Die echten Menschen und die im Internet

Der Weg in den Kindergarten führt an zwei Altenheimen vorbei. Oft begegnen uns deswegen Menschen jenseits der 80, die auf Rollatoren ihre Runden drehen. Kind 3.0 ist sehr gesprächig und ruft allen Menschen, die an uns vorbei gehen, ein sehr herzliches „Hallo“ zu. Die meisten freuen sich sehr und sind bei der anschließenden Konversation glücklicherweise sehr schwerhörig. Kind 3.0 ist sehr offen und so lautet seine Lieblingsfrage „Wieso siehst Du eigentlisch so gruselig aus?“ oder auch „Bist Du eine alte Hexe?“. Kind 3.0 und die Alten reden ein wenig miteinander und wenn wir dann weiter gehen, fragt Kind 3.0 gerne „Wer war das? Und warum redet der mit misch?“

Mir ist aufgefallen, dass die meisten älteren Menschen zu Beginn sehr traurig schauen und ihr Gesicht sich unfassbar aufhellt, wenn sie mit Kind 3.0 sprechen.

Oft sehe ich auch alte Menschen, die auf ihrem kleinen Balkon stehen und nach draußen schauen. Sie stehen da, unbeweglich und ich kann oft nicht genau ausmachen, was sie eigentlich anschauen. Ihre Haare sind verwuschelt und sie tragen Bademäntel, so als sei dieser Ausflug auf den Balkon, der einzige Ausflug des Tages. Auf dem Rückweg stehen sie immer noch da.

Ich überlege dann, wie das bei mir sein wird – so in 35 – 40 Jahren.

Ohne das Internet – für mich vor 1997 – habe ich mich oft sehr einsam gefühlt. Seit dem ich – wie einige meiner Bekannten das sagen – im Internet lebe, ist das nicht mehr so. Ich kann entscheiden, ob ich alleine sein oder Gesellschaft haben möchte. Selbst wenn ich zuhause bin und fernsehe zum Beispiel. Wenn das Programm zu öde ist, nehme ich mein Handy in die Hand und schaue, ob andere auf Twitter sich die Sendung anschauen, ich filtere das Hashtag und schon sitze ich mit vielen Menschen auf meinem Sofa.

Ich habe völlig unabhängig von Raum und v.a. auch von der Zeit „Menschen“ um mich. Ich bin schon immer eine Frühaufsteherin gewesen. Samstags war ich immer um acht knallwach. Bis ich gewagt habe, eine Freundin anzurufen sind schon mal drei Stunden vergangen. Heute stehe ich oft vor sechs auf. Als erstes klicke ich mich dann durch Mails, lese Blogs, schaue was auf Twitter und Facebook los ist und das Gefühl von Einsamkeit bleibt mir fern. Natürlich habe ich auch meine Familie, meinen Mann, die Kinder und ich weiß nicht genau wie es ganz ohne sie wäre, aber ich stelle mir das Alter mit Internet viel schöner vor als ohne.

Vor ein, zwei Generationen haben Freunde und Familie viel enger zusammen gewohnt. Ich denke, es war nicht unüblich sogar in der selben Stadt zu wohnen oder Freunde aus der Schule ein Leben lang zu kennen.

Meine Oma wohnt über 2.400 km weit weg entfernt. Meine Eltern 500, meine Schwester ebenfalls. Von den Schulfreunden kenne ich nur noch wenige. Bis auf zwei sind sie alle mehr als 300 Kilometer entfernt. V.a. mit denen, die ins Ausland gezogen sind, halte ich über Facebook Kontakt. Es ist ein lockerer Kontakt, aber ich freue mich, sie regelmäßig in der Timeline zu sehen.

Ich bin zudem sehr schlecht in aktiv Kontakt halten. Auch bin ich sehr schlecht in interessierte Fragen stellen. Ich kann mir nicht ausmalen, wie ich ohne das Internet leben würde. Vermutlich hätte ich mehr Zeit. Die Frage ist nur für was. Fürs Fingernägel lackieren? Für Flechtfrisuren? Würde ich mehr basteln mit den Kindern? Wäre ich aktiver in unserem Kiez? Ließen sich andere soziale Aktivitäten eigentlich mit meinem Alttag – dem Hin- und Hergehetze zwischen Arbeit, Kindergarten, Zuhause vereinen?

