Mal Rosa, mal Hellblau, meistens Mauve

Seit Wochen mischen sich alle Möglichen Gedanken zum Thema Sprache, Feminismus, Poltical Correctness und ich hätte gerne einen Artikel verfasst, der alles ordnet und vielleicht sogar noch mit einer Prise Humor abrundet – leider bin ich an diesem Wunsch gescheitert und schreibe deswegen alles verhältnismäßig ungeordnet zusammen.

Seit Wochen mischen sich unterschiedliche Gedanken zum Thema Sprache, Feminismus und Poltical Correctness und ich hätte gerne einen Artikel verfasst, der alles ordnet, vielleicht mit einer Prise Humor abrundet – leider bin ich an diesem Wunsch gescheitert und schreibe deswegen alles verhältnismäßig ungeordnet zusammen.

Angefangen hat es mit Antje Schrupps Hinweis auf die Initiative „Sehr geehrter Mann* Schulz„, die sensibilisiert dass die Anrede „Herr xy“ nicht gleichwertig zu „Frau xy“ ist.

Ein bißchen verteift haben sich die Gedanken durch den sehr sehenshörenswerten Vortrag von Anatol Stefanowitsch auf dem 29C3 in Hamburg:

Die Diskussion um die sprachliche Überarbeitung von Astrid Lindgren-Büchern passt natürlich auch in das Thema.

Insgesamt habe ich dazu eine klare Meinung. Sprache formt Wirklichkeit und es gibt genug Beispiele, in denen eine Änderung eine Verbesserung gebracht hat, auch wenn sie nicht natürlich sondern künstlich herbei geführt wurde. Man denke da an die Umbenennung von Aktion Sorgenkind zu Aktion Mensch. Deswegen sehe ich es in der Kinderbuchsache wie Paul Maar „Denn das Wort Neger ist ja bei uns wirklich negativ belastet und außerdem ist es viel korrekter, von einem Südseekönig zu sprechen, denn in der Südsee, die Bewohner dort in Polynesien, […] das sind Polynesier. […] Das könnte man ersetzen, das sind winzige, winzige Änderungen„. Ich befürworte, dass man sich ein bisschen anstrengt und auf die Sprache achtet. Sei es bei Begrifflichkeiten wie „Döner-Morde“ oder ganz einfach beim generischen Maskulinum.

Das nur am Rande.

Während in der Sprache gerne mal mit der männlichen Form auch die Frauen gemeint sind, entfaltet die Werbeindustrie eine andere Macke und gendert nach und nach ALLE Produkte. Egal wie absurd das ist, wie am Beispiel von Capri Sonne zu sehen ist.

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Völlig bekloppt ist das. Zum Beispiel wollte mein Sohn neulich eine Spardose haben und wir liefen von Laden zu Laden. Wenn ich nach einer Spardose fragte, lautete die Gegenfrage zu 80%: „Für einen Jungen oder ein Mädchen?“ „Für Geld Himmelherrgott!“

Was soll der Scheiß? Warum müssen Spardosen und Getränke für Jungs oder Mädchen sein. Warum müssen die Kinder von Geburt an diese (disjunkte) Zuordnung eingehämmert bekommen?

Wir haben das Glück, dass es in unserem Haushalt Jungen und Mädchen gibt. Deswegen haben wir vom Einhorn bis zum Bagger alles und siehe da, die Kinder bespielen alles gleichermaßen und selbst wenn sie in das Alter kommen, in dem ihnen die Peergroup suggeriert, dass rosa/blau Autos/Puppen doof sind, haben sie zuhause immer noch den sicheren Hafen, in dem sie sorglos mal ausprobieren können, wie es ist mit Elfenflügeln rumzulaufen oder ob es Spaß macht, sich als Pirat vom Hochbett abzuseilen.

Ich habe versucht zu verstehen woher diese Zuordnungen überhaupt kommen. Junge = Blau und Mädchen = Rosa und bin auf interessante Aspekte gestoßen wie z.B. dass Rot/Rosa ursprünglich die Farbe der Männer/Jungen und Blau/Hellblau die Farbe der Mädchen gewesen sein soll. Demgegenüber gibt es auch seltsame Hypothesen, die sagen Blau sei schon immer die Farbe der Männer gewesen, denn als Jäger sei man an die Farbe des Himmels gebunden wohingegen die Frauen eher Sammlerinnen gewesen seien und deswegen mit der Beerenfarbe Rot verbunden seien.

