Ich war bis vor einigen Jahren der festen Überzeugung, dass Schnupftabak in unseren Breitengraden bei den unter Achtzigjährigen ausgestorben sei.
Durch das Fernsehen hatte ich von dem Phänomen überhaupt erst erfahren. Leider wurde ich eines besseren belehrt. Als ich Ende der neunziger mit dem Chatten begann, hatten sich mir gewisse Tücken der Onlinekommunikation noch nicht ganz erschlossen.
Man chattete einfach nächtelang und ohne Enthusiasmusverlust mit allen möglichen Menschen. Man schrieb sich die Finger wund und machte sich die Mühe sich schriftlich die gegenseitigen Standpunkte zum Thema Descartes und der Leib-Seele Dualismus in der künstlichen Intelligenzforschung darzulegen.
Wenn man dann erstmal ein halbes Jahr das Wirtschaftswachstum der Telekom mit 650 DM im Monat unterstützt hatte, war man zu einem ersten Telefonat bereit. Leider schieden hier bereits die ersten 80% aus. Aus dem eloquenten und wortspritzigen Jüngling wurde schnell eine lahme Ente. Für die verbleibenden Prozente investierte man erneut Monate bevor man sich traf. Sicherheitshalber schickte man sich in der Anbandelungsphase Briefe mit Fotos.
Eigentlich wollte ich nie jemanden kennen lernen. Doch nach einem Jahr chatten, drei Monaten telefonieren und einem ganz bezauberndem Foto ließ ich mich erweichen und war zu einem Treffen bereit.
Wir trafen uns zu einem Spaziergang weit ab jeglicher Zivilisation. Eine tolle Idee, wie mir erst beim fertigmachen einfiel.
Handys waren zu dieser Zeit alles andere als verbreitet. Nicht weit verbreitet, also rein quantitativ, mit weitaus längerer Tradition gab es jedoch die Psychopathen und Mörder.
Eilig kritzelte ich deswegen meinen damaligen Mitbewohnern auf einen Zettel in der Küche: Heute ist der 23. Mai 1998, ich treffe mich mit einem Kerl, der vorgibt L. zu heißen. Im Internet nennt er sich Discours Wenn ich nicht in spätestens 24 Stunden zurück bin, sucht nach meinem Kopf. Er ist vermutlich in einem Waldstück nahe der Oder vergraben. Danke und liebe Grüße Nuf
Auf dem Weg zum Treffpunkt wurde ich immer nervöser. Was wenn L. gar nicht der war, der er vorgab zu sein? Was wenn er ein pickeliger, zahnfauliger Gnom war, der sich die Worte nur von einem mir unbekannten Dritten hatte einflüstern lassen?
Doch als ich um die Ecke bog und ihn sah, fielen schlagartig alle Zweifel von mir ab. L. sah aus, wie auf dem Foto und rief mir in der gewohnt freundlichen Art ein „Hallo!“ entgegen.
Wir kamen gleich ins Gespräch und die erste halbe Stunde war ganz bezaubernd. Dann blieb L. stehen, kramte in seiner Tasche, zog eine kleine Dose heraus und schüttete sich etwas braunes auf die Fingerspitze. Ich war entsetzt. Es war Schnupftabak.
Den Rest des Weges versuchte ich mich von Wahnvorstellungen zu befreien. Immer wieder kamen mir Bilder von braunbeschnäutzen Taschentüchern in den Sinn. Vor meinem geistigen Auge sah ich seine schnupftabak- und schleimverklebten Nebenhöhlen.
Ich musste mir vorstellen, wie ein weißes Kopfkissen wohl aussähe, wenn er sich nasetriefend darauf wälzte. Den Rest gab mir die Vision, wie es wohl wäre, wenn er mich versehentlich annieste.
So blieb mir lediglich für mich festzuhalten, dass ich ein schrecklich oberflächlicher Mensch bin und dann unter einem fadenscheinigen Vorwand das Weite zu suchen.
Mann L., es hätte ja alles so wunderwunderschön sein können mit uns beiden!
Ich überlege ernsthaft, mir eine Mitbewohnerin anzuschaffen, nur um SOLCHE ZETTEL finden zu können …
Also ich fand ja den ganzen Text supilustig. :)DANKE(:
Die Stelle, wo deine Freunde deinen Kopf suchen sollten, war einfach super lustig, auch wenn es wohl nicht so gedacht war. danke :)
ja mein gedanke dazu war
„es entsteht ein unbrauchbares geschmolzenes gemisch aus plastik metal und halbleitern, also müll“
müll als emergenzphänomen?
mmm aber eigentlich war das absehbar!
Herr undx3: Den Vorgang des Schmelzens und damit möglicherweise Verschmelzens übersehen Sie dabei völlig. Vielleicht hebt jene den ohnehin oft mißverstandenen Dualismus auf und macht Platz etwas neues zu schaffen, welches als Emergenzphänomen aus der Transformation hervorgeht, hm?
MC, Sie wissen, ich habe meine Quellen…
descartes würde wohl antworten, dass hier der repräsentationalistische inhalt zweier veschiedener gedanken (nämlich der gedanke an das feuer jener berühmten platonischen höhlen-grillparty und der gedanke an eine computerbezogenen res extensa) auf ungültige art und weise miteinander verknüpft wurden, da der obersatz mit der conclusio nichts am hut haben wollte. eine klare und distinke antwort ist deshalb nicht möglich, es handelt sich um eine fangfrage.
Ein Freund von mir ist auch großer Schnupftabak-Freund. Zu besonderen Anlässen bringt er immer etwas mit, hat sich inzwischen sogar eine Schnupftabakreinklickmaschine besorgt, die wir im letzten Jahr auf einer Party einmal ausprobierten.
Jetzt frage ich mich: Wo zur Hölle haben Sie das Bild meines Nasalauswurfes vom Folgetag her?
Meine Lieblingsprüfungsfrage lautete: Nun, stellen Sie sich vor, der Computer ist hochgefahren und läuft. Man stellt ihn ans Feuer und er beginnt zu schmelzen. Was würde Descartes dazu sagen?
Ich glaube, so gedanken- und sprachlos wie da war ich noch nie. Verstanden habe ich die Farge bis heute nicht.
a) igitt.
b) blöd: ich muss gerade studiumsbedingt die meditationes und den discours de la methodé lesen und finde es nicht sehr höflich von ihnen, mich während meiner internetz-ablenkungen wieder zurückzulenken.
c) es ist zum verzweifeln.