
Die Unsicht-Bar heißt so, weil man für andere unsichtbar wird. Taub wird man allerdings nicht. Das scheint den Kellnern in der Unsicht-Bar nicht ganz klar zu sein. Wir saßen an einem Tisch, der an einer Hauptverkehrsstraße zwischen Gastraum und Küche stand. Da rasten die Kellnerinnen und Kellner mit ihren Servierwagen vorbei. Ich wurde insgesamt fünf Mal angestoßen. Links hinter mir waren Getränkekisten, die lautstark umsortiert wurden. (Wie praktisch, dass man in einem stockfinsteren Raum keine gesonderten Abstellräume benötigt). Rechts hinter mir war ein leerer Tisch an dem einige Kellner saßen und sich angeregt unterhielten. Ab und an riefen sie den anderen vorbei eilenden Kellnerinnen und Kellnern lustige Sachen zu. Einer der Kellner servierte rappend. Einer schnalzte ununterbrochen. Insgesamt war es ziemlich laut. Ich schätze, rund 50 Leute teilten den Raum in der Dunkelheit mit uns.*
Ich hatte meinen Mann zum Hochzeitstag diesen Besuch in der Dunkel-Bar geschenkt. Er ist ein großer Romantiker. Er mag sowas. Ich hasse sowas. Ich hasse unkontrollierbare Situationen und ich bin der komplizierteste Esser der Welt. Nicht mal meine Eltern können sich merken was ich esse und was nicht. Darüberhinaus habe ich einige ausgewachsene Essensphobien. Ich kann auch nach vielen Jahren des aktiven Obstberührens reinen Gewissens sagen: ich würde nach wie vor eher eine Vogelspinne als eine Mandarine essen.
Außerdem hasse ich Anfassen. Fremde anfassen finde ich besonders gräßlich.
Was ich aber am allermeisten hasse, ist in der Öffentlichkeit aufs Klo gehen. Ich hasse das schon sehend in normalen Restuarants. Ich habe immer diese Wahnvorstellung, dass ich die Toilette nicht finde und mich dann alle komsich anschauen. Wie peinlich!
Im Dunkelrestaurant kann man nicht alleine Pipi machen gehen. Man muss dann nach dem Kellner rufen und der führt einen zur Toilette. „Hallo? Hallo? Herr Kellner! Ich muss mal pullllääärn!!!“ W I E S C H R E C K L I C H!
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Ideale Voraussetzungen um mal ein Dunkelrestaurant zu besuchen. Aber was solls. Für die Liebe tut man so einiges und bestimmt würde mein Mann wie ein Ferengi alles für mich vorkauen und nur den Essensbrei wieder auf meinen Teller würgen, von dem er sicher wüßte, dass er mir schmeckt. Auch er ist bereit so allerhand für die Liebe zu tun.
Meine Vorstellung von Dunkelrestaurant war so: Wir kommen dahin, halten uns an den Händen und speisen in der Dunkelheit. Dabei schärfen sich unsere Sinne. Wir entdecken, wie schön unsere Stimmen sind, wir streicheln unsere Hände und schmecken Dinge, die wir vorher noch nie geschmeckt haben. Nebenher lernen wir was über das Blindsein. Ein winziges bißchen vielleicht. Jemand erläutert uns wie man ißt, welche Tricks es gibt. Wir erleben welche Herausforderungen zu bewältigen sind.
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Begrüßt wurden wir von Misanthropen. Allerdings kann man den Damen am Checkin nicht vorwerfen, sie hätten nicht gelächelt. Im Gegenteil, das Lächeln war grimassenhaft ins Gesicht gemeißelt. Sie beteten wie Automaten mit aufgesetzter Freundlichkeit immer wieder auf ganz besonders lieblose Weise die immer gleichen Sätze runter: Sie bekommen eine Speisekarte. Stopp. Sie suchen sich was aus. Stopp. Sie bestellen ihr Menü und das erste Getränk bei mir. Stopp. Dann holt sie ihr Kellner ab. Stopp.

So wie beschrieben, passierte alles. Wir warteten 25 Minuten ohne Getränk in unverrutschbaren Riesensesseln auf unseren Kellner. Der stellte sich namentlich vor und eilte Richtung Dunkel. An der Lichtschleuse angekommen, wurde uns erklärt, es gehe jetzt in einer Polonaise zum Tisch. Wir traten mit der Hand an der Schulter des Kellners ins Dunkel und wurden umspült von einer Woge Lärm und stickiger Luft.
Die Einweisung am Tisch lautete: Eingießen selbst. Finger ins Glas, dann merkt man wie voll es ist. Gabel, Messer, Löffel links und rechts. Dessertlöffel oben. Hier ihre Vorspeise.
