Der Weg in den Kindergarten führt an zwei Altenheimen vorbei. Oft begegnen uns deswegen Menschen jenseits der 80, die auf Rollatoren ihre Runden drehen. Kind 3.0 ist sehr gesprächig und ruft allen Menschen, die an uns vorbei gehen, ein sehr herzliches „Hallo“ zu. Die meisten freuen sich sehr und sind bei der anschließenden Konversation glücklicherweise sehr schwerhörig. Kind 3.0 ist sehr offen und so lautet seine Lieblingsfrage „Wieso siehst Du eigentlisch so gruselig aus?“ oder auch „Bist Du eine alte Hexe?“. Kind 3.0 und die Alten reden ein wenig miteinander und wenn wir dann weiter gehen, fragt Kind 3.0 gerne „Wer war das? Und warum redet der mit misch?“
Mir ist aufgefallen, dass die meisten älteren Menschen zu Beginn sehr traurig schauen und ihr Gesicht sich unfassbar aufhellt, wenn sie mit Kind 3.0 sprechen.
Oft sehe ich auch alte Menschen, die auf ihrem kleinen Balkon stehen und nach draußen schauen. Sie stehen da, unbeweglich und ich kann oft nicht genau ausmachen, was sie eigentlich anschauen. Ihre Haare sind verwuschelt und sie tragen Bademäntel, so als sei dieser Ausflug auf den Balkon, der einzige Ausflug des Tages. Auf dem Rückweg stehen sie immer noch da.
Ich überlege dann, wie das bei mir sein wird – so in 35 – 40 Jahren.
Ohne das Internet – für mich vor 1997 – habe ich mich oft sehr einsam gefühlt. Seit dem ich – wie einige meiner Bekannten das sagen – im Internet lebe, ist das nicht mehr so. Ich kann entscheiden, ob ich alleine sein oder Gesellschaft haben möchte. Selbst wenn ich zuhause bin und fernsehe zum Beispiel. Wenn das Programm zu öde ist, nehme ich mein Handy in die Hand und schaue, ob andere auf Twitter sich die Sendung anschauen, ich filtere das Hashtag und schon sitze ich mit vielen Menschen auf meinem Sofa.
Ich habe völlig unabhängig von Raum und v.a. auch von der Zeit „Menschen“ um mich. Ich bin schon immer eine Frühaufsteherin gewesen. Samstags war ich immer um acht knallwach. Bis ich gewagt habe, eine Freundin anzurufen sind schon mal drei Stunden vergangen. Heute stehe ich oft vor sechs auf. Als erstes klicke ich mich dann durch Mails, lese Blogs, schaue was auf Twitter und Facebook los ist und das Gefühl von Einsamkeit bleibt mir fern. Natürlich habe ich auch meine Familie, meinen Mann, die Kinder und ich weiß nicht genau wie es ganz ohne sie wäre, aber ich stelle mir das Alter mit Internet viel schöner vor als ohne.
Vor ein, zwei Generationen haben Freunde und Familie viel enger zusammen gewohnt. Ich denke, es war nicht unüblich sogar in der selben Stadt zu wohnen oder Freunde aus der Schule ein Leben lang zu kennen.
Meine Oma wohnt über 2.400 km weit weg entfernt. Meine Eltern 500, meine Schwester ebenfalls. Von den Schulfreunden kenne ich nur noch wenige. Bis auf zwei sind sie alle mehr als 300 Kilometer entfernt. V.a. mit denen, die ins Ausland gezogen sind, halte ich über Facebook Kontakt. Es ist ein lockerer Kontakt, aber ich freue mich, sie regelmäßig in der Timeline zu sehen.
Ich bin zudem sehr schlecht in aktiv Kontakt halten. Auch bin ich sehr schlecht in interessierte Fragen stellen. Ich kann mir nicht ausmalen, wie ich ohne das Internet leben würde. Vermutlich hätte ich mehr Zeit. Die Frage ist nur für was. Fürs Fingernägel lackieren? Für Flechtfrisuren? Würde ich mehr basteln mit den Kindern? Wäre ich aktiver in unserem Kiez? Ließen sich andere soziale Aktivitäten eigentlich mit meinem Alttag – dem Hin- und Hergehetze zwischen Arbeit, Kindergarten, Zuhause vereinen?
Wo werden meine Kinder sein, wenn ich alt bin? Wo die Freunde?
Ich hoffe jedenfalls, dass es bis dahin tolle Apps für alte Menschen gibt, die einfach zu bedienen sind, die ich auch noch mit Gicht und Arthritis benutzen kann. Die ich auch schwerhörig und fehlsichtig benutzen kann und die mir den Kontakt zu meiner Familie und meinen Freunden und den Menschen im Internet, die ich vielleicht gar nicht persönlich kenne und die mir trotzdem das Gefühl von Nähe und Gesellschaft geben, ermöglichen. Ich möchte lieber auf meinem Bett liegen, ein leichtes, riesenhaftes Gadget auf dem Schoß haben und mit knorrigen Fingern Symbole anklicken als frierend und alleine auf einem Balkon stehen und in die Ferne schauen, so wie die Menschen, die nur Kontakt zu „echten Menschen“ hatten und haben.