Komplizierter wird es, wenn man recherchiert, warum Pferde/Einhörner/Elfen/Puppen Mädchenspielzeug sein sollen und warum Piraten/Dinosaurier/Autos eher was für Jungs sein soll (Eine Antwort habe ich nicht gefunden).

Tatsächlich ist das Ganze ohnehin wurscht. Was mich stört sind die Eigenschaften, die mit den beiden Themenfeldern verbunden sind. Rosa das ist immer lieblich, wehrlos, leicht naiv-dümmlich, hilfsbedürftig, unselbständig – wohingegen die Jungsfarben (und Produkte) etwas mit Energie, Durchsetzungsvermögen, Kraft etc. zu tun haben.

Wir haben tatsächlich am Anfang versucht, die reinen Rosa- und Blauwelten von den Kindern fern zu halten, sind jedoch kläglich gescheitert. Eine extreme Position zu verteidigen ist ohnehin Schwachsinn. Dennoch heißt das für mich nicht, dass ich alles hinnehme. Vielleicht schaffe ich es nicht im Alltag (Achtung Schleife zurück zum Anfang des Artikels) bestimmte Gewohnheiten ohne weiteres abzulegen. So wird es mir vermutlich nicht gelingen, statt „Herr xy“ „Mann xy“ in der Anrede zu benutzen, aber es gibt eben immer Wege. Statt „Hallo Herr Müller“ kann ich neutraler schreiben „Hallo Rolf Müller“ (das nur als Beispiel).

Ich kann außerdem darauf verzichten diesen Genderquatsch selbst zu kaufen – die Kinder bekommen das ohnehin von Freunden und Verwandten geschenkt – und WENN ich schon mal bewußt sowas kaufe, dann will ich verdammt nochmal was ordentlich gegendertes!

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Ansonsten schließe ich  mich voll und ganz Ninia LaGrandes Meinung an, wenn sie schreibt:

Wie sollen wir jemals eine gleichberechtigte Gesellschaft werden, wenn wir von klein auf lernen, wie wir zu sein haben? Wenn wir schon als Kindergartenkind wissen, welche Produkte wir kaufen dürfen und welche nicht? „Wir sind doch schon emanzipiert genug, lasst doch mal die Kirche im Dorf“ schreiben Menschen verwirrte Männer und Frauen unter jeden Eintrag im Netz, der sich mit Frauenquote, Feminismus und einem dieser anderen bösen Begriffe beschäftigt. Nicht mal eure Kinder sind frei von Geschlechterpolitik, Freunde! Und darüber sollte mensch sich wirklich mal Gedanken machen.

Erzieherisches Henne-Ei-Problem

Auf Erziehungsfragen gibt es oft keine einfache Antwort. Nicht mal bei den einfachen.

Die Pubertät beginnt wenn die Hypophyse einen bestimmten Botenstoff sendet, welcher die Produktion von Geschlechtshormonen initiiert. Diese wiederum führen zu bestimmten allerseits bekannten körperlichen Veränderungen (Im Wikipediaeintrag übrigens sehenswert das Schaubild „Testosteron führt zu Gesichtsbehaarung“).

Es ändert sich jedoch nicht nur das Erscheinungsbild. Veränderungen im Verhalten scheinen ebenfalls unausweichlich. Aus dem fröhlichen Kind, das einst alles tat, um den Eltern zu gefallen, wird nicht selten ein überllauniges Wesen, das nur noch selten aus dem Kinderzimmer tritt und dann auch nur, um den Erziehungsberechtigten zu erläutern wie mental eingeschränkt und unwissend sie sind.

Oft kommt hinzu dass die Kinder gerne genau das Gegenteil von dem machen, was die Eltern erzieherisch initiieren wollten. Dementsprechend rechne ich fest damit, dass sich meine Kinder freiwillig bei der Bundeswehr melden, daraufhin das Ingenieurswesen studieren, um später neue Atomkraftwerke für Deutschland zu erbauen oder sie werden BuchautorInnen, die vor den Gefahren des Internet warnen.

Nicht weniger schwierig sind jedoch die Kleinigkeiten im Alltag, die das gemeinsame Leben erschweren können. Ich habe beispielswiese einen sehr eingefahrenen und unflexiblen Musikgeschmack und  mich würde es sehr stören, wenn ich ganztägig mit der falschen Musik beschallt würde – was in einer Stadtwohnung kaum zu vermeiden ist.

