Mama Leaks

WikiLeaks ist eine Internetplattform auf der geheime Dokumente veröffentlicht werden können, die von öffentlichem Interesse sind. Das ist für diejenigen, welche die Dokumente geheim halten wollten natürlich ärgerlich. Über das Thema Geheimnisse liest man in letzter Zeit viel. Die amerikanische National Security Agency überwacht u.a. Telefone und die komplette Internetkommunikation. Während die einen auf die Straße gehen, um für ihre Freiheit zu demonstrieren, zucken andere nur mit den Schultern und sagen: „Na und? Sollen sie doch. Ich habe nichts zu verbergen…“

Wie falsch dieser Satz ist, das wird einem erst klar, wenn man ein flüssig sprechendes Kind im Kindergartenalter hat. Denn dann hat man zumindest vor den Erzieherinnen im Kindergarten und gegebenenfalls auch vor den anderen Eltern im Kindergarten wirklich keine Geheimnisse mehr.

Jedes noch so kleine, unangenehme, vielleicht peinliche Detail, das sonst gut in den eigenen vier Wänden aufgehoben ist, verlässt mit dem Kind die Wohnung. Ganz zu Beginn, das muss ich zugeben, war ich sehr unvorsichtig. Ich dachte, ein dreijähriges Kind, das versteht noch nicht viel und ich habe mich mit meinem Mann bedenkenlos über alles unterhalten, das mir in den Sinn kam. Unachtsam lästerte ich über mir nicht zusagende Kleidungsstücke anderer Leute, um dann wenige Tage später genau vor diesen zu stehen und mein Kind sagen höre: „Ist das die häßlische Kleid von das du gesprecht hast, Mami?“ Kind 3.0 deutet begeistert auf das grellorangene Sommerkleid einer anderen Mutter. Ich hielt mich für besonders schlau und dachte, ach, wenn ich so tue als ob ich nichts gehört habe, dann muss ich die Frage nicht beantworten. Das führte aber nur dazu, dass Kind 3.0 lauter nachhakte: „IS DAS DIE HÄSSLISCHE KLEID? MAMAAAAA?“ Ich errötete und antwortete: „Was? Nein! Was meinst du denn? Hm?“ Dabei fiel mir auf, dass meine Stimme schon etwas überbetont fragend, schon leicht ins hysterische abgleitend klang. Ich packte Kind 3.0 also ohne Schuhe und verließ fluchtartig die Garderobe. Den ganzen Weg nach Hause hoffte ich, dass die Mutter uns nicht gehört hatte.

Die nächste Lektion in Sachen Geheimnisse war dann: Verberge alles, was Hinweise auf Geheimnisse geben könnte. Das können ganz banale Dinge sein. Das Läuseshampoo vom Geschwisterkind, das Warzenmittel im Medizinschrank, selbst Produkte zur Monatshygiene möchten nicht öffentlich diskutiert werden. Einmal unachtsam liegen gelassen, werden sie vom Kind gefunden und bieten Diskussionsmaterial für allerlei heikle Themen. Vielleicht bin ich da auch nur hypersensibel, aber wenn mein Kind am Spielplatz beim Schaukeln zum Nachbarskind schreit: „MEINE MAMA BLUTET AUS DER SCHEIDE! DEINE AUCH?“, dann fühle ich mich doch kompromittiert.

Selbst Dinge, die eigentlich nie geschehen noch jemals ausgesprochen wurden, haben ausreichend Potenzial zum Rechtfertigungsalbtraum zu werden. Einfach weil das Kind etwas beobachtet und sich selbst einen Reim auf die Geschehnisse macht, die nicht unbedingt dem tatsächlichen Tathergang wiedergeben müssen.

Als mein Mann beispielsweise das Kind vom Kindergarten abholte, berichtete dies arglos von dem netten Mann, der die Mami morgens öfter besucht und zwar „Wenn du in die Arbeit gegangen bist, Papi“. „Die Mami macht immer halbnakisch auf und isch muss dann ganz leise sein wenn der Mann da ist.“ Zartes Nachfragen meines Mannes konnte die Situation auflösen. Schlussendlich handelte es sich um einen Nachbarn, der ein ungewöhnliches Talent hatte, immer genau dann zu klingeln wenn ich morgens unter die Dusche möchte. Ich denke, er ist shoppingsüchtig. Jedenfalls erhält er durchschnittlich ein Paket pro Woche, das der Postbote gerne bei uns hinterlegt. Er weiß in der Zwischenzeit an welchen Wochentagen wir morgens früh noch zuhause sind und holt dann seine Pakete ab. Vermutlich lauert er im Treppenhaus bis er hört, dass ich das Duschwasser aufdrehe und klingelt dann. Jeder hat halt so seine Hobbys. Wenn ich die Tür öffne und wir ein paar freundliche Worte austauschen, jubelt und grölt Kind 3.0 im Hintergrund. Da die Tür zum Hausflur geöffnet ist, bitte ich um Ruhe. Insgesamt eine eher harmlose Angelegenheit, die jedoch eine ganz besondere Note bekommt, wenn Kind 3.0 sie nacherzählt.

