Vorurlaubsstress

packen
Alles mitnehmen ist möglich. HUG HUG HUG!

Kennt ihr diese American Football-Filme, in denen die Spieler zu Beginn des Spiels mit angespannten Muskeln in einem Kreis stehen, ihre Köpfe zusammen stecken und sich dann ermutigende Dinge zuschreien und dann irgendwelche rhythmische Urlaute von sich geben (naja eher brüllen)?

So stehe ich unter der Dusche. Also nicht immer und auch nicht mit zehn anderen Frauen – aber in der Vorurlaubszeit, wenn ich darüber nachdenke, wie viele Sachen ich mitnehmen kann.

Beziehungsweise korrekter wäre es ja zu sagen nicht mitnehmen kann.

Es ist nämlich so, dass wir mit dem Auto in den Urlaub fahren und ich neulich auf Twitter erfuhr, dass mein Freund einen Polo fährt.

Bislang dachte ich immer, er fährt einen Golf (Ganz genau gesagt, dachte ich immer, er fährt ein nicht weiter spezifiziertes silbernes Auto).

Was das für eine Rolle spielt? Eine ziemlich relevante. Denn 280 Liter statt 380 Liter [1] Platz im Kofferraum, das bedeutet v.a. Verzicht.

Im Grunde sind die 280 Liter schon mit dem Allernötigsten gefüllt. Playstation, Rechner, iPads, diverse Ladekabel, extra Fotokamera, Gameboys, Ball, Kartenspiele, Brettspiele, Strandmuschel, Sonnenschirm, Picknickdecke, Sandspielzeug, Bademäntel, Onesies, Milchschäumer, Kaffeemaschine, Sandwichmaker, Crepesbereiter, Popcorn-Maschine.

Zack. Voll. Und da ist noch nicht mal Kleidung dabei. Der 14 Tage Wetterbericht kommt uns da auch nicht entgegen und prophezeit von Regen bei 18 Grad bis prallen Sonnenschein bei 30 Grad alle Variationen.

Koffer
So spart man sich einen halben Koffer pro Person

Andererseits – was soll’s. Platz im Kofferraum gibt es ohnehin nicht. Also werden wir alles übereinander anziehen – also zumindest diejenigen, die nicht das Auto steuern, denn ich habe errechnet, dass man die Arme, wenn man alle Kleidungsstücke, die man bei dieser Wetterlage benötigt, übereinander anzieht, nur noch in einem 90 Grad Winkel parallel zum Körper abstrecken kann. Es wird sogar schwierig werden die Körpermitte so zu knicken dass man sich hinsetzen kann.

Für die Kinder vielleicht nicht so ein großes Problem. Die kann man hinten übereinander schichten und anschnallen. Vermutlich ist das sogar ziemlich sicher, weil sie ja gut gedämmt sind.

Der oder die Beifahrerin muss von der FahrerIn an der Beifahrertür in Position gebracht werden und dann ganz sanft mit dem Fuß und etwas Druck aufs Bein in die Sitzposition gedrückt und dann mit den Sitzgurten fixiert werden.

Bleiben nur die Badsachen. Zahnbürste und Zahnpasta ok, diese beiden Utensilien kommen auf jeden Fall mit – doch dann fängt es schon an. Kann man mehrere Wochen ohne Zahnseide leben? Ohne Mundspülung?

Was ist mit den Schminksachen? Und die Spülungen, Shampoos und Duschgels? Was mit Körpercremes und Bodyscrubs?

Und in meinem Alter: die Medikamente (und das sind wirklich nicht wenige). Wo sollen die hin?

Während ich über all diese Dinge also nachdenke und im Kopf plane, wie ich nur mit dem allerwichtigsten auskomme, schreie ich mir so wie diese Footballspieler Mut zu. HUG HUG HUG! DU SCHAFFST DAS. EIN PAAR WOCHEN URLAUB NUR MIT ZAHNBÜRSTE. EIN SHAMPOO FÜR ALLE. DUSCHEN KÖNNEN WIR UNS AUCH DAMIT! HUG HUG HUG!


[1] Sie erwarten von einem Menschen, der Autos aus Desinteresse nur anhand ihrer Farbe unterscheidet doch nicht eine Differenzierung von Unterarten und Baujahren der Polo und Golfreihe, nein? Gut.

Pokémon Go – Was ich in einer Woche gelernt habe

Pokémon Go Taubis
1. Lektion: Taubis sind gut!

Sechs Stunden war ich heute mit Marcus Richter unterwegs (der u.a. Radiojournalist für Digitales und Spiele ist). Das hat sich gelohnt. Ich habe viel gelernt und zwei Level geschafft.

Hier und da habe ich schon etwas gelesen und im Vorfeld bereits meine eigenen Erfahrungen gemacht, aber weil ich so einen Spaß hatte, teile ich mein Wissen einfach mal.

Es gab nämlich eine Menge, was ich nicht wußte.

Wie levele ich am schnellsten?

Um bei Pokémon Go ein Level höher zu kommen, muss man Erfahrungspunkte sammeln.

Ich nehme an, die meisten sind schon bei Level 10. Um bis Level 15 zu kommen, braucht man pro Level 10.000 Erfahrungspunkte. Level 15 auf Level 16 15.000 Erfahrungspunkte, dann bis Level 19 jeweils 25.000, danach wird es mit 50.000, 75.000 und 100.000 (usw.) richtig anstrengend.

Erfahrungspunkte bekommt man im Wesentlichen durch den Besuch von Pokéstops, durch das Fangen von Pokémons oder aber, wenn man Pokémon entwickelt.

Die Punkte schlüsseln sich grob wie folgt auf (keine vollständige Liste):

  • Ein Pokémon das 1. Mal fangen: 600 Punkte
  • Ein Pokémon fangen, das man schon mal gefangen hat: 100 Punkte
  • Pokéstops leeren: 50 Punkte
  • Ein Pokémon das 1. Mal entwickeln: 1000 EP
  • Ein Pokémon von der 1. in die 2. Stufeentwickeln: 500 EP

V.a. das Entwickeln von Pokémon lohnt sich also (da man das Fangen von unbekannten Pokémon ja leider nicht planen kann).

