
Neulich habe ich eine Überraschungsparty für jemanden organisiert, sprich Kontakt zu Menschen ausserhalb meiner eigenen Lebensrealität aufgenommen und sie zu 20 Uhr an einen bestimmten Ort geladen.
Meine Lebensrealität, das sind zum größten Teil Eltern mittelgroßer, schon relativ selbständiger Kinder, die sich durchaus schon selbst ins Bett bringen und auch mal ein zwei Stunden alleine bleiben.
Einer der geladenen Gäste fand die Uhrzeit total unpassend. 20 Uhr! Genau da bringt man doch die Kinder ins Bett. Selbst wenn es einen Partner oder eine Partnerin gibt, der das übernehmen kann, ist die Uhrzeit irgendwie doof.
Da habe ich mich ertappt gefühlt.
Aus dem Kleinkindelternleben bin ich entwachsen. Es ist wirklich nicht lange her, da war das meine Realität – umso seltsamer, dass ich einfach so vergessen habe, wie genervt ich immer war, wenn just um 20 Uhr beispielsweise das Telefon klingelte.
Wenn mir jetzt Freundinnen erzählen, dass sie mit ihren Kindern um 5 Uhr morgens aufstehen, weil die nicht mehr zum Schlafen zu bewegen sind, denke ich im ersten Impuls immer (shame on me!): „War das bei uns auch so? Das muss doch anders gehen? Man muss doch einem Kind klar machen können, dass 5 Uhr eine wirklich ätzende Uhrzeit ist.“
Glücklicherweise habe ich 13 Jahre gebloggt und mir ein schönes Archiv meiner Vergangenheit angelegt und ja, auch ich bin zu unmöglichen Uhrzeiten mit den Kindern aufgestanden, auch ich hatte feste Zeiten, in denen ich die Kinder ins Bett gebracht habe (und es war mir wirklich wichtig, dass das jeden Tag bis 20 Uhr spätestens durch ist)… und trotzdem habe ich alles vergessen.
Umgekehrt als ich noch keine Kinder hatte… ach, ich will vielleicht doch gar nicht davon berichten, was ich alles dachte, was doch erziehungstechnisch möglich sei…
Jedenfalls, was ich sagen möchte: Es gibt im selben Leben unterschiedliche Abschnitte, in denen unterschiedliche Dinge wichtig sind. Und dann gibt es noch unterschiedliche Leben, in denen sowieso alles anders ist als in einem anderen, das zur selben Zeit stattfindet.
Filterblasen sagt man in der Zwischenzeit zu sowas.
Wie bekomme ich jetzt den Bogen zum eigentlichen Thema?
Ich bezeichne mich heute mit fast 42 ohne mit der Wimper zu zucken als Feministin. Mit 20 hätte ich mir den Vogel gezeigt.
Wie bin ich da eigentlich gelandet?
Ich habe kein einziges Standardwerk des Feminismus gelesen. Nicht Simone de Beauvoir, nicht Judith Butler, nicht Raewyn Connell.
Ich hatte es immer gut. Keine Probleme in der Schule, nicht im Studium, nicht mit dem Arbeitgeber. Ich hatte fast kostenlose Kinderbetreuung ab 12 Monaten, konnte problemlos Elternzeit nehmen und in den selben Job zurückkehren und dass obwohl ich in einem männerdominierten Feld gearbeitet habe und noch arbeite.
Dennoch bin ich Feministin geworden. Einfach weil ich Mutter geworden bin. Plötzlich sah die Welt anders aus (v.a. im privaten Umfeld) und plötzlich war ich umgeben von Freundinnen, die nach der Elternzeit am 1. Arbeitstag aus angeblich betrieblichen Gründen gekündigt wurden.
Zudem waren es die kleinen Erlebnisse, die mich aufgeweckt haben. Der Sohn, der kein Junge/Mann sein kann, weil er Glitzer liebt? Den es also entwertet, weil er etwas mag, was eher dem Weiblichen zugeordnet wird. Die Tochter, die im Alter von 5 Jahren vom Fußballverein abgelehnt wird, weil der Verein keine weiblichen Trainerinnen hat und sie deswegen keine Mädchen aufnehmen (was totaler Unsinn ist und mit nichts etwas zu tun hat, denn selbst der DFB sagt „Bis zu den B-Junioren ist es laut DFB-Statuten gestattet, dass Mädchen und Jungen zusammen spielen“ da sind die Kinder 15 Jahre alt…) und der andere beim Fußballspielen zurufen: „Vorsicht! Du machst dich schmutzig!“ statt „JOOOAAAAHHHH. GEEEIL! Tooooooorrrrr!!!“.
