Gender Leisure Gap – und nu?

Seit 2004 blogge ich hier und ich habe wirklich noch nie so viele Reaktionen auf einen Artikel bekommen, wie auf den letzten. Auf Instagram alleine über 1.000 Kommentare – ich frage mich wie große Influencer*innen das schaffen (lesen, antworten)… jedenfalls wow. Ich bin überwältigt und mir ist das wirklich sehr nahe gegangen. Jede einzelne Erfahrung. Es ist Alltag. Die Erschöpfung ist real. Von Freizeit träumen die meisten nur. Verfügbarkeitsansprüche bestimmen das Leben. Ein Großteil der Kommentare beschreiben Erleichterung. Viele dachten, dass sie alleine sind, dass sie „schuld“ sind, dass sie sich besser organisieren müssen, dass sie schwach sind. Viele sagen: „So gehts mir auch – aber was kann man denn tun?“

Ein paar Antworten und Hinweise habe ich.

  1. Du bist nicht allein

    (Sehr emotional hat das Lars Ruppel für mein Buch zusammengefasst. Wer mag, liest mal das Gedicht „Mental Load„)

    Es ist ganz einfach, wenn sehr viele Menschen eine Sache erleben, beinahe unabhängig von den Lebensbedingungen, von der Anzahl der Kinder, vom eigenen Alter, vom Wohnort, von der Art der Erwerbsarbeit, … dann kann man sich schon mal sicher sein: Das Thema ist nicht individuelles Versagen. Das Thema ist im System verankert.

2. „Das System“ und ideale Bedingungen

Die Erschöpfungseffekte treten am wenigsten auf, wenn:

a) Überraschung – Geld da ist. Geld ermöglicht ganz banal Sorgearbeit auszulagern. Sorgearbeit kann man in zwei Aspekte unterteilen:

  • Praktisches (Haushalt, Arzttermine, …)
  • Soziales (Kinder erziehen, sich um Angehörige kümmern, sich um eine Gemeinschaft kümmern, …)

Für beide Dimensionen kann man sich Entlastung „kaufen“. Per Reinigungskraft, per Gärtner*in, per Lieferdienst für Essen, per Kindersitter, per Bestellessen, per Trockner, per Staubsaugroboter… All das kostet Geld. Wer Geld hat, der lagert aus.

Hier spielt außerdem mit rein: Gibt es ein Netzwerk, das unabhängig vom Geld kostenlos Sorgearbeit leisten kann? Freund*innen? Verwandte? Denn klar: wer fitte (und gewillte) Großeltern in der direkten Umgebung hat, die sich um die Enkel mitkümmern können, hat auch Entlastungsmöglichkeiten.

b) der Staat seiner Fürsorgepflicht ausreichend nachkommt
Sprich: Wenn es z.B. qualitativ hochwertige, flächendeckende Kinderbetreuung gibt. Nicht erst zum Kindergartenalter, nicht nur halbtags, inkl. Mittagessen, inkl. Hort/Hausaufgabenbetreuung, inkl. gute Pflegesituation für alte Menschen.

Aber eben auch: eine ordentliche Verkehrsinfrastruktur (bezahlbar! auch auf dem Land!), bezahlbare Mieten und die Versorgung mit Breitbandinternet.

(Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Menschen auf dem Schirm haben, wie elementar wichtig diese drei Faktoren sind und wie sie mit dem Thema Sorgearbeit zusammenhängen…)

c) Entscheidungen bewusst getroffen und regelmäßig ausgehandelt werden

Die meisten Paare rutschen unbewusst in diese Ungleichverteilung. Statt dass man an neuralgischen Punkten im Leben verhandelt (Ausbildung/Studium beendet, zusammenziehen, Kinderplanung,…), orientiert man sich an Rollenstereotypen.