Wo werden meine Kinder sein, wenn ich alt bin? Wo die Freunde?

Ich hoffe jedenfalls, dass es bis dahin tolle Apps für alte Menschen gibt, die einfach zu bedienen sind, die ich auch noch mit Gicht und Arthritis benutzen kann. Die ich auch schwerhörig und fehlsichtig benutzen kann und die mir den Kontakt zu meiner Familie und meinen Freunden und den Menschen im Internet, die ich vielleicht gar nicht persönlich kenne und die mir trotzdem das Gefühl von Nähe und Gesellschaft geben, ermöglichen. Ich möchte lieber auf meinem Bett liegen, ein leichtes, riesenhaftes Gadget auf dem Schoß haben und mit knorrigen Fingern Symbole anklicken als frierend und alleine auf einem Balkon stehen und in die Ferne schauen, so wie die Menschen, die nur Kontakt zu „echten Menschen“ hatten und haben.

P’takh wer’s nicht zu schätzen weiß

Der Wolf, das Lamm auf der grünen Wiese
HURZ!
Und das Lamm schrie HURZ!

Der Wolf, das Lamm, ein Lurch lugt hervor

1991 (!) schrieb Hape Kerkeling als Tenor Pjotr Stianek Fernsehgeschichte. Er präsentierte vor interessiertem Publikum sein Musikstück „Hurz!“. Ich fühlte mich gestern als ich der klingonischen Oper u lauschte, auch ein bißchen hurz.

Nichtsdestotrotz kann ich reinen Gewissens sagen, dass u die beste Oper war, die ich in meinem Leben bislang gehört habe (was zu einem nicht unwesentlichen Teil daran liegt, dass u die erste Oper war, die ich in meinem Leben gehört habe).

Inszeniert wurde u vom niederländischen Klingon Terran Research Ensemble.
Beeindruckend waren für mich v.a. die Musiker, die original klingonische Instrumente spielten. Darunter z.B. der Dov’agh (Anne La Berge), die Supghew (James Hewitt) und nicht zu vergessen, die ´In (Juan Martinez), welche mit Hilfe der mupwI’Hom gespielt wurde.

Da ich weiß, dass man die klingonische Seele nur verstehen kann, wenn man auch ihre Lieder und Mythen zu schätzen weiß, war der Opernbesuch für mich ein Muss. Zumal ich so endlich die komplette Geschichte von Kahless kennenlernen konnte und somit auch endlich den Ursprung des Bat’leths kenne.

Bleibenden Eindruck hat Michael Mason, der Master of Scream, bei mir hinterlassen. Sein Klingonisch war wirklich hervorragend und beinahe akzentfrei. Der Master of Scream führte durch die Handlung und wies das Publikum an den entscheidenten Stellen an mitzuschreien. Ein sehr befreiendes und großartiges Erlebnis.


(Das Publikum stimmt ein in Lukanas Schrei)

Am Ende jedenfalls stehende Ovationen und das nicht nur durch die Klingonen im Publikum. Fast wäre ich auch auf die Bühne gesprungen als die Initiatoren des Stücks am Ende immer wieder wohlwollend in meine Richtung deuteten. Glücklicherweise drehte ich mich dann aber doch noch mal um und konnte so feststellen, dass ich genau vor Marc Okrand, dem Erfinder der klingonischen Sprache, saß.


(Marc Okrand und ein Paar Föderationswesen)

—-

Bechdel Test bestanden?
Leider nein. Was übrigens sehr bedauerlich ist. Denn sonst sind Frauen im Klingonischen Reich vergleichsweise gleichberechtigt.

—-

Fürs nächste Mal zum Mitsingen:

Qoy qeylIs puqloD [Kroi keylisch puklod]
Qoy puqbe’pu‘ [kroi pukbäpu-hu]
yoHbogh matlhbogh je SuvwI‘ [jochboch matlboch dschä schufwi]
SeymoHchu‘ mayu‘ [scheymochtschu maju]
maSuv manong ‚ej maHoHchu‘ [maschuf manong edsch machochtschu]
nI’be‘ yInmaj ‚ach wovqu‘ [nibä jinmatsch atsch wof-ku]
batlh maHeghbej ‚ej yo‘ qIjDaq [batl machechbedsch ädsch jo kidschdak]
vavpu’ma‘ DImuvpa‘ reH maSuvtaH [wafpuma dimuvpa rech maschuftach]
Qu‘ mamevQo‘ maSuvtaH ma’ov [kru mamefkro maschuftach maow]

