Das mit dem Ausschlafen an kinderfreien Wochenenden hab ich immer noch nicht zuverlässig drauf. Wahrscheinlich weil ich ohnehin mein ganzes Leben nie ausgeschlafen habe. Ich bin einfach Lerche.
Es ist allerdings schon neun. Also stehe ich jetzt auf und mache mir Kaffee. Mit dieser Bialetti, die angeblich Crema hinbekommt. Das Ding macht mich schon seit Wochen wahnsinnig.
Die ersten Male sprudelte und spritzte der Kaffee immer oben aus dem Loch (und ja, da ist ein Loch, es gibt dazu keinen Deckel, man kann nichts zuklappen, das gehört so). Dann habe ich nachgelesen auf was alles zu achten ist und auch was gelernt: Wenn man bereits kochendes Wasser unten in die Kanne füllt (ja, nur bis zum Ventil und nein, es ist nicht verstopft), dann ist der Kaffee nicht nur viel schneller fertig – er schmeckt auch sehr viel besser. Und nein, ich drücke das Kaffeepulver nicht an und eine andere (zu fein gemahlene) Marke ist es auch nicht und trotzdem sprudelt und sprutzelt der Kaffee seit neustem wieder oben wie irre raus. Aber ich hab das im Griff. Heute hab ich nämlich erst die Milch warm gemacht und in dem Moment, in dem die Kaffeekanne zur Fontäne wird, halte ich den Kaffee über den Topf und muss danach nicht den Herd putzen, sondern hab fertigen, wohlschmeckenden Milchkaffee.
Am wichtigsten ist ohnehin, dass man den Kaffee (wahlweise auch den Tee) aus einer schönen Tasse trinkt. Und ja, man kann diese Tasse bestellen und ja, eigentlich will man alle Modelle haben.
Nach dem Kaffee habe ich immer noch Zeit. Der Freund ist noch nicht aufstehwillig. Also lese ich. Zum Beispiel einen Artikel über Gleichberechtigung (ja, schon wieder!): Gleichheit der Geschlechter –
Die große Illusion – Der Unterschied zwischen Mann und Frau spielt keine Rolle, heißt es. Bis es um Schwangerschaft und Geburt geht.
Ich finde, der Artikel hat viele interessante Aspekte, wenngleich er auch sehr viel vermischt. Zum Beispiel erklärt er mir, warum viele der jetzt ca. 30jährigen Frauen finden, dass wir keinen Feminismus mehr brauchen.
Die Leserschaft ist sich ob der Qualität des Artikels etwas uneinig.
Mir ist immer noch wach und Frühstück wäre jetzt nicht schlecht. Also ziehe ich mich an und gehe zum Bäcker. Beim Bäcker lerne ich dann: Die Croissants immer zuletzt bestellen! Immer. Erst die Brötchen, dann die Croissants. Die Bäckereifachverkäuferin redet sich in Rage. Der Bäcker macht sich so eine Mühe mit den Croissants und dann kommen die Kunden und bestellen falschrum, das Croissant landet in der Tüte unten, wird zerquetscht und all die Mühe futsch. Das muss doch nicht sein. Wirklich nicht. Wehe, Sie bestellen nochmal in der falschen Reihenfolge. Ich hab’s natürlich richtig gemacht.
Am Rückweg fällt mir auf, dass mal wieder ziemlich viel Sperrmüll auf der Straße steht. Ich denke, wenn es in Berlin wäre, wie es bei mir war als ich klein war, wenn also an einem bestimmten Tag im Jahr Sperrmüll wäre und die BSR führe durch die Straßen und holte alles ab, dann stünde nicht ständig und jeden Tag der ganze Müll herum. Warum das in Berlin anders ist als in anderen Städten – das kann mir vielleicht mal jemand erklären.
Während ich mich also auf den Sperrmüll konzentriere, fällt mir auf, dass den ganzen Weg die Baumscheiben sehr liebevoll gestaltet sind. Baumscheibe auch so ein Wort, das ich nicht kannte bevor ich nach Berlin kam. Gemeint sind die freien Erdflecken um die Straßenbäume herum. Oft einfach von Hunden vollgekackt, manchmal aber auch von Anwohnern, Kneipen oder Kindergärten eingezäunt und liebevoll bepflanzt.
Ein sehr schöner Brauch.
Und da sehe ich wieder: Berlin ist so schön oder häßlich wie man es sehen will.
Dann gibt es Frühstück. Der Freund muss arbeiten und ich fahre mit der Tram nach Hause, denn auch ich habe eine unendliche ToDo-Liste. All das, was ich im Alltag nicht schaffe… v.a. dann, wenn die Kinder da sind.
