Die andere Hälfte des Lebens

Erziehung ist eine schwierige Sache. Irgendwann habe ich festgestellt, dass wir unseren Kindern die meisten Dinge nur beibringen, damit sie es generell können um die neu erlernte Fähigkeit wieder zu verwerfen oder um irgendwelchen absurden Gesellschaftsnormen zu entsprechen.
So z.B. die Fähigkeit Ordnung halten zu können. Da reicht es wirklich völlig, dass man es theoretisch könnte und gerne denke ich an die Studentenzeit zurück, in der mir böse Zungen schimmelndes Geschirr nachsagen.
Jedenfalls halten wir unseren Kindern selbstverständlich täglich den Ordnung-ist-wichtig-Vortrag. Als zu erwartende Reaktion schaltet unser Nachwuchs schon beim ersten Satz auf Durchzug und so verschwindet Spielzeug oft im Zimmernirvana und auch Kleidung reduziert sich auf wundersame Art und Weise relativ regelmäßig. (Ein weiterer Beitrag unserer Kinder für die stagnierende Wirtschaft in Deutschland übrigens).
Die Wahrheit jedoch lautet: Ordnung ist für die Katz und Chaos ist wunderbar. Persönlich räume ich zwischen 8 und 15 Uhr – wenn die Kinder außer Haus sind – gar nichts weg. Ich ahle mich in Unordnung, schaue zufrieden auf Geschirrberge, lasse Verpackungen rumliegen und öffne das Fenster, damit die Vögel die Brotkrumen vom Boden picken können.
Manchmal gehe ich sogar zum Kleiderschrank und zerwuschele meine Wäscheberge.
Pünktlich um 15.10 Uhr beginne ich aufzuräumen. Schließlich kommen die Kinder bald nach Hause. Wenn ich es mal nicht rechtzeitig schaffe, weil ich nach sechs Stunden fernsehen bei Pizza und Schokolade nicht zum Aufräumen gekommen bin, sammele ich einfach alles ein und räume es in unser fünftes Zimmer. Von diesem Zimmer haben wir unseren Kindern nichts gesagt. Die Gründe sind nahe liegend.
Manchmal verstecken wir uns auch einfach so im Geheimzimmer. Die Kinder irren dann rufend durch die Wohnung aber wenn man sich eine halbe Stunde ruhig verhält, fangen sie an sich selbst zu beschäftigen. Im Geheimzimmer haben wir zwei große Ohrensessel, W-LAN und einen Automaten mit Heiß- und Kaltgetränken. Fenster gibt es dort nicht. Wofür auch? Das Tageslicht würde nur den ganzen Schmutz und Unrat sichtbar machen und dann würden wir uns nicht mehr wohl fühlen.

Der Tag an dem die Welt zusammenbrach

Sommer 2007 waren wir Eis essen.
Am 17. September – also fast am Ende der Saison – geschah etwas wundervolles. Der Eishändler unserer Wahl nahm rosa Glitzereislöffel in seine Kollektion auf. Wie sich erfahrene Eltern denken können, war diese Kombination unwiderstehlich und sorgte für ein Umsatzplus von gut 27%.
Allerdings hatte der Plastiklöffelhersteller Lieferprobleme und so kam es, dass wir am 30. September den allerletzten rosafarbenen Glitzerlöffel ergatterten. (Freilich nicht ohne der ein oder anderen Mutti meine gespitzten Ellebogen in die Seite zu rammen…)
Der Löffel wanderte in die Küchenschublade und wurde jeden Morgen feierlich unter Fanfarenmusik zu Tisch getragen, um dort benutzt zu werden.
Zwei Jahre später, am 11. Oktober 2009 geschah das Unvermeidliche. Der Löffel zerbrach.
Das Kind bekam einen Nervenzusammenbruch und konnte nur unter stundenlangem Trösten und dem Versprechen recht bald ein Hauspferd anzuschaffen, beruhigt werden. Die Recherche zum Thema Hauspferd ergab, dass nicht unwesentliche Probleme mit der Anschaffung verbunden wären. Beispielsweise verstehen sich Hauspferde mit Kampfhunden nur mittelmäßig gut – was in Berlin schnell ein Problem werden kann.
Ich entschloss mich alternativ einen neuen Löffel zu kaufen. Sieben Wochen später gab ich auf. Kein Löffel war so wie der zerbrochene und das Kind weinte jeden Morgen bitterlich. Kompromissbereit war es dennoch. Wenn der Löffel farblich ganz genau dem Essen entsprach, trocknete das Kind die Tränen, nickte und begann mit den Worten „Passt farblisch“ zu essen.
Ich kann hier nur berichten, dass es einfacher ist, das Essen auf die Löffel abzustimmen und nicht umgekehrt. Sehr schwierig zu besorgen war z.B. der Salami-Stullen-Löffel: unten am Griff braun, ein gelber Kringel und oben rot mit weißen Punkten. Besser ist es, einen pastellgelben Löffel mit einem Bananenquark zu reichen…
Wie dem auch sei.
Das Hauspferd fühlt sich bei uns eigentlich ganz wohl und den Ausritt machen wir jeden Morgen um 5.12 Uhr. Da schlafen die Kampfhunde noch und es gibt nur selten Ärger.