Das Prinzip lautet also: möglichst viele Pokémon fangen (und erstmal behalten!), die wenig Bonbons kosten bei der Entwicklung. Allen voran ist das z.B. Taubsis und Hornlius. Beide kosten 12 Bonbons um sie in die nächste Stufe zu entwickeln.

Pokémon Go Erfahrungspunkte durch Evolvieren
Da warten viele Erfahungspunkte

Jetzt kommt der Trick: Setzt man ein Glücksei (schaut mal in euren Items nach) ein, so verdoppeln sich die Punkte.

Hat man ausreichend Pokémon gesammelt, kann man in 30 min (solange ist das Glücksei aktiv) locker 1-2 Level schaffen (kommt natürlich drauf an in welchem Level man ist, denn jedes höhere Level benötigt mehr Erfahrungspunkte). Ich war Level 14 und habe es nach unserer Wanderung heute in das 16. Level geschafft.

Schaut euch vorher an, welche Pokémon ihr entwickeln könnt und wie viel Bonbons ihr braucht. Verschickt dann alle Pokémon, die ihr nicht entwickeln könnt und zwar bevor ihr das Glücksei einsetzt. Das spart wertvolle Zeit.

Entwickelt ihr Pokémon von der selben Art, nehmt die, welche die meisten WP haben.

Rein von den Erfahrungspunkten her sollte man also möglichst viele Pokémon von Stufe 1 auf Stufe 2 bringen. Allerdings sollte man sich strategisch überlegen, ob nicht doch ein Pokémon von Stufe 2 auf Stufe 3 entwickelt werden sollte.

Es kostet zwar mehr Bonbons (bei den Taubogas 50 wenn man ein Tauboss möchte, von Taubsi auf Tauboga allerdings nur 12 Bonbons!), es kann aber unter Umständen ein stärkeres Pokémon mit mehr Wettkampfpunkten (WP) entwickelt werden.

Speziell für die Taubsis gibt es bereits einen Taubsi-Rechner.

 

Wisst ihr, wie ihr sehen könnt, ob ein entwickeltes Pokémon ein bereits vorhandenes Pokémon der selben Evolutionsreihe überholt?

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Man sieht es an der Position des Punktes auf dem Bogen hinter dem Pokémon. Im Bild sieht man gut, dass der Traumato den bereits vorhandenen Hypno in Sachen WP überholen wird.

Also hier einfach abwägen, ob man mehr Wettkampfpunkte haben möchte oder mehr Erfahrungspunkte.

Wie viele Pokémon man zu Bonbons verarbeitet, welche Pokémon in welcher Stufe man weiterentwickelt, ist nicht ganz einfach, wenn man ein paar Duzend hat. Ich habe mir eine Liste geschrieben und so in 12 Minuten 13 Pokémon weiter entwickelt.

Die restlichen 18 Minuten kann man Pokéstops abgrasen und Pokémons fangen – denn auch hier werden, wie oben erwähnt, die Erfahrungspunkte verdoppelt.

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Warum überhaupt ein hohes Trainerlevel erreichen?

Ganz einfach: Je höher das Trainerlevel, desto mehr WP können die Pokémon haben, die ihr findet. Das stärkste Pokémon, das ich bislang gefunden habe, hatte über 500 WP!

Wo finde ich denn am meisten Pokémon?

In Berlin ist die Antwort leicht. Da wo es viele Touristen gibt und möglichst viele Pokéstops eng aneinander stehen.

Ich kann da z.B. das Sowjetische Ehrendenkmal in der Straße des 17. Juni empfehlen. Da stehen drei Pokémonstops aneinander, die eigentlich nonstop mit Lockmodulen ausgestattet sind.

Wir saßen so lange da, dass uns das Taubsi, Rattfatz und Hornliu einfangen irgendwann langweilig wurde.

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Viele andere touristischen Ecken sind ebenfalls ständig mit Lockmodulen besetzt. Die Gegend um den Reichstag, das Brandenburger Tor und unter den Linden etc. ist sehr ergiebig.

Wie finde ich Pokémons, die ich noch nicht habe (oder haben will)?

Pokémons, die man noch nicht hat, erscheinen unten rechts als grauer Schatten. Die Anzahl der Schritte deutet an, wie weit sie entfernt sind. Nur: Woher weiß man, in welche Richtung man laufen muss?

Man dreht sich ganz langsam um die eigene Achse und folgt dem pulsierenden Kreis um den Trainer herum. Wenn die Richtung korrekt ist, pulsiert die graue Anzeige unten grün zurück.

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Wer es ganz genau wissen will, der kann auch Pokévision benutzen. Auf dieser Karte wird die genaue Position der Pokémon einer bestimmten Umgebung angezeigt und es gibt auch eine Zeitangabe, wie lange sie dort zu finden sind.

Das ist ein bisschen gecheatet, aber naja.

Der Akku! Der Akku, er geht so schnell leer! Was kann ich tun?

Nun. Wenn man wirklich ein paar Stunden unterwegs ist, dann wird man um eine Powerbank nicht drumrum kommen. Ein bisschen Strom spart ihr durch: Helligkeit des Displays runterregeln, Stromsparmodus des Handys aktivieren und in Pokémon Go unter Einstellungen das Häkchen bei Batteriesparer setzen.

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Wie besetze ich eine Arena?

Dieses Ding mit der Arena ist echt kompliziert. Ich habs von alleine überhaupt nicht verstanden. Lacht mich ruhig aus… Meine erste Erkenntnis war: Man muss tatsächlich kämpfen.

Wusste ich nicht, ich dachte, das wird irgendwie über die Wettkampfpunkte ermittelt.

Weil das Thema wirklich komplex ist, hier meine Tageserkenntnisse in Stichpunkten. Details findet ihr anderswo (z.B. hier).

