Mama Sheldon

In der Schule war ich, was man klassisch eine Streberin bezeichnen würde. Neben meinen Klausuren der Oberstunde stand: „Sehr schön, allerdings haben wir ca. 20% der Themen noch gar nicht dran genommen. Gäbe es mehr als 15 Punkte, ich würde sie dir geben.“

Die guten Noten waren die eine Seite der Medaille. Die andere war meine Unbeliebtheit. Ein klassisches Henne-Ei-Problem. Ich konnte nie rausfinden, ob ich erst unbeliebt war und dann gute Noten bekam, weil ich z.B. las und lernte, statt mich mit den nicht vorhandenen Freundinnen zu treffen oder aber, ob ich erst gut in der Schule war und dann keine Freundinnen mehr hatte.

Sei es drum. Irgendwann zählte nur der Perfektionismus. Wenn ich schlechter als 14 Punkte war, musste ich die Tränen unterdrücken und wenn es MitschülerInnen gab, die besser waren als ich, hätte ich ihnen gerne die Augen ausgekratzt.

Die Krönung waren Lehrersätze wie: „Patricia hat das doch auch gewusst. Ihr könnt mir nicht erzählen, dass wir das nicht durchgenommen haben.“ Da klatschte ich mir innerlich Applaus. Schon lange war es mir völlig egal wie unsympathisch ich wirken mochte. Ich war Sheldon bevor Sheldon erfunden war. Es zählte einfach das fehlerfreie Ergebnis.

Einmal im Fluss des Perfektionismus mitgeschwommen, gibt es kein Zurück mehr. Im Diplom-Zeugnis habe ich eine zwei. Leider gab es keinen Weg die Prüfung zu wiederholen. Auch keinen einklagbaren. So muss ich mit diesem Hohn (eine zwei!!!) leben. Wie ein Makel verunstaltet die zwei meine Bewerbungsunterlagen. Zitternd warte ich im Bewerbungsgespräch auf die Frage, was da eigentlich mit mir los gewesen sei. Eine echte Erklärung habe ich nicht. Ich habe einfach versagt.

So war mein Leben viele Jahre. Perfekt. Alles. Meine Arbeitsergebnisse, meine Wohnung, meine Einsamkeit, mein Singleleben – selbst ich war perfekt. Jeden Morgen frisch geduscht, gestylt, die Ohrringe passend zum Oberteil, die Bluse gebügelt, die Schuhe auf die Handtasche abgestimmt ALLES WAR WUNDERBAR.

Dann passierte etwas.

Vermutlich entführten mich Aliens.

Heute bin ich von Perfektionismus so weit weg wie ein Pinguin vom Nordpol. Ich selbst würde das vermutlich gar nicht merken. Ich merke es ausschließlich an den kleinen, traurigen Gesichtern meiner Kinder. Wenn ich sie z.B. vom Kindergarten abhole und mit ihnen zum Spielplatz gehe und sie dann ohne Schippchen, Trinken und Essen rumstehen. Manchmal auch frierend, weil ich vergessen habe, ihnen Mützen anzuziehen.

Sie blicken dann sehnsüchtig zu den anderen Müttern. Denen, die perfekt geschminkt, in gewaschenen Kleidern, mit Blumen im Haar ihren Kindern die frisch zusammengestellte Bento-Box kredenzen. Ihnen eine kleine Getränkeauswahl anbieten und den Korb mit den Sandsachen auspacken. Sie gehen dann mit ihren Kindern schaukeln. Dreißig – vierzig Minuten schubsen sie ihre Kinder unermüdlich an bevor sie zur Seilbahn wechseln und die Kinder eine weitere halbe Stunde anschieben.

Im Sommer haben sie Sonnencreme und Hüte dabei, sie haben immer Wechselsachen parat, Feuchttücher ohnehin, Handtücher wenn nötig. Im Winter Handschuhe und kleine Thermositzkissen. Sie haben immer Bargeld einstecken, um ein Eis zu kaufen, geschnittenes Obst für Zwischendurch und wenn ein Kind herzhaft niest, ein duftendes Taschentuch, um die Nase zu putzen.

