rp21 War denn in der Pandemie alles schlecht?

Heute um 12.05 Uhr läuft auf Kanal 2 der diesjährigen re:publica das Gespräch von Marcus Richter und mir als Elternpaar zur Pandemie. Wir haben aufgezeichnet und im Nachhinein hätte ich gerne (noch) mehr über das Gleichberechtigungsthema gesprochen. Denn uns kam in der Planung des Gesprächsleitfadens das große Aha. Für uns waren die letzten Monate immer wieder anstrengend, aber wir sind immer beide nur ein bisschen kaputt – nie ist einer total am Ende.

Deswegen liebe ich die Illustration von Frollein Motte so. Abends muss immer gelten: Beide geschafft, aber alles geschafft.

Wer sofort das Haar auf dem Foto entdeckt hat, muss noch daran arbeiten die Gut-genug-Lösungen zu lieben.

Die Pandemie hat an den Kräften gezehrt. Aber auf Augenhöhe zu sein, jeweils beides zu können: Geld verdienen und Sorgearbeit leisten, das macht eben krisensicher.

Wir sind einander Backup. Beim Geld verdienen und bei der Sorgearbeit. D.h. zum einen, wir mussten nicht um unsere finanzielle Existenz fürchten. März 2020 war ich z.B. noch in Probezeit weil ich gerade einen neuen Job angefangen hatte und ein wesentliches Standbein waren Marcus Live-Bühnen-Moderationen, die in der Pandemie nach und nach alle komplett weggebrochen sind. Keine leichte Situation in den ersten Monaten.

Bei der Sorgearbeit haben wir uns die Tage aufgeteilt. Komplett alles an den anderen übergeben. Ohne ToDo-Listen, Hinweise und Nacherinnern, Statusabfragen und Feuerwehrdienst, wenn mal was angepasst werden musste. Für jeden mindestens zwei komplett freie Erwerbstage. Und mit frei meine ich: der Arbeitsspeicher war null blockiert durch Mental Load. Wir haben uns tatsächlich regelmäßig 1950er-Männertage geschenkt, an denen man um 18 Uhr nach Hause kommt und sich an den gedeckten Esstisch setzt und sagt: „Na Kinder, wie war euer Tag heute?“

(Auf der anderen Seite heisst das auch: 2 Tage, an denen parallel Erwerbs- und Sorgearbeit stattfinden muss, aber da konnte man auch gestückelt in Schichten arbeiten. Bevor die Kinder aufstehen, parallel zum Homeschooling, nachdem die Kinder fertig sind, am Abend… – plus Wochenendarbeit, aber immerhin noch mit kleinen Alltagsfreizeitphasen: hier mal 30 min länger schlafen, da mal einen gemeinsamen Kaffee, 10 min Balkonstarren…)

Für mich ist dieser Lebenswandel auch nach Jahren noch faszinierend. Ich kann nicht nachvollziehen, wie ich das früher alles alleine (und v.a.) im Kopf haben konnte. An denen Tagen, an denen ich zuständig bin, geht ohne Reminder und Wecker wirklich gar nichts mehr.

An den Tagen, an denen ich nicht dran bin, habe ich weder Lust noch die Kapazitäten meinen Partner an Dinge zu erinnern und siehe da: Läuft.

Und das Schöne ist: Natürlich gehen Sachen schief. Mir und ihm, aber wir lachen gemeinsam darüber, weil uns wechselseitig total klar ist: Das hätte mir auch passieren können!

Ich denke oft an das Zitat der ehemaligen Familienministerin Renate Schmidt: “Man kann nicht zu 100 Prozent Berufsfrau, zu 100 Prozent Mutter und Hausfrau und zu 100 Prozent Partnerin sein. Das ist nie und nimmer zu schaffen. Denn dann bin ich innerhalb kürzester Zeit ein 300-prozentiges Wrack.“ 

Ich bin sehr froh, dass diese Zeiten für mich vorbei sind. Ich bin nach 6 Jahren aktiver Arbeit daran komplett weg von diesem 100%-Alleine-Ding.

Es hätte mir ja als jemand, der in der IT arbeitet, schon lange aufgehen müssen. Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit von Systemen stellt man durch Redundanz her.

So wie persönliche Energie endlich ist, sind die Parameter für einen Server auf einer Hardwarenode endlich. Irgendwann hilft skalieren bei hoher Last nicht mehr. Ende Gelände. Wenn Systeme stabil laufen sollen, dann muss Last verteilt werden. Mindestens auf einen 2. Server, besser gleich auf ein ganzes Cluster.

