Twitterliebe 10/14

Denkt mal drüber nach:

Der wahrhaftig existierende Hipster

Es ist 6.15 Uhr an einem Montag Morgen. Ich warte auf die U-Bahn. Ich fühle mich müde und erschöpft. Am Vortag bin ich mit einem Buch früh ins Bett gegangen und schon nach 50 Seiten werden mir die Augen so schwer, dass ich das Licht ausmache und um 21.00 Uhr tief und fest schlafe. Als Ausgleich wache ich um kurz vor 4.00 Uhr auf. Es gelingt mir nicht mehr einzuschlafen. Zwei Stunden später bin ich müde. Zu müde für alles. Ich ziehe mich lustlos an, trinke einen Kaffee, suche meine Kopfhörer und stehe schließlich musikhörend am Bahngleis und betrachte die anderen Wartenden.

Mein Blick fällt auf einen außergewöhnlich großen Mann mit Bart. Sein Bart ist dunkel und voll. Ein bißchen zu lang für meinen Geschmack aber sehr prachtvoll. Tatsächlich ist „prachtvoll“ das Wort, das mir zu seinem Bart einfällt. Den Falten in seinem Gesicht nach zu urteilen ist er über vierzig. Er hat ganz wunderhübsche Falten. Fast so wie Brad Pitt, dessen Tränensäcke ich echt sexy finde. Er trägt einen Undercut. Dieses Wort kenne ich nur, weil ich es irgendwo im Internet gelesen habe. In seinen Ohren weiße Ohrstöpsel. Er hört regungslos Musik. Seine dunkelgraue Jeans ist nach oben gekrempelt. Sie hängt tief, der Schnitt ist gerade, gehalten wird  sie von einem schwarzen Ledergürtel. Man sieht seine Unterhosen – besser gesagt: Boxershorts. Am Gummiband steht tatsächlich Calvin Klein. Ich überlege, ob ich das albern finde. Seine Füße stecken in Sneakern. Er trägt keine Socken. Als ich später den Begriff Hipster google steht da „Shoes without socks: to say – I’m aware of convention but I reject it.“

Die U-Bahn fährt ein. Da die S-Bahn heute nicht fährt, ist sie sehr voll. Wir quetschen uns zu den anderen. Der Typ hält sich an einer der oberen Stangen fest. Ich komme da nur ran, wenn ich meine Arme gerade ausstrecke. Er ist so groß, dass er seinen Arm beim Festhalten anwinkeln muss. Er trägt eine schwarze Steppjacke. Ich betrachte die Rauten und denke daran, dass ich diese Art Stoff das letzte Mal bei meiner Mutter auf dem Bett liegen sah. Unter seiner Jacke sehe ich ein weißes T-Shirt mit Aufdruck, den ich nicht vollständig entziffern kann, weil er seitlich steht. Es ist kurz. Weil er seinen Arm nach oben streckt, sieht man ein winziges Stück seines flachen Bauchs.

„Ob dem nicht kalt ist?“, ist mein erster Gedanke und ich muss lachen. Ich bin so eine Mutti geworden.

Der Typ sieht genau genommen aus wie aus einem Hipster-Magazin ausgeschnitten. Ich finde faszinierend wie jedes Detail stimmt. An seiner Seite sieht man ein großflächiges Tattoo.  Seine Ohren haben Tunnel. Ich bin zu alt, um Tunnel schön zu finden. Ich hab nur einmal Tunnel gesehen, bei denen ich dachte: das macht Sinn. Die hatten ungefähr 5 cm Durchmesser und in dem Ring war eine Batman-Fledermaus zu sehen. Ich hab mir vorgestellt, wie man in der Dunkelheit hinter der Trägerin steht und ihre Batman-Tunnel mit einer Taschenlampe anstrahlt, so dass der Schatten auf die gegenüberliegende Hauswand fällt.

Der bärtige Mann hat keine Fledermäuse in den Tunneln. Sie sind nicht übertrieben weit gedehnt und es sieht zu seinem Look sehr stimmig aus. Ich grüble, ob es erst diese Menschen gibt und die Zeitungen dann über sie schreiben oder ob die Zeitungen solche Menschen erfinden und bestimmte Menschen das so toll finden, dass sie los ziehen, sich die entsprechenden Accessoires besorgen und dann mit einer Abbildung zum Frisör gehen, um sich entsprechend stylen zu lassen.