Quelle: Internet

Keine Lösungen, aber viele Fragen

An #aufschrei kann niemand, der auf Twitter aktiv ist, vorbei lesen. Es ist viel geschrieben worden und ich möchte an dieser Stelle auf zwei Artikel verweisen, die das Thema sehr differenziert von unterschiedlichen Perspektiven beleuchten:

#Aufschrei – es geht nicht um mich und Derailing und die Lämmerfrage

Ich kann nur jeden ans Herz legen, auch die in den jeweiligen Artikeln verlinkten Beiträge anderer BloggerInnen zu lesen und sich ein bisschen tiefer mit dem Thema zu beschäftigen.

Natürlich spielt das Thema für mich eine Rolle, weil ich Frau bin und auf einer anderen Ebene, weil ich Mutter bin. Ich hoffe, dass ich meine Kinder so stark machen kann, wie es z.B. Journelles Mutter gelungen ist: „Meine Mutter hatte immer allergrößten Wert darauf gelegt, dass ich schon früh begriff, dass mein Körper ausschließlich mir gehört. Außerdem war klar, dass sie mir im Zweifel immer glauben und für mich kämpfen würde, wenn ich das Gefühl hätte, dass jemand etwas mit mir tut, das ich nicht möchte oder mir unangenehm ist.

Für mich fängt diese Art von „Erziehung“ schon bei der Bezeichnung der Geschlechtsteile an. Ich habe mal gemeinsam mit einer Freundin einen Vortrag an der Uni zu den sprachlichen Rahmen bei der Bezeichnung der Geschlechtsteile gehalten (Stichwort „die Scham“ und „das Gemächt“). Es ist erschreckend, wie normal es alle finden „Penis“ zu sagen und gleichzeitig Probleme haben „Scheide“ oder „Vagina“ auszusprechen. Ich höre auch immer wieder, dass Jungs da unten „einen Penis“ haben und Mädchen da unten „keinen Penis“ haben. Das weibliche Geschlecht also als Abwesenheit des Penis. Ich könnte einen eigenen Artikel über die Bezeichnungsproblematik schreiben und was ich glaube, was das alles nach sich zieht.

Das ist aber nur einer von Hunderten Mini-Aspekten, die eine Rolle in der Erziehung spielen. Natürlich ist es elementar zu den Kindern eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, ihnen ein gutes Vorbild zu sein, sie nicht mit „Das macht doch ein Mädchen nicht…“, „Das ist nur für Jungs…“-Sprüchen zuzuballern. Ihnen ihre eigenen Grenzen zu zeigen, diese dann auch zu akzeptieren und und und.

BerlinMitteMom greift das Thema auch unter diesem Aspekt auf: „wie erziehe ich meine Mädchen so, dass sie sich frei und ohne Angst bewegen können wie und wo sie wollen und gebe ihnen doch alles mit, damit sie sich wehren können? Und wie erziehe ich meinen Sohn dazu, Frauen zu respektieren und sich weder im Kleinen noch (Gott bewahre!) im Großen sexistisch zu verhalten?

Es gibt so viel zu tun und niemand kennt den richtigen Weg. Wie bei allen Erziehungsthemen. Es gibt so viele, viele Fragen und keine eindeutigen oder richtigen Antworten. Was bleibt ist der Dialog und dass man seine eigenen Haltungen reflektiert, dass erlaubt ist nachzufragen – gerade wenn man sich unsicher fühlt oder keine feste, bis in alle Details durchdachte Haltung hat und dass auch gestattet wird, dass Positionen verändert werden dürfen (als Ergebnis dieses Prozesses).

Deswegen, warum ich das überhaupt schreibe: Es lohnt über #aufschrei nachzudenken.

—-

Nachtrag, weil Offtopic und irgendwie auch nicht. Ich habe neulich den Film „Paradies: Liebe“ gesehen und festgestellt, dass das einer der schlimmsten Filme war, die ich je gesehen habe. Ähnlich wie mancher Lars von Trier Film hat er mir körperliche Schmerzen bereitet. Es geht in dem Film um Sextouristinnen in Kenia.