  • Man kann kämpfen (aufs Display tippen)
  • Man hat eine Sonderattacke (wenn der blaue Balken unter dem Lebensbalken voll ist, lange aufs Display drücken)
  • Man kann ausweichen (nach rechts oder links wischen)
  • Hat man gewonnen, muss man die Arena besetzen! (Da muss man manchmal schnell sein, deswegen das stärkste Pokemon nicht an die erste Kampfposition, sondern an die letzte, so könnt ihr mit dem stärksten Pokémon die Arena besetzen)
  • Wenn man die Arena besetzt hat, kann man den Verteidigungsbonus im Shop claimen.
  • Wenn man denkt, dass man es schafft mehrere Arenen gleichzeitig zu besetzen, im Shop erst den Verteidigungsbonus claimen, wenn man die maximale Anzahl an Arenen besetzt hat (es gibt dann mehr Goldmünzen und Sternenstaub).
  • Einmal im Shop einen Sieg geclaimt, wird das Ganze für 20 Stunden gesperrt. Egal wie viele Arenen ihr in dieser Zeit noch erobert – ihr bekommt nichts mehr dafür.
  • Ist man im gleichen Team, kann man zu mehreren Personen eine Arena angreifen. Wichtig ist, dass man relativ gleichzeitig GO drückt. Man hat dann auch mit deutlich weniger WP eine gute Chance zu gewinnen.
  • Um eine Arena zu besetzen, muss man so lange kämpfen, bis das Prestige der Arena auf Null gesenkt wurde. Das bedeutet oft, dass man mehrere Male ran muss.
  • Je nach Level der Arena gibt es mehr als ein Pokémon in der Arena. Man kann sich alle anschauen, indem man über das Display wischt.
  • Hat die Arena bereits die Farbe des eigenen Teams, kann man immerhin noch trainieren. Dafür gibt es Erfahrungspunkte.
  • Hat die Arena ein hohes Level und ist von der eigenen Teamfarbe besetzt, kann es sein, dass es noch einen freien Platz gibt. Schaut nach. So kann man auch ohne Kampf eine Arena besetzen.
  • Welches Pokémon einen Vorteil gegenüber einem anderen Pokémon hat, ist eine Wissenschaft für sich
  • Pokémon, die eine Arena besetzen, stehen in dieser Zeit nicht für weitere Kämpfe oder Aktionen zur Verfügung.
  • Man sieht, dass eine eroberte Arena besiegt wurde, wenn das eigene Pokémon wieder da ist.
  • Nach den Kämpfen muss man die Pokémon (bei Items) wiederbeleben und heilen.
Hab ich sonst noch Tipps?
  • So schön, die Augmented Reality Funktion ist, es ist viel einfacher Pokémon zu fangen, wenn man sie ausstellt.
  • Wenn man den Pokéball in eine Richtung kreist und dann in die andere wirft, hat man einen Curveball. Den Curveball erkennt man an den Glitzersternchen. Trifft man mit einem Curveball, erhält man für das Fangen eines Pokémons mehr Erfahrungspunkte.
  • Lasst eure Kinder ran. Die lernen wahnsinnig schnell, welches Pokémon welche Fähigkeit hat und gegen welches andere Pokémon besonders effizient eingesetzt werden kann. Echt jetzt.
  • Es gibt ein Formular, um Pokéstops entfernen zu lassen. In einigen wenigen Fällen ist das sinnvoll.
  • Jedes Power-Up bringt je nach Art des Pokémon unterschiedlich viele Wettkampfpunkte. Für Details gibt es umfangreiche Listen.
  • Ebenfalls komplex ist, welches Pokémon sich in welches Pokémon entwickelt kann.
  • Aquana ist am Ende angeblich das stärkste aller Pokémon.

Ich bin jedenfalls total erschöpft von unserer Wanderung.

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Ich war irgendwann wirklich durch. Marcus Richter hätte noch ein paar Stunden Energie gehabt.

VR und die Einsatzmöglichkeiten

VR
Quelle: pixabay @fill

Auf der re:publica hätte ich ausreichend Möglichkeiten gehabt – dennoch habe ich noch nie eine VR-Brille aufgehabt… doch… halt! Doch, doch! Einmal hatte ich eine an.

Auf einer der vergangenen pictoplasma Ausstellungen hatte ich eine auf. Das war so: Man konnte sich anstellen, die Brille aufsetzen und dann zeigte einem die Brille durch einen Blick in einen virtuellen Spiegel das wahre Ich. Die Schlange war lang und alle ganz gespannt. Die Menschen zogen die Brille an, schauten vor sich in den Spiegel der Offenbarung, wedelten mit Armen und Beinen, lachten, drehten ihren Körper einige Male hin und her so als ob sie sich betrachteten und zogen dann die Brille wieder ab, um sie der nächsten wartenden Person zu überreichen.

Wenn die Menschen in der Reihe sich kannten, fragten sie sich gegenseitig: „Und, was warst du?“

„Ein Einhorn auf zwei Beinen!“

„Eine mächtige Gewitterwolke mit düsteren Augen.“

„Eine Art Gorilla mit sehr, sehr kräftigen Armen.“

Ich war schon soooo gespannt. Dann war ich endlich an der Reihe. Ich zog die Brille über und blickte mein Alter Ego im Spiegel an.

Ich war…

Ich war…

…ein dampfender Kackhaufen auf zwei sehr dünnen Beinen. En fröhlich dreinblickender, das will ich nicht leugnen, aber eben doch ein Kackhaufen. Ich tat was alle taten. Arme hoch, Arme runter, der Kackhaufen machte mich nach. Ich ging in die Knie, der Kackhaufen auch.

VR ist nicht immer schön
Die ernüchternde Wahrheit

Das war bislang meine einzige VR-Brillen-Erfahrung.

Seitdem gibt es lediglich in meiner Twittertimeline einen Schnittpunkt zu diesem Thema, die mir immer mal wieder Videos von Menschen zeigt, die in Todespanik mit VR-Brillen virtuelle Welten erkunden, sei es auf Planken über Hochhäuser, sei es inmitten der Zombie-Apokalypse.

