Schuld sind immer die selben

Den Angela Merkel finde ich ja blöd. Nicht nur wegen der Person, schon auch wegen der Partei und dem Zeug was er macht. Die Mehrwertsteuererhöhung zum Beispiel. Die kostet mich echt den letzten Nerv.
Schon Monate vor der Erhöhung muss ich überall die böse Neunzehn sehen. In Form roter, pickliger Monster verfolgt sie mich vom Werbefernsehen in meine Träume. In meinem Kopf hallt der keifende Schrei der Saturn-Schlampe, die nicht nur Geiz sondern unnötigerweise auch die Neunzehn geil findet.
Jede noch so doofe Zeitschrift gibt mir Tipps zur Mehrwertsteuererhöhung. Der völlige Wahnsinn bricht dann mit dem 1. Januar 2007 aus. Überall spart man sich die Mehrwertsteuererhöhung, gibt 19 Prozent Rabatt oder schenkt dem Kunden zu jeder Kekspackung, die er erwirbt, irgendeinen nutzlosen Tand.
Verdammt, ich habe ein Recht auf volle Kosten. Ich habe sowieso schon ein Problem mit dem Geld ausgeben. Dabei habe ich genug. Ich will auch mal was für die deutsche Wirtschaft tun!
Mein Papa, der viele Tipps hat, wie man reich wird, weiß auch, dass es wichtig ist, ordentlich Geld auszugeben. Er sagt immer: „Liebe Kinde, kaufe mal was tolles. Solle ruhige teuer sein, eine bisschen Luxus, sollste ruhig denken: isse viel zu teuer, aber gönne iche mire jetzte, weil iste gesund für Seele und Wohlebefinden.“
Mein Freund unterstützt meinen Papa da sehr. So wird er mir bestimmt die nächsten vierhundert Jahre vorhalten, dass ich nicht bereit war, dass er Geld für Verlobungsringe ausgibt. Schließlich gibt es den schönen Brauch Eheringe als Verlobungsringe zu verwenden und sie am Tag der Hochzeit einfach an den Ringfinger der anderen Hand umzustecken.
Als er mir davon berichtete, wunderbare Verlobungsringe gesehen zu haben, die er gerne erwerben würde, fiel ich ob der bevorstehenden Investition fast in Ohnmacht.
Ich versuchte rational mit ihm zu sprechen. Das schöne Geld, wie man es sparen könnte und was man dann in ein Paar Jahrzehnten davon kaufen könnte. Völlig sinnlos. Er zeterte auch zur Hochzeit würde ich nun kein Edelmetall an meinem Finger sehen. Bei Ebay würde er eine dieser Dosenschnipel ersteigern, die man Mitte der 90er aus Gründen des Umweltschutzes abgeschafft hatte.
Seit dieser Krisensituation versuchen wir gemeinsam meine Sparsucht und meinen Geiz zu therapieren. Manchmal gehen wir am Wochenende los und ich darf nicht eher nach Hause, ehe ich nicht irgendwas total sinnloses oder überflüssiges erstanden habe.
Das erste Wochenende kaufte ich im Baumarkt eine lilafarbene Plastikgarnele, die mit ihren Fühlern wackeln kann. Zugegebenermaßen mit 3.95 Euro keine Großinvestition – jedoch musste selbst mein Mann in spe zugeben, total sinnfrei.
Weihnachten dann brach eine gute Phase für mich an. Das Kaufen jeglichen Weihnachtstandes ist schließlich völlig unsinnig und fällt somit in die Kategorie des sinnlosen Geldausgebens. Schließlich weiß jedes Kind, das Weihnachtsschmuck v.a. nach Weihnachten besonders preiswert zu bekommen ist. Wenn ich da an die Einsparpotentiale denke, wird mir jetzt noch ganz schwach.
Ich kaufte also zwei verschiedene Tischdekos samt Stoffservietten (doppelt teuer, denn man muss sie ja immer wieder waschen [Wasser- und Waschmittelkosten] und bügeln [utopische Stromkosten]!) und Tischdecken, ein komplettes Sortiment Christbaumbehang, Geschenkpapaier (mir gefiel das Zeitungspapier der Vorjahre eigentlich ganz gut), Strohsterne samt Lichterketten für die Fenster und einen Adventskranz plus Ersatzkerzen für das Kind.
