Gesignation

Disclosure: Das wunderbare Wort „Gesignation“ hat Caspar Clemens Mierau erfunden. Es entstand im Gespräch im Mit Kindern Leben Podcast. Es setzt sich zusammen aus Gelassenheit und Resignation.
Gesignation
So sehen alle unsere Kinderzimmer aus. Nicht.

Nina von Hardenberg schreibt im aktuellen SZ-Familie Newsletter (unten rechts auf der Seite abonnierbar)

„Freundinnen beschreiben mich als entspannte Mutter, ich selbst würde eher sagen, ich habe drei Jahre liebevoll auf Durchzug gestellt. Das spart viel Kraft. Man kann den Schnuller im Mundwinkel getrost ignorieren, wenn man weiß, dass es damit eh eines Tages vorbei sein wird. Und man kann auch mal ein paar Jahre das gesittete Tischgespräch zugunsten der Raubtierfütterung aufgeben.“

Das kann ich 100% unterschreiben. Mir wird auch immer große Gelassenheit nachgesagt, ich sei völlig zen und entspannt mit den Kindern. Ich selbst empfinde mich leider oft wie eine völlig überspannte Saite, die beim leichtesten Antippen reißt. Jedenfalls merke ich wie meine Energie tatsächlich im Laufe der Woche bis Freitag zunehmend abnimmt und mich dann Dinge verzweifeln lassen, die ich Montags vielleicht nichtmal bemerkte, weil sie ja immer da sind. So z.B. die immer fortwährende Geräuschkulisse, die vornehmlich Kind 3.0 produziert. Es macht jedenfalls nichts ohne Geräusche und es hat einen hervorragend ausgebildeten Resonanzkörper.

Im Mental Load Artikel habe ich geschrieben:

„Energie ist endlich […]. Energie ist eine Torte. Ich kann acht oder sechzehn Stücke rausschneiden, größer macht das die Torte nicht und am Ende ist die Torte weg. Für einen Job und ein Kind hat meine Energie leicht gereicht, für zwei auch noch, beim dritten war dann Schluss.“

Das ist eine Lektion, die ich wirklich gelernt habe und ich wünschte, ich könnte meinem Ein-Kind-Ich immer wieder zusingen „Let it goooooo“

Deswegen habe ich gesigniert.

Perfektionismus kann man sich mit Kindern ohnehin abschminken. Jedenfalls wenn man mehr als ein Kind hat und zusätzlich erwerbsarbeiten geht. Den eigenen absurden Ansprüchen und auch den Ansprüchen, die vielleicht Kindergarten und Schule an einen herantragen, kann man nicht entsprechen. Egal wie man sich abstrampelt. Es geht einfach nicht. Fertig. Man muss pragmatisch und in „quick and dirty“-Lösungen denken.

Was mir in den Gesprächen mit Caspar im MKL-Podcast aber zunehmend klar wurde: man muss auch den gesellschaftlichen Ansprüche entsagen und alle Regeln in Sachen richtig und falsch ordentlich einschrumpfen.

Bevor das erste Kind geboren wurde, habe ich wie verrückt Elternratgeber gelesen. Wer will schon kleine Tyrannen erziehen? Verwöhnte Gören? Kinder, die keine Grenzen kennen? Die nicht schlafen? Oder die bis 18 bei mir im Bett schlafen und mein Sexleben zerstören! ICH jedenfalls nicht. Also habe ich gelesen und gelesen und war wild entschlossen, alles umzusetzen.

Ich war so naiv und arrogant, es beschämt mich im Nachhinein sehr. Ich hab nie laut Erziehungstipps gegeben – das immerhin – aber leise habe ich als Kinderlose oft gedacht: „Meine Güte, können die mal ihre Kinder erziehen?“ Immer wenn Michael Mittermeier von „Arschlochkindern“ geredet hat, sind mir mindestens drei eingefallen und ich war mir sicher: Das waren die Eltern bzw. deren (nicht vorhandene) Erziehung schuld.

Ich hab einfach nicht verstanden, dass entwicklungsbedingt manche Dinge gar nicht möglich sind und dass Kinder derart unterschiedliche Temperamente haben.