Der Mann, der so aussieht wie eine Fotografie, sieht in all seiner Inszeniertheit wirklich unfassbar toll aus. Unbewusst prüfe ich meine Spiegelung im U-Bahnfenster. Der Pony sitzt schief und auch sonst sehe ich echt nicht so toll aus. Während ich mein Spiegelbild betrachte, sehe ich eine Frau hinter mir, die scheinbar das selbe tut. Ich drehe mich um und mir fällt auf, dass sie ungewöhnlich gerade steht und ebenfalls diesen Mann anschaut. So wie die Frau daneben und die daneben und die daneben. Ein seltsamer Anblick. Normalerweise starren alle ohne Fokus vor sich hin, lassen die Schultern hängen oder tippen in ihre Telefone. Ich stehe aber in einem U-Bahn-Abteil mit Damen, die ihren Rücken gerade durchgestreckt und ihre Bäuche eingezogen haben. Eine zieht ihren Lippenstift nach. Um 6.18 Uhr. So lange kann es nicht her sein, dass sie den Lippenstift drauf gemacht hat.

Der Typ indes schaut weiter in sein Telefon und blättert seine iTunes Bibliothek durch. Er scheint nichts von dieser Szene mitzubekommen.

Wir kommen an der Endhaltestelle an. Die Türen öffnen sich, der Mann zieht den Kopf ein und tritt auf den Bahnsteig. Dann verschwindet er mit dem Menschenstrom. In der U-Bahn höre ich ein Ausatmen. Vielleicht war es auch ein kollektives Seufzen.

Herzleiden

In Vorstellungsrunden sage ich gerne, dass mein Blog mein Verdauungsorgan ist. Das finden alle ekelig und der Raum raunt gerne leise üüüüääähhh – aber ich finde diese Analogie sehr treffend. Leider ist sie nicht von mir, sondern von Felix Schwenzel, das sage ich dann auch ab und zu dazu – aber jetzt ist es googelbar. „Mein Blog ist mein Verdauungsorgan“ ist ein Zitat von Felix Schwenzel und es ist wahr.

An dieser Stelle möchte ich meinen Krankenhausaufenthalt im Sommer verdauen.

Erzähle ich die Geschichte von Anfang an und beginne mit: „Alles fing mit Rückenschmerzen an.“ verursache ich bei meinem Gegenüber immer ein besonders gutes Gefühl. Rückenschmerzen habe ich sehr oft. Seit ich Kinder habe eigentlich andauernd und wenn ich mich belastet fühle, dann merke ich das an meinen Rücken am besten. Ich war also im Urlaub, alleine mit den Kindern im tiefsten Bayern an einem See und hatte unglaubliche Rückenschmerzen, die mich nachts wach hielten und mir tagsüber wirklich schlechte Laune machten. Ich war stinksauer. Ich hatte Urlaub! Ich wollte mich wohl fühlen und entspannen. Abends hatte ich ein bisschen Fieber und ganz ehrlich, normalerweise wäre ich nicht zum Arzt gegangen, aber weil ich meinen Urlaub genießen wollte, hoffte ich, der Arzt könne mir irgendein Knallermedikament verschreiben, das ich nehme – eine Chemiekeule die innerhalb von 24 Stunden wirkt.

Ich ging also zu einem Arzt, der zufällig Internist war, schilderte meine Beschwerden und der kräuselte die Stirn. Ein EKG und ein Bluttest später wollte der Arzt gerne, dass ich sofort ins Krankenhaus gehe.

Meine Kinder konnte ich bei einem lieben Freund abgeben und dann fuhr ich ins Krankenhaus. Zehn Minuten nach der ersten Untersuchung wurde ich an alle möglichen Geräte angeschlossen und durfte mich nicht mehr eigenständig bewegen. Mein Herz schlug im Ruhezustand 130 Mal pro Minute. 70 bis 80 Schläge sind normal, ich war also tachykard. Die Blutwerte legten nahe, dass ich einen Herzinfarkt gehabt haben könnte. Ich war völlig schockiert. Ich bin 39 und gehöre in keine der bekannten Risikogruppen. Ich habe keine Vorbelastungen, kein Übergewicht, kein Cholesterin, ich rauche nicht, ich nehme nicht die Pille. Temperamentmäßig gleiche ich eher einer geschlossenen Eisdecke als einem Vulkan.

Es folgte eine Herzkatheteruntersuchung. Ich war sehr beunruhigt. Man muss da so ein Zettelchen unterschreiben was alles passieren könnte und ich sage mal so: Man will nicht dass etwas passiert. Die Ärzte beruhigten mich: „Alles sehr unwahrscheinlich, nichts davon wird bei ihnen eintreffen.“ Ich glaube ab da habe ich durchgeweint. Der Satz „alles sehr unwahrscheinlich“ hatte für mich keine Bedeutung mehr seit eine liebe Freundin eine Woche zuvor von einem LKW überrollt worden war.

