Absatzschwierigkeiten

Absätze, so muss man wissen, waren früher den Reitern und der feinen Gesellschaft vorbehalten. Den Reitern halfen sie festen Halt im Steigbügel zu finden und den feinen Herren und Damen halten sie, nicht in Fäkalien zu versinken. Schließlich war vor ein Paar hundert Jahren die Kanalisation noch nicht erfunden und man entsorgte jeglichen Müll und auch die Ausscheidungen auf der Straße. Ein großzügiger Absatz, besser noch, eine ordentliche Plateausohle verhinderte das knietiefe Versinken im Schmodder.

Als die Kanalisation erfunden war, hielten viele Männer an den Absätze fest, da sie sich so ein Paar Zentimeter an Größe hinzumogeln konnten und somit stärker und mächtiger erschienen.

In moderneren Zeiten freilich tragen kaum noch Männer Absätze. Da sind es schon eher die zierlichen Damen, die sich damit einen größeren Radius zum Schwung ihrer Hüften verschaffen wollen.

Ein langes Bein verändert zudem die Proportionen und lässt selbst die bereits verblühte Dame zumindest von hinten jugendlich und frisch erscheinen.

Schuhe mit Absätzen helfen jedoch nicht nur in optischer Hinsicht zur Kontaktaufnahme mit dem männlichen Geschlecht, wie ich heute selbst feststellen konnte.

Um die Jahreszeit trage ich gerne halbhohe Stöckelschuhe, mit denen ich noch viel lieber spontan in Pflastersteinritzen hängen bleibe.

Ein Hängenbleiben bedeutet dann dass entweder der Schuh einreißt oder aber der Fuß stecken bleibt. Da ich am Fuß hänge, arretiere ich ebenfalls spontan. Das macht sich besonders dann ganz prächtig, wenn man gerade zügig läuft und hinter einem im ungefähr gleichen Tempo ein Mann läuft. Ich bremse also in voller Fahrt ab und mache einen Ausfallschritt. Zehn Millisekunden später sitzt mir ein Mann am ausgestreckten Bein und umschmeichelt meinen Oberschenkel salopp mit seinem Gehänge.

Erst schaut man sich geschockt an, dann lächelt man verlegen und kurz danach ist man in ein Gespräch verwickelt.

Jedenfalls wenn einem da was attraktives aufs Bein springt.

Nicht so schön ist es, wenn es ein stinkender Punk ist. Der einem mit seinem nach Verwesung duftenden Atem mitteilt, dass man eine verdammte scheißdoofe Dumpfkuh ist, aufstößt und sich auf die Anzughose erbricht. Nur ein wenig, das gebe ich zu, schließlich will ich es nicht schlimmer machen, als es war.


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Abendliches Trübsalblasen

Ein Psychologiestudium stellt eine Analogie zu der Henne-Ei-Problematik da, so behauptet zumindest der Volksmund.

Man kann schließlich nicht eindeutig feststellen, ob der gemeine Psychologiestudent vorher schon verrückt war und deswegen Psychologie studiert oder ob er im Laufe seines Studiums erst langsam verrückt wird. Ich persönlich denke, 80 % der Studenten werden erst gaga, was an den vielen Selbsterkundungs- und Therapieformseminaren liegt, die man zur Erreichung des Diploms absolvieren muss.

In der Gestalttherapie mussten wir beispielsweise unsere Lieblingsmärchenfigur darstellen. Wer da Rumplestielzchen, Blaubart oder den Menschenfresser aus dem Däumling gewählt hat, dem war das Schicksal des Verrücktwerdens sicher.

Auch lernt man die wahre Bedeutung des Wortes Tollheit kennen, wenn man sich zum Zwecke der geistigen Wiedergeburt erst in einem Schlafsack einschnüren lässt und sich dann raupenartig daraus hervor windet.

So etwas geht nicht ohne Spuren an einem vorbei.

Glücklicherweise war ich schon immer ein wenig verrückt, sonst hätte ich diese Seminare ebenfalls nicht ohne bleibende Schäden überdauert.

Ich leide schon seit frühster Kindheit gerne und regelmäßig an zyklisch wechselnden Besessenheiten. Das Bloggen eignet sich hervorragend um einer solchen Manie nachzugehen. Aufgrund der kürzlich öfter auftretenden technischen Probleme habe ich meine Obsession wieder verstärkt auf das Malen verlagert.

Dies hatte unter anderem seinen Ursprung im Unwillen auf die Bilder der Artothek zu verzichten.

