Bestimmte mentale Funktionalitäten die für ein gesellschaftliches Miteinander durchaus von Vorteil sind, prägen sich erst im Laufe der kindlichen Entwicklung aus. Altruismus und Mitgefühl gehören beispielsweise dazu.
Folgende Szene ließ mich diese Hypothese entwickeln. Ich sitze zwischen Oberwiesel und Untertrubelbach in einem Regional-Express und warte auf Austausch des defekten Triebfahrzeugs als ich den neuen Babysitter telefonisch kontaktiere.
Im Hintergrund weint völlig aufgelöst Kind 2.0. Es hat bislang jede direkte Interaktion mit dem Babysitter verweigert. Eine Fütterung war nur möglich indem das Essen auf den Boden gelegt wurde, der Babysitter sich aus dem Raum entfernte und das Baby sich darauf hin über die Nahrung her machte.
Von weiteren Annährerungen möchte das Kleinkind vehement absehen. Es schreit wie eine überlaute Einparkhilfe wenn der Mindestabstand unterschritten wird. An Windelwechsel, Schlafanzug anziehen und Zubettgehen ist nicht zu denken.
Man lässt sich das vom Baby heiß geliebte, deutlich ältere Geschwisterkind geben, die letzte Hoffnung, der Rettungsanker!
– Hallo Kind 1.0 würdest Du bitte Kind 2.0 die Milch geben? Von Dir nimmt es sie bestimmt.
– Klaro.
– Das ist ganz toll! Da jetzt Schlafenszeit ist, geht doch schon mal gemeinsam ins große Bett ja? Bestimmt schläft das Baby dann gleich ein.
– Kein Problem!
– Ich bin begeistert! Ich freue mich so! Machst Du das jetzt gleich, ja?
– Wie jetzt gleich? Ich muss erst wii fertig spielen.
– Aber Du spielst doch schon 3 Stunden und Dein Geschwisterchen weint so schlimm.
– Ich muss aber fertig spielen!!!
– Aber es ist schon nach zehn!
– ICH MUSS ABER FERTIG SPIELEN.
~~~ Die telefonische Verbindung bricht ab ~~~
Die Kehrseite der Medaille, so muss man auch sagen: Kind 1.0 schläft selbst bei einem nächtlichen Geschrei von rund 170 Dezibel den Schlaf eines winterruhenden Braunbärs und auch wenn die Eltern die ganze Nacht mit Babybespaßung verbringen, jonglieren und Saltos schlagen, wacht Kind 1.0 frisch, fröhlich und erholt morgens um 8 auf und versüßt den Eltern den Tag mit guter Laune.
Einer Überlastung der Eltern wird somit entgegen gewirkt. Hinter jedem Verhalten steckt also ein evolutionärer Sinn.