Mir tun diese Menschen eigentlich eher leid, als dass ich über sie lachen könnte. Für viele scheint eine VR Erfahrung nicht von einer Erfahrung der Kohlenstoffwelt unterscheidbar zu sein. Sie schreien, krümmen sich und wimmern. Ich hab noch nie gesehen, dass sich jemand die Brille einfach abreißt. Meistens kommt eine weitere Person und erlöst den Menschen aus der virtuellen Realität.

Neulich gabs auch mal einen Beitrag bei Breitband zum Thema „VR Porn“. Das Thema finde ich total interessant. Würde ich das (wenn das mal wirklich ausgereift ist) ausprobieren? Ist das unmoralisch und gleichzusetzen mit Fremdgehen? Was ist, wenn das mehr Spaß macht als Sex in der Kohlenstoffwelt? Wie verändert das die Gesellschaft? Wenn alle immer genau die körperliche Nähe (und den Sex) haben können, die sich wünschen? Uiuiuiui…

Egal. Ich glaube ja nicht, dass ich mir diese Fragen in meinem Leben noch tatsächlich stellen muss.

Neulich dachte ich weiter über den Begriff Porn nach. Interessant ist ja, dass der Begriff Porn im Essenskontext unsexualisiert benutzt wird. Wenn man auf instagram nach #foodporn sucht, bekommt man einfach nur Essensfotos. Nicht mal ausschließlich geiles Essen. Also diese Art Essen, das im Alter vielleicht den Sex ersetzen kann – nein, Menschen fotografieren ihren Kantinenfraß und setzen das Hashtag #foodporn drunter.

Porn scheint hier also weiter gefasst zu sein. Es geht wohl mehr um Dinge, die einen in Ekstase versetzen, die einen glücklich machen, die einen total begeistern.

In dem Zusammenhang wiederum hab ich überlegt, welche Genres sich in den virtuellen Welten allgemein durchsetzen werden. Sex – klar – das ist total naheliegend. Extremsport – auch das verständlich – denn man kann dann einen Adrenalinkick ohne die tatsächliche Gefahr haben und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: ein weiteres Genre würde Elternporn sein!

Und zwar im unsexualisierten Sinne. Eltern haben ja keinen Sex (also mindestens die 40%, die ein Familienbett haben nicht und die andern sind auch zu müde…). Mit Elternporn sind eher Dinge gemeint, die man im echten Alltag mit Kindern nie hat, aber eigentlich UNBEDINGT haben will. Dinge, an denen man jeden Tag erneut scheitert.

Ich stelle mir das so vor: Ich setze die VR Brille auf und starte Das Morgenprogramm und das läuft dann so ab:

„Kinder! Anziehen!“

Kinder: „Ok, Mama.“

IST. DAS. NICHT. GEIL? Das Programm verkaufe ich für 89 Cent (dauert ja auch nicht sooo lange). Das würden doch alle kaufen, oder? Stellt euch das doch mal vor!

Oder Tisch decken:

„Kinder, Tisch decken!“

„Alles klar, Mama“ und 5 Minuten später ist der Tisch gedeckt.

Oder Zimmer aufräumen…, Zähne putzen…, ordentlich zu Tisch essen… die Möglichkeiten sind endlos. Endlos!

Ich werde reich! Ich habe eine Marktlücke entdeckt!

Ich muss das mal testen. Ohhh! Hach! Awww!

HEY! NEIN! LASSEN SIE DAS! NICHT DIE BRILLE ABNEHMEN! NEIN! EY!

GBG – Goodie Bag Gier

Ich habe einen Bekannten, der sehr gerne auf Messen geht. Er besucht diese Messen nicht, weil ihn das Thema interessiert, sondern weil es dort Dinge kostenlos gibt. Er läuft von Stand zu Stand und sammelt. Meist Kugelschreiber und Gummibärchen, ab und an einen USB-Stick oder ein Putztuch für den Screen des Smartphones.
Mir war es immer ein Rätsel was er davon hat. Was hat man davon zuhause dreiunddrölfzig Kugelschreiber rumliegen zu haben? Oder verkauft man das auf ebay? Aber wer kauft Kulis und USB Sticks?

Was man ihm lassen kann, ist, dass er Mühe damit hatte. Er musste immerhin an jeden Stand einzeln gehen, dort meist irgendein Verkaufsgespräch über sich ergehen lassen und dann hat er höflich nach einem Mitgebsel gefragt und es eingesteckt.

Ich erinnere mich an mein erstes BloggerInnen-Event und meine erste Goodie Bag gut. Sie war bis oben mit tollen (auch wirklich hochwertigen) Babysachen gefüllt: Feuchttücher, Popo-Creme, Lavendel-Babybad, Wind und Wetter Creme…

Beim Gehen wurde man gefragt, ob man schon ein Goodie Bag bekommen hätte. „Ne“, hab ich geantwortet, mir war nämlich gar nicht klar, dass man überhaupt etwas bekommt. Warum auch? Geleistet hatte man ja in der Regel nichts – es sei denn Schnittchen essen würde unter Leistung verbucht.

Ein wenig erinnerten mich die Goodie Bags an die (neue) Tradition der Kindergeburtstags-Mitgebsel.

Früher™ (also als ich Kind war), da gab es diese Mitgebsel auch. Allerdings haben sich die die Kinder erspielt. Beim Topfschlagen, beim Sackhüpfen oder beim Stuhl-Tanz. Ein Bonbon hier, einen Lolli und ein Schokoriegel. Das wars.

Heute gibt es auf Geburtstagsfeiern einfach so Mitgebsel. Die Kinder gehen bowlen oder klettern (drunter geht’s ja schon kaum) und dann gibt es noch Geschenke im Wert von 5-10 Euro pro Kind.

Jedenfalls um auf das Goodie Bag zurück zu kommen. Da ich kein Baby mehr habe, habe ich den Inhalt im Anschluss einer Bekannten geschenkt, die gerade ein Baby bekommen hatte. Ich hab versucht klar zu machen, dass ich dafür nichts wollte, weil ich die Sachen ja selbst geschenkt bekommen hatte und sie gar nicht brauchte.
Eine Woche später stand die Bekannte mit Schokolade in der Tür um sich zu bedanken und ich war peinlich berührt, weil ich eigentlich gar nicht wollte, dass sie sich verpflichtet fühlt mir für etwas Danke sagen zu müssen.