Liebe, unverwüstliche Liebe in mir

Jeder hat so seine Ängste was die Entwicklung der eigenen Kinder angeht. Mein Ex, leidenschaftlicher Extremsportler seines Zeichens, befürchtete stets sein Nachwuchs könne zum sensiblen Flötenspieler mutieren.
Ähnlich ging es mir bei dem Gedanken an Pferden. Ich kann sie nicht ausstehen. Sie stinken, haaren und sind häßlich. Schon als kleines Mädchen mochte ich sie nur als Bestandteil italienischer Salami.
Doch das weltliche Karma ist unerbittlich. Denn kaum erscheint ein Gaul am Horizont, schon kreischt Kind 2.0 vor Freude und fällt fast aus dem Kinderwagen vor Begeisterung.
Um des Seelenheil willens stelle ich mich deswegen wahnsinnig gerne in der prallen Sonne vierzig Minuten in eine Schlange, damit es reiten kann. Ich habe auch keine Probleme damit andere Mamis anzuschreien oder an den Haaren zu ziehen, um unsere gute Platzierung zu verteidigen.
In mir auch Ruhe und ZENartige Ausgeglichenheit wenn das Kind, sobald wir an der Reihe sind, schreit: Neeee MamamamMMMAAAAAAAAAAAA WILL NICH, habsch ANGST!
Wenn wir dann nach einigen erfolglosen Überredungsversuchen aus der Schlange ausscheren und das Kind es sich anders überlegt und brüllt: WILLSCH reeeiiIIIIIIten MAMAAAAAAA! liebe ich es trotzdem. Immer und immer und immer. Echt. Ich lüge nie.

Der Katzenveit von Tripstrille

Kürzlich war unsere italienische Verwandtschaft zu Besuch und es dauerte keine 60 Minuten bis die Kinder mit einem leuchtenden, blinkenden und melodienleiernden Spielzeug ausgestattet waren.
Wenn man liest, man habe Gefangene mit Popsongs von Britney Spears und Metallica gefoltert, dann ist es leicht vorstellbar, dass auch diese Art Spielzeug eingesetzt wurde.
Die Melodie ist eingängig und schon ein sechs Monate altes Kind kann sie problemlos nachahmen. Von sprechfähigen und schulpflichtigen Kindern ganz zu schweigen.
So dudelt und rollt das automatische Gefährt seit einer Woche fröhlich durch die Wohnung. Wenn die Kinder nicht da sind, versteckt es sich hinter dem Wäschekorb oder in der Spülmaschine und fährt unerwartet aus seinem Versteck hervor und versetzt uns Erwachsene in Angst und Schrecken.
Einmal saß es sogar in der Kloschüssel und griff jäh beim morgendlichen urinieren an.
Tagsüber wenn die Kinder wach sind, fährt und tutet es wie von Geisterhand gesteuert durch die Wohnung und die Kinder laufen fröhlich singend hinterher. Der Melodienzug fährt durch den Flur, durchs Wohnzimmer und zurück ins Bad und die Kinder klatschen dazu im Takt.
In einem nächtlichen Traum höre ich genau die selbe Melodie auf einer menschenleeren Straße. Der Dudelzug fährt durch Berlin und die 7.976 Kinder unseres Bezirks folgen ihm die Tonfolge leise murmelnd. Als ich aus dem Fenster sehe, erkenne ich im fahlen Licht der Laternen in drei großen Lettern G E Z am Wagenstand. Die Zimmertür der Kinderstube öffnet sich leise knarrend und unser Baby schüttelt traurig den Kopf: Kulturzeit, Mama.
Gert Scobel sagt das größere Kind, dann laufen auch sie auf die Straße hinaus zum GEZZug. Schluchzend rufe ich in die Nacht: Abba isch abbe gar keine Färnsäha!

Tatookid

Hunderte von Büchern wurden zum Thema Motivation geschrieben. Psychologen behaupten gerne, es gäbe keine extrinsische Motivation. Gemäßigtere Meinungen postulieren, dass externe Verstärker zumindest die intrinsische Motivation verderben. Doch Tatsache ist, für einen Stempel tut das Kleinkind ALLES.