Zwei habe ich bereits erfolgreich nachempfinden können. Am dritten bin ich am Wochenende das dritte Mal gescheitert. Ich sehe keine Hoffnung es jemals replizieren zu können (und ich spreche hier nicht vom Kopieren sondern lediglich vom Aufgreifen der Kernidee, die in diesem Fall allerdings eine komplizierte optische Täuschung ist).

Jegliche Internetrecherche zu dem Künstler Reimer Riediger blieb ohne Erfolg.

Jetzt sitze ich Abends nach der Arbeit trübsalblasend vor dem Bild, das eigentlich ein Druck (7/20) ist und könnte mich bei dem Gedanken schwarz ärgern, dass mindestens drei der zwanzig Exemplare nicht wertgeschätzt auf irgendeinem Speicher vergammeln.

Weiß jemand Rat?

Mentalhygienische Infantilitätsphantasien

Die Kindheit hat unendlich viele Vorzüge. Da sei nur die absolute Sorglosigkeit genannt. Keine Zukunftsängste, keine Geldsorgen, kein Beziehungsstress – nur harmlose Fragen und dank Mami und Papi auf alles eine Antwort.
Es gibt nicht mal Zeit. Sie ist einfach da und vergeht. Man weiß gestern nicht von heute oder morgen zu unterscheiden. Pflichten gibt es wenige, Rechte dagegen viele und man ahnt nicht dass dieses Verhältnis eines Tages unwiderruflich kippt.
Der Alltag ist mit Wundern gespickt. Es gibt ständig Neues zu entdecken und man wird sogar für das Erzeugen von Körpergeräuschen gelobt.

Ist das nicht himmlisch?

Was ich jedoch am meisten neide, sind die sozial akzeptierten Gefühlausbrüche. Sei der Ärger auch noch so klein, er wird nicht runtergeschluckt. Man ist frei von Lügen und es gibt keinen Platz für schakalische Diplomatie. Wenn die Enttäuschung kommt, sprudeln die Tränen, bilden kleine Bäche, die über das Gesicht rinnen. Der Rotz läuft salzig in den Mund, der weit offen steht und meistens akustisch den Missmut mit einem herzlichen Rääähhhbääähhh unterstützt. Von einer Sekunde auf die andere. Eben noch gelacht, dann wurde das durch die Goldwaage austarierte Gemütsgleichgewicht aus der Balance gebracht und man kann sich seelenwund die Augen rot flennen. In langweiligen, nicht enden wollenden Sitzungen wünsche ich mir oft, wir wären alle noch so ungefiltert wie Kinder.
Der Leiter moderiert die Arbeitsgruppe an: Ja, der Herr Schmidt, der stellt uns heute die aktuellen Verkaufszahlen vor. Da wird uns alle kennen, würde ich vorschlagen, wir beginnen gleich. Herr Schmidt …
Herr Schmidt: Will nich.
Leiter: Herr Schmidt!
Herr Schmidt: Wihillabbanich!
Leiter: Wenn sie jetzt nicht die Verkaufszahlen vorstellen, dann, dann ähhh …
Herr Schmidt: Ja?
Leiter: … gibt es keinen Nachtisch in der Mittagspause!
Herr Schmidt bricht in Tränen aus: Aaaabber ich, ich wääähhhhh […]
Frau Paul tausch im Hintergrund einen besonders schönen Popel mit Herrn Kraus.
Leiter: FRAU PAUL!
Frau Paul: Ja, aber der Herr Kraus, der hat die besten Popel!
Leiter: Ich will aber nicht, dass sie hier Popel tauschen!
Herr Kraus: Bist ja nur neidisch! Hähä!
Leiter bewahrt Fassung: Herr Schmidt, wären wir dann so weit mit den Verkaufszahlen?
Herr Schmidt wischt sich die Nase am Anzugärmel ab und mustert verträumt die Rotzspur. Sein Gesicht erstrahlt: Frau Paul, willst Du mal meinen sehen? Der ist viel besser als der vom Kraus!
Leiter: Herr Schmidt, die Verkaufszahlen!
Frau Seidel bricht ebenfalls lautstark in Tränen aus.
Leiter: Frau Seidel?
Frau Seidel, schluchzend: Mir is aber sooo laaangweilig!
Leiter: Nicht weinen, der Schmidt, der fängt gleich an, nich Herr Schmidt?
Das Gesicht von Herr Schmidt versteinert. Die Augen werden groß und größer. Herr Schmidt krakelt los: Ich hab mich eingepulllläääärt!
Leiter: Die Sitzung ist geschlossen.