Es stellt sich nun die Frage, wie ich mit meinem Wissen um die Pubertät planerisch umgehe. Ob ich beispielsweise jetzt jahrelang höre, was mir gefällt und damit erreiche dass meine Kinder später ausschließlich Schlager und Chartpop hören oder ob ich nun selbst beginne, diese Abscheulichkeiten zu hören und darauf hoffe, dass die Kinder in naher Zukunft sich für erträgliche Musikrichtungen entscheiden.

Wenn ich wüßte, wann die Kinder ausziehen, könnte ich das rechnerisch lösen, weil ich dann wüßte, welche Zeitspanne die kürzere ist – also die von der Geburt bis zur Pubertät oder aber von der Pubertät bis zum Auszug. Da ich meine Kinder im Grunde aber so lieb habe, dass ich es gerne sähe, wenn sie bis zum vollendeten 35. Lebensjahr bei Mutti wohnen, werde ich wohl ab heute nur noch Radiosender hören, welche die meisten und besten Hits der 90er und 2000der spielen und zwar nonstop!

Frauen und Männer, die selber machen

Ich glaube, 80% der anderen machen Dinge selbst, um Menschen wie mich in den Wahnsinn zu treiben.

Am Anfang hatte ich nichts gegen selber machen. Das ein oder andere habe ich sogar selbst gemacht. KostümeLaternen, Kuchen, geblümte Laptophüllen, Adventskränze. Aber im Grunde hasse ich selbst machen. Genauer gesagt, ich hasse andere Menschen, die selbst machen.

Das setzt mich unter Druck. Die Weihnachtszeit ist deswegen eine einzige Qual für mich. Da wird alles selbst gemacht. Plätzchen, Adventskränze, Weihnachtsschmuck, viergängige Menüs, Geschenke – einfach alles!

„Schau mal, ich habe diesen Stern gebastelt.“, sagt eine selig lächelnde Kita-Mutti zu mir und hält mir einen Bascetta-Stern unter die Nase. Da bekomme ich schon dieses Inspektor Clouseau-Augenzucken. Die zusätzliche Bemerkung „War ganz einfach“ bringt mein Gehirn zum Anschwellen. Ich beiße die Zähne zusammen und zische: „Ja, ganz wunderhübsch.“

„Musst Du auch mal probieren, die sind zum Verschenken ganz toll. Man braucht nicht mal Kleber. Nur 30 gleich große quadratische Blätter, die man faltet. Wenn Du nicht so mit der Falttechnik klar kommst, kannst Du ja einen Aurelio-Stern basteln. Da kann man auch Kleber benutzen und die Falttechnik ist noch einfacher.“

„Schön, dass Du Ikosaeder falten kannst. Ich bin schon froh, wenn ich im natürlichen Zahlenraum bis 20 zählen kann. Da bekomme ich es kaum hin an die 20 Flächen Pyramiden zu kleben…“

„Man muss doch gar nicht kleben…“

„Orrrrr, jetzt halt mir noch nen Vortrag über Haftreibung, dann raste ich aus!“

„Vielleicht einen meiner köstlichen, selbst gebackenen Plätzchen?“

„OrrrrrrrrrrRRRrrr!“

„Die Auswahl ist dieses Jahr nicht so groß. Hatte etwas Stress, deswegen sind es nur sieben verschiedene Sorten.“

(Meine Augen treten aus den Höhlen.)

Ich habs ja versucht. Aber ich schaffe das nicht. Ich schaffe nicht 30 Stunden zu arbeiten, den Haushalt, die Kinder zum Sport zu bringen, Laternen zu basteln, Plätzchen zu backen, dabei immer schick auszusehen, ICHWILLDASNICHT und ich will nicht, dass die anderen mir ständig zeigen, was sie alles selbst machen. Das ist noch doofer als Männer über 25, die skaten.

P.S. Und morgen schreibe ich über: Warum ich auch nichts selbstgemachtes geschenkt bekommen möchte.

Sei 609060

609060

Journelle schrieb vor einiger Zeit einen sehr schönen Artikel mit dem Titel „Mehr auf den Leib geschneidet und weniger geschneiderter Leib„, in dem es unter anderem darum ging, dass ein großer Teil der Mode leider nur für idealisierte Körper entworfen und hergestellt wird. Diese Körper kommen in der unidealen Welt so gut wie gar nicht vor. Unter dem Tag 609060 veröffentlichen seit einiger Zeit Menschen Bilder, die sich selbst in der alltäglichen Kleidung zeigen. Ich hab irgendwann auch damit angefangen, weil mir die Aktion sehr gut gefällt. Anne hat die Aktion wohl auch gefallen, wie bei „609060 oder was normale Menschen so anziehen“ nachzulesen.

