Die anderen Erwachsenen

Die anderen sind Erwachsen oder Jugendlich. Ich bin eher so Midlife.

Ich bin jetzt definitiv raus aus dem Alter, in dem man noch fälschlicherweise für eine Studentin gehalten wird oder für sonstirgendwas unter vierzig. Jugendliche siezen mich respektvoll, wenn sie nach dem Weg fragen und bald stehen die Leute für mich in der U-Bahn auf oder ich bekomme Seniorenrabatt angeboten. So die Außensicht jedenfalls. Nur fühle ich mich nicht erwachsen. Jedenfalls nicht so wie mein eigenes Bild von Erwachsenen ist. Da wären zum Beispiel meine Eltern. Die sind, seit ich sie kenne, erwachsen. Erwachsene haben Einbauküchen, nehmen Kredite auf, trinken Abends ein Glas Wein aus einem echten Weinglas und laden ihren Chef zum Abendessen ein, um ihre repräsentative Familie zu präsentieren.

Vor allem aber: sie sehen total alt aus. Sie haben Falten, meist ein bisschen Übergewicht, ihre Kleidung hat keine Flecken und manchen gehen die Haare aus. So sehen für mich Menschen in meinem Alter aus. Mein Spiegelbild sah nie so aus. Da blickte mich immer ein junges, fröhliches Mädchen an. Bis neulich jedenfalls. Da stand ich vor selbigen und stellte fest, dass alles mädchenhafte verschwunden war und mich eine Frau anschaut. Ein Schock! Wer war das? Ich? Falten unter den Augen? Die Mundwinkel hängen merkelesk nach unten? Graue Haare im Pony? Speckring um die Hüfte?

Bitte was? Das soll ich sein?

Ich habe mir dann aufmerksam Männer meines Alters angeschaut und mich gefragt, ob ich, sofern ich Single wäre, irgendjemanden attraktiv finden könnte. Die Antwort lautete OMG NEIN. Das sind auch Erwachsene. Männer mit grauen Bartstoppeln, lichtem Haar, Bäuchlein. Menschen, die früher meine Lehrer waren, die Freunde meiner Eltern, Kassierer, Bankangestellte. Das soll jetzt meine Zielgruppe sein? Wie furchtbar. Das sind Menschen, die Urlaub im Hotel machen, die Bundfaltenhosen tragen oder mit Scheck zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Also schaute ich mir ein Paar jüngere Herren an – aber oh schreck – das sind Kinder! Also große Kinder – bestenfalls Jugendliche. Wenn ich mich geistig daneben stelle, dann sehe ich aus wie ihre Mama. Diese Jugendlichen gehen abends weg, sie trinken Bier in öffentlichen Verkehrsmitteln, sie schlafen bis 11 Uhr und haben auch sonst sehr seltsame Lebensgewohnheiten. Vermutlich hören sie laut Musik, essen morgens Pizza und manchmal bekommen sie Mahnungen, weil sie ihre Rechnungen nicht zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Als Single also müsste ich alleine bleiben. Für immer. Könnte mich nie mehr verlieben. Aber das macht nichts. Erstens weil ich es nicht bin und zweitens weil ich viele Hobbys habe, die mich auch partnerlos beschäftigt hielten. Nur frage ich mich, ob irgendwann der Tag kommt, an dem ich mich auch innerlich erwachsen fühle? Das Äußerliche kann ich verdrängen. Ich vermeide einfach in Spiegel zu schauen, kaufe mir keine neue Kleidung, trage weiterhin meine zehn Jahre alte Größe 38 und verdränge, dass sie sich in den zehn Jahren durchs Tragen und Waschen vermutlich auf Größe 44 gedehnt hat und mir deswegen immer noch so gut passt . Aber wie fühlt sich dieses Erwachsen sein an? Werde ich dann immer den Müll runter bringen, nur weil er voll ist? Werde ich eine Einbauküche zum Preis eines Jahresgehalts kaufen und mich darüber freuen? Werde ich mich über unerwünschte Werbung in meinem Briefkasten aufregen? Nach 22 Uhr keinen Hunger mehr haben weil Schlafenszeit ist?

Ist das meine Midlife-Crisis? Was macht man da als Frau? Ich habe versucht es zu ergoogeln. Männer haben es leicht. Die suchen sich eine Zwanzigjährige, mit der man „gut reden“ kann, kaufen sich ein Cabrio, planen eine einsame Wanderung durch die Anden und tragen Flip Flops. Aber was bleibt mir?