Als dann das Kind geboren war, habe ich mich abgekämpft an bestimmten Vorstellungen. Wie lange man Zeit zwischen Stillen 1 und Stillen 2 lassen soll. Dass das Baby im eigenen Bett schlafen soll! Dass es immer um 11.30 Mittagschlaf machen soll. Dass man mit 6 Monaten zufüttert. Blablablub. Ziemlich schnell hat sich in mir Widerstand geregt und mein Gefühl hat bei manchen Sachen ganz eindeutig „NEIN“ gesagt. Wenn mir jemand aus der Elterngeneration gesagt hat: „Meine Güte, spring doch nicht immer gleich auf. Lass das Kind doch schreien!“, war mir klar: Ich möchte das nicht.

Also hab ich immer mehr gemacht, was ICH richtig fand und was auch mit meinen Bedürfnissen vereinbar war. Und der tolle Nebeneffekt: Ich hab plötzlich die anderen verstanden, die morgens beim Anziehen z.B. 10 min den Fernseher angemacht haben, einfach um sich 45 min Geschrei zu ersparen. (Und tatsächlich: Mehr als ein Jahrzehnt später: Das betroffene Kind zieht sich ohne Fernsehen um 7.30 Uhr an, geht auf eine weiterführende Schule und ist nicht fernsehsüchtig.)

Im Übrigen ist das nur der Anfang in der Regel. Es stimmt auf eine Art – kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Aber nicht wegen der Kinder, sondern wegen der Komplexität der Themen um die Kinder herum. Es geht nicht mehr nur ums Essen und Schlafen, sondern um Schule, Zukunft, Beziehungen, Freundschaften, komplexe Gefühle, Politik, Umwelt.

Wobei ich einwerfen muss: Der Spruch ist eigentlich doof, denn jede Sorge ist eine Sorge und muss irgendwie bewältigt werden und man wächst daran. Wenn man die Themen neu und akut durchlebt, dann ist das alles genauso schwierig wie später – nur eben, dass man kompetenter und erfahrener geworden ist und im Rückblick genau mit diesem Skill-Set ganz anders und ja – vielleicht sogar besser mit diesen „kleinen“ Problemen umgegangen wäre.

Es fehlt wahrscheinlich einfach an Bekräftigung. Überall Kritik und Schuld. Wenn Du das so und so machst, ist die Zukunft Deines Kindes dahin. So lautet meistens der Untertext. Es geht um nichts geringeres als die psychische und physische Gesundheit des Kindes und die des späteren Erwachsenen. Eine Sache falsch gemacht und zack Lebensglück vermurkst, Kind nicht gesellschaftsfähig, nicht leistungsfähig, nicht kompetent das Leben zu meistern, hundert Therapiesitzungen vorgebucht. Nichts geringeres lastet im Erziehungsauftrag der Eltern.

Deswegen tun mir die Gespräche mit Caspar im Podcast gut und ich höre und lese gerne andere Eltern über ihre Erfahrungen sprechen und schreiben. Das ist was für mich auch schon immer die Blogosphäre ausgemacht hat. Das Guckloch in die andere Lebensrealität und die Erleichterung, dass es hinter der Werbewelt der Penaten und Pampers-Babys eben ganz anders zugeht.

Ich halte mich im Grunde nur noch an einigen wenigen Regeln fest: Was uns gut tut, ist gut* und ich stelle Beziehung und Vertrauen vor alles. Ich umarme Wäscheberge, unaufgeräumte Kinderzimmer, Pommes, Serienschauen im Bett, gemeinsam Hausaufgaben machen (wenn es entstresst) und Fertigkekse für den Weihnachtsbazar.

Oft bin ich mir sicher: das ist der richtige Weg. Manchmal frage ich mich: Bin ich vielleicht nicht gelassen (geworden) sondern resigniert? Die Antwort ist eben: Es ist Gesignation und Gesignation ist eine sehr gute Lebenseinstellung wenn man Kinder hat. Seid auch gesigniert. Es spart viel Energie und Leid.