Natürlich gibt es auch die Gegenposition „#609060 oder: was heißt hier eigentlich “normal”?„, die beklagt, dass die Aktion rein gar nichts verändere.

Zur Zeit habe ich ja Spaß beim Senf dazu geben, deswegen schildere ich mal meine persönliche Sicht.

Zum Begriff der Normalität. Normal ist für mich immer das, was man klassisch unter der Normalverteilungskurve kennt. Eine Glocke mit einem breiten Mittelteil, zu der aber auch beide Extreme gehören. In der Modewelt gibt es diese Glocke nicht. Es gibt eine große Ausbeulung links bei „dünn“ und der Rest weiter rechts ist die Ausnahme. Das gilt jedenfalls für die Darstellung. Das führt dazu, dass ich mich persönlich mit Größe 40/L schon als nicht normal empfinde. Meiner Meinung nach liegt das an dieser Differenz „wie die Menschen eigentlich sind“ zu „wie sie dargestellt werden“. Würden sie anders dargestellt werden, würde ich mich nicht als abnorm empfinden.

Genau diesen Effekt hat nämlich das Betrachten der #609060-Bilder bei mir: Ich finde mich normal. Rational wusste ich schon immer, dass jede andere Einschätzung eher ein Wahrnehmungsproblem ist. Leider leide ich (zumindest innerlich) an einigen der gängigen Frauenklischees (neben „Mein Gott bin ich dick“ auch an „ich seh immer doof auf Fotos aus“). Ich merke aber, wie dieses Gefühl wahrhaft verpufft beim Anblick der vielen 609060-Fotos. Also wirklich das Gefühl/die Überzeugung.

Eng daran gekoppelt ist für mich das aufrichtige Gefühl, dass ich die anderen #609060-Bilder total schön finde – und damit meine ich natürlich nicht die Bilder sondern die Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind. Ich würde auch gerne noch mehr sehen. mehr unterschiedliche. Aller Art!

Auf Twitter kam sinngemäß die Frage auf, warum denn jetzt auch die Konfektionsgröße 36 Frauen mitmachen würden. Aus meiner Sicht machen sie mit, weil sie auch normale Menschen sind und es in dem oben genannten Artikel gar nicht um dünn oder dick sondern um die zwanghafte Prototypisierung ging. Man kann ja Kleidergröße 36 und überlange Beine haben und schon passen die gängigen Hosen nicht mehr. Oder der Busen ist größer als das die Standardgröße 36 vorsieht. Oder die Hüften breiter, die Beine kürzer. Deswegen finde ich es toll, wenn möglichst alle Varianten von Körper/Mensch mitmachen (Männer natürlich auch!). Ich kenne ähnliche Probleme von meinem Mann, der nie Anzüge findet, weil er Größe 46 trägt und sich ständig anhören muss, was er alles essen soll, um endlich mal zuzunehmen. Das ist auf Dauer wahrscheinlich genauso anstrengend und nervig wie die Sprüche, die sich Menschen anhören, die in der Normalverteilungskurve weiter rechts liegen. Deswegen egal welche Kleidergröße – letztendlich geht es doch darum zu zeigen wie schön die Vielfalt ist und wie langweilig die standardisierten und gephotoshoppten Kunstmenschen der bunten Medienwelt sind.

Eine andere Sache ist mir dann beim Betrachten der Bilder aber doch seltsam aufgestoßen. Bei einigen Fotos sind neben dem 609060 Tag auch Tags wie #losingweight in Kombination mit #sounsovielweeksafterbirth zu finden. Das hat mich persönlich doch sehr gewundert, was ich auch kommentiert habe. Daraufhin wurde empört gegenkommentiert, jeder könne doch abnehmen und sein Gewicht reduzieren, wenn er wolle – zumal wenn man sich mit diesem Gewicht unwohl fühle.