Man bot mir freundlicherweise Scheissegaltropfen für die Untersuchung an und ich kann sie sehr empfehlen. Für den Herzkatheter sucht der Arzt sich am rechten Arm eine Stelle am Handgelenk und schiebt dann den Schlauch bis zum Herzen um sich dann mit Hilfe von Kontrastmittel die Koronararterien anzuschauen. Der Kardiologe sagte: „Das Suchen und Schneiden ist ein wenig unangenehm, aber das wird ihnen egal sein.“ Er hatte recht. Es war mir völlig egal. Im Vergleich zu einer Magenspiegelung ist eine Herzkatheteruntersuchung ein Wellnesstreatment. Ich kanns sehr empfehlen.

Die Untersuchung zeigte, dass ich keinen Herzinfarkt gehabt hatte, sondern lediglich eine Herzmuskelentzündung. Auch nichts was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Um mir zu verdeutlichen wie ernst es ist, teilte man mir meinen Troponinwert mit. Troponin ist ein Protein, welches (laienhaft gesagt) das Herz bei einer Muskelschädigung ins Blut freisetzt. Wenn ich mich recht erinnere, sollte der bei höchstens 14 (unter 20 auf jeden Fall) liegen. Mein Wert war bei 1800. Das fand ich, ohne den blassesten Schimmer von irgendwas zu haben, beeindruckend.

Ich kam auf die Überwachungsstation und musste da beinahe zehn Tage bleiben, bis die Werte wieder im grünen Bereich waren. Die Infektion ist viral. Deswegen kann man medikamentös nichts tun. Man wartet einfach ab und beobachtet.

Ohne Ablenkung, an piepsende Geräte angeschlossen, hatte ich viel Zeit über den Tod und das Leben nachzudenken. Aufmunternde Bemerkungen der pragmatisch veranlagten Ärzte: „Keine Sorge! Schlimmstenfalls hilft immer noch eine Herztransplantation!“, gaben mir weiteren Anlass nachdenklich zu sein.

Unvergessen bleibt eine Visite. Die Ärzteschar, alles Männer in ungefähr meinem Alter, stellten sich wie die Sternsinger vor mir auf und zählten auf, was ich die nächsten Wochen und Monate nicht mehr tun dürfte. „Sport auf keinen Fall!“, „Keine Treppen steigen!“, „Einkaufen besser nicht!“, „Meiden sie Hausarbeiten!“. Dann gab es eine Pause und die Ärzte schauten sich gegenseitig an. Einer sagte: „Normalweise müssen wir das nicht thematisieren, weil die Standardpatientin eher um die 80 ist…“ Räuspern „Aber… in ihrem Fall…“ Ich wartete gespannt. Der Assistenzarzt wurde ein Stück nach vorne geschubst. In übertrieben beiläufigem Tonfall sagte er: „In ihrem Fall: Sie dürfen sechs Wochen keinen Sex haben.“ Schweigen. Der zweite Arzt dann: „Und danach nur normalen.“ Alle stehen unschlüssig rum und ich frage mich, ob ich nochmal nachfrage, was genau normaler Sex ist und was dann gegebenenfalls unnormaler Sex wäre, den ich ja nicht haben dürfte.

„Immerhin ist das Wetter schön…“ überbrückt einer der Ärzte die Gesprächspause. „Mit etwas Glück werden sie noch rechtzeitig entlassen, so dass sie auch etwas davon haben.“

Seitdem denke ich über normalen Sex nach und wie ich die Ansage hätte auslegen sollen. Vielleicht war das ja gar kein Verbot Sex zu haben sondern eine Option für einen schönen Tod? Ich habe wirklich viel über den Tod nachgedacht. Eher gesagt, über die Art zu sterben. Das tut man automatisch, wenn Freunde sterben, man selber fast stirbt und man das Zimmer mit Menschen teilt, die Herzinfarkte oder Aneurysmen haben. Das Alter und all seine Gebrechen, das ist keine verlockende Perspektive. Leider sind die sechs Wochen vorbei und damit die Chance auf einen schönen Tod erstmal verstrichen. Man soll halt immer zuhören und nachdenken, wenn Ärzte was sagen. Ansonsten YOLO.

Mama Leaks

WikiLeaks ist eine Internetplattform auf der geheime Dokumente veröffentlicht werden können, die von öffentlichem Interesse sind. Das ist für diejenigen, welche die Dokumente geheim halten wollten natürlich ärgerlich. Über das Thema Geheimnisse liest man in letzter Zeit viel. Die amerikanische National Security Agency überwacht u.a. Telefone und die komplette Internetkommunikation. Während die einen auf die Straße gehen, um für ihre Freiheit zu demonstrieren, zucken andere nur mit den Schultern und sagen: „Na und? Sollen sie doch. Ich habe nichts zu verbergen…“

Wie falsch dieser Satz ist, das wird einem erst klar, wenn man ein flüssig sprechendes Kind im Kindergartenalter hat. Denn dann hat man zumindest vor den Erzieherinnen im Kindergarten und gegebenenfalls auch vor den anderen Eltern im Kindergarten wirklich keine Geheimnisse mehr.

