Liebeserklärung an meinen Clan

Ich habe gestern Susanne Mieraus Blogartikel zu den Weihnachtsfragen gelesen und bin besonders an einer Stelle hängen geblieben. Ich finde, den Text so toll, dass ich ihn hier zitieren möchte:

5. Schaffst du Weihnachten ohne Blog, Twitter und Co klarzukommen?

Natürlich schaffe ich das, aber ich möchte es nicht. Warum auch? Ich finde es gut, andere Menschen an meinem Leben teilhaben zu lassen. Dieses Blog beschreibt zu einem großen Teil auch mein persönliches Leben und ich finde, dass heute solch persönliche Blogs gerade für Eltern sehr wichtig sind. In Zeiten der Vereinzelung, in denen man nicht mehr im Clan zusammen lebt, in denen man sich nicht beständig mit vielen Menschen direkt austauscht, bietet das Internet die Möglichkeit, Clanleben in gewisser Weise nachzubilden. Man kann sehen, wie andere Menschen Feste begehen, kann sich dazu austauschen, Anregungen sammeln, eigenes in Frage stellen. Weihnachten ist ein Teil dessen, was ich teilen möchte.

Mir sind diese Zeilen den ganzen Abend im Kopf geblieben. Ich habe an diesem Abend den Geburtstag unseres Winterkindes vorbereitet. Weil mein Mann einen unverschiebbaren Termin hatte, habe ich das allein gemacht. Ich habe also die Kinder ins Bett gebracht, das Kinderzimmer von Kleinkram befreit (damit das bei der Party nicht rumgeworfen und hinterher wieder mühsam aufgesammelt werden muss), das Wohnzimmer dekoriert. Die Geschenke, die mein Mann vorher gekauft hatte, gesucht und dann verpackt, die Kuchen vorbereitet, die Küche aufgeräumt, das Wohnzimmer kinderpartytauglich gemacht… alles in allem hatte ich gut vier Stunden Arbeit. Ich war müde vom Arbeitstag und als ich um 22 Uhr bemerkte, das wichtige Kuchenzutaten fehlten, war ich etwas frustriert. Alles in allem wäre ich wahrscheinlich insgesamt ziemlich frustriert gewesen, weil ich alles alleine machen musste. Wäre – gäbe es nicht das Internet. So konnte ich ein bisschen twittern, hab mich über Antworten gefreut, über Kommentare gelacht und hab mich kein Stück alleine gefühlt. Ich hatte meinen Clan bei mir.

Mein Mann sagt öfter, dass er es seltsam findet, dass in unserer Wohnung, in unserer Beziehung immer noch jemand mit dabei ist: das Internet oder besser gesagt, die Menschen aus dem Internet. Sie sind immer da, unsichtbar – in meinem Handy.

Mir hilft das bei so vielem.

Man mag das gerne armselig finden, aber mir geben diese Menschen viel Kraft. Ich kenne die meisten gar nicht persönlich. Ich kenne ihre Avatare und im Laufe der Interaktion habe ich mir von einigen ein sehr konkretes Bild geformt.

Ich habe keine Familie im näheren Umfeld. Die Eltern leben 500 km entfernt, die Geschwister ebenfalls. Natürlich habe ich Freundinnen und Freunde, aber auch die sind nicht meine Nachbarn. Die haben ihre eigenen Familien und können deswegen nicht mal auf einen Kaffee auf eine kurze halbe Stunde vorbei kommen. Sehr viele leben auch gar nicht in Berlin. Nach dem Studium hat es uns in alle Welt verstreut. Ich vermisse diese Freundinnen und Freunde oft und ich würde gerne mehr Zeit mit ihnen verbringen. Wir sehen uns zwei, drei vielleicht viermal im Jahr – aber das wars. Wir haben keinen gemeinsamen Alltag.

Ich bin ein ausgesprochener Familien- und Freundemensch. Am glücklichsten bin ich wenn zehn Kinder um mich herumspringen und wir Erwachsene zusammen sitzen, reden, gemeinsam essen und trinken und ab und an einer aufsteht, um zu schauen, ob der Schrei aus dem Kinderzimmer bedeutet, dass sich eines der Kinder einen Zahn ausgeschlagen hat oder ob ein Kind dem anderen nur ein Spielzeug entrissen hat.

Das Internet bietet mir genau dieses Gefühl. Es gibt mir Wärme und das Gefühl von Zusammenhalt, das Gefühl ich bin nicht allein. Ich bekomme auf alles eine Antwort. Austausch zu jedem Thema ist möglich. „Passiv“, indem ich (Eltern-)Blogs lese und auf diese Art Teil am Leben anderer habe und aktiv, indem ich selbst blogge oder twittere und darauf Reaktionen erhalte.

Das ist der Grund warum ich das Internet gerne um mich habe und möchte, dass die Menschen (denn Internet ist für mich keine seelenlose Technologie sondern nichts anderes als das: Menschen) Teil an meinem Leben haben und ich möchte Teil an anderer Menschen Leben haben. Deswegen schalte ich mein Handy auch nicht zwangsweise aus, um mein Leben zu genießen oder zu erleben.