Auf der nächsten Veranstaltung habe ich in das Goodie-Bag geschaut, festgestellt, da sind Dinge drin, die ich nicht benötige und dankend abgelehnt.

Umso seltsamer fand ich das Verhalten so manch anderer BloggerIn wenn es um die Goodie Bags ging. So wie Comicfiguren manchmal Dollar-Zeichen in den Augen haben, hatten manche BloggerInnen quasi Goodie Bag Spiegelungen in den Augen. Wenn es an die Verteilung der Goodie Bags ging, wurde gedrängelt oder mal ein bisschen Platz mit dem Ellbogen gemacht. Könnte ja sein, dass man leer ausgeht!!1!

Je nachdem was die Goodie Bags enthalten, greifen VeranstaltungsteilnehmerInnen auch gerne mal hinter die Tresen und packen vor der offiziellen Verteilung zu oder holen sich Dinge aus den Nachschubkartons.

Am Wochenende habe ich beobachten können, dass sich manche nicht eine sondern gerne zwei oder drei Goodie Bags mitnehmen oder aber den Inhalt von einer Goodie Bag schon mal in die eignen Tasche umräumen und sich dann eine weitere Tüte über die Schulter werfen.

Ich verfalle da in Fremdscham. Mir ist das echt peinlich. Ich glaube nämlich nicht, dass es da um Menschen geht, die darauf angewiesen sind eine Packung Stifte extra für die Kinder zu bekommen, weil sie sich nicht leisten können diese zu kaufen.

Am Ende verursachen diese Menschen, die Angst haben leer auszugehen paradoxerweise ja, dass andere, die sich nicht so verhalten, leer ausgehen.

Hachja, eigentlich wollte ich ja was lustiges dazu schreiben. Ist mir irgendwie nicht gelungen. Ich finde dieses Verhalten jedenfalls panne und weil ich selbst Bloggerin bin, möchte ich nicht mit solchen Personen in einen Topf geworfen werden.

P.S. Ich will jetzt wirklich nicht so tun, als ob es gar keine Goodie Bags gäbe, über deren Inhalt ich mich nicht auch freuen würde (oder schon gefreut habe!). Dennoch würde ich Goodie Bags lieber ganz abschaffen als Teil dieser Peinlichkeit zu sein.

In guten Absichten

Da sind sie wieder, die guten Absichten, die die Straße zur Hölle plastern.*

Heute wurden zwei Superväter mit je 5.000 € für ihr Engagement in der eigenen Familie ausgezeichnet. Es ist die 11. Preisverleigung dieser Art. Geehrt werden Väter, die durch Flexibilität und Partnerschaftlichkeit glänzen. Schirmherrin der Aktion ist Familienmisterin Schwesig.

Die Details sind eigentlich nicht wichtig. Es wurde nichts außergewöhnliches vollbracht. Es wurden lediglich zwei Männer geehrt, die das tun, was Millionen von Frauen schon seit hunderten von Jahren tun. Sie haben sich um ihre Kinder, ihre Familie gekümmert und ihrer Partnerin ermöglicht arbeiten zu gehen.

*slow clap*

Der Preis verfolgt drei Ziele:

1. Stärkung der Leistungs- und Wettbewerbskraft von Wirtschaft und Unternehmen

Der Spitzenvater des Jahres verständigt sich mit der Mutter und findet mit ihr gemeinsam eine Lösung, wie beide Beruf und Familie unter einen Hut bringen können. […] Unternehmen können mit Spitzenvätern sowohl strategisch als auch operativ sicherer planen.

2. Tendentielle Erhöhung des Anteils von Zweiversorgerehen

Dank der praktizierten Partnerschaft in Ehe und Familie kann jeder Elternteil wirtschaftliche Selbstständigkeit erlangen und zum Familienunterhalt beitragen. Mutter und Vater sind in der finanziellen Lage, die Altersvorsorge zu gestalten und der verbreiteten Altersarmut insbesondere bei vielen allein stehenden älteren Frauen, vorzubeugen […]

3. Ausdehnung des väterlichen Einflusses auf die Entwicklung des Kindes

Das Projekt […] strebt danach, die Wichtigkeit der Rolle des Vaters für die Entwicklung des Kleinst-, Klein- und Schulkindes ins öffentliche Bewusstsein zu rufen. Das Projekt bricht mit der traditionellen Vorstellung, dass für die ersten Monate und Lebensjahre allein die Mutter zuständig ist. […]

Gute, sehr sinnvolle Ziele, richtig?

Es geht also darum, so auch die Schirmherrin Bundesfamilienministerin Schwesig: „Vorbilder [zu ehren], die eine moderne Familienkultur leben, die sich immer mehr Paare wünschen. […] Es geht darum Familienarbeit partnerschaftlich zu teilen.“

Ihrem Grußwort ist zu entnehmen:

„Die Auszeichnung „Spitzenvater des Jahres“ zeigt jedes Jahr wieder, dass es sich lohnt, Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht nur als ein Thema für Frauen zu verstehen, sondern auch Männer zu ermutigen, sich mehr Zeit für die Familie zu nehmen. Familien gewinnen dadurch mehr Zeitsouveränität und Lebensqualität. Unternehmen wiederum können sich auf diese Weise als attraktive Arbeitgeber positionieren.“

Warum kann man sich nun trotzdem darüber aufregen (also außer weil man halt als Feministin sowieso immer was zu meckern hat und deswegen so laut und wütend ist)?

Der Preis ist ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die sich seit Jahren völlig preislos um Kinder und Familie kümmern (von den Alleinerziehenden gar nicht erst zu sprechen). Der Preis verhöhnt außerdem all die anderen Männer, die genau das  tun, was oben beschrieben wird und dafür keine 5.000 Euro bekommen.

Aber die Absichten dahinter sind doch gut!

Ja – nur die Umsetzung ist wirklich schlecht. Ein einfacher Weg gute Beispiele herauszustellen wäre z.B. Familien zu ehren und nicht nur die Männer.