Obs wirklich aufgeht? Seien Sie gespannt. Ca. 2030 stehen hier Antworten


*Ja, wir denken auch an die Umwelt und die Zukunft, aber das fällt für uns in die Langzeitperspektive „Was uns gut tut“. Eine ausgelöschte Menschheit tut uns nicht so gut.

96 Gedanken zu „Gesignation“

  1. Pingback: Flocke
  2. Cool! Toller Blog, grad entdeckt, und superschöner Text. Trifft’s für mich genau. Ich nenn’s: zwangsentspannt.
    Das Wort Gesignation hab ich zuerst auch nicht verstanden bzw. nur den Bezug auf Resignation, aber nicht das G dazu. Mir steckt da auch immer noch zu viel Resignation drin.
    Wie wär’s mit: Ich bin so relassen! ;-)

    Viele Grüße von einer zwangsentspannten Drillingsmama

    1. Danke! Ich hab mal eine Drillingsmutter kennengelernt. Die Drillinge waren das „Ach, wir haben schon 2 Kinder – ein drittes geht noch“ und zack waren sie fünf. Die Eltern waren sowas von entspannt. Ich hab das echt sehr bewundert. Wahrscheinlich bleibt einem echt nichts anderes übrig als zwangsentspannt zu sein.

  3. Applaus für den schönen Text. Man scheitert halt fröhlich vor sich hin. Dann kommt die Pubertät und man denkt, dass eh alles für die Katz war. Doch auch die geht vorbei und dann, oh Wunder, wurde aus der garstigen Raupe ein wunderschöner Schmetterling.

    Ansonsten kann man sich behelfen mit dem Motto: Erziehung ist, wenn’s auswärts klappt.

    Und wer immer noch die Illusion hat, in einem ordentlichen und sauberen Haushalt leben zu wollen, schafft sich am besten noch einen Hund an.

  4. Pingback: herrpaul_
  5. Huch, ich dachte, ich hätte auf „Antworten“ geklickt. Mein Kommentar mit dem Stupser bezog sich auf die Erklärung:
    Gelassenheit + Resignation = Gesignation

  6. Pingback: prinzkafka
  7. Hach, vielen Dank!
    Ich brauche solche Artikel wirklich sehr!
    Wie oft werde ich schräg angeguckt wenn ich erzähle das unser 5jähriges Kind abends bei uns auf dem Sofa einschläft während wir Tierdokus gucken.
    Wir haben beide Kinder vorbildlich über lange Zeit in den Schlaf begleitet. Das jüngere Kind wollte irgendwann nur von mir ins Bett gebracht werden, also habe ich jeden Abend 1,5 – 2 Stunden bei dem Kind gelegen. Aber ES WOLLTE EINFACH NICHT SCHLAFEN! Es wollte kuscheln und mich streicheln und mir Fragen stellen und Geschichten erzählen.
    Das war auch alles schön, aber es war 20 Uhr und ich wollte auch gerne mal Feierabend haben. Mit der Zeit bin ich abends immer genervter geworden und bevor ich angefangen habe das Kind zu schütteln bin ich lieber aufs Sofa.
    Seit etwa 8 Monaten schläft das Kind bei uns auf dem Sofa ein. Es kuschelt sich zwischen uns, streichelt mal mich mal meinen Mann, guckt mit Tierdoku und schläft ganz entspannt innerhalb von ca 30min ein.
    Manchmal geht es aber auch in sein Zimmer und schläft da ein. Oder bei dem Geschwisterkind. Oder auf dem Legoteppich. Es möchte einfach nur nicht allein sein.
    Und so verbeingen wir entspannte Abende. Haben keinen Einschlafstress und enorm viel über Tiere und Ökosysteme gelernt ?

    1. Tier-Dokus, das ist die Lösung! Vielen Dank für die tolle Idee!

      Unser Sohn möchte auch oft bei uns auf der Couch eingeschlafen. Gesigniert trifft da auch voll auf mich in der Situation zu. Ich habe auch aufgehört zu kämpfen und genieße lieber die gemeinsame Kuschelzeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr als 5x können Sie in einem Monat nicht kommentieren. So sorry! Ist das Gegenteil der Fall und sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen, dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken