Bis Ende des Studiums habe ich mindestens ein Buch pro Woche gelesen. Pflichtliteratur des Studiums ausgeschlossen. Ich hatte keinen Fernseher und eigenes Internet hatte ich auch erst ab 2000. Ich habe mich hauptsächlich durch Bücher wie „Gödel, Escher, Bach“ oder „Der Baum der Erkenntnis“ aber auch äh Gassenschlager wie „Anleitung zum Unglücklichsein“ gewälzt. (Sehr zu empfehlen übrigens auch die beiden Bücher meines damaligen Profs „Bauplan für eine Seele“ und „Die Logik des Mißlingens„). Aufgeheitert habe ich mich mit Herbert Rosendorfer oder Robert Gernhardt. Science Fiction und Fantasy Bücher habe ich auch schon immer gerne gelesen. Nur Krimis, die haben mich nie interessiert.
Natürlich fand ich Männer, die noch mehr und wohlmöglich schwierigeres als ich gelesen haben, wahnsinnig toll. Ich war mal furchtbar verliebt in einen, weil er Luhmann verstand. Unsere Beziehung zerbrach aber aus verständlichen Gründen: Schließlich war er Soziologe und ich Psychologin und wie sollte sowas gut gehen?
Jedenfalls habe ich das Lesen immer geliebt. Leider hat es in den letzten Jahren immer weniger Platz in meinem Leben gefunden. Ein Phänomen, das andere wohl auch erlebt haben. Maximilian Buddenbohm schildert in Christoph Kochs „Mein Medienmenü“ einen Weg bei den Büchern zu bleiben:
Bei mir hat der Alltag die Bücher gefressen. Arbeiten und die Familie machen mich so müde, dass ich wirklich oft gegen 20.30 Uhr einschlafe oder ich schaue geistig anspruchslose Fernsehsendungen und schlafe trotzdem um neun ein. Zum Lesen komme ich nur am Weg in die Arbeit, während Zugfahrten oder im Urlaub. Und dann will ich unbedingt was Schönes lesen. Nichts regt mich mehr auf, als wenn ich ein Buch dabei habe, das mich langweilt. Vor zwei Jahren hatte ich beispielsweise „Der Schatten des Windes“ eingepackt und mich beim Lesen fast zu Tode gelangweilt. Der Urlaub war aber sonst ganz schön (und ich hatte zum Glück noch „Die Eleganz des Igels“ im Koffer).
Dieses Jahr war mein Urlaub ja eher doof, aber gütig wie das Schicksal ist, hatte ich nur gute Bücher dabei. Eines davon war „Suna“ von Pia Ziefle.
Wahrscheinlich bin ich die letzte, die auf diesem Planeten darüber schreibt (dafür möchte ich mich entschuldigen, denn ich habe das Buch geschenkt bekommen), aber ich will es trotzdem tun. Die Beschreibung des Inhalts, klaue ich von der Autorinnenseite:
„Wo gehen wir hin, wenn wir nicht wissen, wo wir herkommen – das ist die zentrale Frage in meiner Geschichte um Luisa, die Nacht für Nacht mit ihrem wachen und aufmerksamen kleinen Kind im Arm durch das schlafstille Haus geht. Da sind deutsche Adoptiveltern und eine serbische Mutter, eine Schwester, und irgendwo auch ein unbekannter türkischer Vater. Da ist ihre eigene kleine Familie mit Tom und einem kleinen Sohn – und diesem Kind, das niemals schläft.
„Sie kann keine Wurzeln hier schlagen“ sagt der alte Dorfarzt und macht deutlich, dass Luisa sich um ihre kümmern muss, damit das Kind zur Ruhe kommen kann. Luisa macht sich auf den Weg, und erzählt uns und ihrem Kind in sieben Nächten, was sie gefunden hat. Sogar ein kleines Wunder kommt darin vor.„
Das Buch hat mich unglaublich gefesselt. Wir waren zelten und es war nicht gerade unanstrengend und obwohl ich wußte, dass zumindest unser jüngstes Kind pünktlich mit Sonnenaufgang gegen 6 Uhr erwachen würde, konnte ich nicht aufhören zu lesen und hatte das Buch in drei Tagen durch. Die Geschichte fand ich sehr berührend – auch in dem Sinne, in dem ich immer wieder kleine Anker in mein eigenes Leben finden konnte. Ich bin Gastarbeiterkind in der zweiten Generation und manchmal fühle ich mich so ganz und gar nicht deutsch – aber eben auch nicht italienisch – wie sollte ich, denn ich bin in Deutschland aufgewachsen und spreche nicht mal fließend italienisch. Für mich ist es nach wie vor unfassbar, wie mutig die Großelterngeneration war, nach dem Krieg nach Deutschland zu kommen. Mit einem Koffer – ohne ihre Lieben – kein Wort deutsch sprechend. Sie haben sich trotz der ganzen Anfeindungen eine Existenz aufgebaut.
Was mich neben dem Inhalt so mitgenommen hat, war die Schreibweise. In der Schule habe ich mich gefragt, woran man gute von schlechter Literatur unterscheiden könnte. Die objektiven Kriterien dafür kenne ich immer noch nicht, aber als ich „Suna“ las, ging mir auf, was gemeint ist. Gute Literatur ist einfach so geschrieben, dass die Sprache einen mitnimmt, dass sie nicht ein Hindernis ist, während sich die Geschichte entfaltet, sondern dass sie etwas wie ein Floß im Lesefluss ist. Sie begleitet und fühlt sich natürlich an, sie formt Gedankenbilder und ist Begleiterin. Genau das gelingt Pia Ziefle.
Deswegen: selbst wenn ihr wenig Zeit habt – Suna wird Euch nicht enttäuschen. Ich hoffe, Pia schreibt noch viele Bücher. Danke für das erste schon mal!