(Achtung! Spolier! Auf der Menükarte heißt das „Eine Kostprobe aztekischer Männlichkeit gebettet auf ein vielfarbig geschmücktes Grün“)
Die Vorspeise war bei mir ein ungewürzter Endiviensalat mit Rote Beete. Glücklicherweise hatte mein Mann sich für ein anderes Menü entschieden. Er schenkte mir einen Balsamicopilz und zwei Hobel Käse.
Der Hauptgang war okay. Die Nachspeise jo – süß, nä.
Nach ca. zwei Minuten gab ich alle Versuche auf gesittet mit Messer und Gabel zu essen. Selbst wenn ich mal ein Stückchen Essen traf, fiel es mir so oft von der Gabel, dass ich absehbar nicht satt werden würde. Da es glücklicherweise dunkel war, benutzte ich meine Hände. Nach zwei Stunden hatte ich meine Hände in Rote Beete, Fleisch, unterschiedliche Gemüse und Ahornsirup getaucht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht die einzige war, die das kultivierte Essen aufgab. Feuchte Tücher oder ähnliche Hilfsmittel gab es auch auf Anfrage nicht. So blieb mir nichts anderes, als meine Finger exzentrisch abzulecken und mir Papierserviette an die fettverschmierten Finger zu rubbeln. Eine andere Methode hatten meine Vorgänger, hauptsächlich Rechtshänder, entdeckt: Essensreste unter der Armlehne des Stuhls abreiben. Auch ein sehr sinnliches Erlebnis.
Nach zwei Stunden waren wir fertig und ließen uns vom Kellner wieder ans Licht bringen. Von dort wird man an die Kasse geschleust. Zahlen schien das Wichtigste zu sein. Bezahlt haben wir deutlich über 100 Euro. Menschen, die mich kennen werden wissen, ich habe noch nie in meinem ganzen Leben so viel Geld für Essen ausgegeben. Erst wenn man seine Kreditkarte brav durch den Leseschlitz gezogen hat, darf man hinter einer Säule schauen, was man eigentlich gegessen hat.
Bei dem Menü, das ich bestellt hatte, wurden Satespieße angepriesen. Die hatte ich definitiv nicht bekommen. Anstattdessen hatte man mir die Vorspeise des vegetarischen Menüs serviert. Ich informierte das Servicepersonals darüber – schließlich gab es einen deutlichen preislichen Unterschied zwischen den beiden Menüs. Statt „Das tut mir leid, das leite ich weiter“ bekam ich ein „Sind sie sich sicher?“ Das fand ich ziemlich frech. Ich mag ja wenig sensibel sein aber Rote Beete kann ich auch blind von Satespießen unterscheiden.

Zusammenfassend kann man sagen: ich war noch nie teurer, mittelmäßger und herzloser Essen. Das Konzept der Dunkel-Bar ist ganz und gar nicht Menschen zu erfreuen und als treue Kunden zu binden. Was die Dunkel-Bar gerne möchte ist: in einem glatten, reduzierten Prozess eine maximale Masse an nie wieder kehrenden Menschen durch die Restaurantmaschinerie zu schleusen. Und wenn man es so sieht, dann kann man sagen: Bravo! Ziel zu 100% erreicht.
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* „Das Restaurant hat eine Fläche von 250qm mit 65 Tischen (!), wo zeitgleich ca. 170 Gäste platz haben“
Andere Stimmen: „Das Essen ist auch nach unserer Meinung nur Kantinnenqualität.“ und „Störend fand ich von Anfang an die lauten Walkie-Talkie Anweisungen an die Kellner, gesessen haben wir auf simplen Stapelstühlen. Insgesamt eine eher unruhige Kantinen-Atmosphäre.“ und „Ankunft im überfüllten Vorraum und Check-In (nicht Begrüßung) nach Warten in einer Schlange. […] wurden wir dann […] in den den Gastraum geführt, der uns mit einem akustischen Eindruck zwischen Bahnhofshalle und Okoberfestbierzelt empfing und der über die gut zwei Stunde anhielt, die wir für das Essen brauchten. Wände und Tische machten einen etwas klebrigen Eindruck, das Bier war warm, das Essen – nun ja – ok.“
Vielleicht lädt uns die Konkurrenz, das Nocti Vagus, mal zum Vergleich ein. Die scheinen zumindest im aktiven Dialog zu ihren Kunden zu stehen und an Feedback interessiert zu sein.
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Die Überschrift des Blogartikels ist ein Zitat aus der englischen Speisekarte (siehe gelbes Bild in der Mitte des Artikels)