne tragende Ding total grässlich ist?
Doch dann warte ich wieder auf 17 Uhr und schon finde ich den Gestank von Fleischbreikacke wieder niedlich und schlage entzückt die Hände zusammen, wenn ich beobachte, wie sich ein Kleinkind das halbe Gehirn aus der Nase zieht und genüsslich verspeist.
Nach dem 17Uhrwahnsinn kam dann eine Phase erschreckender Klarheit. So bereitete mir der Anblick von Kinderkleidung der Größe 54 und diese winzigen Erstlingssocken regelmäßig Panikanfälle. Sie machten mir klar: In nur n-Monaten wirst Du Deinen geliebten Job aufgeben und Dich nur noch mit Koliken, Kacka und Brustdrüsenentzündung beschäftigen. Du wirst verblöden, während Dein Mann weiter Karriere macht. Wenn Du Glück hast, passiert am Tag mal was ungewöhnliches, z.B. pinkelt Dich Dein Kind an und Du kannst es lachend Deinen Freundinnen erzählen, die Dich komischerweise immer seltener anrufen.
Das Kind wird Dich regieren und durchschlafen wird heißen, dass man vier Stunden am Stück geschlafen hat. Du wirst Dich immer um dieses kleine zerbrechliche Etwas sorgen, auch noch in 25 Jahren, wenn Gerd, Dein 100 Kilo schwerer Zögling nicht mehr essen will, was Du ihm kochst oder nicht zufrieden ist, wie Du ihm die Wäsche bügelst.
Die letzten Monate vor der Geburt steigt dann wieder die Hormonkonzentration und eingehüllt in die endokrinologische Wolke durchlebt man wie jeder eierlegende Vogel im Frühling etwas das sich Nesttrieb nennt.
Das ist glücklicherweise auch die Phase in der man Anschaffungen für mehrere Tausend Euro auf sich nehmen muss, um dem freudig erwarteten Nachwuchs ein lauschiges Zuhause zu schaffen.
Hat man erst mal das nötigste (Wickelkommode, Kinderwagen, Tragevorrichtung, Stubenwagen, Klamotten in drei verschiedenen Einstiegsgrößen, Babybadewanne, Spieluhrsortiment, etc.) besorgt, so will man die Wohnung generell ein bisschen freundlicher gestalten. Da wo man früher auf spartanische Einrichtung schwor, kauft man mannshohe Regale dazu und stellt jeden freien Millimeter zu. Ist das erst mal erledigt, geht es ans Verschönern. Der Baumarkt wirkt durch die Einrichtungsshows im Fernsehen inspirierend und im Mutterschutz das zweite Zuhause.
Wenn der Mann abends nach Hause kommt und es wagt sich nicht über die dilettantischen Blümchenmuster auf den ehemals mühevoll ausgesuchten Designermöbeln zu freuen, rennt man ins Schlafzimmer und wälzt sich Rotz und Wasser weinend in die gerade selbst genähten Kissenüberzüge im Landhausstil, die man früher als Grundlage für ein schönes Osterfeuer benutzt hätte.
[Mal abgesehen davon, möchte ich erwähnen, dass es mein Freund mit mir noch ganz gut hat. Seine letzte schwangere Freundin verlangte von ihm ein Degu-Pärchen, mit den Worten, die seien doch so süß und passen so gut ins neue Leben. Das balzbereite Nagerpaar vermehrte sich innerhalb weniger Balzperioden exponential und musste letztendlich an einen Schlangenverkäufer weitergegeben werden.]

Stapelweise Holz vor der Hütte

Ich weiß nicht wie es ist kleine Brüste zu haben. Ich habs mir immer toll vorgestellt, kann man doch auf BHs und anderen nutzlosen Tand verzichten.
Aus Erfahrung kann ich nur berichten, dass die meisten Frauen, die kleine Brüste haben, sich oft darüber beklagen. Dieses Klagen sollte in einer Schwangerschaft ein Ende haben. Denn da schwellen diese sekundären Geschlechtsmerkmale um ein vielfaches an. Schon ganz zu Beginn.
In der Mitte der Gravidität wird ein enges Umarmen des Partners schon fast unmöglich und wenn man sich dann gegen Ende der 40 Wochen größere Büstenhalter zugelegt hat, so wird man erkennen, dass mit der Geburt des Kindes eine weitere, ganz erstaunliche Vergrößerung möglich ist.
Wenn man also erst mal ein Paar Monate diese aufgeblähten Ballons vor sich her getragen hat, ist es kein Wunder, dass die meisten Frauen glauben, dass die Brüste mit dem Abstillen kleiner würden als vorher.
Tatsächlich ist das eine Fehlerinnerung.
Überholt eines Tages der Bauch den Busen, verspürt man das erste Mal so etwas wie angst. Diese Angst legt sich aber relativ schnell wieder, denn je umfangreicher der Bauch, je höher die Gebärmutter wandert, desto näher kommt einem der Busen und es dauert nicht mehr lang, da offenbart einem der Blick nach unten eigentlich nichts mehr außer den freundlichen Brüsten und vielleicht ein bisschen Bauch. Der Körper weiter unten wird ein fremdes und unbekanntes Areal und man ist nur noch auf Du und Du mit dem gigantischen Vorbau.
Ein evolutionstechnisch seltsames Phänomen. Während man nämlich für die Fremdmannheit unsichtbar wird, bekommt der sich deformierende Körper für den eigenen Mann eine gewisse exotische Attraktivität.
Alles wird größer und es gibt viel, viel mehr und selbst wenn das Männchen vorher auf die Dürrheit des Weibchens fixiert war, so wird er hormonell umprogrammiert und in ihm steigt das Verlangen das quasi durch ihn verursachte Anschwellen des Weibchens mit Streicheleinheiten und Liebkosungen zu ertasten.
Doch HALT lieber Mann. Wenn man prall wie eine fertig gekochte Weißwurst ist, jede Bewegung schmerzt, dann will man nicht angefasst werden.
Was man sich wünscht sind Massagen der wasseraufgedunsenen Beine, Herzungen der schwielengeplagten Füße und vielleicht eine kleine, vorbeugende Dammmassage.
Macht evolutionstechnisch bezogen auf die Partnerschaft also keinen Sinn, ist aber so.