Jedes noch so kleine, unangenehme, vielleicht peinliche Detail, das sonst gut in den eigenen vier Wänden aufgehoben ist, verlässt mit dem Kind die Wohnung. Ganz zu Beginn, das muss ich zugeben, war ich sehr unvorsichtig. Ich dachte, ein dreijähriges Kind, das versteht noch nicht viel und ich habe mich mit meinem Mann bedenkenlos über alles unterhalten, das mir in den Sinn kam. Unachtsam lästerte ich über mir nicht zusagende Kleidungsstücke anderer Leute, um dann wenige Tage später genau vor diesen zu stehen und mein Kind sagen höre: „Ist das die häßlische Kleid von das du gesprecht hast, Mami?“ Kind 3.0 deutet begeistert auf das grellorangene Sommerkleid einer anderen Mutter. Ich hielt mich für besonders schlau und dachte, ach, wenn ich so tue als ob ich nichts gehört habe, dann muss ich die Frage nicht beantworten. Das führte aber nur dazu, dass Kind 3.0 lauter nachhakte: „IS DAS DIE HÄSSLISCHE KLEID? MAMAAAAA?“ Ich errötete und antwortete: „Was? Nein! Was meinst du denn? Hm?“ Dabei fiel mir auf, dass meine Stimme schon etwas überbetont fragend, schon leicht ins hysterische abgleitend klang. Ich packte Kind 3.0 also ohne Schuhe und verließ fluchtartig die Garderobe. Den ganzen Weg nach Hause hoffte ich, dass die Mutter uns nicht gehört hatte.

Die nächste Lektion in Sachen Geheimnisse war dann: Verberge alles, was Hinweise auf Geheimnisse geben könnte. Das können ganz banale Dinge sein. Das Läuseshampoo vom Geschwisterkind, das Warzenmittel im Medizinschrank, selbst Produkte zur Monatshygiene möchten nicht öffentlich diskutiert werden. Einmal unachtsam liegen gelassen, werden sie vom Kind gefunden und bieten Diskussionsmaterial für allerlei heikle Themen. Vielleicht bin ich da auch nur hypersensibel, aber wenn mein Kind am Spielplatz beim Schaukeln zum Nachbarskind schreit: „MEINE MAMA BLUTET AUS DER SCHEIDE! DEINE AUCH?“, dann fühle ich mich doch kompromittiert.

Selbst Dinge, die eigentlich nie geschehen noch jemals ausgesprochen wurden, haben ausreichend Potenzial zum Rechtfertigungsalbtraum zu werden. Einfach weil das Kind etwas beobachtet und sich selbst einen Reim auf die Geschehnisse macht, die nicht unbedingt dem tatsächlichen Tathergang wiedergeben müssen.

Als mein Mann beispielsweise das Kind vom Kindergarten abholte, berichtete dies arglos von dem netten Mann, der die Mami morgens öfter besucht und zwar „Wenn du in die Arbeit gegangen bist, Papi“. „Die Mami macht immer halbnakisch auf und isch muss dann ganz leise sein wenn der Mann da ist.“ Zartes Nachfragen meines Mannes konnte die Situation auflösen. Schlussendlich handelte es sich um einen Nachbarn, der ein ungewöhnliches Talent hatte, immer genau dann zu klingeln wenn ich morgens unter die Dusche möchte. Ich denke, er ist shoppingsüchtig. Jedenfalls erhält er durchschnittlich ein Paket pro Woche, das der Postbote gerne bei uns hinterlegt. Er weiß in der Zwischenzeit an welchen Wochentagen wir morgens früh noch zuhause sind und holt dann seine Pakete ab. Vermutlich lauert er im Treppenhaus bis er hört, dass ich das Duschwasser aufdrehe und klingelt dann. Jeder hat halt so seine Hobbys. Wenn ich die Tür öffne und wir ein paar freundliche Worte austauschen, jubelt und grölt Kind 3.0 im Hintergrund. Da die Tür zum Hausflur geöffnet ist, bitte ich um Ruhe. Insgesamt eine eher harmlose Angelegenheit, die jedoch eine ganz besondere Note bekommt, wenn Kind 3.0 sie nacherzählt.