(Deswegen ist es auch so irre, dass das Familienministerium nicht nachbesetzt wird. Wir reden nämlich nicht nur von 4 Monaten bis zu den Wahlen, sondern bis zur Regierungsbildung. Klar reisst man da jetzt nicht mehr grundlegend das Steuer rum. Aber das Familienministerium in mitten der Pandemie von einem anderen Ministerium mitführen zu lassen, ist ungefähr so als wenn man auf einen alleinstehenden Server unter einer DDoS-Attacke einfach noch den Traffic einer zusätzlichen äh Werbeaktion umleitet. Ich ähm, drifte ab… jedenfalls: Noch deutlicher konnte man Familien am Ende nicht machen: Ihr seid komplett egal. Euch kann man aufrauchen. Sowieso auch ein Trugschluss für die Wirtschaft. Denn ohne Sorgearbeit, ist keine Erwerbsarbeit möglich und da wo die Sorgepersonen verbrannt werden, fallen irgendwann auch die Erwerbspersonen aus. Für Frauen in Teilzeit war das oft die letzte Reißleine: Die Erwerbsarbeit komplett aufgeben. Next step: Das Ende der Pandemie wird für viele Arbeitstiere wie der langersehnte Urlaub sein: Endlich Zeit um krank zu werden. Klingt zynisch, befürchte ich aber für viele tatsächlich.)

Jedenfalls: Die Pandemie hat uns gezeigt – Redundanz ist eine sehr sinnvolle Sache. Dass eine*r 100% und wohlmöglich sogar zwei Mal 100% leisten soll, ist eine kack Idee.
Überhaupt das 100%-Ding. Das Leben funktioniert fantastisch mit Gut-genug-Lösungen.


Und wie immer gilt: Es muss ein Rahmen gegeben sein, der überhaupt möglich macht, dass man sich Sorge- und Erwerbsarbeit teilt. Bei uns: Top Arbeitgeber, Kinder sind schon im Schulalter, finanzielle Mittel sich z.B. durch Einkaufsdienste oder die Anschaffung von Saugrobotern entlassen kann. Die guten Bedingungen wünsche ich mir für alle Menschen.

9 Gedanken zu „rp21 War denn in der Pandemie alles schlecht?“

  1. Der Screenshot von den Weckern ist ein sehr gutes Sinnbild. Mein Fon sieht recht ähnlich aus. Und auch hier finde ich, das „auf Augenhöhe“ der wichtigste Punkt ist. Frau hat gelitten, Mann auch. Und das wird in vielen Diskussionen ausgeblendet. Aber ich möchte hier keine Kontra-Diskussion aufmachen, das schöne ist ja, das man mit seinem Partner in einer vertrauensvollen Partnerschaft über dem Diskussionsniveau steht, dem man täglich begegnet. Wir haben schon schlimmere Sachen durchgestanden, die letzten 1,x Jahre hatten neben den neuen Herausforderungen und Anstrengungen auch viele schöne Momente, die wir ohne Pandemie und Lockdown nicht erlebt hätten. Aussuchen würde ich mir die Situation nicht, aber …hust… in der Pandemie war auch nicht alles schlecht…

  2. Lieber Michel,
    Ich stimme absolut zu. Auf 100%.
    Ich arbeite in der IT-Firma und unser Unternehmen hat gerade einen neuen Büroflächen in Coworking Hamburg gemietet. Direkt vor der pandemischen Situation und der Sperrklasse. Mein Chef war so verrückt, weil er einen Vertrag seit einem Jahr unterzeichnete und wenn die Sperrung begann. Wir sollten alle im Home-Büro arbeiten und es schien, dass mein Chef viel Geld für nichts verbringen. Und als die Situation mit Pandemie mehr oder weniger stabil fing, machte er alle Manager, in das Büro zurückzukehren. Ich habe mich an das Heimatbüro gewöhnt, meine Produktivität fiel nicht herunter. Ich könnte meiner Frau mit einem Kind helfen. Wir konnten mit unserer familiären Verantwortung zusammenarbeiten, und dies machte unser Leben leichter. Obwohl die meisten von Unternehmen, die nach den Pandemie-Home-Büros anbieten, die als stabiles Arbeitsmodell anbieten, möchte mein Chef nicht davon erfahren. Und die meisten davon ist, dass meine Frau weiterhin von zu Hause aus arbeitet und sowohl mit der Arbeit als auch ein Kind umgehen kann. Und die einzige Wahl ist entweder, den Job entweder aufzugeben, entweder, um es entweder so zu verlassen, wie es ist. Und ich habe den Zeitraum nicht erwähnt, als mein Kind krank war. Es war für meine Frau schuldig. Ich hoffe, er wird seine Meinung bald ändern. Mindestens 2 Tage Arbeit von zu Hause aus, das Leben meiner Frau wäre definitiv viel einfacher.