Zum Beispiel Schubladen tauschen. Ich dachte, das dauert zehn Minuten, doch am Ende sitze ich schwitzend eine Stunde da und wünsche mir einen Akkuschrauber als ich die Schienen der Schubladen das dritte mal anschraube. Dann erst sehe ich, dass die Schubladenblenden zwei unterschiedliche Positionen haben und ach, ach, ach, was man alles falsch machen kann [1].
Am Ende siege ich, aber nur weil ich mir vorstelle, ich sei einer dieser Orks, die um ihre Ehre bemüht sind, die mir gestern Abend in Warcraft begegnet sind.
Danach schnell noch die Wäsche. Schnell noch. Haha. Vier Maschinen waren das ingesamt, aber noch länger aufschieben geht nicht. Ich habe ausserdem seit neusten Spaß am Zusammenfalten, weil der Freund immer so ordentlich faltet, dass ich es auch so hübsch haben will und siehe da, wenn ich die Wäsche auf einem Tisch falte, dann sieht es halbwegs ordentlich aus.
Am Nachmittag schwingen wir uns auf die Fahrräder und treffen die Illustratorin und den Autor von Pinipa bei Aldemir Eis.
Wie eine alte Oma denke ich mir als erstes: Also das wird hier ja auch immer teurer. Bald haben wir Preise wie auf Korsika. Dafür gibt es wirklich exotische Eissorten. Nachdem ich ca. zwanzig Minuten in Schockoptionsparalyse verharre, entscheide ich mich für Erdnusseis mit Sahne und Schokosoße. „Halbe Portion Sahne?“, fragt die Verkäuferin. Irre, halbe Portionen kann man bestellen? Weil das geht, bestelle ich eine halbe Portion.
Vielleicht hätte ich doch lieber das Ingwer-Eis nehmen sollen? Oder Zimt? Oder Kokos? Hmmm…
Wir spazieren am Kanal entlang. Es ist früher Abend und wir sind alle hungrig. Also gehen wir zu Il Casolare. Ich bin gerne dort, weil es tatsächlich so italienisch ist, wie ich Italien als Kind kennengelernt habe. Ich mag die Schnoddrigkeit und die Gleichgültigkeit der Bedienungen. Mich nerven die Raucher. Also Kinderverbote finde ich unmöglich, aber Raucher! Raucher, die möchte ich gerne verbieten oder ihnen eigene Schutzräume geben. Raucher, die draußen in Restaurants sitzen und qualmen – das brauche ich wirklich nicht.
Wir bestellen eine Pizza Incredibile und eine Golosa und teilen sie uns. Unverschämt lecker sind die. Schade, dass ich nicht noch als Vorspeise die Auberginen hatte. Naja, dann esse ich wenigstens eine Nachspeise: Profiteroles. Seit Tagen habe ich Lust auf Profiteroles [2].
Der Espresso ist auch hervorragend und den Rest des Tages bin ich komplett essensbefriedigt. Ich liebe gutes Essen. Es macht mich so glücklich. Eigentlich will ich nur gut essen. Wie ich es hasse, irgendwas in mich rein zuschaufeln nur damit ich nicht mehr hungrig bin. Nein! Am liebsten würde ich jeden Tag so köstlich essen. Überhaupt essen. Es. ist. so. toll.
Mein Freund bestellt sich derweil Chinotto [3] und als ich den Geruch wahrnehme, muss ich mir auch ein Chinotto bestellen. Als Kind durfte ich mir Chinotto statt Cola bestellen und kam mir dann immer wahnsinnig erwachsen vor. Geschmeckt hat es mir nie, aber weil ich es durfte, hab ich es bestellt.
Chinotto ist irgendeine bittere Zitrusfrucht, zu den Bitterorangen gehört sie, mehr weiß ich nicht. Schmeckt eigentlich auch nicht. Ich gebe einen Teil meiner bitteren Limonade an meinen Freund. Das halbe Glas hat mich ausreichend glücklich gemacht.
Nach dem Essen verabschieden wir uns von unseren Freunden und fahren mit dem Rad wieder nach Hause. Gegenüber haben die Nachbarn ihr Fernsehgerät auf das Fensterbrett gestellt und eine Bierbankgarnitur auf die Straße.
Ich mag Berlin, ich mag es wirklich. Wie schön, dass die Leute hier machen auf was sie Lust haben und sich in den allermeisten Fällen nicht allzu sehr gegenseitig auf die Nerven gehen.
[1] Bonusmaterial „Was man alles falsch machen kann“
[2]
Wenn ich statt Profitool immer Profiterol lese, sollte ich noch einen kleinen Nachtisch essen, oder?
— Patricia Cammarata (@dasnuf) June 6, 2016
[3]