-> Gedankensprung

Ich habe vor Kurzem einen Fragebogen zu Erziehern in Kindergärten zugeschickt bekommen.

Ob ich mir mehr männliche Erzieher wünsche?

Ja!

Wie man sie zu motivieren wären? Es folgt eine Multiple-Choice Liste, auf Platz 1: Mehr Geld.

Klar, mehr Geld wäre super. Dann würden Männer bestimmt auch so unattraktive und anstrengende Jobs übernehmen.

Innerlich verdrehe ich wieder die Augen.

Auch hier: Guter Vorsatz – mehr Männer in den Care-Bereich und wie: mit mehr Geld. Is klar, dass die Frauen vielleicht auch mehr Geld verdient hätten, dass es um eine allgemeine Aufwertung dieses Jobs gehen müsste etc. pp. dazu lese ich nichts.

-> Gedankenspung Ende

Schon seit der Gabriel Debatte um die offensive Väter treibt mich wirklich die Frage umher: Es muss doch einen Weg geben, der Männer motiviert ohne gleichzeitig die bereits geleistete Arbeit von Frauen zu entwerten?

(So sehr ich mir auch wirklich, wirklich wünschen würde, das Männer nicht erst motiviert werden müssten… aber gehen wir mal gutherzig davon aus, dass es ganz, ganz viele Männer/Väter gibt, die wirklich, wirklich wollen – aber nicht wissen wie und einfach nicht können…)

Deswegen würde ich gerne Ideen sammeln. Habt ihr welche?

 


 

*Auf Deutsch heisst das Sprichwort eigentlich „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“ – auf Englisch „The road to hell is paved with good intentions“.


 

Weitere Leseempfehlungen:

Superväter – ney!

Zitat aus dem Artikel:

„Und so wird der Preis zur Patriarchatsabwrackprämie: Bezahlen wir den Menschen doch Geld dafür, dass sie ein ohnehin völlig überholtes Familienmodell über Bord werfen. Eine Entschädigung für die armen Menschen, die sich an etwas Neues gewöhnen müssen. Das lässt sich nämlich auch spitzenmäßig vermarkten.“

Superväter? – yay!

Zitat aus dem Artikel:

„Seien wir ehrlich: Noch sind wir nicht so weit, dass siebeneinhalb Stunden Kinder- und Hausarbeit ein realistischer Durchschnittswert für den in Deutschland lebenden Mann sind.

Wenn wir so weit sind, können wir den Spitzenväter-Preis gerne abschaffen.“

Ein Interview mit einem der diesjährigen Preisträger:

SPIEGEL ONLINE: Herr Neumann, Sie dürfen sich jetzt offiziell „Spitzenvater“ nennen. Freuen Sie sich?

Neumann: Ja, aber ich tue mich etwas schwer damit, einen Preis für etwas Selbstverständliches entgegenzunehmen. Es gibt wahrscheinlich Väter, die diese Auszeichnung mehr verdient hätten.

Blogger des Jahres – es gibt einen neuen Titel zu gewinnen

Liebe Leserinnen und Leser,

bloggeram kommenden Montag, den 25.1.2016 ab 18.30 Uhr könnt ihr mir eine Freude machen. Im Rahmen des „Blogger des Jahres 2015“ wurde nämlich mein Buch in der Kategorie „Beste Büchern von Bloggern“ nominiert (Danke!).

Ich war ja immer sehr unsportlich und habe deswegen keine Pokale in meinem Schrank (nicht mal Sieger-Urkunden…) – das wäre also die Gelegenheit für Ausgleich zu sorgen (und mein Kindheitstrauma zu beseitigen) und zu meinem wunderbaren „Blogger des Jahres 2014“ noch einen Preis dazuzustellen.

Wobei, ich muss gestehen, die Bücher „Auerhaus“, „Willkommen im Meer“ und „Heute koch ich, morgen brat ich“ sind natürlich auch sehr wählenswert… deswegen egal wen ihr am Ende wählt – eure Stimme bereitet bestimmt Freude.

Abgesehen davon gibt es noch viele andere Kategorien und man kann z.B. Maximilian Buddenbohm (Bestes Tagebuch-Blog) oder Jojo Buddenbohm (Bester Newcomer) zu Gewinnern machen!

Wie funktioniert das Ganze?

Folgt Thomas Knüwer auf Twitter. Wenn die entsprechende Kategorie dran ist, wird er einen Link zum Abstimmen twittern. Es geht dann immer alles ganz, ganz schnell. Seid also bereit!

Mehr Details und alle Nominierten sind in Daniel Fienes Blog zu finden.

Wir differenzieren uns zu Tode

Neulich habe ich einen großartigen Text gelesen. Er war voller Wut, voller Energie und gespickt mit Verallgemeinerungen. Der Text hat sich gar keine Mühe gegeben, die andere Seite zu betrachten oder Gegenbeispiele zu finden. Er hat einfach Dampf abgelassen. Die Formulierungen waren rotzig und die Erklärungen einleuchtend einfach, gar monokausal!

Es war eine Wohltat ihn zu lesen. Nein – mehr – es war eine verdammte Wohltat ihn zu lesen.

Ich habe die glattgebügelten, ausgeglichenen und runden Artikel satt. Die ausgewogenen Worte und die dramaturgisch gut inszenierten Spannungsbogen mag ich nicht mehr lesen. In meiner Filterbubble ist alles voll davon und wenn es doch mal eine/r wagt eine klare, unbeschönigte Meinung preis zu geben, so sammeln sich darunter die mahnenden Kommentare: „Das musst du aber differenzieren! Da gibt es aber Ausnahmen! Du hast vergessen zu berücksichtigen dass…“

Und da denke ich mir: gar nichts muss ich! Gar nichts! Und ICH will auch nicht. Das ist nicht mein Job. Ich bin keine – ja ich weiß gar nicht an wen man diesen Anspruch haben soll – WissenschaftlerInnen? JournalistInnen? FernsehmoderatorInnen?

Ich möchte endlich wieder gepflegten Streit! Ich möchte Austausch! Ich möchte Bewegung! Steile Thesen! Wilde Spekulationen!