Es begann feindosiert im Kindergarten. Einmal ins Klo pullern = ein Stempel.
Das Kind war in vier Tagen windelfrei und soff Wasser wie ein Kamel. Macht 17 Stempel fürs Pinkeln am Tag.
Auf eine lange Tradition der Aufräumverweigerung beim Erstgeborenen zurück blickend, dachten wir so ein Stempelchen würde auch hier seine Wirkung nicht verfehlen. Und tatsächlich: Kind 2.0 räumte regelmäßig auf. Es entwickelte eine wahrhafte Aufräummanie. War ein Gegenstand nur um einen Millimeter von der Soll-Position verrückt, er wurde aufgeräumt. Schreiend verlangte das Kind Stempel um Stempel. Allein dafür kamen weitere 9 Stempel täglich hinzu.
Man muss nun sehen, dass so ein alfgroßes Wesen doch recht bald an Kapazitätsgrenzen kommt, was das freie Hautflächen zur Verfügung stellen angeht. Bald waren 80% des Körpers bestempelt. Nur Hände, Füße und der Kopf boten Freiflächen.
Dann verlangte das Kind weitere Stempel fürs Durchschlafen. Da wir bereits 765 Tage darauf warteten, stempelten wir schweren Herzens das Gesicht.
Gesellschaftlich kommt es nicht sooo gut rüber ein ganzkörpergestempeltes Kind zu haben – doch was soll man tun? Dafür sparen wir Windeln, schlafen durch und es ist picobello aufgeräumt.

Berlin – Hajo!

In diesen Babykursen hört man immer wieder diesen Unsinn bestimmte Fähigkeiten könne man nicht trainieren, sie würden einfach reifen.
Als engagiertes Elternpaar halten wir von solchen Hypothesen natürlich nichts und beginnen frühzeitig mit dem Training, so dass unsere Kinder stets mit den Besten mithalten können.
Mit einem leichten Schock habe ich jedoch festgestellt, dass unser Einsatz gelegentlich etwas abschlafft.
Heute morgen musste ich z.B. in einer Hauruckaktion das Kostüm von Kind 2.0 ändern. Der Kindergartenfasching stand unter dem Thema „Waldtiere“ und als ich den Kindergarten betrat, hüpfte mir ein Kind entgegen, das mich mit einem seltsam süßlich riechenden Spray parfumierte und dabei jubelte: Ich bin eine Stinkwanze und ich sprühe Dich mit Wohlgeruch ein!
Ich schaute auf Kind 2.0, welches lediglich als Hummel verkleidet war und mir wurde klar: Wenn das erste Kind, dass mir entgegen tritt, als Stinkwanze verkleidet ist, wird es als Hummel einfach nicht punkten können.
Ganz umsonst hatte ich ihm also mit seinen 16 Monaten das Wort „Bombus sylvarum“ beigebracht.
Ich drehte auf dem Absatz um und lief nach Hause.
Mit nur wenigen Handgriffen hatte ich aus einem Erbstück der Mutter väterlicherseits aus einem schönen Kaninchenhaarmantel ein Ganzkörperanzug für das Kind genäht. Aus einem Haarreif, ein bißchen Basteldraht und den Klorollenvorräten der letzten beiden Jahre formte ich ein mächtiges Geweih.
Unser Kind sollte als breitstirniger Steppenelch gehen.
Das Geweih war allerdings so perfekt nachgebaut, dass das Kind nicht mehr durch die Eingangstür des Kindergartens passte.
Das machte mich ein bißchen traurig, jedoch bestätigte das Kind durch Babyzeichen als ich es neun Stunden später wieder abholte, es habe nur wenig gefroren und eine Erzieherin habe ihm einige Eicheln zu Mittag raus gebracht.

Saufen, saufen, oder ich fall‘ um

Tatsächlich dachte ich bereits, mir sei nichts mehr peinlich. Doch auf einer illustren Bahnfahrt mit meinen Kindern wurde ich eines besseren belehrt. Als ich da nämlich meinen Latte Macchiato von der Thermoskanne in den Becher goss, schrie das kleinere Kind plötzlich lauthals:
„Auch Alkohol haben, Alkohol haaaaaben“. Dummerweise befindet es sich gerade in der ich-schreie-gelegentlich-bis-der-kopf-platzt-und-wälze-mich-dabei-auf-dem-boden-wenn-ich-nicht-bekomme-was-ich-fordere-Phase.

Ich setzte also mein zauberhaftestes Lächeln auf und erklärte mit warmer Stimme: „Liebliches Kind, Alkohol ist nichts für kleine Kinder, drum kann ich Deinem Begehr nicht nachgeben und außerdem…“
Gerade als ich erklärend nachreichen wollte, dass ich mir auf einer Reise mit Kindern im Zug aus der Warmhalteflasche gar keine Schnäpschen genehmige, war dann alles vorbei „Räbääähhhhhhh bäääähhhh wäääähhhhh! ICH WILL ALKOHOOOOL! Wähhhhhhh.“
Die anderen Mitreisenden starrten währenddessen angestrengt auf ihre Bücher oder zu den Fenstern hinaus.
Da spürte ich doch tatsächlich die Schamesröte in mir aufsteigen.

Ein geheimbündlerisches Zuzwinkern eines erdbeernasigen Rentners konnte mir leider nicht helfen.