Dreißig Minuten am Tag müssen reichen
„Wenn wir mal richtig großzügig sind, dann darf er 30 Minuten spielen. Meistens aber eher 20 Minuten am Tag.“
Es liegen rund 70 Minuten Vortrag über Computerspiele und mindestens acht Beiträge aus dem Publikum hinter mir, die v.a. eines zeigen: Ein Großteil der Eltern hat Angst vor Computerspielen.
Sie fühlen sich unwohl wenn ihre Kinder Interesse oder gar Spaß an Computerspielen haben. Am Besten man verbietet das ganz oder aber, man reglementiert so stark wie es geht.
Ich halte es nicht mehr aus. Ich bin jetzt alles andere als eine exzessive Computerspielerin – aber 20 Minuten? Ich glaube, Computerspiele ganz zu verbieten ist unterm Strich weniger frustrierend als sie täglich 20 Minuten zu erlauben.
In welchem Spiel kann man denn in dieser Zeitspanne irgendwas erreichen? Ein Level vollenden? Ein Rätsel lösen? Einem Handlungsstrang folgen? Seine Mitspieler zusammentrommeln? (Ausser in Idle Clickern, aber wollen die Eltern, dass die Kinder Idle Clicker spielen? Ok, Super Hexagon ginge auch – da sind 20 Minuten quasi unendlich lang…)
Ich drehe mich um und frage die Person, die sich eben gemeldet hat, um zu verkünden, dass ihr Kind 20 bis 30 Minuten am Tag spielen darf: „Ich verstehe wirklich ganz schlecht, wieso man Computerspiele so stark reglementiert. Würden sie auch sagen: 30 Minuten Lego spielen und dann ist aber Schluß? 30 Minuten lesen und dann Buch weg!
Das ist doch frustrierend fürs Kind. Das kennt man doch selbst. Da hat man vielleicht gerade angefangen zu lesen, steckt mitten im Kapitel, die Handlung wird gerade spannend und dann weg mit dem Buch.
So stelle ich mir das auch beim Computerspielen vor. Woher kommt denn ihre Angst? Was genau befürchten sie?“
„Lesen und Computerspiele kann man nicht vergleichen.“
„Warum nicht?“
„Das ist was ganz anderes. Lego auch!“
„Warum? Ich verstehe es wirklich nicht.“ In der Zwischenzeit bin ich rot angelaufen. Ich will nicht rumstänkern. Ich möchte das wirklich verstehen. Wir reden hier nicht von Kleinkindern, die die Welt vielleicht erstmal haptisch erfahren (be-greifen) sollen. Die Kinder, um die es hier geht, sind zehn Jahre und älter.
Die besorgte Person schaut mich mit einer Mischung aus Verduztheit und Überheblichkeit an. Wie kann es sein, dass ich mir diese Frage nicht selbst beantworten kann?
„Glauben sie, es werden verschiedene Fähigkeiten angesprochen, beim Lesen die Fantasie und beim Computerspielen… ?“
„Ja.“
Jetzt bin ich sprachlos. Die Diskussion geht mit anderen weiter. Ich merke, bis auf einen einzigen Vater, denken alle anderen Anwesenden, ich hab sie nicht mehr alle. Ich halte also meinen Mund.
Teufel Computerspiel
Der Vortrag hieß eigentlich „Phänomen Computerspiele: Fluch oder Segen?“. Wir sind mit dem Thema Sucht eingestiegen und da irgendwie hängen geblieben. Es geht v.a. um World of Warcraft.
Später versuche ich rauszubekommen, von wie viel Prozent Süchtiger wir überhaupt sprechen. Ich finde Zahlen zwischen 3 und 10% aller Jugendlichen in Deutschland. Meistens geht es in den Studien aber nicht nur um Computerspiele sondern auch um Onlinesucht.
Immer wieder begegnet mir die Studie, die sagt, das angeblich 560.000 Menschen in Deutschland internetsüchtig sind. Vor einigen Jahren hatte ich mir die Studie genauer angeschaut und festgestellt, dass es hier Kriterien gibt wie „beschäftigt sich x Stunden am Tag damit“ und auf der anderen Seite auch Internetradio oder Streaming mit erfasst wurde.