Also lese ich interessiert Tagespresse, höre feministische Podcasts, zähle Frauen auf Podien, suche nach sprechenden weiblichen Hauptrollen in Filmen, lese Kommentare unter YouTube Videos von Computerspielerinnen, frage meine männlichen Kollegen, die das selbe arbeiten wie ich, was sie verdienen und wundere mich.
Dann lese ich Bücher wie „Untenrum frei“ (was ich wirklich sehr empfehlen kann) und folge interessanten Frauen auf Twitter.
So fühle mich mich abwechselnd erhellt, schockiert, bereichert, ändere meine Meinung, ändere meine Wahrnehmung, wundere mich wieder.
Ich versuche mir bestimmte Mechanismen oder Klischees, denen ich vielleicht auch selbst unterliege, zu vergegenwärtigen.
In unserem Podcast derWeisheit arbeiten wir z.B. hart an ausgeglichenen Redeanteilen. Wir haben sogar sekundengenau mitgestoppt. Wir reden nach jeder Folge darüber wie wir uns gefühlt haben, ob die Themen ausgegleichen waren, warum der ein oder andere wenig gesagt hat und finden dann Kleinigkeiten, wie z.B. dass meine Leitung etwas länger ist als die meines männlichen Mitpodcasters, der in Gesprächspausen schnell das Wort ergreift, was dazu führt, dass ich nichts sage. Also vereinbaren wir, dass wir Gesprächspausen aushalten lernen. Statt zwei Sekunden eben fünf Sekunden warten und schon dreht sich der Redeanteil.
Es ist ein Miteinander, wir arbeiten dran und wir unterstellen uns nicht gegenseitig Böses, sondern dass wir bestimmte Dinge anders leben oder wahrnehmen.
Zu wenig Frauen auf Bühnen und als Interviewpartnerinnen? Ich habe mir irgendwann einfach vorgenommen mein Impostor Syndrom zu übergehen: Egal zu was ich anfragt werde – ich sage einfach ja – denn auch wenn ich selbst eigentlich von allen Themen denke: Da gibt es ganz bestimmt jemanden, der/die sich besser auskennt (und das ist zweifelsohne IMMER der Fall), wird der/die Anfragende einen Grund haben MICH zu fragen. Also sage ich ja.
Das wiederum führt dazu, dass ich mir mehr zutraue, denn nach ein paar Podcasts, Interviews, Artikeln oder Vorträgen merke ich vielleicht: Hey, so schlecht bin ich gar nicht.
Aber jetzt schweife ich ab. Was ich sagen will: Ich beobachte immer wieder, dass gefordert wird, dass man sich zum Thema Feminismus nur äußert, wenn man Fundiertes zu sagen hat und/oder sich auskennt. Dann wird vielleicht noch ins Feld gebracht, dass der oder diejenige grundsätzlich dem falschen Feminismus folgt, falsche Dinge im Fokus hat, nicht ausreichend vernetzt ist oder das who is who der deutschen, amerikanischen, weltweiten Feministinnen-Szene kennt oder dies und jenes nicht gelesen hat.
Das schreckt mich ab. Warum soll nicht jede/r seinen eigenen, kleinen Feminismus haben und beleuchten können? Muss man wirklich zwanzig Bücher gelesen (und verstanden) haben, bevor man was zu Feminismus sagen darf?
Ist es bei Feminismus nicht gerade anders, weil jede/r seine eigenen Erfahrungen mit dem Frausein (und auch Mannsein!) macht? Weil man auch im kleinen was bewegen kann? Schon in einer Paarbeziehung Verbesserungen erzielen kann, die Erleichterung bringen?
Den einen holt der fremdwortgespickte Feminismus ab, der alles historisch korrekt einordnen kann. Den anderen die Instagrammerin, die nichts anderes macht als ihre Achselhaare zu fotografieren.
So what?
Heute, an meinem Yoga-Tag, fühle ich mich sogar so gechillt, da lasse sogar Papi Gabriel als Feministin durchgehen.
Es fällt mir ja schwer das dauerhaft zuzugeben, aber anscheinend läuft er ja wirklich (zwar SEHR anders) in die selbe Richtung (oder besser: ebnet er den Weg für andere), damit wir gemeinsam unsere Ziele der Gleichberechtigung erreichen.