Dazu kann ich nur sagen: Bitte! jeder darf tun und lassen was er will und abnehmen und Diät machen gehört dazu. Aber was mir eben nicht gefällt (und so empfand ich diese Kombination), ist dieser Druck nach einer Geburt seine „alte“ Figur zurückzubekommen und das so schnell es geht. Für mich ist das Heidi Klum Promi Quatsch. (Ach fiele mir der tolle Beitrag über den postnatalen Körper und die falschen Priorisierungen wieder in die Hände, ich würde ihn so gerne verlinken). Wenn ein Kind geboren wird, ist es doch nicht wichtig möglichst schnell Kilos los zu werden. Es ist wichtig eine Beziehung aufzubauen. Warum geißeln sich so viele Frauen? Die ersten Monate nach der Geburt sind doch anstrengend genug? Als Argument wurde genannt, man fühle sich eben nicht wohl. Da möchte ich die Frage stellen: Warum? Warum fühlt sich eine Frau nach einer Geburt nicht wohl, weil sie 5?6?7? „überflüssige“ Kilos hat? Ist das wirklich etwas, das von innen heraus kommt? Ich zweifle das an und finde es persönlich nicht schön, wenn das mit #609060 vermischt wird.

Jedenfalls glaube ich sehr wohl, dass es helfen würde, wenn die Zeitungen/Serien/Kinofilme dünne/dicke/große/kleine Menschen zeigen würden und nicht nur die 906090-Exemplare.

 

Update (Weitere Stimmen)

Denkding zu #609060
Anne zu #609060 – Ein Nachtrag zum Normalsein
Dentaku als Kommentar zu #609060
Wortschnittchen zu #609060
Nido Debatte: 60-90-60
Jawl #609060
Anke Gröner zu #609060 oder: Mein Problem mit dem Mem (wichtiger, mir neuer Aspekt mit den „headless fatties“)
Tadellos, himmelblau „Versteh einer die Welt
stoewhase als Kommentar „für mich liest sich der text oben etwas zu destruktiv […]

Und weil es passt:
Vorspeisenplatte „Echte Körper und die Macht von Medienbildern –
ein Beispiel

Das macht doch ein XY nicht

Ich schwöre, ich habe meinen Kindern die ersten Jahre kein rosa und kein hellblaues Kleidungsstück gekauft. Gerade in der älteren Generation stieß ich damit auf wenig Verständnis. Ein Baby in grünen Kleidungsstücken? „Ach Herrje, da weiß man ja gar nicht was es ist!“ Meine Antwort darauf: „Es ist ein Mensch.“

Natürlich dauerte es nicht lange, bis wir mit hellblauen und rosa Kleidungsstücken überhäuft wurden und natürlich war es so, dass unser Mädchen mit ca. drei Jahren NUR rosa tragen wollte. Dann kamen die Fillys, die Einhörner, die Prinzessinnenliteratur – all das was ich auf gar keinen Fall im Haus haben wollte. Das gleiche passierte natürlich bei den Jungs. Zuerst die Autos, Bagger, Transformers, die Eisenbahn, Power Ranger usw. Das Gute daran: Wenn man beide Geschlechter im Haus hat, dann hat man das komplette Sortiment und das hat am Ende dazu geführt, dass mit allem gespielt wird. Die Transformers bekommen hübsche Puppenkleidung, die Fillys galoppieren über die Hot Wheels Rennbahn und alles ist gut. Wenn die Kinder sich streiten, greift die Tochter zu Darth Mauls Doppelklingen Lichtschwert und der Sohn hält schützend die Babybornpuppe vor sein Antlitz.

Wir hatten ideale Bedingungen. Weder mein Mann noch ich wurden als Kind irgendwelche Klischees unterworfen. Unser Kindergarten nimmt unseren Sohn im glitzerrosa Feenkostüm mit den Worten: „Hey, Du hast Dich aber schick gemacht!“ entgegen. Noch nie sind dort Sätze wie „Jungs malen aber nicht so gerne“ gefallen. In Berlin kümmert es zudem sowieso nicht, wie wer aussieht. Man kann im August auch als Clown verkleidet durch die Gegend laufen – in der Regel wird man nicht besonders überrascht angeschaut.

Ich finde es ganz selbstverständlich, dass sowohl meine Tochter als auch mein Sohn Nagellack „haben“ dürfen, wenn sie das interessant finden, weil sie mich dabei beobachten, wie ich mir die Nägel lackiere. Das folgende instagramobligatorische Fußbild, das ich vor Monaten gepostet habe, zeigt dementsprechend die Füße meines Sohnes:

Zum Thema Benachteiligung von Jungen haben Antje Schrupp mit „Beim pinken Überraschungsei geht es nicht um Mädchen, sondern um Jungen„, Kaltmamsell mit „Zwischenspiel: Buben in Röcken“ und Journelle mit „Das rosa Ei in der Familie“ schon sehr viel kluges gesagt.