Was mich an dem Film nachhaltig schockiert hat, war meine emotionale Reaktion auf die sexuelle Ausbeutung der Männer. Ich war so tief betroffen, dass ich kaum hinsehen konnte und dann plötzlich fiel mir auf wie viele hundert Male ich Frauen in ähnlichen Situationen im Film gesehen hatte. Nackt tanzend, angegrabscht, missbraucht, erniedrigt – und in den allermeisten Fällen hat dieser Anblick gar nichts in mir bewegt. Er war Teil der Handlung. Der Anblick war gewohnt und normal. In „Paradies: Liebe“ Männer in der selben Lage zu sehen, hat mich umgehauen und das wiederum (der Unterschied in meiner Reaktion) hat mich regelrecht verstört. Er hat mir lange vor #aufschrei klar gemacht, wie normal sexuelle Bedrängung und Sexismus für mich im alltäglichen (Fernseh/Film) Leben geworden sind. Bei „Paradies: Liebe“ habe ich mich so furchtbar und auf so vielen Ebenen für die Handlungen der weiblichen Darstellerinnen geschämt.

Ich habe abends mit meinem Mann darüber geredet und eine weitere erschreckende Einsicht bekommen: Meinem Mann geht es beim Anblick genau solcher Darstellungen bezogen auf Frauen genauso. Und zwar ständig. Er schämt sich manchmal per Geschlecht zu dieser Gruppe dargestellter Männer zu gehören. Das war mir ganz und gar nicht klar. Auch diese Einsicht hat mir #aufschrei vertieft. Nicht alle Männer sind mehr oder weniger so. Deswegen ist diese Differenzierung wichtig:

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Warum ich gerne auf die katholische Kirche verzichten möchte

Vor einigen Tagen twitterte ich

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Als Tochter eines Sizilianers bin ich natürlich katholisch getauft. Aus der Kirche ausgetreten bin ich erst mit 27 Jahren. Die Kirche hat mich meine komplette Dorfjugend begleitet und war sehr wichtig für mich. Auch als Teenager bin ich regelmäßig in den Gottesdienst gegangen. Was mir an der katholischen Kirche nie gefallen hat, war der Sündengedanke. Ich kann mich sehr lebhaft erinnern, wie die einzelnen Pflichtbeichten nach der Kommunion waren. Ich war ein neunjähriges Mädchen und musste mir Monat für Monat überlegen, was ich Böses getan hatte, um es dann zu beichten. Manchmal fiel mir nichts ein und ich erfand Sachen, einfach damit ich was zu beichten hatte. Je älter ich wurde, desto belastender fand ich das. Denn die Lüge über die Sünden potenzierten die Sünden schließlich.

Was mir außerdem nicht gefiel war der Umstand, dass man als Mädchen nicht gleichwertiges Mitglied in der katholischen Gemeinde war. Ministrantinnen gab es damals nicht und Pfarrerinnen gibt es ja bis heute nicht ( – aber das ist nochmal ein Thema für sich).

Trotz aller Zweifel – und ich könnte Dutzende von Beispielen herauskramen – blieb ich in der Kirche. Erstens weil ich sah, dass sich das was Kirche in der Praxis bedeutete, von Gemeinde zu Gemeinde deutlich unterschied und ich durchaus all das Gute sah, was manche Pfarrer taten – v.a. für diejenigen, für die es in der Gesellschaft sonst keinen Platz gab. Das war für mich zutiefst christlich und zwar ganz banal im Sinne von dem, was ich denke, was Jesus Christus getan oder gewollt hätte.

Ein zweiter Grund war meine eigene Einsamkeit und Traurigkeit. Teil einer Gemeinschaft zu sein, tat mir gut und gab mir Kraft. Ich habe also selbst die positiven Aspekte erlebt und habe deswegen meine Kirchensteuer gerne gezahlt, einfach weil ich das Gefühl hatte, ich unterstütze damit diese positiven Aspekte.

Je mehr ich mich allerdings in einem größeren Rahmen mit dem Thema auseinandergesetzt habe, umso schwerer wurde es für mich Mitglied der Kirche zu bleiben. Irgendwann war es schlichtweg nicht mehr mit meinem Gewissen zu vereinbaren. Es ist natürlich bequem: Man kommt so selten dazu „Gutes“ zu tun und wenn man jeden Monat zwangsweise und ohne sich jemals drum gekümmert haben zu müssen, ein bißchen von seinem Wohlstand abgibt* – warum nicht.