Das schlimmste daran: Sie sind auch noch gutherzig. Wenn meine Kinder sehnsüchtig mit leicht tränengefüllten Augen in ihre Richtung schauen, bekommen sie immer etwas ab. Das ist im Grunde das allerallerschlimmste. Wenn dann am Abend noch eines meiner Kinder sagt: „Mama, Du hast noch viel Zeit zu leben und deswegen wirst du es bestimmt mal schaffen uns etwas zu trinken mitzubringen, da bin ich zuversichtlich“ und mir auf die hängenden Schultern klopft, da wünschte ich, ich hätte meine Lebensration Perfektionismus nicht bereits komplett verschleudert.

Väter in Not

Nicht nur die Sorgen sondern auch die Ausgaben werden mit dem Heranwachsen der Kinder größer. Wenn das 30jährige Kind, meist ganzkörpertätowiert und wie eine glitzernde Offenbarung mit Piercings geschmückt, das 7. Studium abbricht, wird man noch die Tage loben, an denen Blähungen ein ernsthaftes Problem darstellten.
Einen ersten Vorgeschmack auf die bevorstehenden Investitionen bekommt man beim Kauf der ersten Schuhe.
Kostspielige Hausschuhe kann man glücklicherweise vermeiden indem man das Barfußlaufen von Anfang an fördert.
Sobald das Kind jedoch außerhalb des Eigenheims lauffähig ist, kommt man an Straßenschuhen leider nicht vorbei. Alte Autoreifen aufschneiden und um die Füße binden, so sagt der Kinderarzt, sind keine Alternative.
Umso besser versteht man die Nöte eines Vaters, den ich gestern am Spielplatz beobachtete.
„Lutz, sag mir jetzt SOFORT, wo Du Deinen Schuh vergraben hast!“
Lutz lacht
„Lutz, das ist nicht lustig, sag mir, wo der Schuh ist!“
Während der Vater den Sohn mit verzweifeltem Gesichtsausdruck über den Platz zerrt, folgen ihm mitfühlende Blicke.
Keiner der Erwachsenen sieht amüsiert aus. Ich nutze die emotionale Verbundenheit und gehe mit dem Sonnenhut meines Kindes Spenden einsammeln.
Lutz dreht sich währenddessen unnachgiebig auf dem Stehkreisel. Sein Rumpelstilzchenlachen wabert in Wellen an meine Ohren. So ein böses Kind!

Ort 1: Spielplatz

Die Freizeit ist knapp und wird dem Kind zuliebe meistens am Spielplatz verbracht. Dort kommt es nicht selten vor, dass ich mich langweile. V.a. dann, wenn das Kind meine vergeblichen Versuche mich an einer Kletterstange hochzuziehen, peinlich findet und mich mit strengem Blick zu den anderen Erwachsenen auf die Bank schickt.
Die anderen Erwachsenen sind meistens doof und ich will nicht mit ihnen reden. Deswegen nehme ich in der Regel ein Buch mit. Leider verkehren die anderen Erwachsenen diesen Versuch der Isolierung ins Gegenteil. Denn kaum habe ich das Buch gezückt, verdrehen sie ihre Köpfe, um den Buchtitel zu entziffern. Sobald ihnen das gelungen ist, beginnen sie Gespräche, die ich nicht führen will. Das nächste Mal nehme ich also meinen Laptop mit, hänge mich an die Kletterstange und verfasse Blogeinträge.
Es bleibt festzuhalten: Kein Erwachsener redet mit mir, aber schon nach kurzer Zeit befindet sich zu viel Sand in der Tastatur. Die Tastn klemn. Display im Sonnnnnnlicht schlecht einsehba.

Einsetzbarkeit vor Ort: schlecht
Gesamtbewertung: ** (2 von 6)

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