Endlich war der Knoten geplatzt. Bei einem Einkaufsbummel entdeckte ich ein Bettwäscheset, welches ich nach zweiwöchiger Denkpause spontan kaufte und das obwohl wir drei komplette Bettwäschesets besitzen, die jünger als fünfzehn Jahre sind.
Ich berichtete stolz meinem Vater von diesem Kauf. Erst erschien er am Telefon zufrieden. Doch lies er sich von meinen eigenen Geldausgaberauschgefühlen nicht täuschen und erkundigte sich nach dem Preis. Als ich ihm den nannte (und ich schlug vorsichtshalber noch fünfzig Euro auf den Kaufpreis drauf), schnaubte er verächtlich durch die Nase: „Ache Kinde, Du musste noch so viele lernen!“
Also nahm ich mir vor, wenigstens 2007 in die vollen zu gehen und ersann mir ein Ding, welches nicht nur teuer in der Anschaffung sondern auch kostspielig im Dauerbetrieb sein würde. Na und was ist das einzige, was da in Frage kommt?
Richtig! Ein Kondenstrockner! Um der Umwelt gegenüber nicht ganz so ein schlechtes Gefühl zu haben, setzte ich mir in den Kopf ein Gerät der Energieeffizienzklasse A+ zu besorgen. Das würde wenigstens bei der Anfangsinvestition mein Portemonnaie so richtig bluten lassen. Ausführliche Internetrecherchen bestätigten mir: unter 600 Euro ist da gar nichts zu machen.
Also lief ich heute topmotiviert zu einem Elektrogroßhandel, brüllte schon im Einkaufsbereich nach einer Beratungskraft und hieß ihr, mir ohne Rücksicht auf andere Werte mir einfach die drei teuersten Markengeräte zu präsentieren.
Mit der Hand auf der Kreditkarte zeigte ich auf das Preisklassenmodell. SECHSHUNDERTSIEBENUNDVIERZIG Euro: „Das da bitte!“
„Geht klar,“ sagt das Fachpersonal „ich stelle ihnen die Rechnung rasch aus.“
Doch was sehen meine schmerzenden Augen als ich dem Mann über die Schulter schiele? Er streicht zuerst den schönen Preis 647 Euro. Ich schaue ihn fragend an.
„Ja, sorry, das ist das Ausstellungsmodell. Ich lasse Ihnen deswegen 100 Euro nach.“
Ich akzeptiere schweigend. 547 Euro ist auch noch ok. Immerhin habe ich bislang nur zwei Mal in meinem Leben mehr ausgegeben.
Doch dann, oh Graus. Auch die 547 streicht er durch und macht 443.07 Euro daraus. „Äh? Was soll denn das???“ schreie ich ihn an.
„Oh, sorry!“, wimmert er schuldbewusst „die 19% Rabatt muss ich ja vom Ausgangspreis errechnen. Macht also 424.07 Euro.“ Ich bin einem Ohnmachtsanfall nahe. Starre ihn geistesabwesend an. Er überlegt noch mal. Streicht auch die 424. „Wieso denn das?“ fiepe ich. „Mir ist eingefallen, das ist ein Auslaufmodell. Macht also 374.07.“ „Oh nein!“ Tränen schießen in meine Tränenkanäle.
„Ok, ok. Hören Sie schon auf. Ich kann Frauen nicht weinen sehen. Machen wirs rund. Was halten Sie von 350 Euo?“
Wortlos entreiße ich ihm die Rechnung und gehe wie ein Automat zur Kasse. Wenn ich das meinem Papa erzähle, der wird nicht zufrieden sein. Ganz und gar nicht! Und wer ist schuld? Der böse Merkel!

Real Crab

Schreiben Sie doch mal was mit Prekarisierung

Prekarisierung ist entgegen meiner Annahme ein eher soziologisch geprägter Begriff. Allerdings finde ich den Begriff sehr geeignet ihn für ein psychologisches Phänomen zu benutzen, welches ich zwar zunehmend beobachten kann, jedoch bislang nicht benennen konnte.