Und da wird es deutlich. Es geht bei Überwachung gar nicht um die tatsächlichen Geheimnisse, die man zu verbergen sucht sondern darum was andere durch Einzelbeobachtungen und deren Misinterpretation über das eigene Leben und Verhalten schließen.

Ein Land für Flauschziegen

Dass unsere Familie Duplo liebt, ist kein Geheimnis. Wir lieben Duplo sogar mehr als Lego. Das hat verschiedene Gründe.
Die neueren Lego-Sets sind z.B. so konzipiert, dass sie einmal aufgebaut, nie wieder auseinander genommen werden und dann in den Regalen einstauben. So mein Eindruck. Das war früher, als ich Kind war, irgendwie anders. Zumindest habe ich als Kind wahnsinnig viel auf- und abgebaut und kann mich nicht erinnern, dass Sets unantastbar in Regalen stehen mussten. (Einmal auseinandergenommen und wild vermischt, setzt die Baulust übrigens wieder ein!)

Foto (11)

Jedenfalls, wir besitzen ca. eine Tonne Duplosteine* und die werden von den Kindern bespielt und zwar unabhängig vom Alter. Selbst Kind 1.0 und ich spielen noch mit Duplo. Der Grund ist einfach: Im Software-Entwicklungsbereich würde man bei Duplo von Rapid Prototyping sprechen. D.h. man hat eine Idee und mit einigen großen Steinen, kann man das Modell dieser Idee umsetzen. Ein Hochhaus, eine Tankstelle, eine Burg – mit Duplo in einer Stunde umgesetzt. Dann wird damit gespielt und das nächste Mal wird alles eingerissen und ein neues Vorhaben wird umgesetzt.

Ich habe mich deswegen sehr über eine Einladung zur Eröffnung des neuen Duplo-Bereichs im Lego Discovery Center Berlin gefreut. Gemeinsam mit einigen anderen Bloggerinnen wurde uns der neue Bereich, der unter dem Motto Bauernhof steht, gezeigt. Schwerpunktmäßig soll er die Altersgruppe 1,5 bis 5 Jahre bedienen. Die Managerin erzählte uns, dass v.a. der Anteil an begleitenden Geschwisterkinder die letzten Jahre stark gestiegen sei und der Bereich auf deren Bedürfnisse abgestimmt sei.

Image
Alle Fotos Pressematerial Lego Discovery Center Berlin

Kind 3.0 war dort eine gute Stunde glücklich, während ich versuchte die 200 Bagel, die uns zum Frühstück hingestellt wurden, zu verspeisen. Danach durften wir noch alle anderen Attraktionen begutachten. Als Mitgebsel bekam jedes Kind ein Duplo-Set. Das Set beinhaltete zur großen Freude von Kind 3.0 eine echte Flauschziege.

Bildschirmfoto 2014-10-14 um 16.04.46

Ich habe bei der Eröffnung noch zwei weitere Sachen gelernt: Duplo heisst so, weil die Steine doppelt so groß sind, wie die normalen Legosteine. Ein bisschen banal – aber so klar war mir das nicht. Uns ist auch erst neulich aufgefallen, dass man Duplo und Lego miteinander verbauen kann. Wir sind offenbar Spätzünder.

Außerdem gibt es im Lego Discovery Center Bauworkshops für Erwachsene. Einmal im Monat abends ohne Kinder. Traumhaft. Alle Eltern kennen bestimmt dieses frustrierende Gefühl wenn man in Ruhe Lego spielen will und die Kinder ständig stören oder einem die besten Teile wegnehmen oder gar andere Ideen haben als man selbst. Die Workshops nennen sich Erwachsenen Fan-Abend und ich hätte auf jeden Fall mal Lust an einem teilzunehmen.

 

*Wer gerne auf Flohmärkte geht oder sich ein bißchen mit Ebay beschäftigt hat, weiss das: Ähnlich wie Schleich-Tiere haben Duplosteine einen hohen Wiederverkaufswert. Wir haben zur Sicherung unserer Rente nicht in Immobilien sondern lieber zukunftssicher in Kinderspielzeug investiert. Kann ich sehr empfehlen. Ist inflationssicher.

Gegen die Hilflosigkeit

Manche Dinge lassen mir einfach keine Ruhe. Seit dem Vortrag von Anne Wizorek auf der re:publica 2013 in dem sie unter anderem davon berichtet, wie sie aufgrund #aufschrei angegriffen wurde, denke ich darüber nach wie diese Art Wahnsinn (und es ist nichts anderes) gestoppt werden kann. Der Fall #gamergate und der daraus resultierende Vortrag von Anita Sarkeesian auf der XOXO Festival über die Beschimpfungen, Belästigungen und Bedrohungen, denen sie ausgesetzt ist, hat die Gedanken wieder neu angestoßen und letztendlich den Rest hat mir der Artikel „Trouble at the Koolaid Point“ von Kathy Sierras  gegeben.