PatschBella schreibt diesen Aspekt wie folgt:

Wenn wir über die Kirche schimpfen, verurteilen wir ein biss­chen auch alle, die im Namen dieser Organ­i­sa­tion arbeiten. Die Asyl gewähren und Sup­penküchen leiten. Die aus­bildende Schulen für viele soziale Berufe finanzieren. Und diese Sozialar­beiter später beschäfti­gen.

Das ist richtig. Jetzt kommt aber das große aber und dazu empfehle ich wärmstens den Artikel „Ein Staubkorn Namens Mensch“ zu lesen.

Jens Best schreibt: „Ich kritisiere Machtverhältnisse. Religionen dienen gesellschaftlich der subtilen bis gewalttätigen Kontrolle von Massen. Die Legitimation hierfür ist humanistisch nicht zu begründen und damit für den aufgeklärten Menschen nicht akzeptabel. Der Sonderstatus der Religion muss peu a peu abgeschafft werden. Die Themen sind bekannt: Finanzierung durch den Staat, Sonderrechte in der Behandlung von Arbeitnehmern, […]

und

„[…] Ergänzend ist es bemerkenswert, dass wir die Arbeit der Kirchengemeinden als wichtig anerkennen, gleichzeitig aber viele hier die Augenbrauen zusammenziehen, wenn sie hören, wie Muslimische Bruderschaften bei sozialer Hilfe den Menschen den Glauben gleich mitvermitteln. Ich denke, dass die Schaffung Sozialen Kapitals jenseits einer Gottesmaschinerie eine der wichtigsten Leistungen ist, denen der Humanismus sich in diesem Jahrhundert stellen muss.

Diese letzte Passage halte ich für essentiell und möchte sie hundert Mal unterstreichen. Diese Nische – die Gemeinschaftsarbeit – darf nicht der Kirche (und auch keinen anderen Glaubensgemeinschaften) überlassen werden. Es müssen Alternativen geschaffen werden. Daran muss gearbeitet werden.

Deswegen nochmal zurück zu PatschBellas Text:

Wir kön­nten die katholis­che Kirche als das vielschichtige Unternehmen begreifen, das sie ist. Stattdessen hat “das Inter­net” (I KNOW) beschlossen, dass es effizien­ter ist, eine Organ­i­sa­tion ohne die große Teile unserer sozialen Auf­fangnet­zes zusam­men­brechen wür­den, grob zu beschimpfen. Ja, das hilft immer.
Mal ganz abge­se­hen von der damit ein­herge­hen­den Intol­er­anz gegenüber gläu­bi­gen Men­schen. Deren Heimat, deren Gemein­schaft wird gle­ich mal by proxy schlecht gemacht.

Das sehe ich nämlich völlig anders. Ich finde die Kirche soll ersetzt werden und solange wir uns ausruhen auf dem Argument – aber sie ist doch eine wesentliche Stütze unserer Gesellschaft – was ist dann mit den Kindern, den Armen, den Alten und den Schwachen? – wird sich das nicht ändern. Ich persönlich möchte das aber ändern. Ich möchte ein soziales System ohne Pflichtwertesystem und habe gar kein Problem jeden gleichzeitig an das glauben zu lassen an das er gerne glauben möchte.

Drastischer gesagt: ich kann wirklich nicht verstehen, wieso man weiterhin Mitglied der katholischen Kirche ist, wenn man weiß, was im Namen der katholischen Kirche getan oder nicht getan wird. Gerade dann wenn einem die christlichen Grundwerte wie beispielsweise Barmherzigkeit wichtig sind, sollte man aus der Kirche austreten. Und was den „meine Kirchensteuer tut doch Gutes“ Aspekt angeht, es ist verhältnismäßig einfach einen Dauerauftrag für eine andere wohltätige Einrichtung einzurichten.

Nachtrag: Ich dachte nicht, dass man das explizit erwähnen muss – aber mir ist klar, dass a) das Geld hauptsächlich in die Verwaltung/Personal etc. fließt und b) die sozialen Einrichtungen nicht hauptsächlich durch Kirchengelder (sondern hauptsächlich staatlich) finanziert werden.