Interessehalber habe ich mich auch mit den Thesen von Manfred Spitzer befasst. Er geht so weit und verteufelt z.B. das Lesen von Büchern in eReadern.
In den Zahlen und Studien konnte ich unterm Strich nichts finden, das mich wirklich überzeugt hat, dass man Kinder von Computerspielen fern halten sollte oder dass es schlimmer ist, wenn sie Computer spielen als wenn sie lesen oder einfach nur chillen.
Ich glaube auch, dass die Zeit der Pubertät, die Zeit ist, in der generell exzessiv Hobbys betrieben werden. Von morgens bis abends lesen, Computer spielen, beim Pferd abhängen, Karate machen, Brettspiele spielen.
Früher war alles anders – oder?
Bei mir fing das so mit acht Jahren an. Ich hatte am Anfang selbst keinen Computer und verbrachte deswegen viel Zeit bei einem Schulfreund, der einen sehr großen Computer hatte (ich könnte schwören, es war ein Apple Lisa, was ich aber aufgrund des irrsinnigen Anschaffungspreises nicht glauben kann). Ich durfte den Computer nie selbst anfassen, ich durfte lediglich die 5¼-Zoll-Disketten anreichen und dann zuschauen, wie er spielte.
Die nächsten Jahre sah mein Alltag so aus: Schule bis Mittag, nach Hause gehen, mir Essen warm machen, Hausaufgaben machen, zum Schulfreund gehen und beim Computer spielen zuschauen.
Dann bekam ich selbst einen C16 mit Datasette und dazu eine BASIC-Kurs-Software inklusive BASIC-Buch (wenn ich mich richtig erinnere) und spielte alleine Zuhause. Mir wurde das Spielen irgendwann langweilig und ich fing an mir sehr einfache Spiele selbst zu programmieren.
(Nebenbei las ich genauso exzessiv Bücher von Wolfgang und Heike Hohlbein: Elfentanz, Heldenmutter, Drachenfeuer etc.)
Ich kann mich nicht erinnern, ob sich meine Eltern Sorgen gemacht haben. Tatsächlich kann ich mich nicht mal erinnern, dass sie gesagt haben: So. Heute aber nur eine Stunde Computer und dann aber Schluß.
Wahrscheinlich kann man das ohnehin nicht mit heute vergleichen. Ich durfte auch ohne Limit fernsehen, v.a. in den Schulferien.
Aber egal. Ich frage mich wirklich, warum Eltern so große Angst vor Computerspielen (und der Online-Welt) haben.
Wo liegt eigentlich der Angst-Hund begraben?
Zurück zum Computer-Spiele-Vortrag: Ein bisschen später meldet sich eine weitere Person und bittet den Referenten: „Halten Sie auch in Schulen Vorträge über die Gefahren? Es wäre doch gut, wenn nicht immer nur die Eltern warnen, sondern die Kinder auch mal von anderen Menschen hören, wie gefährlich das ist!“.
Ich atme.
Es bleibt mir ein Rätsel. Warum sind einige Eltern nicht bereit sich die Frage zu stellen warum sie Computerspiele so schlimm finden. Was genau sie für die Entwicklung ihrer Kinder befürchten. Warum sie das Digitale im weiteren Sinne so verteufeln. Warum sie glauben, dass exzessives Lesen gut, exzessives Computerspielen schlecht ist. Und v.a. „Computerspiele“ – ich möchte mal wissen, wie viele Eltern überhaupt wissen WAS ihre Kinder spielen (wollen) und was das für Spiele sind, um was es da geht oder was ihnen dabei Spaß macht. Wie viele ängstliche Eltern haben sich zum Beispiel schon mal auf YouTube ein Let’s play angesehen?
Ich glaube (so wie ich das bei dem Onlinethema auch glaube), die meisten Ängste kommen von Unwissenheit.