Aus dieser Erfahrung heraus möchte ich alle ermuntern, ihren Söhnen diese Art von Diskriminierung nicht anzutun. Zeigt Euren Söhnen die vermeintlich weiblichen Aspekte des Lebens. Lasst sie doch mal fühlen wie es ist in Stöckelschuhen rumzulaufen, lasst sie sehen, wie bunt lackierte Fußnägel aussehen, wie luftig Röcke sind, wie schwierig es ist, einen geraden Lidstrich zu ziehen. Ich glaube, wenn man sie das alles erfahren lässt, schafft man eine gute Grundlage in späteren Jahren verständnisvoller zusammenzuleben.

Nicht meckern ist Lob genug

Es loben nur die Bekloppten.

Von klein auf lernt man, dass Kritik eine super Sache ist. Man lernt akzeptieren, dass es ein universelles Kritikrecht gibt. An allem und jedem. Expertenwissen unnötig. Jeder darf. Einfühlsamkeit – drauf gepfiffen! Kritisieren und meckern ist geil. Das hilft den anderen ja. Kritik ist quasi die einzige Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Wie sollen wir reflexionsfähig werden, wenn wir nicht kritisiert werden?

Die Eltern fangen damit an, die Lehrer sind ganz groß damit, selbst Passanten dürfen es: Kritik üben. Es wird einfach akzeptiert. Nicht mal Einjährige, die etwas auf ein Papier krakeln, werden verschont. Von Anfang an wird bewertet und kritisiert: „Ah, das hat Du aber schön gemacht!“ oder „Was ist das?“ „Auto“ „Nein, so geht doch kein Auto!“

Man muss schon ganz schön alt werden, bis einem auffällt wie seltsam das ist. Jedenfalls hat man irgendwann gelernt mit Kritik umzugehen. Man kann mit eiserner Miene lächeln und im Bewerbungsgespräch kann man glaubhaft versichern, dass man Kritik sehr wichtig findet, schließlich möchte man sich weiterentwickeln.

Man mag jetzt anmerken, dass Kritik auch konstruktiv – gar positiv sein kann. Doch wenn man sich ganz kurz überlegt, wie man auf Lob reagiert, wird schnell klar, dass es immer eine unbeholfene Reaktion ist, die meilenweit von dem routinierten Umgang mit (negativer) Kritik ist.

Den Umgang mit Lob lernt man nicht. Offensichtlich kommt es zu selten vor, als hätten wir passende Reaktionen im Verhaltensrepertoire.

Schreit mich jemand auf der Straße an, finde ich das beinahe normal. Passiert gelegentlich und vermutlich hat er/sie irgendwie recht.

Sagt mir jemand „Du hast aber ein schönes Kleid.“ Dann bestand jahrelang meine Reaktion in einer verlegenen Erläuterung wo ich das Kleid  gekauft hatte, die mit einer Beteuerung einher ging, dass es nicht teuer gewesen sei. Ich ging immer davon aus, dass „Du hast ein schönes Kleid“ bestenfalls ein unausgesprochenes „Ich hätte das auch gerne, wo kann ich es kaufen“ nachhinge. Eher aber eine Art Kritik, in der Art „Was ist das denn schon wieder für ein teurer Fummel?“ Dass es sich um ein Kompliment handeln könnte, ist mir erst sehr spät aufgegangen.

Spricht sogar jemand völlig Fremdes ein Lob aus, schrillen bei mir alle Alarmglocken. Die Worte „Oh, sie haben aber einen schönen Mantel“ lassen mich an Taschendiebe denken. Man weiß ja, dass es da nur um Ablenkung geht. Taschendiebe schicken also unschuldig wirkende Frauen als Ablenkungsmanöver voraus, die machen Passanten unerwartete Komplimente und davon sind sie so von der Rolle, dass der eigentliche Dieb leichtes Spiel hat.

Einfach so auf offener Straße von Fremden gelobt werden DAS IST U.N.M.Ö.G.L.I.C.H!!!11!!!

Dass so wenig gelobt wird, dass der Durchschnittsmensch mit Lob nichts anfangen kann, das finde ich sehr schade. Deswegen habe ich mir vor einigen Wochen vorgenommen mehr zu loben. Man empfindet was positives und gibt was positives weiter. Im Internet ist das schnell gemacht. Hier gefavt, da geliket. Alle freuen sich. In der analogen Welt ist es unendlich schwer.