LeserInnen Gedenktag

Der 18. Januar ist der offizielle Reader Appreschi tschiha appeschiha äh LeserInnen Gedenktag. Eine schöne Gelegenheit Euch allen endlich mal zu danken. 6.576 Mal habt ihr, seit ich von blogspot hierher umgezogen bin, kommentiert. Das Wundersame: Ich habe insgesamt genau vier Kommentare aktiv gelöscht. Je zwei weil sie für meinen Geschmack zu viel privates ausplauderten und zwei weil sie inadäquat waren. Über eine an maximal zwei Händen abzählbare Menge an Kommentaren hätte ich mich beinahe aufgeregt. Aber dann habe ich drei Mal durchgeatmet und gut wars. Man muss ja nicht auf jedes Brett springen, nicht wahr.

Über die anderen 6.562 Kommentare habe ich mich aufrichtig gefreut. Manchmal frage ich mich sogar, ob ich zu glatt schreibe und nie Stellung beziehe. Man hört ja so viel von diesen schlimmen KommentatorInnen und es gibt ganze Seiten wie hatr.org, die sich ausschließlich durch solche Monstrositäten befüllen. Ich weiß nicht ob ich mit sowas umgehen könnte.

Umso schöner finde ich, dass sich hier nur Menschen sammeln, die etwas von Diskussionskultur halten.

Neben den fleißigen KommentatorInnen gibt es – sofern ich meiner Statistik glauben darf – noch viele Tausend mehr LeserInnen. Neben den StammleserInnen werden die meisten von anderen Blogs angespült und dann natürlich über Twitter, Facebook und Co. (Eines Tages schaffe ich auch noch dieses PIWIK Gedöns zu installieren und dann weiß ich sogar wie viele über den RSS Feed kommen.)

Wie dem auch sei, ich möchte Euch allen von Herzen danken. Fürs stille Lesen, für das Kommentieren, für das Verlinken. Ohne LeserInnen und Feedback hätte ich bestimmt keine 8,5 Jahre durchgehalten.

Es ist schon erstaunlich wie aus zwei Lesern (der Nachbar und der N.) so eine stattliche Zahl zusammen kommen kann.

Ich gestehe, mich an Quantität durchaus erfreuen zu können. Aber natürlich sind das nicht die Dinge, die mein Herz erwärmen. Es sind vielmehr die einzelnen Kommentare. Ich kann das gar nicht in Worte fassen, aber es macht mich regelrecht glücklich, wenn ich höre, wie lange manche schon mitlesen oder dass sie „nufsche“ Formulierungen in ihrer Familie eingeführt haben.

Auch all die mitfühlenden Worte und das aktive Nachfragen, wenn ich mal eine längere Zeit nicht bloggte. All das macht das Internet so wunderbar für mich. Das Internet ist eben nicht dieser kalte, entmenschlichte Ort, vor dem gerne gewarnt wird, sondern es ist der Ort, wo man sich für Menschen interessiert, sich sorgt und sie wertschätzt und sogar beschenkt – ganz ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Jedenfalls mein Internet ist so und mein Internet, das seid ihr.

Danke. <3

 

 

Der Reader Appreciation Day ist übrigens eine Idee von Floyd und daMax.

Ich habe einen Freund, der ist Netzwerk-Administator

Ich habe einen Freund, der ist Systemadministrator.

Es gibt doch diese kleinen Heftchen für Kinder, die Berufe und deren Hintergründe vorstellen. Ihnen ist es geschuldet, dass ich Schaufelradlader von Planierbaggern unterscheiden kann. Thematisch behandelt wurden ganz zu Beginn die klassischen Kindertraumberufe wie Müllmann, Baggerfahrer, Pilot, Lokführer, Astronaut. Klischetraumberufe kleiner Jungs, eher gesagt. Allerdings kamen bei den neueren Berufe wie Zahnärztin, Notärtzin und Polizistin dazu und die Neuauflagen wurden anders bebildert. Man sieht tatsächlich Frauen hinter Autos sitzen oder Ingenieurinnen am Bau mit Bauhelm.