Gerade im Thema Computerspiele gibt es dann noch starke Vorurteile in der Gesellschaft, die unreflektiert von vielen Medien verbreitet werden. So glauben bestimmt eine nicht unwesentliche Anzahl an Eltern, dass Ego-Shooter Gewaltbereitschaft fördern und quasi der direkte Weg zum Amoklauf sind. Kein Wunder, wenn man sich dann große Sorgen macht…
Wenn man von Computerspielen in der Medienwelt lesen kann, dann v.a. selektiv. World of Warcraft ist wahrscheinlich genau wegen der Suchtthematik eines der wenigen Spiele, das vielen namentlich bekannt ist.
Was dringt sonst noch in den Mainstream? Bestenfalls die großen Blockbuster.
Interessant ist ja auch, was überhaupt als Computerspiel wahrgenommen wird und was nicht. Ein Großteil der ängstlichen Erwachsenen – eine Nachfrage hatte das zum Start des Vortrags ergeben – spielt selber diverse Handy- oder Facebookspiele (FarmVille, Candy Crush und Co.). Auf die Frage „Wer spielt selbst Computerspiele“ melden sich diese Leute nicht. Erst als der Referent nochmal konkret fragt: „Und auf dem Smartphone?“ gehen die Finger zögerlich nach oben.
Selbst schlau machen
Jedenfalls. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Eltern sich mit dem beschäftigen, was Kinder beschäftigt. Sich erzählen lassen, was die Kinder machen, was die Faszination ausübt.
Mein Gefühl ist, dass v.a. die jüngeren Kinder ihre Eltern sogar gerne beim Spielen dabei hätten. Wenn ich Kind 3.0 zu Minecraft befrage, erzählt es so lange bis mir die Ohren bluten.
Bei den Älteren ist das vielleicht nicht mehr so – aber ich glaube, dass sie auch bereitwillig berichten, was die Faszination des Spiels ausmacht.
Würden Eltern sich selbst ein bisschen für die Neuerscheinungen auf dem Spielemarkt interessieren, dann könnte das sogar die Möglichkeit eröffnen gelegentlich mit den Kindern gemeinsam zu spielen oder Spiele zu empfehlen.
Ich denke, es gibt für Erwachsene super Einsteigerspiele – Spiele, die Brettspielen gar nicht mal so unähnlich sind (Tricky Towers z.B.), für die man in dem Sinne keine besonderen Computerspiele Skills (auch nicht in der Bedienung der Konsole) braucht und die man auch gut und mit viel Spaß gemeinsam spielen kann.
Es ist immer wieder erstaunlich, was Kinder interessant finden. Wir haben z.B. im Urlaub mal The Witness gespielt – ein Spiel bei dem es v.a. um das Lösen von Logikrätseln geht. Als es irgendwann so absurd schwer und kaum mehr nachvollziehbar wurde, dass ich das Interesse verlor, waren die Kinder noch Feuer und Flamme und ehrgeizig bei der Sache. So viel Durchhaltevermögen kann ich wirklich nur bewundern.
Was ich sagen will: Wenn man selber spielt (oder sich mal ein paar Beiträge zu Spielen anhört oder den ein oder anderen Artikel dazu liest), hat man einen ganz anderen Zugang zu dem Thema und findet dann vielleicht auch zu einem anderen Umgang damit.
Am Ende geht es aber ja nicht darum die Spiele selbst zu spielen, sondern einen kompetenten Umgang damit zu vermitteln oder sich einen gemeinsam mit den Kindern zu erarbeiten und die eigenen Unsicherheiten abzubauen.
Der einfachste Weg dorthin ist das Gespräch – der Austausch. Das halte ich alles für zielführender als irgendwelche übertriebenen Reglementierungen oder gar Verbote.
Zum Abschluss noch ein Video, das die Frage beleuchtet, warum der Zugang zum Thema Computer/Videospiele so schwer ist und warum es dennoch wichtig ist, sich um „Basic Game Literacy“ zu bemühen.
Video gefunden bei Marcus Richter
Wo wir schon bei Marcus Richter sind: der kann ja eigentlich ganz gut erklären, was es so gibt und warum Menschen Computerspiele spielen:
Und P.S. Wäre ich meine Eltern gewesen, ich hätte mir nur in meiner frühen Adoleszenz Sorgen um mich machen müssen. Das war die Phase in der ich Sims gespielt habe. Dagegen ist DOOM ein fröhliches Alien-Spiel.