Man muss nichts über Feminismus wissen, man muss nichts über diese Personen wissen, im Grunde reicht es einfach zuzuhören und sich dann zu fragen: Möchte ich Teil dieser Onlinekultur sein? Mehr nicht. Und für mich ist die Antwort glasklar: Nein. Ich möchte nicht. Nicht mal passiv.

Das Internet ist für mich ein wunderbarer Ort und ich möchte nicht, dass sich dort ungehindert Menschen bewegen, die andere Menschen beleidigen, angreifen, bedrohen, einschüchtern und fertig machen.

Das Internet sind Menschen. Echte Menschen. Keine virtuellen und ich möchte, dass das langsam mal alle verstehen. Alles was hier stattfindet, ist echt. Es gibt keine virtuellen Gefühle. Es gibt kein sich virtuell bedroht fühlen. Es gibt keine virtuelle Beleidigung. Wenn jemand auf Twitter eine andere Person beleidigt, dann ist das so echt wie auf der Straße, auf einer Konferenz, in den eigenen vier Wänden. Es gibt keinen Unterschied.

Das heisst doch – es gibt einen Unterschied. Offenbar sind die Angreifer und Aggressoren enthemmter. Warum auch immer. Das ist nicht mal an Anonymität gekoppelt. Es gibt genug Menschen, die sich unter ihrem Klarnamen wie Wildsäue aufführen. Ich vermute, weil sie sich als Vertreter einer großen Gruppe sehen. Mit dieser Gruppe im Rücken fühlen sie sich stark und sehen ihr Verhalten als berechtigt an.

Ich will an der Stelle gar nicht über diese Menschen im Detail und was mit ihnen nicht stimmt, sprechen. Ich will im Grunde nur zu einer Sache auffordern:

»One of the most radical things you can do is to actually believe women when they tell you about their experiences«, Anita Sarkeesian

Und wenn man tatsächlich zugehört hat, dann möchte ich einen Weg finden nicht mehr so hilflos zu sein, denn so fühle ich mich. Hilflos und unendlich betroffen. Was ist also zu tun?

Eine ungeordnete Sammlung meiner Gedanken, denn die Betroffenen selbst, haben keine Möglichkeit zu „gewinnen“. Ihre Verhaltensspielräume haben immer einen Effekt – am Ende gewinnt immer der Troll/Hater:

1. leave ([The trolls] Win) 

2. ignore them (they escalate, make your life more miserable, DDoS, ruin your career, etc. i.e. They Win)

3. fight back (If you’ve already hit the Koolaid Point, see option #2. They Win).

Aus Trouble at the Koolaid Point

 

Ich glaube, das Problem ist, dass de Betroffenen eben nicht alleine gewinnen können. Ich denke aber, es gibt einen Weg wie sie gewinnen können und dieser Weg hat etwas mit uns – den „Unbeteiligten“ – zu tun.

1. Für dieses Phänomen der Aggressoren ein neues Wort finden

D.h. nicht nur von „Trollen“ sprechen. Trolle, das sind diese kleinen, fast schon niedlichen, vielleicht etwas nervigen Wesen bei Ronja Räubertochter, die immer „Wiesu denn bluß?“ fragen. Menschen, die Frauen so angehen, wie Anita Sarkeesian oder Kathy Sierras, das sind keine Trolle, das sind Menschenhasser, das sind Orks. Sie sind unsozial, unzivilisiert und gewaltbereit. Das sind keine Kritiker, keine Menschen, die eine andere Meinung haben oder Menschen, mit denen man sich normal auseinandersetzen kann. Das sind hasserfüllte Menschen.*

Also sprecht nicht von Trollen, wenn ihr von diesen Menschen sprecht, die Frauen auf diese Art angreifen. Ich hab keinen besseren Namen, vielleicht habt ihr einen. Aber „Troll“ ist zu wenig, „Troll“ verharmlost diese Angriffe. Einen Troll kann man abschütteln. Bestimmte Aggressoren sind aber nicht abzuschütteln.