Eine Frau in meinem Alter

Nun bin ich angekommen im „Eine Frau in Deinem Alter“-Alter.
Ich glaube nämlich, ich sehe noch ganz gut aus für eine Frau in meinem Alter. Glücklicherweise.
Schönheit in der Jugend ist dichotom. Eine Frau ist mit zwanzig schön oder nicht schön.
Jenseits der Dreißig wandeln sich die Untergruppen. Eine Frau ist gutaussehend für ihr Alter oder einfach nur über dreißig und somit im engeren Sinne keine Untermenge des Oberbergriffs Schönheit.
Die Entwicklung der Psyche jedoch nimmt einen erfreulicheren Verlauf als die der Physis.
Indirekt proportional zum Verfall der Schönheit steigt das Selbstbewusstsein. Die Komplexe fallen dem Zeitmangel des Alltags zum Opfer. Sich Komplexe einreden und dauerhaft aufrecht halten ist nur möglich, wenn man dazu ausreichend Zeit hat.
Als Ü35 mit Kindern, einem selbstgeführten Haushalt und einer Teilzeitberufstätigkeit gibt es keinerlei Möglichkeiten sich vor einen beleuchteten Vergrößerungsspiegel zu stellen und erfundene Makel der Kosmetikindustrie an sich zu entdecken.
Umso erstaunlicher: ich finde mich ok.
Und das obwohl ich seit Jahren die Haare nicht mehr färbe, ca. zehn Kilo zugenommen habe und mein Kleiderschrank ausschließlich leicht angekotzte Kleidungsstücke vorzuweisen hat.
Ein Schock am Anfang. Aber langsam gewöhne ich mich dran. Und sollte ich sogar mal die Zeit finden mich zu kämmen, so höre ich gelegentlich wohlwollende Komplimente der Art, dass ich für mein Alter noch ganz gut aussehe.
Das ist toll.
Männer haben dieses Problem mit der Schönheit übrigens nicht. George Clooney, Brat Pitt und Hugh Jackman sind zwar älter als ich, sie sehen aber alle gut und nicht gut für ihr Alter aus. Kein Mann sieht je gut für sein Alter aus.
Die natürlich gebliebenen Hollywood Diven wie … ähhh … also … hmmm… nun die gibt es nicht. Die anderen sind operiert, abgesaugt, gebotoxt oder gut ausgeleuchtet und sehen alle aus wie Zwanzig. Jedenfalls bis sie vierzig sind. Dann sehen auch die trotz aller Pimpmaßnahmen nur noch gut für ihr Alter aus. So wie ich.
Macht aber nichts, denn wie gesagt, das Selbstbewusstsein steigt mit dem Alter, vielleicht schießt es sogar ein bisschen über die Amplitude der Normalverteilungskurve hinaus und als Psychologin weiß ich natürlich: eine leichte Selbstüberschätzung führt zu einer optimistischeren Einstellung und die verhilft zu einem leicht verblendeten, aber umso fröhlicherem Leben.

Nasenrettung durch Gefühlsunterdrückung

Bislang konnte ich in heiklen Lebenslagen durch paradoxe Intervention viel erreichen. Bewährt hat sich die Methode v.a. in Situationen, die gerne eskalieren und negative Gefühle hinterlassen wenn man zu erwartenden Konversationspfaden folgt.
Doch was soll ich sagen, auch paradoxe Intervention stößt an Grenzen, selbst wenn das Gesagte aus tiefer und aufrichtig empfundener Besorgnis entspringt.
So stehe ich heute bei dm mit sieben Paketen Windeln an einer Kasse an 657. Stelle an. Hinter mir ein Pulk Jugendlicher. Eine weitere Kasse wird geöffnet und ich balanciere geübt den Windelstapel in Richtung Kassiererin. Einer der Postpubertierenden überholt mich und schreit mich mit den Worten: „Ey Mutti, wenn Du drängelst, gibt’s auf die Fresse!“ an.
Ich war aufrichtig verwundert, denn schließlich stand ich 3 Millisekunden vorher auch schon vor dem jungen Mann. Ich lächle verständnisvoll und bleibe stehen, als der junge Herr meine Einkäufe vom Band schmeißt um sein Haargel an just jener Stelle zu platzieren. „Mach Disch vom Acker, Du hässliche *****!“
Ob dieser Provokation sah ich mich nun doch genötigt etwas zu erwidern, einen leichten Schwall von Ärger herunterwürgend entschied ich mich für ein ruhig ausgesprochenes: „Mein lieber Junge, Du bist wohl als kleiner Junge zu wenig gekuschelt worden?“
Der liebe Junge, puterrot vor Wut, ballt seine Faust und fuchtelt vor meinem Gesicht herum.
„Alter noch son Spruch und Dein Zahnarzt wird reich!“
Ich sammle währenddessen wortlos meine Windeln auf und bin beinahe erstaunt ob der Kleinheit des Selbstbewusstseins des Jugendlichen und nehme mir vor meine Kinder noch mehr zu knuddeln, zu bestärken und für immer im elterlichen Bett schlafen zu lassen.
Zuhause schaue ich zur Seelenhygiene eine Folge Glücksbärchi und rufe in die gßstädtische Nacht LIEBE! ACHTUNG! WÄRME! FREUNDSCHAFT! und ZUNEIGUNG!