Tägliches Instant-Karma

Es wäre so schön, wenn ich eines Tages vorlesen dürfte was mir gefällt.

Die Karmatheorie geht davon aus, dass jedes Verhalten eine Folge hat. Jede Übeltat wird umgehend abgestraft. Ich glaube daran und ich bemühe mich wirklich, wirklich ein guter Mensch zu sein.

Leider schaffe ich es nie den ganzen Tag Gutes zu tun und nicht zu lügen. Man kennt das ja. Die Kollegin im neuen Kleid, das aussieht wie Omis eilig übergeworfene Häkeltischdecke. Kaum hat man nach dem Schock des Anblicks wieder Luft, verlassen die Worte: „Oh, wo hast Du das denn her? Das sieht aber … interessant aus“ den eigenen Mund und zack hat man gelogen.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der ausgleichende Weltengeist am Abend Rache nimmt und Eltern dazu zwingt immer und immer wieder die grauenhaftesten, unrhythmischsten und langweiligsten Bücher vorzulesen. Dem Kinderlosen sei versichert, egal wie sehr man sich um das geistig anspruchsvolle Kinderbuchregal bemüht, am Ende finden doch Conni, traumhafte Prinzessinnengeschichten, Bob der Baumeister und Disneys schönste Märchensammlung den Weg in die eigenen vier Wände. Zum Entzücken der Kinder und zum Leid der Eltern.

Da steht man hoffnungsvoll vor der Leseecke und die kleine Kinderhand greift Abend für Abend nach dem schlimmsten aller Bücher. Gnädige Kinder varieren wenigstens, doch in im Alter zwischen 3 und 5 sind Kinder entwicklungspsychologisch bedingt zwanghaft und wollen bar jeder Rücksicht die immerselbe Geschichte hören. Abend für Abend für Abend für Abend.

Kind 3.0 ist zur Zeit in Aräll (Arielle) verliebt und so habe ich bereits mehrere Duzend Mal Arielle gelesen. Dabei ist Kind 3.0 sehr ungnädig. Es merkt sofort wenn ich eine der 42 Seiten „aus Versehen“ überblättere oder wenn ich einen Satz anders lese, um einen Verleser auszugleichen und mich selbst vom Einschlafen abzuhalten. Sekunden zuvor schläfrig, die Augen auf Halbmast, schreckt es hellwach hoch und ist erst wieder zu beruhigen, wenn ich ordnungsgemäß ablese.

Montag: „Was wollen wir heute lesen?“ „ARRRÄÄÄÄLL!“

Dienstag: „Hey, schau mal wäre es nicht schön, wenn wir …“ „Aräll“

Mittwoch: „Wollen wir heute nicht mal…“ „Arrr-äll!“

Donnerstag: „Lust ein Hörspiel zu hören?“ „Ärähähäll lesen.“

Freitag: „Soll ich Dir mein iPhone zum Spielen geben? Kopfschütteln, wortloses Deuten auf das Arielle-Buch.

Samstag: Mutter mit Tränen in den Augen. Kind, emotionslos: „Aräll“

Sonntag: „…“ „Aräll, Mama, Du weißt das!“

Wenn die Kinder schlafen, kann man endlich Franziska (1, 2, 3), Ritter BodobertWilli Wiberg-Bücher und Ein Nilpferd kommt selten allein lesen.

Why me?

Nehmen wir an Sie haben Nachwuchs. Nehmen wir an, ihr Nachwuchs liebt Spinnen. Nehmen wir weiterhin an, ihr Nachwuchs verweigert jegliche Nahrung, es sei denn, es sind in ausreichender Menge Spinnen enthalten. Haarige, versteht sich. Haarige, die innen mit grünem Schleim gefüllt sind und stinken.
Sie stehen also in der Küche, schauen ein Nudelholz haltend auf die Spinne (sie lebt noch), schauen auf Ihren Zögling, der lächelt sie erwartungsfroh an und schmatzt mit geröteten Wangen.
Was bleibt Ihnen da übrig? Sie holen aus, braten der Spinne eins über, sie platzt, sie rupfen ihr die zappelnden Beinchen ab, halbieren den Körper und werfen alles zusammen in einen Mixer.
Den fertigen Brei machen Sie heiß und wenn sie ihn füttern (er stinkt immer noch wie eine Furzbombe), halten sie den dampfenden, mit Spinnenbrei behäuften Löffel an Ihre Lippen. Schließlich wollen Sie nicht, dass Ihr Baby sich verbrennt.
So ist mein Leben. Das stehe ich jeden Tag durch. So ist das Leben einer Obstphobikerin, deren Kind nichts anderes als Obst essen möchte.