2. Solidarität

Und hier sehe ich mehrere Ebenen.

a) Frauen, denen diese Art von Angriff und Gewalt widerfährt: Berichtet von dem was vorfällt**, sucht euch Hilfe, sucht euch Verbündete. Wer ist im gleichen Feld aktiv? Wer ist gleichen Angriffen ausgesetzt? Niemand soll diese Art Angriffe wochen-, monate-, manchmal sogar jahrelang alleine auf sich gestellt aushalten müssen. Warnt andere Frauen vor diesen Menschen, verhindert dass sie in die selbe Falle laufen. Persönlich kann ich sagen, wenn ich auf Twitter mit jemanden interagiere und innerhalb von fünf Minuten von drei unabhängigen Menschen eine Nachricht erhalte, die mich vor dieser Interaktion warnt, dann bin ich dankbar.

b) Menschen, die diese Art von Angriff und Gewalt beobachten: Steht den Opfern bei. Egal wie. Seid Multiplikator, verbreitet ihre Erfahrungen. Bezieht Stellung, tut das v.a. wenn ihr zu der Gruppe gehört mit denen sich diese Hater identifizieren – sprich wenn ihr zu den technikbegeisterten weißen Männern gehört. Es ist nicht nötig sich mit anderen zu streiten. Aber einfach sagen: Das ist nicht in Ordnung. Ich finde das widerlich. Ich habe eine komplett andere Meinung.

Es muss diesen Hatern klar werden, das sie nur für sich sprechen, dass sie nicht Sprecher einer ganzen Gruppe sind, keine Vertreter, keine Gesandten.

c) Wenn ihr mal nicht der Meinung bestimmter Menschen, die permanent Angriffen ausgesetzt sind, seid: sagt einfach nichts. Keine zusätzliche Kohlen ins Feuer werfen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Dieser Punkt mag einige empören, aber ganz ehrlich: manchmal lohnt es sich Nutzen und Kosten abzuwägen und darüber nachzudenken auf wessen Kosten etwas geht und jemanden, der ohnehin schon ständigen Angriffen ausgesetzt ist, nicht noch zusätzlich zu schwächen. Ich finde es verständlich, dass Menschen, die ständigen Attacken ausgesetzt sind nicht immer die differenziertesten Dinge von sich geben. Deswegen seis drum. Einfach mal nichts sagen.

 

Wenn ihr weitere Ideen habt, ich ergänze den Artikel gerne. Ich bin es so satt mich hilflos und betroffen zu fühlen.

 

 

*Natürlich gibt es hier Abstufungen von Kritikern, Trollen bishin zu diesen hasserfüllten Orks. Ich rede aber von denen, die eindeutig, EINDEUTIG (persönliche und menschliche) Grenzen überschreiten

**Ich meine nicht, dass man Menschen an den Pranger stellt, aber warum Rücksicht nehmen auf jemanden, der keine Rücksicht nimmt? Dieses schlimme Fehlverhalten muss Konsequenzen haben (dürfen!).

—————————— Nachträgliche Ergänzungen ——————————

Was ist sonst noch zu tun?

3. Hater/Maskus aktiv ausgrenzen

Und mir ist noch ein Punkt 0 eingefallen:
0 Anerkennen, dass es ein Problem gibt
Ich habe den Eindruck, dass viele sich wundern, wenn sie Artikel wie den meinen lesen. Ihnen ist nämlich nur das übliche Getrolle und Gepöbel im Netz bekannt. Die gängige Antwort lautet dann eben dieses „Ignorier‘ das doch“. Und ja, das ist richtig. Bestimmte Pöbeleien kann man einfach ignorieren und nicht drauf eingehen. Aber es geht mir eben NICHT um diese Fälle. Es geht mir um massive Beschimpfungen und Bedrohungen. Aufrufe zu Vergewaltigungen und zu Mord, es geht mir um Stalking und Übergriffe auf das Leben außerhalb des Netzes und ich bitte alle, die sich fragen, was das alles soll, sich die ganz oben im Blogpost verlinkten Artikel durchzulesen. Mindestens den von Kathy Sierras. So etwas kann man nicht ignorieren. So etwas darf man nicht ignorieren und die Betroffenen (und ich weiß, es sind nicht wenige) brauchen Unterstützung und Beistand.

Lesenswerte Artikel

»Stirb, Du Hure!« – Lasst uns endlich über Einschüchterungskultur statt abstrakter Netzpolitik reden

„In den letzten Monaten rückt die Kommunikations- oder besser: Einschüchterungskultur im Netz wieder verstärkt in den Vordergrund. Das ist gut, denn dieses Thema wird weiterhin im netzpolitischen Diskurs nahezu vollständig ignoriert oder beiläufig als Randnotiz erwähnt. Dabei leiden viele Menschen psychisch jeden Tag unter Attacken aus dem Netz. Diese Angriffe greifen trotz ihrer Virtualität ins reale Leben. Sie sind echt.“