Und da wird es deutlich. Es geht bei Überwachung gar nicht um die tatsächlichen Geheimnisse, die man zu verbergen sucht sondern darum was andere durch Einzelbeobachtungen und deren Misinterpretation über das eigene Leben und Verhalten schließen.

Besser nicht fragen

Die Wahrheit ist ein oftmals hochgelobtes Gut. Dass es sozial durchaus nicht wünschenswert ist, ständig die Wahrheit zu sagen oder gar zu hören, zeigt Jim Carrey in Der Dummschwätzer recht eindrücklich. Dies wissend, sollte man Kinder nie nach der Meinung fragen.
–    Sag, findest Du mich schöner geschminkt oder ungeschminkt?
–    Ich weiß nicht Mami, das sieht doch eigentlich gleich aus, nur bunter. Das Gesicht ist doch das selbe und an das bin ich schon gewöhnt.

Was die Beziehungswelt zusammen hält

Es gibt die unterschiedlichsten Arten von Beziehungskit. Für die meisten ist es Liebe, so hört man in Umfragen. Das Problem an der Liebe ist, sie ist vergänglich. Als eher sicherheitsorientierter Mensch würde ich meine Beziehung nie auf solch wackelige Beine stellen.
Da setze ich lieber auf Leiden. Man könnte dieses Phänomen unter dem Begriff Kreuzritter-Effekt zusammenfassen. Man lernt einen Partner kennen, findet sich sympathisch und eines Tages beschließt man gemeinsam den heiligen Gral zu suchen. Man macht sich auf den Weg und überwindet Hindernis nach Hindernis, hilft sich gegenseitig und bringt so manchen Ungläubigen zur Strecke. Nach mehreren Jahren der erfolglosen Suche, ahnt man zwar, dass man den Gral nicht finden wird, lässt sich aber nicht davon abhalten tapfer weiteren Abenteuern entgegen zu reiten. Dabei schwelgt man nicht andauernd in Harmonie, nein, es müssen auch Ritterkämpfe überstanden werden.
So einen Kampf hatten wir gestern Abend, als wir vom Keller der Nachbarin einen Crosstrainer in unsere Wohnung befördern wollten. Gut 90 Kilo wiegt das Gerät – was an sich nicht so schlimm wäre – nur leider ist es ungefähr so handlich wie ein Klavier.
Da steht man zu zweit noch vor Eintritt ins eigene Treppenhaus verkantet zwischen Wand und Treppe und spürt, wie sich der rechte Griff der Sportmaschine tief in das eigene Gedärm drückt, während der Partner munter von der anderen Seite mit aller Kraft weiter schiebt.
In jenen Momenten, in denen zusätzlich das Kreuz schmerzt und man glaubt einen Hexenschuss zu bekommen, schreit man den unterdrückten Frust der letzten Wochen durch das Treppenhaus und auch der Partner nutzt die Gunst der Stunde und fährt den in der Zwischenzeit hochgewuchteten Crosstrainer punktgenau über die falsch platzierten Füße. Er brüllt „Entschuldigung“ doch in seinen Augen sieht man, das war kein Versehen.
Treppe um Treppe schleppt man sich den Wuttränen nahe der eigenen Entkräftung entgegen, während man vielleicht in einer Zwischenetage die sich bietende Chance nutzt und den Partner auf der eigenen Schweißpfütze zum Staucheln bringt.
Wie eine gigantische Bohrschraube, die ihren Weg durch das Gestein Meter um Meter auf dem Weg nach einem Erdölfund bahnt, bewegt man sich durchs Treppenhaus. Den Crosstrainer hassend, sich hassend, den Partner hassend.
Kommt in der 6. Etage dann endlich die eigene Wohnungstür in Sicht, so weicht die Aggression, Glückshormone werden über den Hypothalamus freigesetzt, man blickt den Partner mit den blutunterlaufenen Augen an und fällt ihm weinend in die Arme. Es ist geschafft! Wir haben es geschafft! Gemeinsam! Man schwört sich schlangenzüngig ewige Liebe und meint damit, dass niemand von beiden den sperrigen Klotz jemals wieder runter schleppen will.

Und für die, die es weiterhin Liebe nennen wollen: Liebe ist eine Fehlinterpretation physiologischer Erregung!

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