Ich lese diese Bücher lieber vor als diesen Unfug, an dem jeweils eine ganze Merchandisemaschinerie dran hängt. Allerdings fehlen mir langsam ein Paar „echte“ Berufe. Einer davon ist der Netzwerk-Administrator. Wenn ich also ein Buch in dieser Serie schreiben würde, dann lautete der Text wie folgt:

Ich habe einen Freund, der ist Netzwerk-Administrator. Wenn ich ihn besuche, muss ich sehr laut sprechen. Er trägt immer Kopfhörer. Die kann er nicht abnehmen und weil das Kabel zum Computer von dem aus er Musik hört so kurz ist, kann er auch nicht so gut aufstehen und seinen Platz verlassen. Das führt zu mehreren Einschränkungen. Er muss sich z.B. Club-Mate direkt an den Computer liefern lassen und die Mikrowelle sollte auch so stehen, dass er mit seinem Schreibtischstuhl hinrollen kann.

Ich habe oft Probleme zu erkennen, ob ich meinen Freund bei der Arbeit störe oder ob er eigentlich Freizeit hat. In seiner Freizeit sieht er nämlich genauso aus. Er sitzt vor seinem Rechner und tippt. Wenn ich ihn frage, ob er mir zeigen kann, was er macht, sagt er seltsame Sachen, z.B. dass er von GUI nichts hält und er mir deswegen nichts zeigen könne. Überhaupt mag er Menschen nicht so gerne.

Er ist oft sehr mürrisch. Vielleicht weil etwas mit seinem Serotoninspiegel nicht stimmt, weil er so selten an die frische Luft kommt. Ich habe ihn gefragt, was man studieren muss, um System-Administrator zu werden. Er sagte, das könne man im Grunde nicht studieren. Man verstehe diese Dinge oder eben nicht.

Sysads, so nennt sich mein Freund gerne selbst, können wahnsinnig schnell tippen. Das dachte ich zumindest, bis mir auffiel, dass die Tabulatortaste auf der Tastatur besonders stark abgewetzt ist. Menschen wie uns, nennen die Sysads gerne DAU oder n00bs. Wenn Du nicht traurig werden willst, frage lieber nicht, was das genau heißt.

Netzwerk-Administratoren träumen nachts oft, dass sie Herrscher der Welt sind. Sie wissen, dass die Server, die sie verwalten, die Grundlage für das Funktionieren von Unternehmen oder auch des gesamten Internet sind. Zutritt zu einem Serverraum hat deswegen nicht jeder.

Wenn ich groß bin, dann will ich auch Systemadministratorin werden.

Ich glaube, man lernt sehr schnell, dass man in 90% der Fälle mit „Have you tried turning it off and on again?“ helfen kann.

2012

2012 war…

2012 in ungeordneten, leicht numerisch angehauchten Gedanken:

2012 habe ich 4.239 Fotos gemacht und bin fünf Mal verreist.

Ich habe 93 Blogartikel geschrieben und 7 Artikel an anderen Orten veröffentlicht.

Ich war das erste Mal BOBs Jurymitglied und habe dafür ca. 1.000 Blogempfehlungen gescannt.

Ich bin 17 Mal im Kino gewesen – davon 5 Mal alleine. In nur 10 Filmen bin ich nicht eingeschlafen. 2012 habe ich meinen ersten 3D Film gesehen.

Außerdem bin ich das erste Mal seit 10 Jahren über 150 km Auto gefahren und sogar 3 Mal eine kürzere Strecke alleine.

Ich habe fünf Mal geweint und so oft gelacht, dass ich das nicht zählen konnte.

Die Kölner Gene schlagen langsam durch – ich habe mich 2012 ziemlich oft verkleidet.

Nach langer Zeit habe ich mal wieder einen Vortrag vor über 50 Leuten gehalten (und es gar nicht schlimm gefunden).

Ich hatte ca. 20 Mal entzündete Nebenhöhlen und einmal Gesichtslähmung. Die Kinder waren insgesamt 6 Mal krank. Ich lobpreise jeden Tag deren Immunsystem.

Es gab seit langem einen Sterbefall in der Familie und mir ist klar geworden, dass sich manche Dinge nicht nachholen lassen.

Ich habe neue Freundschaften geschlossen und alte schätzen gelernt.

Wir hatten das erste Mal in sechs Jahren einen Babysitter und sind wieder Mal gemeinsam weggegangen.

Ich habe das erste Mal zwei Nächte ohne meine Kinder verbracht und dabei sehr gut geschlafen.

Einmal habe ich versucht übermäßig viel Alkohol zu trinken, bin aber kläglich gescheitert.

Die Gratwanderung  zwischen Familie und Job funktioniert langsam besser. Meinem Arbeitgeber bin ich wirklich sehr dankbar, v.a. wenn ich die Geschichten anderer Mütter höre oder lese.