Man kann dazu ein ganzes Buch schreiben – was ich ja auch getan habe – aber wenn man sich fragt, was man tun kann, muss sich immer drei Ebenen anschauen:

  • Mikroebene (das konkrete Paar, deren Wertesystem, deren konkreter Job, deren Aufteilung…)
  • Mesoebene (direktes Lebensumfeld: Familienangehörige, Freundeskreis, Betriebe)
  • Makroebene (staatliche Leistungen, Sozialversicherungssystem, Einkommenssteuersystem, aber auch gesellschaftliche Ansichten über Mutterschaft, Vaterschaft…)

3. Dein Handlungsspielraum

Die beiden vorangehenden Punkte bilden den persönlichen Handlungsspielraum. V.a. Punkt 2 bildet den Rahmen. Wie sehr, ist vielen gar nicht bewusst. Leidiges Thema Ehegattensplitting als Beispiel. Ehegattensplitting lässt es für viele Paare „individuell“ total logisch erscheinen, dass man sich die Ressourcen in Erwerbsperson und Sorgeperson aufteilt. Sie entscheiden das gemeinsam. Den größten Effekt gibt es wenn die Frau nicht erwerbsarbeiten geht.

Geht die Frau „trotzdem“ arbeiten, wird ihr Einkommen in vielen Familien geistig nicht dem Familieneinkommen zugerechnet, sondern gegen die zusätzlichen Kosten, die entstehen, weil sie nicht die Sorgearbeit übernimmt, verrechnet. „Lohnt sich also nicht. Ist eher so ein Hobby der Frau. Macht Familienalltag schwieriger und am Ende belastender für die Frau. Warum tut sie das? Der Mann verdient doch genug, so dass die Frau nicht auch noch arbeiten gehen muss…“
Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit, Karrierewünsche, Altersvorsorge… all das zählt oft wenig.

Überhaupt, das liebe Geld. Wenn Paare überhaupt verhandeln, dann oft anhand der Einkommen. Und da gewinnt statistisch gesehen, immer der Mann. Jedenfalls solange es ein Gender Pay Gap gibt.
Es ist eine Abwärtsspirale. Wenn die Frau auf ihre Berufstätigkeit verzichtet, weil der Mann mehr verdient und sie deswegen die Sorgearbeit übernimmt, dann wird das Argument jedes Jahr stärker. Denn jedes Jahr würde ein Berufseinstieg schwieriger und die Aussicht auf ein Gehalt, das dem des Partners gleichkommt, schwindet.

Der Ausgangspunkt einer jeden Verhandlung sollte daher Zeit und nicht Geld* sein.
Gerecht ist es, wenn man als Familiensystem die verfügbare Zeit so aufteilt, dass am Ende beide gleich viel arbeiten. Und Sorgearbeit ist eben Arbeit. Da sollte man sich nicht über den Tisch ziehen lassen und fair rechnen (Exemplarisch im Artikel „Aber ich arbeite Vollzeit und meine Frau nicht“ nachzulesen).

Am Ende bleibt vielleicht in der Kleinkindzeit gar keine Zeit übrig. Aber wie hat es mein Podcastpartner Caspar Clemens Mierau mal in „Mit Kindern leben“ gesagt: „Gerecht ist es, wenn beide immer ein bisschen erschöpft sind“ und eben nicht eine Person in den Burnout abrutscht und verschwindet und die andere weiterhin Sonntags zum Fußball geht.

4. Prävention

Alle wissen: Prävention ist wichtig, aber die Pandemie hat ja gezeigt – es fällt vielen schwer, vorher Dinge zu tun oder nicht zu tun, um andere Dinge zu verhindern. Trotzdem der Vollständigkeit halber eine schnelle Auflistung optimaler Voraussetzungen für egalitäte Arbeitsverteilung:

  • Entscheidungen werden bewusst getroffen (siehe 2b)
  • geringe Einkommensunterschiede des Paars vor der Geburt des 1. Kindes
  • relativ starke Berufsorientierung der Frau
  • relativ starkes familiäres Engagement des Mannes (nicht im Kopf, sondern im Tun)
  • vorhandene Infrastruktur (siehe 2b)
  • Arbeitgeber, der Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit möglich macht

Keine Rocketscience zum einen und keine unkomplizierten Wunderlösungen zum anderen. Wir sind abhängig von den Rahmenbedingungen – nur eben einige mehr als andere. Und: Am Ende gibt es aber so gut wie immer Spielraum.


* Siehe Punkt 2a = Geld. Viele Paare haben keinen bis wenig Spielraum. (Ich meine nicht die Familien, die sich Dinge nicht leisten können, weil z.B. der Fall von 8.000 EUR netto auf Höchstsatz Elterngeld 1.800 EUR nicht finanzierbar ist)

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