Zum Beispiel war ich heute mit Kind 2.0 beim dritten Augenarzt. Zwei Augenärzte hatten mich bereits in den Wahnsinn getrieben. Monatelang auf einen Termin warten, um dann nochmal über zwei Stunden in einem engen, überfüllten Wartezimmer ohne Ablenkungsmöglichkeiten absitzen, dem Kind Augentropfen verabreichen und dann einem Fachmann ohne jedem EInfühungsvermögen für Kinder begegnen. Der dritte Versuch jedoch war ein Goldgriff. Ich war so glücklich, dass ich mich bedankte. Die Ärztin hat mich angeschaut, als sei ich von einem anderen Stern. Dabei habe ich nichts anderes gesagt als „Vielen Dank, dass sie die Untersuchung so kinderfreundlich gestaltet haben. Ich hatte auch den Eindruck dass sie alles sehr gründlich gemacht haben und gehe mit einem guten Gefühl nach Hause.“

Als wir hinterher gemeinsam auf einem naheliegenden Spielplatz waren und eine kleine Horde Kinder gleich mein Kind 2.0 ins Spiel miteinbezog und das auf so herzige Art und Weise und ich den anderen Müttern zulächelte und sagte „Ihr habt ja süße Kinder!“ schaute die eine Mutter die andere an und fragte leise „Wat hat die denn jerocht?“

So ist das mit dem Lob in Deutschland.

Die anderen Erwachsenen

Die anderen sind Erwachsen oder Jugendlich. Ich bin eher so Midlife.

Ich bin jetzt definitiv raus aus dem Alter, in dem man noch fälschlicherweise für eine Studentin gehalten wird oder für sonstirgendwas unter vierzig. Jugendliche siezen mich respektvoll, wenn sie nach dem Weg fragen und bald stehen die Leute für mich in der U-Bahn auf oder ich bekomme Seniorenrabatt angeboten. So die Außensicht jedenfalls. Nur fühle ich mich nicht erwachsen. Jedenfalls nicht so wie mein eigenes Bild von Erwachsenen ist. Da wären zum Beispiel meine Eltern. Die sind, seit ich sie kenne, erwachsen. Erwachsene haben Einbauküchen, nehmen Kredite auf, trinken Abends ein Glas Wein aus einem echten Weinglas und laden ihren Chef zum Abendessen ein, um ihre repräsentative Familie zu präsentieren.

Vor allem aber: sie sehen total alt aus. Sie haben Falten, meist ein bisschen Übergewicht, ihre Kleidung hat keine Flecken und manchen gehen die Haare aus. So sehen für mich Menschen in meinem Alter aus. Mein Spiegelbild sah nie so aus. Da blickte mich immer ein junges, fröhliches Mädchen an. Bis neulich jedenfalls. Da stand ich vor selbigen und stellte fest, dass alles mädchenhafte verschwunden war und mich eine Frau anschaut. Ein Schock! Wer war das? Ich? Falten unter den Augen? Die Mundwinkel hängen merkelesk nach unten? Graue Haare im Pony? Speckring um die Hüfte?

Bitte was? Das soll ich sein?

Ich habe mir dann aufmerksam Männer meines Alters angeschaut und mich gefragt, ob ich, sofern ich Single wäre, irgendjemanden attraktiv finden könnte. Die Antwort lautete OMG NEIN. Das sind auch Erwachsene. Männer mit grauen Bartstoppeln, lichtem Haar, Bäuchlein. Menschen, die früher meine Lehrer waren, die Freunde meiner Eltern, Kassierer, Bankangestellte. Das soll jetzt meine Zielgruppe sein? Wie furchtbar. Das sind Menschen, die Urlaub im Hotel machen, die Bundfaltenhosen tragen oder mit Scheck zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Also schaute ich mir ein Paar jüngere Herren an – aber oh schreck – das sind Kinder! Also große Kinder – bestenfalls Jugendliche. Wenn ich mich geistig daneben stelle, dann sehe ich aus wie ihre Mama. Diese Jugendlichen gehen abends weg, sie trinken Bier in öffentlichen Verkehrsmitteln, sie schlafen bis 11 Uhr und haben auch sonst sehr seltsame Lebensgewohnheiten. Vermutlich hören sie laut Musik, essen morgens Pizza und manchmal bekommen sie Mahnungen, weil sie ihre Rechnungen nicht zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Als Single also müsste ich alleine bleiben. Für immer. Könnte mich nie mehr verlieben. Aber das macht nichts. Erstens weil ich es nicht bin und zweitens weil ich viele Hobbys habe, die mich auch partnerlos beschäftigt hielten. Nur frage ich mich, ob irgendwann der Tag kommt, an dem ich mich auch innerlich erwachsen fühle? Das Äußerliche kann ich verdrängen. Ich vermeide einfach in Spiegel zu schauen, kaufe mir keine neue Kleidung, trage weiterhin meine zehn Jahre alte Größe 38 und verdränge, dass sie sich in den zehn Jahren durchs Tragen und Waschen vermutlich auf Größe 44 gedehnt hat und mir deswegen immer noch so gut passt . Aber wie fühlt sich dieses Erwachsen sein an? Werde ich dann immer den Müll runter bringen, nur weil er voll ist? Werde ich eine Einbauküche zum Preis eines Jahresgehalts kaufen und mich darüber freuen? Werde ich mich über unerwünschte Werbung in meinem Briefkasten aufregen? Nach 22 Uhr keinen Hunger mehr haben weil Schlafenszeit ist?