  3. „Noch deutlicher konnte man Familien am Ende nicht machen: Ihr seid komplett egal.“

    Das habe ich schon zu Beginn der Pandemie sehr deutlich serviert bekommen und der Eindruck hat sich mit laufender Dauer immer weiter verfestigt, so dass ich ehrlich schockiert bin, dass der Aufschrei in der Elternschaft nicht (viel) größer ist. Es kommt mir so vor, als wenn es noch viel zu viele „klassische“ Paare gibt, wo die Frau automatisch 100%-Care-Arbeit „on top“ „gratis“ dazugewinnt, wenn es kracht, sich nicht beschwert bzw. am Ende des Tages zu schwach ist, sich noch zu beschweren und der 100% erwerbstätige Mann findet die Situation sowieso dufte, wenn er sich in der Firma beweisen kann und für Haushalt und Kinder die Frau komplett alleine zuständig ist, so wie es die eigene Mutti auch schon vorgelebt hat. Klingt schrecklich rückständig, ist aber wohl in den meisten Familien immer noch die Regel. Und eine Änderung bzw. Lösung ist auch nicht wirklich interessant, denn die Damen und Herren, die „da oben“ schalten und walten haben auch größtenteils die care Arbeit an Ehepartner oder Angestellte (Gruß z.B. auch an Herrn Drosten!) outgesourced; es ist also auch gar kein Wunder, dass von den Regierenden und den sie beratenden Fachleuten in dieser Hinsicht rein gar nichts kommt (=Teufelskreis).

    Erschreckend sind aber auch die Folgen des Home Office, die sich gerade für Familien in den Betrieben so langsam einschleifen. Das Kind ist krank (nichts Quarantänepflichtiges, aber schwere Erkältung existiert trotz allem noch). Anruf beim Chef mit der Meldung, dass das Kind krank ist und noch eine Kinderkrankschreibung folgt, man aber auf alle Fälle eine Woche raus ist. Antwort Chef im vorwurfsvollen Ton „Können Sie denn da nicht von Zuhause aus arbeiten?“ (dazugedachter Satz: „In der Pandemie ging es ja jetzt schließlich auch eineinhalb Jahre lang.“). Schönen Dank für Garnichts, sage ich als kurz vorm burnoutstehender Elternteil. Vielen Dank an die Politik, die diese Entwicklung (Home Office = Kinderbetreuung) erst ermöglicht hat!

    Es ist auch kein Wunder, dass die so „großzügig“ aufgestockten Kinderkrankentage von den Eltern, die ja auch so alles wuppen nicht in Anspruch genommen werden, wenn man sich mal die Bedingungen im Kleingedruckten ansieht. Da steht nämlich, die erweiterten Tage (inkl. bei Quarantäne, infektionsbedingten Schulschließungen & Co.) gibt es nur, wenn überhaupt kein Home Office, nicht mal ansatz- oder zeitweise möglich ist. In den Genuss kommen also nur Leute, die vor Ort zu 100% unabdingbar sind (wie Supermarktkassierer*innen, Müllwerker*innen, Bombenentschärfer*innen, usw.). Wenn ich als IT aufgrund Pandemie „großzügig“ einen Tag Home Office pro Woche „geschenkt“ bekomme (Aussage Arbeitgeber!), bin ich raus aus der Anspruchberechtigung für die zusätzlichen und erweiterten Kinderkrankentage. Denn, dass ich gar kein Home Office in Anspruch nehmen kann, muss der Arbeitgeber dem Kinderarzt auf einem gesonderten, einheitlichen Formular bestätigen, bevor der die erweiterten Kinderkrankentage ausstellen darf. Nochmal: Danke für Nichts!

    Bitte mal Jemanden in die Wahlvorschläge schreiben, der mindestens 50% care-Arbeit leistet, damit mal so eine „Außenseiter“-Ansicht, was manche Maßnahmen für arbeitende Eltern bedeuten, in der Regierung sitzt. Frommer Gedanke, ich weiß…

    1. Ich möchte nur kurz anmerken, dass das mit den „Kindkrank“-Tagen scheinbar von den KK unterschiedlich gehandhabt wird: Bei unserer KK brauchen wir für die pandemiebedingten Kindkrank-Tage noch nicht mal irgendeine Bescheinigung von Seiten der Kita/Schule oder gar Kinderarzt. Es gibt einen gesonderten Antrag auf der Homepage der KK, den füllt man aus, reicht ihn ein, die KK prüft über den AG, ob wir an den Tagen wirklich nicht auf Arbeit waren (wir sind dann vom AG unbezahlt freigestellt) und dann zahlt die KK. Und das funktioniert sowohl bei mir als Laborleiterin ohne HomeOffice-Möglichkeit (kann mir schlecht mein Labor in die Küche stellen ;o)) als auch bei meinem Mann, der seit Pandemiebeginn zu 95% im HomeOffice sitzt…
      (Mir ist bewußt, dass auch wir in einer priviligierten Situation sind und unsere AGs das so mitmachen…)

  4. Großartig, der Text.
    Und nu frag ich mich dauernd ob « März 2019“ das Haar im Text ist, bzw ob das 2019 oder 2020 war, aber bin zugleich Profi genug zu wissen: Ist vollkommen egal.

    Würde mir ja fast wünschen, Merkel für das letzte halbe Jahr noch ein Doppelmandat aufzubürden – Kanzlerin und Familienministerin, wenn sie schon nicht solo besetzen wollen. Wäre nämlich vermutlich erstaunlich großartig.

    Danke auch für die IT Referenzen. Oder auch: Energie ist endlich und Energieeffizienz auch.

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