Dieses „das musst du aber differnziert sehen!!!1!“, das macht doch alle mundtot. Vor lauter Kontext, historischer Herleitungen, Einbettung in soziokulturelle Thesen und Berücksichtigung aller Sichtweisen, geht doch die Kraft verloren. Am Ende kommt doch nur ein unscharfes Wischiwaschi raus, was irgendwie für alle stimmt.

Ich mochte das schon an der Uni nicht. So viele Einzelfälle aufsummieren, bis am Ende irgendwas korreliert. Da geht doch alles verloren. Am Ende sind die Erkenntnisse so gähnend langweilig, dass man sich schulterzuckend umdreht und denkt: Nun, das hätte ich denen auch so sagen können… („Wenn man sich aufregt, steigt der Blutdruck!“)

Es ermüdet mich. Ich will das nicht lesen und nicht sehen. Ich will Provokation, eigene Ideen, ich will Leute, die ihre Meinung kund tun. Am besten drei davon, die unterschiedliche Meinungen haben und sich gegenseitig empört ins Wort fallen. Frauen und Männer, die sich in Diskussionen die (eigenen!) Haare raufen, empört aufspringen, vielleicht sogar ein bisschen zu laut sprechen oder vor Aufregung spucken.

Das wäre schön. Das wäre so schön. Man könnte sich aneinander reiben, neue Energie gewinnen, sogar einander Zuhören und am Ende vielleicht einen Schritt weiter kommen. Einen Schritt auf neues Terrain. Ins Unbekannte, die abgetretenen haben-wir-auch-wirklich-alle-Faktoren-berücksichtigt-Pfade verlassen. Ein wenig Mut haben, weg von den Verallgemeinerungen kommen, hinzu der eigenen Sichtweise, wohlwissend, dass es die allgemein gültigen Wahrheiten gar nicht gibt und uns dann versöhnlich die Hände reichen. Zuhören, empathisch sein und einander die Formfehler verzeihen.

Naja, oder auch mal einen Tisch zerhacken.

Bringt mich nach Schweden (oder besser doch nicht, ich bin zu schmuddelig und misanthrop)

Drei Mal war ich in Schweden und eigentlich würde ich gerne dort bleiben. Ich kann mir kein schöneres und entspannteres Land vorstellen.

Zum Glück gibt es Realisten, die meinen romantischen Gedanken vom ewigen Schwedensommer zerplatzen lassen, wenn sie sagen: „Ja, geh mal nach Stockholm im Winter, wenn es minus 20 Grad hat und es genau zwei Stunden Sonnenlicht am Tag gibt.“

Ich würde wirklich gerne wissen, woraus sich die schwedische Entspanntheit speist. Was man schon mal festhalten kann ist: Schweden hat eine sehr niedrige Bevölkerungsdichte. Nicht mal 10 Mio Schweden gibt es. Knapp 22 Einwohner pro Quadratkilometer macht das gesehen auf die Fläche.

Zum Vergleich Deutschland hat 227 Einwohner pro Quadratkilometer. 81 Mio Einwohner hat Deutschland, davon leben 3,7 Mio in Berlin.

Ich nehme an, daran hängt viel. Es scheint so etwas wie eine (womöglich deutsche) Sehnsucht nach Sauberkeit, Ordnung und Abgeschiedenheit zu geben, die natürlich umso einfacher zu erfüllen ist, je weniger Menschen es gibt.

In Schweden ist alles schön – egal wo ich hingekommen bin bislang. Egal, ob Hauptstadt oder Seenplatte, egal ob einzelnes Gehöft in der Einöde oder belebter Touristenstrand.

Ich komme an und in der Regel will ich in die Hände klatschen vor Verzückung. Wir waren vor einigen Jahren beispielsweise auf einem Hof, der sah ganz genauso aus wie aus einem Pettersson und Findus Buch. Die roten Häuschen, die weißen Fensterläden, die Scheune, ein Brunnen, eine selbstgebaute Rutsche über einen riesigen Baumstamm, überall Büsche mit Johannisbeeren, vorm Haus ein Grill, die Wiesen so saftig und grün wie sie in Deutschland nur sind, wenn man gerade frisch Rollrasen bestellt und ausgerollt hat und ein ausgebildeter Gärtner sich 18 Stunden am Tag drum kümmert und alles bewässert und regelmäßig vertikutiert. Wenn man abends in seinem Bett liegt, bei offenem Fenster, dann meint man die Mucklas beim Herumtollen hören zu können.

In den Städten ist es genauso. Alle Häuschen wunderhübsch, mit Blumen verziert, nirgendwo Tags oder Graffiti. Selbst in den trostloseren Wohngebieten irgendwie alles pittoresk.

Die Menschen lächeln, wirken immer entspannt und zufrieden. Die Kinder sind in der Regel total leise. Ich habe in aufgerechnet neun Wochen kein einziges Mal gehört, wie ein Erwachsener ein Kind angenervt zurecht gewiesen – geschweige denn angeschrieen hat.

Überhaupt diese Freundlichkeit. Sie ist dermaßen erschütternd. Busfahrer, die einen ohne Ticket mitfahren lassen, weil man vergessen hat seine ÖPNV Karte aufzuladen und ganz entspannt sagen: „Dann steigen sie eben da und da aus und laden sich dann dort die Karte auf.“

Omas, die aufstehen und den Platz wechseln, damit man neben dem Freund sitzen kann. Opas, die weiterrutschen, damit eine Mutter neben ihrem Kind sitzen kann. Alles wird erklärt (sowieso sprechen alle fließend Englisch), man wird quasi an die Hand genommen, Hauptsache man fühlt sich wohl. So viel Menschenfreundlichkeit: den 2. Kaffee, den man mitbestellen kann, für Menschen, die sich keinen Kaffee leisten können, das Wasser, das in allen Restaurants kostenlos zur Verfügung steht, überall Spielplätze und wenn man mit Kindern essen geht, bekommen die gleich was zu malen und das Essen immer zuerst.

