Nachdem es jetzt schon auf mehreren Blogs Postings zu den Themenfeldern Perfektionismus, Stress, Anspruchshaltung (z.B. hier, hier) gab, möchte ich noch eine Perspektive hinzufügen.
Ich liebe schöne Photos. Ich esse gerne. Ich mag tolle Wohnungen. Ich müsste demnach eine perfekte Followerin diverser DIY-/Lifestyle-/Wohn-/Food-/Photo-Blogs sein. Und ich bin es auch. In meinem Feedreader befinden sich zahlreiche Kategorien und „Sewing“ (das sind wir! Yay!) ist nur eine von vielen.
Ich habe aber ein Problem mit diesen Blogs und das betrifft ihre Professionalisierung.
Versteht mich hier nicht falsch – ich finde es ganz toll, wenn Frauen ihre Talente, die sie in den meisten Fällen im Internet kostenlos zur Verfügung stellen, nutzen, um Geld zu verdienen.
Und in vielen Fällen läuft das schon lange so. Da werden DaWanda-Shops gefüllt, Schnittmuster verkauft, und andere Shops beworben. Ich bin großer Fan davon, Frauen an bezahlter Lohnarbeit partizipieren zu lassen, denn dies ermöglicht so viel mehr: Öffentlichkeit, Mitbestimmung, Teilhabe.
Wovon ich nicht so großer Fan bin, das ist die Bezahlung. In DaWanda-Shops werden zu großen Teilen (und ich spreche hier mal von in Deutschland genähten Kleidungsstücken, da kann ich ungefähr abschätzen, wie viel Arbeit das ist und was das für den Stundenlohn bedeutet) Klamotten verkauft, die viel, viel, viel zu billig sind. Ein Rock mit Reißverschluss und Taschen für 35 Euro. Wie soll das gehen mit einem vernünftigen Stundenlohn (man denke nur kurz an so etwas wie Kranken- oder Rentenversicherung), Materialkosten, womöglich gar Raummiete?
Ähnliches kenne ich von wohlmeinenden Kooperationsangeboten verschiedener Firmen. Da bekommen Bloggerinnen Produkte gestellt, die sie testen sollen, oder auf ihren Blogs verlosen und dafür gibt es Kohle.
Die Beträge sind nicht gerade die Welt, wenn man bedenkt, dass Bloggerinnen nicht nur hohe Klickzahlen haben, sondern vor allem etwas nahezu Unbezahlbares, das Vertrauen ihrer Leser_innen. Unternehmer_innen dieser Welt, bezahlt das gefälligst angemessen. Aber. Ich liege auch – und das nicht nur derzeit, aber im Adventsmonat Dezember ganz besonders – im Clinch mit den Bloggerinnen.
Die Professionalisierung der Blogbetreiberinnen hat vor einiger Zeit angefangen, nimmt aber in den letzten ein, zwei Jahren deutlich an Fahrt auf. Die Photos werden besser, die Texte geschliffener, die Kooperationen zahlreicher. Gleichzeitig – und das ist das Schwierige – bleiben die Blogschreiberinnen die Frauen, die wir schon lange kennen.
Vermutlich sogar noch aus Zeiten, wo es nicht jeden Tag ein Blogposting gab, wo nicht Verlosungen, bezahlte Trips und perfekte Photos von perfekten Tischen mit perfektem Essen, perfekten Freund_innen und perfekter Familie den jeweiligen Blog beherrschten.
Wir vertrauen diesen Menschen als Privatmenschen, dabei sind sie längst ein Teil ein gut funktionierenden Industrie geworden. Und – versteht mich nicht falsch – auch das ist eine Entscheidung, die ich nachvollziehbar finde. Natürlich ist das ein Pfund, mit dem zu wuchern ist. Und für die meisten ist die Trennung zwischen Beruf und Privatleben als Bloggerinnen vermutlich kaum durchführbar.
Wenn Schauspielerinnen zu wenig wiegen und einen „perfekten“ Körper haben, dann ist mehr oder minder klar, dass dieser Körper ihr Kapital ist. Aufgabe ihres Lebens ist es nicht nur, Texte auswendig zu lernen, sondern eben auch eine Projektionsfläche für Sehnsüchte zu bieten. Diese Projektionsfläche beinhaltet scheinbar selten Röllchen bis Rollen am Bauch, Cellulitis, Pickel, dünne Haare oder schiefe Zähne. Got this.
Bloggerinnen zeigen uns ebenfalls Perfektionismus, in Hochglanz dargestellte Wohnungen, abwechslunsgreiche Deko, verführerisches Essen. Perfekte Postings professionalisierter Bloggerinnen sind eine notwendige Voraussetzung für bestehende und kommende Kooperationen. Zugleich nehmen sie aber in Anspruch, dass sie „eine von uns“ seien.
Eine klare Trennung von Blogberuf und Privatperson ist nicht möglich, wird aber auch nicht angestrebt. Das ist auf mehreren Ebenen zumindest bemerkenswert.
Zum Einen führt das offensichtlich zu Stress in der Blogsphäre; die Beispiele nannte ich bereits.
Zum Anderen erweckt die maskierte Professionalisierung Sehnsüchte, die sich scheinbar nur durch Konsum befriedigen lassen.
Die perfekten Kissen, das tolle Geschirr, die gute Kamera, das soll alles uns gehören – die konkrete Schüssel zum Glück – das soll alles uns gehören. Und dann, dann kriegen wir auch alles so locker-flockig auf die Kette, ist die Wohnung niemals unordentlich, sind wir schlank, gesund, witzig, haben tausend Freund_innen, kochen wunderbares Essen, bauen unseren Kindern Butterbrote mit Gesichtern drauf, haben eine erfolgreiche Beziehung, werden dauernd gelobt für unsere Deko und sind niemals erschöpft.
Ich bin gespannt, wie es weitergeht; an verschiedenen Ecken erwacht die Diskussion, die meines Erachtens dringend notwendig ist.
Ich freue mich darauf und verbleibe mit komplett werbefreien und relativ unperfekten Grüßen,
Eure Frau Kirsche