Gemeint ist das seltsame Phänomen, dass Menschen trotz Wohlstandes und Sicherheit immer ängstlicher werden und sich immer mehr in den privaten Bereich zurückziehen. (Vielleicht gab es eine ähnliche Bewegung zur Weimarer Republik?)
Gemeint ist folgendes. Ein Großteil der Akademiker in Deutschland haben weder wirkliche finanzielle Not erfahren müssen, noch waren sie bislang auf Sozialhilfe und ähnliches angewiesen. Tatsächlich gibt es in der Mittelschicht viele kinderlose Doppelverdienerhaushalte.
Zusätzlich sichern diese Menschen sich mit einigem Eifer alles ab, was geht: Berufsunfähigkeit, Pflegezusatz, private Rentenvorsorge, Haftpflicht, Hausrat etc.
Dennoch ist es nie sicher genug. Nie sicher genug für Kinder. Nie sicher genug für größere Investitionen. Nie sicher genug für die Zukunft.
Man begibt sich allzu gerne in im Grunde unerträgliche Arbeitssituationen. In denen man sich beispielsweise irgendwann erfolgreich eingeredet hat, dass es völlig normal ist, täglich mehr als 10 Stunden zu arbeiten, am Wochenende ins Büro zu gehen, mehrere Tausend Kilometer pro Woche zwischen den einzelnen Einsatzorten zurückzulegen, jahrelang keinen Urlaub am Stück zu nehmen, den Wohnort zu wechseln etc.
Dabei ist es meist nicht mal so, dass man im Gegenzug für solche „Opfer“ ein besonders hohes Gehalt oder eine wirkliche Arbeitsplatzsicherheit bekommt.
Die wenigsten, die ich kenne, haben beispielsweise unbefristete Verträge mit dreimonatigem Kündigungsschutz. Die meisten haben befristete Verträge mit ein bis zwei Wochen Kündigungsfrist. Wenn überhaupt! Gerade in bestimmten Berufskreisen ist es beliebt Leute zu einem Hungerlohn als Praktikanten oder als „Freelancer“ mit Niedriggehalt ohne Kranken- und Rentenversicherung für 40 Stunden pro Woche einzustellen.
Doch selbst wenn man einen unbefristeten Vertrag hat, Sicherheit gibt das im Zeitalter des Stellenabbaus nicht. Berufseinsteiger und Kinderlose fallen schnell Sozialplänen zum Opfer.
Die meisten Konzerne, die sich Preise für Familienfreundlichkeit verleihen, sind in der Regel nicht wirklich familienfreundlich. Teilzeit ist nur unter großem Druck möglich. Reduzierte Arbeitszeiten (70% Stellen u.ä.) bedeuten weniger Geld bei 100% Arbeitszeit – sonst nichts.
Vom Umgang mit potentiell sich im gebärfähigen Alter befindlichen Frauen ganz zu schweigen.
Ich könnte noch Romane darüber schreiben. Was ich aber sagen will ist folgendes: Ist es nicht seltsam, wie unsicher wir uns fühlen? Und das obwohl die meisten keine Nöte erleiden. Man gibt sich im Namen des Absicherns mit so manch widrigem Umstand ab.
Man kümmert sich um nichts, was einen nicht direkt betrifft und ergreift für nichts Partei, zudem neigt man zum seltsamen Rückzug ins Private. Dort beklagt man sein Schicksal, die mangelnde Lebensfreude und v.a. die düstere Zukunft.
Mit steigendem Druck wird man immer lethargischer und abgestumpfter und ganz am Ende schaut man auf seinen Lebenslauf zurück und fragt sich, warum habe ich das eigentlich so lange ausgehalten?
Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass Menschen lieber das bekannte Negative behalten als das Risiko einzugehen an ihrer Situation etwas zu ändern. Es scheint wichtiger zu sein, einen stabilen Erwartungshorizont zu bilden, bei dem alles genauso eintritt, wie man es vorhergesehen hat, als einfach mal einen Schritt ins Unbekannte zu wagen.