Eltern-Streik

Der Eltern-Streik war wie folgt geplant: Wir machen nichts mehr bis Kind 1.0 auf Knien durch den Flur rutscht und ruft „Ich habe verstanden! Ich habe verstanden! Ich werde jetzt alles tun was ihr sagt. Ich liebe Euch! Ich schätze Eure Mühen! Erbarmen! ERBARMEN!!!“

Der Streik verlief wie folgt:

Tag 1:
Wir lassen Geschirr und ähnliches stehen. Räumen aber Müll weg. Kleidungsstücke stapeln wir auf einer Stelle. Kind 1.0 zeigt keine registrierbaren Reaktionen auf die steigende Unordnung.

Tag 2:
Wir lassen zusätzlich Umverpackungen auf Tischen und anderen Oberflächen liegen. Wenn etwas aus dem Schrank genommen wird, lassen wir die Schranktüren offen. Kind 1.0 verhält sich wie immer.

Tag 3:
Wir lassen zusätzlich Essensabfälle liegen und lassen Jacken, Mützen und ähnliches am Ort des Ablegens auf den Boden fallen. Kind 1.0 scheint sich wohler als sonst zu fühlen.

Tag 4:
Wir lassen Abfälle an Ort und Stelle aus der Hand gleiten. Verteilen Haare, Zahnpastareste und Haarbürstengewölle in den Waschbecken. Sauberes Geschirr gibt es schon lange nicht mehr. Kind 1.0 bemerkt, dass es nicht mehr Tisch decken muss und man einfach die Gegenstände des Vortrags verwenden kann. Es freut sich.

Tag 5:
Die Wohnung stinkt, man findet kaum etwas wieder. Wir haben mehrere Wunden, die von eingetretenen Gegenstände oder offen stehenden Schubladen stammen. Kind 1.0 isst nur noch direkt aus dem Kühlschrank.

Tag 6:
Alle Frischnahrungsmittel sind aufgebraucht. Kind 1.0 kommt jeden Tag später vom Hort zurück.

[…]

Tag 16:
Der einzige Zufluchtort ist unser Bett. Wir verbringen den ganzen Tag darin und wehren mit Besenstielen die Tiere ab, die sich vom Unrat der Wohnung ernähren.

Tag 17:
Eines der Mülltiere hat sprechen gelernt, es fordert im Namen der anderen Getiere, dass der Müll konzentiert an einer Stelle gelagert wird, die Infrastruktur seiner Kultur sei bedroht. Wir lehnen ab.

Tag 18:
Unsere Reis- und Nudelvorräte neigen sich dem Ende zu. Wir rationieren so wie wir es im Dschungelcamp gesehen haben.

Tag 19:
Die Faulgase, die sich gebildet haben, leuchten im Dunkeln. Mein Mann und ich sehen vom Bett aus auf die glühende Wohnung und fühlen uns verliebt. Kind 2.0 und 3.0 wohnen bei den Großeltern.

Tag 20:
Die Schlucht, die Kind 1.0 sich zwischen Kinderzimmer und Toilette wie eine Schneefräse gebahnt hat, bricht zusammen. Die Müllwesen ernennen Kind 1.0 zu ihrem Anführer. Jene, welche einen IQ über 80 haben, machen seine Hausaufgaben. Andere beschaffen ihm Dinge, die auf dem Bio-Müll gewachsen und essbar sind.

Tag 21:
Wir können die Heizung abstellen. Unrat und Bio-Müll geben so viel Wärme ab, dass wir auf Kleidung verzichten können. Kind 1.0 bemerkt, dass wir lange schon nicht mehr gemeckert haben und sagt, dass es das gut finde. Nachts weine ich leise ins Kissen. Mein Mann sagt, wir müssen durchhalten.

Tag 22:
Wir vermissen die anderen Kinder sehr. Doch da: Kind 1.0 stellt unaufgefordert einen Teller in die Spülmaschine. Es sagt, dass es sich seit knapp einem Monat viel besser fühlt als sonst. Wir sind einsichtig. Die Gehirnentwicklung scheint in diesem Stadium der kindlichen Entwicklung keine Rezeptoren für die Bedürfnisse anderer zu besitzen. Wir kriechen vor ihm auf den Boden und flehen: „Verzeihe uns unsere Uneinsichtigkeit, unsere überzogenen Forderungen, unsere unrealistischen Erwartungen! Verzeih‘!“ Es hält uns die Hand hin, damit wir sie küssen können. „Jetzt räumt den ganzen Mist endlich weg und kocht mir was Ordentliches! Ich habe mir das lange genug geduldig angesehen!“

Hör‘ auf die Eltern, sei kein Pferd

Manchmal durchleben Kinder das selbe, auch wenn der Altersunterschied ungefähr sechs Jahre beträgt. Während dem einen lustig die Zähne ausfallen, warten wir beim anderen, dass dort Beißerchen erscheinen.
Gemeinsam sind sie leidenschaftliche Teilhaber am täglichen Elternquälritual Zähne putzen.
Während das Großkind am Becken mit der Zahnbürste jongliert, dabei Fliegen erschlägt und Zahnpasta ißt, steht das Kleinkind mit zugekniffenem Mund und geschlossenen Augen in einer Ecke gekauert und tut so, als sei es allen elterlichen Aufforderungen gegenüber taub.
Ab und zu blinzelt es, um zu sehen, welchen Blödsinn das Geschwister veranstaltet und fällt dann nach kurzem, hysterischem Lachen wieder in Stasis.
Beim großen Kind hilft es meist nur mit elterlichem Kopfstimmengesang im falschen Moment zu drohen. Wenn es hört, dass wir in Anwesenheit von Ritschi oder Tärränz, den Coolen der Schule, peinliche Verhaltensweisen an den Tag legen werden, putzt es meist die sieben verbliebenen Milchzähne blitzeblank.
Da das kleine Kind noch nicht unter präpubertäten Gruppenzwängen leidet, nützt Drohen nichts. Wir putzen also lieber dessen Stofffreunden die Stoffzähne und hoffen, dass es haben will, was Schnüffi der Hase hat: strahlend weiße Schneidezähne.
Das Baby, durchaus interessiert an den Vorgängen des Stofftiermaulschrubbens, öffnet den Mund natürlich nicht.
Das einzige was wir erreichen, ist, dass das Baby am nächsten Morgen beim Wort Zähneputzen den Hasen holt und uns stolz überreicht.
Abends schauen wir uns dann Kariesbilder im Internet an und hoffen, dass sich endlich das freiwillige und verständige Zähneputzen einstellt.

Bitte Zähne putzen