Mit den Worten „Du bekommst das Ministerium Familie und das andere Gedöns“ wurde Dr. Christine Bergmann von Gerhard Schröder 1998 ins Kabinett berufen. Lange ist das her und dennoch hat sich nicht viel geändert.
Die Formulierung „Familie und Gedöns“ gibt ziemlich genau den Stellenwert, den Sorgearbeit bis heute hat, wieder. Nicht besonders wertvoll, am Besten unsichtbar und selbstverständlich Frauensache.
Deswegen ist eine Familienministerin, die ihrer Familie in der Vergangenheit als kommissarische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität vorübergehend Priorität einräumt, untragbar.
Das entspricht natürlich in keiner Weise dem Bild einer unverzichtbaren Führungskraft. Im Gegenteil, das widerspricht den gängigen Vorstellungen von Karriere, die da heißt entweder – oder. Entweder Familie oder eben Karriere. Beides zusammen nie. Anne Spiegels Rücktritt ist quasi die Anti-Sternstunde der Sorgearbeit.
Es gibt offenbar kein Szenario, in der eine Familienkrise der Berufskrise vorzuziehen ist. Persönlich finde ich das absurd, denn in einer Familie ist eine Zweitsorgeperson tatsächlich viel schwerer austauschbar, wenn die Hauptsorgeperson krankheitsbedingt angeschlagen ist, als in einem hierarchisch aufgebauten Führungssystem.
Ein Chef, der delegiert, gar vertraut und Verantwortung auf sein Führungsteam überträgt, entspricht offenbar keinem Ideal sondern stellt das Worst-Case-Szenario dar. Ein Chef, bei dem der Laden läuft ohne, dass er selbst jeden Befehl erteilt und am besten jeden Hebel zieht, den kann man gleich abschaffen.
Verrückt und traurig zugleich.
Sich um Menschen zu sorgen, für sie zu sorgen, das ist unvereinbar mit dem Beruf. Ich habe lange überlegt, ob ich schreibe „mit bestimmten Berufen“ oder „mit Führungspositionen“, aber wenn ich länger drüber nachdenke, dann ist jeder Beruf, der ausschließlich in Vollzeit ausgeübt werden soll, unvereinbar mit Sorgearbeit und wenn man sich die Zahlen zum Gender Care Gap anschaut, dann sind auch alle Berufe, die in Teilzeit ausübbar sind, mindestens eine gute Grundlage für Raubbau an sich selbst und manchmal nahezu Garant für Überlastung. Deswegen ist es eine zulässige Vereinfachung Sorgearbeit als unvereinbar mit Berufstätigkeit zu sehen.
Eine Führungskraft ab einer bestimmten Ebene darf auch kein Mensch mehr sein. Ist er es trotzdem, dann wird das als peinlich, würdelos, als Versagen und als untragbar gesehen.
Vielleicht hätte es eine andere Lösung gegeben, vielleicht war die Entscheidung von Anne Spiegel 2021 tatsächlich ein so schwerwiegender Fehler, dass das Eingestehen als solcher nicht reicht und am Ende nur der Rücktritt bleibt.
(Es fällt mir sehr schwer, nicht in Whataboutism zu verfallen und mich zu fragen, warum bestimmte andere Personen gravierende Fehler machen dürfen und daraus keine Konsequenzen ziehen mussten und ihr Amt behalten durften.)
Es fällt mir schwer, nicht zu glauben, dass der ganze Verlauf etwas damit zu tun hat, dass Anne Spiegel eine Frau ist, dass ihr Fehler anders und härter beurteilt wird als das bei einem Mann der Fall wäre. Denn im Grunde entspricht es nach wie vor nicht unseren gesellschaftlichen Vorstellung, dass Frauen überhaupt Spitzenämter besetzen (WER KÜMMERT SICH DANN UM DIE KINDER??!) und es entspricht auch nicht unseren gesellschaftlichen Vorstellungen von Karriere und Führungskultur.
Sehr wahrscheinlich ist es für Anne Spiegel eine schwere Entscheidung gewesen final zurückzutreten. Ich hoffe sehr, dass sie sich im Privaten sagen kann: Der eigenen Familie in Krisensituationen Vorrang zu geben, ist richtig und hoffentlich hat das Vorbildcharakter, so dass sich immer weniger Menschen am Ende ihres Lebens wünschen müssen: Hätte ich doch weniger gearbeitet, wäre ich doch mehr für meine Familie dagewesen.