Ich habe Glück. Meine Großeltern sind zwar Gastarbeiter gewesen – aber eben „nur“ Italiener. Italiener sind nach über 50 Jahren in der deutschen Gesellschaft angekommen und „integriert“. Ich bin nicht zweisprachig aufgewachsen. Leider. Mein Vater hat darauf verzichtet, weil man in der Gegend aus der er stammt, einen starken Dialekt spricht. Richtig Hochitalienisch hat er nie gelernt, denn da wanderte seine Familie schon nach Deutschland aus. Er hatte damals einen Schulabschluss, der in Deutschland natürlich nicht anerkannt wurde. Sein Weg zum Ingenieursstudium war lang und steinig. Aber er war ehrgeizig und hat sich nicht unterkriegen lassen. Mein Ohr hört es kaum, aber sein Deutsch ist nicht das Deutsch eines Muttlersprachlers. Manchmal vertauscht er Artikel und nicht jeden Umlaut spricht er aus. Wenn unser jüngstes Kind fröhlich „Tschuuuss“ statt „Tschüss“ ruft, schenkt es mir jedesmal einen Gruß von meinem Vater.
Die Sprache war für die Karriere meines Vaters ein Hindernis. Ich denke, dass das ein weiterer Grund war mir kein Italienisch beizubringen, um gar nicht erst zu riskieren, dass mein Deutsch am Ende nicht 100% perfekt ist. Heute macht mich das sehr traurig, denn in die andere Richtung ist Sprache wieder ein Hindernis. Wenn ich meine Nonna in Italien anrufe, können wir nur über Allgemeines sprechen, nie über Kompliziertes oder gar Philosophisches oder Emotionales. Meine Nonna ist 91 und sie ist geistig so fit und jung, dass sich so mancher eine Scheibe abschneiden könnte. Es wäre so schön ohne die Sprachbarriere mit ihr sprechen zu können.
Ich habe über Italiener wenig diskriminierende Bemerkungen gehört. Persönlich habe ich in der Schule nur ein Paar Spaghettifresser-Witzchen abbekommen. Nichts weltbewegendes. Die Assoziationen zu Italien gefallen den Menschen. Das gute Essen, Sonne, Urlaub, Kultur. Das war sicherlich nicht immer so. Meine Mutter ist Deutsche und als sie meinen Vater heiratete, waren die Bedenken groß. Die Palette der Sachen, die sich meine Eltern anhören mussten, war breit gefächert. Man fürchtete beispielsweise, dass mein Vater im Falle einer Scheidung die Kinder entführen und nach Sizilien verschleppen könne.
Vor einigen Wochen, am 30. Oktober feierte das Anwerbeabkommens mit der Türkei 50. Geburtstag. Im Spiegel schreibt man passend dazu: „Vor 50 Jahren kamen die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland – nun klopfen sich Politiker selbst auf die Schultern. Wofür eigentlich? Die Türken haben das Land verändert, doch viele fühlen sich noch immer fremd.“ Beim Spiegel benutzt man das Wort „Gastarbeiter“ selbstverständlich – so wie ich es weiter oben getan habe. Der Begriff selbst ist jedoch schon heikel, wenn man genauer über ihn nachdenkt. Schon 1972 veranstaltete der WDR ein Preisausschreiben zur Findung eines geeigneteren Wortes. Ein Paar Tausend Vorschläge wurden eingereicht, kein Wort konnte sich bis heute durchsetzen. Dennoch kann man feinfühliger formulieren, wie bei Zeit Online im Artikel 50 JAHRE EINWANDERER geschehen.
Im Rahmen der Festivitäten musste ich viel an meine Familie denken. Ich sprach auch mit einigen türkischen Freunden und Bekannten über das Thema und bin nachhaltig bestürzt wie viel mehr Diskriminierung Menschen türkischer Abstammung erfahren mussten. Auch noch in der zweiten und dritten Generation – ganz normale Deutsche also.
Ich schreibe das alles, weil es mich so traurig macht aktuell auch immer mehr zum Thema Fremdenfeindlichkeit zu lesen. Denn letztendlich ist schon der Ausdruck, den die Medien zur Zeit so gerne benutzen so furchtbar: Döner-Morde
Auf Google+ habe ich es bereits geschrieben:
Als Halbitalienerin, regt mich die Formulierung „Döner-Morde“ besonders auf. Gerade aufgrund des Tat-Hintergrunds. Gerade weil Menschen türkischer und griechischer Abstammung getötet worden sind. Keine Döner. Die Formulierung alleine ist schon menschenverachtend.
Und noch treffender kommentierte Marcus Hammerschmitt darunter: „In dieser Bezeichnung steckt der ganze strukturelle Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Die Reduzierung der Opfer auf Dönerbuden-Besitzer. Ihre Namenlosigkeit: „acht Türken und ein Grieche“ – ein bisschen wie zehn kleinen Negerlein; auch im Vergleich zur ständigen Nennung des Namens der ermordeten Polizistin. Die Blindheit, mit der man eine Mordserie von Nazis seitens der Polizei nicht als solche erkennen wollte. Die Unfähigikeit und Wurstigkeit der Presse. Usw., usw., usw.“
Sprache beeinflusst das Denken und umgekehrt, das ist nicht erst seit George Orwell bekannt. Ich fände es schön, wenn man sich das von Zeit zu Zeit mal bewusst macht und auch einzelne Formulierungen prüft. Es lohnt sich sensibel für sowas zu sein und manchmal sind es die kleinen Gesten, die helfen. Mich macht es wirklich sehr betreten, weiterhin Berichte wie „Und es hört einfach nicht auf“ lesen zu müssen.
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Auch hier lesen: Alles Döner oder was? via @haekelschwein