Es ist so: Ich wollte nie, dass unsere Kinder in geschlechtsspezifische Rollenvorlagen gepresst werden. Im Hause Nuf waren die Farben Rosa und Hellblau verboten. Brachte ein Familienmitglied geschlechtsspezifische Merchandiseartikel mit nach Hause, gab es zwei Jahre Hausarrest. Tat ein Besucher das selbe, wurde nach einem langen Vortrag über geschlechtsneutrale Erziehung und negative Beeinflussung der Charakterentwicklung durch Konsumartikel mit mangelnder Genderneutralität die Freundschaft für die selbe Zeitspanne vorübergehend ausgesetzt.
Wenige Jahre später sind es die Kinder, die uns alles verbieten, was nicht eindeutig einem Klischee entspricht. Wie bei den Borg ist auch hier Widerstand völlig zwecklos. Nach Rosa, Hellblau, Hello Kitty, Barbie, Transformers, Power Ranger, etc. dachte ich nicht, dass es eine Steigerung gibt. Es gibt sie aber und sie heißt Pferd.
Mit Pferden kenne ich mich ungefähr so gut aus wie mit dem kambodschanischen Gesundheitssystem. Nein, halt, da habe ich mal eine Dokumentation auf Arte gesehen – also eher wie mit Techniken des Phosphatabbaus in Nauru.
Pferde sind mir fremd. Wenn ich an einem Pferd vorbei komme und es grüßt zeitgleich ein anderes Pferd, denke ich, es will mich auffressen. Ich schaue mir die Zähne an und bin mir sicher, wenn Pferde alleine sind, dann zupfen sie nicht Grashalme von der Wiese oder knabbern Möhren – nein – dann fressen sie Menschen, die sie vorher durch ihren unschuldigen Pferdeblick auf die Weide gelockt haben.
Kind 2.0, Körperhöhe 110 cm weiß das nicht. Anders kann ich mir nicht erklären wie es so arglos auf die gut doppelt so großen Lebewesen zuspringt und sie freudig füttert. Zudem schleppt es seit Wochen Pferdeliteratur an und ich muss mir dann die Zunge an Begriffen wie Jodhpur-Stiefeletten und Chaps brechen. Der ganze Fachtext ist durchzogen von seltsamen Begriffen, die mein Lesetempo stetig verlangsamen bis es schließlich ganz zum Stillstand kommt und ich laut buchstabiere wie ein Erstklässler Kardätsche „K A R D Ä T S C H E“. Vier Millisekunden später habe ich das Wort schon wieder vergessen. Am Reiterhof mache ich deswegen keine besonders gute Figur.
„Welche von den Dingern hier muss Kind 2.0 noch mal nehmen?“
„Die Wurzelbürste“
„Kann man damit auch die Augen sauber reiben?“
„…“
Kind 2.0 hat mit der Unterstützung von Kind 1.0 jetzt ein Pony-Fach-Know-how-Video recherchiert, das ich anschauen und auswendig lernen muss. Hab es bislang noch nicht länger als bis Sekunde 10 geschafft. Da fängt die Musik an und ich bekomme ein nervöses Zucken im rechten Auge und falle in einen katatonen Zustand.
Wie so oft mit Kindern – am Ende hilft nichts und so bleibt mir nur das Gute am Thema Reiten zu sehen, was da wäre:
1. Wenn ich mich in der Nähe von Pferden aufhalte, muss ich nicht mehr zum Blutschröpfen, um mein Blut frisch und flüssig zu halten. Die Mengen an Blut, die mir Pferdemücken absaugen, entsprechen ungefähr einer monatlichen Blutspende.
2. Empfinde ich es nicht mehr als Beleidigung wenn man zu mir sagt, ich sei eine Schabracke. Schließlich gibt es durchaus attraktive Satteldecken.
Quelle des Bildes „My little Alien“ von Mari Kasurinen