Überhaupt: Überall Männer, die mit ihren Kindern unterwegs sind. So viele, dass in Schweden sicherlich dieses „Oh, toll! Sie sind ein Mann und kümmern sich trotzdem um die Kinder!!! Das ist bestimmt sehr anstrengend! Und dass das der Arbeitgeber mitmacht! Großartig!“ nicht so üblich ist, wie in Deutschland.

Wickelkommoden auf allen Toiletten.

Toiletten außerdem: Nicht getrennt nach Frauen und Männern in der Regel, was bedeutet, dass es das Phänomen freie Männertoiletten – Schlange mit 20 Frauen vor den Frauentoiletten gar nicht gibt.

In der Werbung: Gleichverteilt Frauen und Männer aller Altersklassen und Hautfarben. Große, kleine, dicke, dünne, junge, alte Menschen. Man sieht verdammt nochmal Falten auf Werbeplakaten und zwar nicht als löbliche Ausnahme!

Gleiches Bild in den einzelnen Berufsgruppen (die ich jetzt sehen konnte): Tram- und Busfahrerinnen sind keine Seltenheit, sogar in der Königsgarde Frauen! Polizistinnen!

Im einzigen Kicker, den wir gesehen haben: Fußballspielerinnen.

Klar gibt es auch H&M und andere Ketten, die nach Geschlechtern trennen, aber wie ich im Polarn & Pyret Laden vor den Schaufensterpuppen stehe, bin ich total verwirrt: Ist das jetzt Kleidung für Jungs oder Mädchen?

Dann schießt mir die peinliche Berührtheit heiß in den Körper. Ich bin so komplett verdorben von dieser Geschlechtertrennung, dass ich das zwar öffentlich anprangere – dann aber genau in dieses Denkmuster verfalle, wenn es nicht so ist (Villervalla übrigens genauso und auch viele noname-Marken in normalen Geschäften).

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Mir war es am 5. Tag in Stockholm irgendwann fast zu viel. Ich liebe Berlin, aber plötzlich war Berlin nur noch ein olfaktorischer Eindruck, nämlich der Geruch von Pisse in düsteren Brückendurchgängen an Verkehrsknotenpunkten. Nichts hat mich mehr an Berlin erinnert – nur noch der elende Gestank und meine eigene schlechte Laune.

Im Kopf hatte ich die Warschauer Straße, vollgestopft von Menschen, Menschen, die meistens morgens nach Alkohol und Zigaretten stinken, die sich über die Straße walzen, alles ist voll, der Boden mit Müll bedeckt, die Wiesen in den Parks ausgedörrt und niedergetreten.

Nur in Berlin hört man im Freibad eine Durchsage: „Im Schwimmbecken bitte nicht rauchen.“

Berlin ist ein Moloch aber man hat es da auch bequem. Vom Bett tritt man auf die Straße und keinen kümmert es, wie man aussieht. Die Haare zerzauselt, die Zähne ungeputzt, die ausgelatschtesten Hausschuhe, die durchlöcherte Schluffihose – so schleppt man sich zum Bäcker, holt sich seine Brötchen und schlufft wieder nach Hause.

In Stockholm hingegen hatte ich den Eindruck, man würde so vermutlich angesprochen werden und sofort in irgendeine Art freundliche Betreuung kommen.

Denn alle waren zu jederzeit sehr ordentlich und adrett angezogen. Die Frauen tragen, egal wie alt sie sind, in der Regel schöne Kleidchen, haben frisierte Haare, sind immer dezent und sehr akkurat geschminkt. Ich habe nicht einmal ungepflegte Füße in offenen Schuhen bemerkt.

Es ist vermutlich nicht richtig Berlin mit Stockholm zu vergleichen. Am Ende war ich aber wirklich froh nicht mehr hinsehen zu müssen, meinen Weg durch die Stadt zu kennen, nicht mehr die glitzernden Wasseroberflächen, die strahlenden Gebäude und all die kleinen Balustraden und bunt gestreiften Markisen.

Ich konnte es nicht mehr aushalten, hab mich selbst im Vergleich wie die sprechende Müllhalde (nur eben auf zwei Beinen) aus den Fraggles gefühlt.

Ich habe dann drüber nachgedacht, ob es vielleicht an der Großstadt liegt und mich gefragt, wie es am Land in Deutschland ist. gamla stanDa wo die Leute ihre freistehenden Einfamilienhäuser auf riesigen Grundstücken bauen. Aber nur weil da Platz ist, ist da auch nicht Schweden.

In Schweden gibt es so viel Wärme, Freundlichkeit und Offenheit. Oft haben die Grundstücke nicht mal von außen erkennbare Grenzen. Meiner Erfahrung nach werden Fremde herzlich aufgenommen und alles Neue willkommen geheißen. In Deutschland ist alles Neue ein Fremdkörper. Die neuen Nachbarn? Wo kommen die eigentlich her? Warum bauen die ihr Häuschen genau da wo doch die Aussicht so schön ist? Und überhaupt! Der Zaun! Der passt doch gar nicht in die Siedlung! Und oh je! Kinder haben die auch! Die machen bestimmt Krach. Wie ärgerlich. So schön wars hier ohne die anderen Menschen. Damals! Damals hätte es sowas nicht gegeben! Schnell einen Sicht- und Schallschutz bauen, eine hohe Mauer am besten!

Ich wohne nicht in Schweden, ich war nur einige Male zu Besuch. Vielleicht ist mein Eindruck auch gänzlich falsch. Keine Ahnung. Es ist mir jedenfalls ein Rätsel, wo all die Menschenliebe und Freundlichkeit der Schweden herkommt. Die Quelle würde ich wirklich gerne anzapfen.

Übrigens Nachtrag: Ich habe mir die Selbstmordrate und den OECD Better Life Index für die Schweden und für Deutschland angesehen. Die Unterschiede sind marginal. Ersteres ist in Schweden etwas höher, zweiteres ebenfalls. So scheint es zumindest, dass die Schweden subjektiv nicht deutlich besser leben als die Deutschen.

Über Erklärungen des Schwedensommerphänomens freue ich mich also.