Ist das meine Midlife-Crisis? Was macht man da als Frau? Ich habe versucht es zu ergoogeln. Männer haben es leicht. Die suchen sich eine Zwanzigjährige, mit der man „gut reden“ kann, kaufen sich ein Cabrio, planen eine einsame Wanderung durch die Anden und tragen Flip Flops. Aber was bleibt mir?

Abschied von Größe 36

Tschö 36.

Bis ich 28 war, habe ich problemlos in eine 36 gepasst. Seitdem nehme ich zu. Von meiner Kleidung trennen wollte ich mich nie. Aber jetzt habe ich es endlich gemacht. Ich trenne mich von ihnen, denn realistisch gesehen, werde ich da nie wieder rein passen. Hoffe ich jedenfalls, denn sehr schlank war ich bislang nur, wenn ich unglücklich war.

Das Erstaunliche ist, als ich noch eine 36 trug, fand ich mich nie ausreichend dünn. V.a. nicht nachdem ich von Franken nach Berlin gezogen bin. Da kam ich in einen Freundeskreis, in dem die „schönsten“ Mädchen gerade mal eine 34 trugen und von der Figur her aussahen wie 13jährige Jungs. (Ungefähr so wie die derzeitigen H&M-Models.) Mir hat das nicht gefallen, aber es wäre gelogen, zu behaupten, dass mich das nicht beeinflusst hätte.

Genauso wie die ganzen Klappergestelle, die man bei Greys Anatomy & Co. sieht. Doch jetzt, da ich Ü30 bin, werden meine italienischen Gene aktiv und ich würde denen gerne was ordentliches kochen. Dennoch. An jeder Straßenecke schreien einen die Plakate an. Dünn ist schön. Dünner ist schöner. Diese Botschaften finden irgendwie ihren Weg in mein Unterbewusstsein und auch in mein passives Schönheitsideal.

So fiel es mir bislang wirklich schwer, mich von all den Kleidungsstücken zu trennen, die Größe 36 haben. Ich trage jetzt eine 40 und da ich nicht der Diät-Typ bin, werde ich nie wieder eine 36 haben. Will und brauche ich auch gar nicht und meinen Kindern möchte ich ohnehin ein gutes Vorbild sein. Essen was einem schmeckt und bewegen, weil es Spaß macht und nicht weil man sich überzählige Kalorien abtrainieren will. Ich fände es grauenhaft, wenn meine Kinder das Wort „Diät“ oder „Abnehmen“ in den Mund nähmen. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass ich den Krempel wirklich nicht mehr brauche und deswegen kann ich Platz schaffen.

Deswegen macht es mir wirklich nichts mehr aus, wenn ich im schicken Berlin-Mitte zwischen all den Mädchen in Größe 34 mit Haardutt sitze und die Bedienung meine Freundin und mich nach dem Genuss der Hauptspeise fragt, ob wir wirklich JEDE ein eigenes Schokotörtchen essen wollen.

Dazu auch lesen: Verdorben bis ins Schokotörtchen, Polemik zur Nacht und Problemzonen? Anke Gröner mochte ihre Beine nicht

P.S. Und ich will jetzt kein Gemosere hören, dass Größe XY ohnehin nicht „fett“ ist. Denn das ist es ja genau. Wenn man die Zeitungen anschaut, ist man eigentlich immer fett – es sei denn man ist Victoria Beckham. Wobei es bestimmt irgendeine geile Steigerung von Size Zero gibt…