Ich habe nur 10 Bücher gelesen, aber sehr viele Serien neu entdeckt.

Gefühlt war ich an 342 Tagen übermüdet und habe mich gefragt, ob es das ist, was einen in der Lebensmitte erwartet: Müdigkeit.

Ich habe an meiner Schüchternheit gearbeitet. Festgestellt, dass mein Englisch ganz ok ist.

Für 2013 nehme ich mir vor noch mehr zu entschleunigen. Ich arbeite an meinen hohen Erwartungen und versuche mich in Gelassenheit. Um Urlaub zu machen, möchte ich nie mehr mehr als 500 km reisen. Jedenfalls nicht bis wir wieder ohne Kinder Urlaub machen.

Ich habe mir vorgestellt wie meine Kinder mich in 20 Jahren erinnern und festgestellt, dass mir nicht alles an der Vorstellung gefällt.

Endlich habe ich eine neue Brille gefunden und mich von 20 cm Haarlänge trennen können. #609060 hat mir sehr geholfen zu verinnerlichen, dass Schönheit nichts mit Normierung zu tun hat.

2012 in unchronologischen Bildern:

2012 in Blogartikeln:

Abenteuer Whirlwanne, Husband BeepingIch habe nichts gegen Kinder, nur bitte nicht hierEs ist nirgendwo so schön wie daheim – schon gar nicht im UrlaubFreundliche Stalker, Experiment Aufwachteller,

2012 in Tweets:

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Zugreise ohne Kind

Ruheabteile sind das schlimmste, der wo es geben tut auf der Welt.

Vergangene Woche bin ich das erste Mal seit Geburt meiner Kinder wieder alleine Zug gefahren. Es war grauenhaft. Ich mache das nie mehr. Ich habe in der kinderlosen Welt nicht mehr zu suchen. Auch wenn in meinem Zeugnis der ersten Klasse steht, ich sei schwatzhaft, so bin ich tatsächlich ein eher zurückhaltender Mensch. Nicht dass jemand denkt, dass ich andauernd plappern muss. Im Gegenteil. Aber das?

Die beiden Businessroboter, die das Abteil mit mir geteilt haben, waren absolut geräuschlos. Sie redeten nicht. Sie bewegten sich nicht. Ich habe sie lange angestarrt, ich glaube, sie haben nicht mal geatmet. Erst wollte ich ein Buch lesen, aber das Umblättern der Seiten war ungefähr so laut als wenn jemand während einer Gehirn-OP jodeln würde. Ich legte das Buch also weg und versuchte ganz, ganz leise zu sein. Allerdings klang das Aufeinandertreffen meiner Wimpern beim Blinzeln schon wie das Geräusch, das man kennt, wenn Müllautos die Mülltonnen nachrütteln um sie vollständig zu leeren. Nach drei Stunden knurrte mein Magen so laut, dass es mir peinlich wurde.

Ich entschloss mich mein mitgebrachtes Thunfischsandwich zu essen. Geräuschetechnisch sowas wie die Posaunen, die die Mauern Jericho zum Einfallen gebracht haben. Geruchstechnisch zugegebenermaßen auch ein wenig aufdringlich. Aber ich musste ja was gegen das Knurren unternehmen.  Die beiden Mitreisenden schauten mich total genervt an. Da ist es mit mir durchgegangen. Ich habe dem Druck nicht standhalten können.

In einer reflexhaften Bewegung entlud sich meine ganze innere Spannung, was zur Folge hatte, dass ich mein Thunfischbrötchen versehentlich im hohen Bogen durch das Abteil warf. Einzelne Salatblätter und Reste von Mayonnaise landeten auf dem Fenster. Das sah natürlich alles andere als appetitlich aus. Als ich wieder Herr über meine Bewegungen wurde, sollte ich das Missgeschick natürlich bereinigen und nahm einen großen Schluck von meinem Kaltgetränk, presste die Lippen aufeinander und zersprühte es an der Scheibe, um sie anschließend aufwändig zu polieren.

Meine Mitreisenden hatten sich in der Zwischenzeit bewegt und schauten mich verhältnismäßig erstaunt an. Auf die Frage, ob ich ihre Seite vielleicht auch säubern sollte, reagierten sie allerdings nicht. Es gibt schon seltsame Leute…