Verglichen mit den üblichen Sitzungen wären solche Sitzungen freilich nicht effektiver, aufgrund der Kürze aber wesentlich billiger. Rechnen Sie mal. Wenn Paul, Schmidt, Seidel und Kraus 4.000 € brutto im Monat verdienen, so kostet eine Arbeitsstunde 25 €. Die vom Leiter 60 €. Wenn die Arbeitsgruppenzeit sich von vier Stunden auf zwanzig Minuten reduziert, kostet eine Sitzung nur noch 53,30 €. Das macht für das Unternehmen allein in dieser Abteilung bei durchschnittlich vier Arbeitssitzungen pro Monat eine Ersparnis von rund 2.436,70 €! Und für die Mentalhygiene wäre es ohnehin viel besser.

Wege in die Jugendkriminalität

Einen Albtraum im wachen Zustand gehabt. Der Auftrag lautete Kind um 18.00 Uhr von Power-Ranger-Party abholen. Abholadresse bei stadtplandienst.de nachgeschaut, pünktlich um 17.30 Uhr Büro verlassen. Ankunft 17.50 Uhr Straußberger Platz. Vergeblich Hausnummer 234 gesucht.
Freund mit Internetanschluss angerufen und nach Adresse gefragt. Erfahren, dass sein Stadtplan sagt, dass Adresse am anderen Ende der Straße zu finden ist.

Panikanfall bekommen. Visionen von weinendem Kind gehabt. Jugendkriminalitätslaufbahn unabwendbar vorherbestimmt gesehen. Kind als Halbwüchsiger beim Gutachter, der entscheiden muss, ob nach Erwachsenen- oder Jugendrecht bestraft wird, nachdem Kind Banküberfall oder ähnliches begangen hat.

Geistig dem Gespräch gelauscht:

– Nun jugendlicher Straffälliger, was kannst du mir über deine Kindheit sagen?

(Lippe von jugendlich straffällig Gewordenem zittert)

– Junge, Du kannst mir vertrauen, sprich es einfach aus.

– Es, es, es ….. (jugendlicher Straftäter bricht in Tränen aus…)

– Ja gut, lass es raus. Lass es alles raus!

– Es, es, es war so SCHRECKLICH damals!

(Therapeut setzt sich mitfühlend näher an Jugendlichen und legt Hand auf seine Schulter)

– Die Freundin meines Vaters sollte mich von einer Power-Ranger-Party abholen, aber SIE KAM NICHT

Ich schwitze, das arme Kind. Alle anderen sind bestimmt schon abgeholt worden. Nur das Kind meines Freundes sitzt einsam mit einem Geburstatgshütchen vor der Haustür und weint. Ich laufe los. Nur 180 Hausnummern, das muss doch in ein Paar Minuten zu schaffen sein!

Leider habe ich hohe Schuhe an.

Leider ist die Karl-Marx-Allee unfassbar groß und lang.

Ich laufe also und laufe und laufe. Ganz, ganz langsam. Wie in diesen Albträumen, in denen man sich unglaublich anstrengt aber nicht weiter kommt. Zehn Minuten laufen = fünf Hausnummern voran kommen.

Ich blicke den Fahrradfahren sehnsüchtig hinterher. Spiele mit dem Gedanken einen von ihnen anzuhalten und zu bitten, mich mitzunehmen. Entschließe mich dann doch für die Variante dem nächsten einfach in den Weg zu springen. Glück gehabt! Es ist ein junger, der durch das erzwungene Bremsmanöver gleich vom Fahrrad fällt. Er hat ein BMX-Rad. Kein Problem. Ich reiße mir die enge Anzughose vom Leib. Stecke meine teuren italienischen Schuhe in die Handtasche und rase los.

18.20 Uhr

Ich komme total verschwitzt in der 17. Etage eines Hochhauses an. Das Kind steht apathisch im Wohnungsflur. Sieben Power-Ranger rennen auf mich zu und werfen mich um. Die Eltern des Ober-Power-Rangers lächeln mich freundlich an.

Na, vielleicht ein Bier?, und deuten dabei in die Küche, wo mich grinsend und rauchend die Väter der verbleibenden sechs Power-Ranger mustern. Kind sagt zum Glück: Ich will nach Hause.

Zehn Jahre später vorm Jugendrichter. Achtzehnjähriger bricht in Tränen aus:

– Ja und da war diese Verrückte, die sprang einfach so auf den Fahrradweg und hat mir mein Fahrrad weggenommen. Das Fahrrad auf das ich vier Jahre gespart habe und … und … wäähhhhh hhhäää hhääää …

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