Ich liebe meine Filterbubble, in der alle Kinder nicht durchschlafen, in der die Kinder ins Elternbett krabbeln, in der die Kinder jahrelang getragen werden. In der die Eltern meistens erschöpft und müde, oft schon um 6 Uhr wach und gelegentlich auch genervt sind. Ich liebe meine Filterbubble mit all den bastelnden Eltern, mit denen die basteln, obwohl sie es so hassen wie ich und denen, die den ganzen Kram einfach fertig kaufen. Ich liebe die Filterbubble in der Adventskränze vier Kerzen mit der Ziffer 1 bis 4 sind.

Deswegen liebes Internet: Danke, dass es euch gibt.

Internetabhängig. Ich so – aus Gründen

560.000 sind internetsüchtig. Ich gehöre dazu. Und Du so?

560.000 Süchtige, weitere 2,5 Mio suchtgefährdet. So lautet das Ergebnis einer repräsentativen Studie, bei der 15.000 Personen im Alter zwischen 14 und 64 Jahren per Telefon befragt wurden.

Noch vor 15 Jahren wäre das gar nicht möglich gewesen. Denn dann wäre bei den Betroffenen die Leitung permanent belegt gewesen. Jedenfalls nach 22 Uhr.

Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich an diese Zeit denke. Damals mit dem Analogmodem. Das Geräusch beim Einwählen. Diese wunderbaren Emailadressen an der Uni dasn.ufstud-psych@rar-pool.uni-bamberg-rchz.de.

Ich habe die Kriterien für Sucht wirklich gegoogelt. Genannt werden beispielsweise:

    • Für den Konsum sinnvolle Grenzen setzen und sie dann nicht einhalten können („Ich setze jetzt das Nudelwasser auf und gehe nur kurz ins Internet….“)
    • Das soziales Umfeld ist drogenorientiert („Oh cool, meine Freunde sind auch gerade online!“)
    • Der Konsum wird ständig rationalisiert („Ich schau nur mal schnell nach was Neutrinos eigentlich sind…“)
    • Die Droge wird als Motivator eingesetzt („Ich hänge jetzt schnell die Wäsche ab und dann kann ich noch eine Stunde online sein bis …“)

Hups. Überall einen Haken hintergesetzt? Schön reden kann man das jetzt nur noch wenn man Internetsucht von Internetabhängigkeit  abgrenzt. Die WHO macht das nicht, aber ich finde, dass man Sucht als Vertiefungsstufe von Abhängigkeit ansehen kann. Sucht würde im Vergleich zur Abhängigkeit zusätzlich so etwas wie Dosissteigerung beim Konsum und Beschaffungskriminalität umfassen.

Da ich noch  nie länger als 24 Stunden an einem Tag online war und auch noch nie einem meiner Freunde das Internet geklaut habe (oder Geld geklaut habe, um an Internet ran zu kommen), bin ich beruhigt.

Denn somit bin ich nicht süchtig, sondern lediglich internetabhängig.

Laut ICD/DSM gibt es Internetabhängigkeit übrigens gar nicht. Ginge ich zum Therapeuten oder Psychiater, diagnostizierte der nur eine „nicht näher bezeichnete Störung der Impulskontrolle“.

Wer gefährdet ist, sollte mal die  Broschüre Online sein mit Maß und Spaß der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung lesen. Die bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kennen sich mit Internet nämlich ebenso gut aus wie Metchild Ross-Luttmann mit Vorratsdatenspeicherung.

Auf Seite 11 wird zum Beispiel von den Gefahren des Internet gewarnt: „In sozialen Netzwerken besteht die Gefahr, dass die virtuellen Beziehungen wichtiger als die echten Kontakte werden.“

Wundervoll. Die Grenze zwischen virtuell und echt kann mir gerne mal jemand genau erläutern.

Als Psychologin ist für mich ohnehin interessanter zu sehen, was an diesem Internet so verführerisch ist. Meiner Theorie zufolge ist das nämlich so:  Eines der Grundbedürfnisse des Menschen ist das Affiliationsbedürfnis (s. Boulding, 1978, S. 196 ff). Mittels sogenannter Legitimitätssignale wird das Bedürfnis nach Anerkennung gestillt. Sich in sozialen Netzwerken aufhalten ist eine Form Legitimitätssignale zu sammeln bzw. auszutauschen. Man bekommt z.B. auf Twitter durch die Anzahl der Follower, Favs, Retweets und Replys (FFRR) signalisiert „Du bist ok, du gehörst in unsere Gemeinschaft“. Je mehr FFRR, desto mehr Legitimitätssignale.

Man kann den Like-Button auf Facebook als Legitimitätsspender in Reinform ansehen. Genauso sieht es aus bei Verlinkungen, Erwähnungen bei Google+oder bei Flattr. Seiten wie Favstar machen nichts anderes als die Anzahl der Legitimitätssignale optisch darzustellen.

Zusätzliche Anerkennungssymbole sind denkbar. Wer im Internet sehr aktiv ist und deswegen zu Lesungen eingeladen wird, Preise erhält, in den Lieblingstweets des Monats bei anderen erscheint, die Möglichkeit bekommt Artikel in Zeitungen und Magazinen zu veröffentlichen … dessen Legitimitätsspeicher ist randvoll und sein Affiliationsbedürfnis befriedet.

Das macht das Internet so verführerisch.

Und jetzt FFRRt mich. Ich gehöre zu den 560.000. Ich will das.

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Die vollständige Studie zum Thema Internetsucht kann man sich selbst durchlesen. Allerdings ist die nicht so wirklich spannend. Es sei denn man steht auf Statistik und SPSS.