Für mehr Freundlichkeit

„Ein reines Ignorieren ist schwer bis unmöglich. Auf der diesjährigen FrOSCon habe ich einen Vortrag von Kristian Köhntopp gehört, der sich mit Flamewars aus Zeiten des Usenet beschäftigt hat. Er hat berichtet, dass Hater es umso schwerer hatten, je etablierter die “Marke” bzw. der Name der/des Angegangenen war – es ist ungleich schwieriger, Sascha Lobo online ans Bein zu pinkeln als zum Beispiel mir. Vielleicht lässt sich daraus ableiten, dass wir – die sog. Unbeteiligten – dafür sorgen müssen, dass Angegangene ein stärkeres Standing haben. Das wäre ein klassisches “Schau hin! Greif ein!”“

Helden, die die Regeln brechen

„Wir sind es uns gegenseitig schuldig und müssen es uns gegenseitig wert sein, ein lebenswertes Netz zu schaffen. In dem Menschen nicht mit Beleidigung, Bedrohung und Hass alleine gelassen werden. Und in dem wir alle – insbesondere in Machtpositionen- Verantwortung füreinander übernehmen und diese auch einfordern.“

Why is it so hard to be good?

„Wir haben mit dem Internet, und jetzt nochmal mehr mit BigData, Algorithmen und der weltweiten Vernetzung von Arbeit und Menschen geschichtlich ziemlich einmalige Möglichkeiten in der Hand, Veränderungen herbeizuführen und Machtverhältnisse in Frage zu stellen. […]
Aber warum haben wir noch nicht eindrucksvoller bewiesen, dass das alles zu einer guten Entwicklung beitragen kann?“

#Trolle und das Wegsehen – Gelten im Netz andere Machtstrukturen?

„Am Ende steht die Aussage: Trolle sind ein notwendiger Teil des Ökosystems Internet. Diese teile ich nicht nur nicht, ich widerspreche aufs Äußerste.

Trolle sind gefährlich. Trolle zerstören, es ist nichts Konstruktives an ihnen.“

Podcastempfehlung – Not doing anything is not an option

Meine eigene Filterbubble ist ganz bezaubernd und wenn die Männer nicht gleich selbst Feministen sind, dann sind es „schlimmstenfalls“ Männer, die die ganze Aufregung um Frauenquote, #aufschrei und Gleichberechtigung nicht so recht verstehen, weil sie selbst das Gefühl haben, mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun zu haben, weil sie eben keine sexistischen Idioten sind.

Mit einem Freund habe ich schon oft darüber gesprochen, dass das Thema aber alle angeht. Auch die, die Frauen nicht schlecht behandeln, sie einstellen würden, die nicht in Klischees denken etc.
Mein Problem war allerdings meine und die Erfahrung anderer Frauen und die sich daraus ergebenen Konsequenzen irgendwie zu vermitteln.
Anne Wizorek widmet dem Thema „Mitmachen für Männer. Was es heisst ein guter Verbündeter zu sein“ in ihrem Buch „Weil ein #Aufschrei nicht reicht“ ein ganzes Kapitel. Ich glaube allerdings, dass niemand (oder zumindest sehr, sehr wenige), der nicht ohnehin schon dem Thema Feminismus aufgeschlossen ist, dieses Buch liest (leider).
Außerdem denke ich, dass viele Männer keine Tipps von einer Feministin bekommen wollen. Deswegen begrüße ich es, dass drei Größen der amerikanischen Tech-Szene sich Gedanken zu dem Thema gemacht haben.

Daher möchte ich den Accidental Tech Podcast Episode 81 ab ca. Minute 70 ans Herz legen.
Völlig undogmatisch sammeln die drei da im Gespräch Tipps, die helfen sich besser in die Lage von Frauen zu versetzen. Sie erklären auch, warum es sinnvoll ist sich mit Trollen auseinanderzusetzen und warum es so leicht ist von außen zu sagen: Ja, selbst schuld, was legen die sich auch mit jedem an.

Ich finde die Tipps großartig. Es ist nämlich keine rocket science Verständnis aufzubauen und adressiert sind diejenigen, die schon „good people“ sind.

„Just watch them [Feministische YouTube Channels, Blogposts etc.] and don’t think that you have to agree or to disagree…“
„Don’t be like, don’t feed the trolls [because …] not engaging is fine as long as you are not the target of the harassment.“
„Let idiots know that they are idiots.“
„Try to learn about the things that reveal your own biases [because …] once you see [the terrible things] it’s like how could I’ve never see them?“
„Be open to the idea, that you might be part of the problem.“
„There is no shame in realizing that you were wrong in the past and fix it in the future.“
„Say supportive things…“

(Abgetippt beim Hören, keine eins zu eins Zitate sondern aus dem Kopf)

Hört es euch selbst an… ich finde, es lohnt sich.