Die letzten Tage war es schwer für mich meine Social Media Timelines auszuhalten. Die Videos, die ich während des G20 Gipfels gesehen habe, sind voller Gewalt. Besonders geschockt hat mich dabei das vereinzelte Vorgehen der Polizei. Ich schreibe vereinzelt, weil natürlich nicht alle Polizisten so gehandelt haben – aber es geht tatsächlich nicht um einige wenige Einzelfälle sondern um eine ganze Reihe von Gewalteskalationen.
Was ich an dieser Stelle erwarten würde, wäre ein kollektiver Aufschrei von Politik und Medien, der jedoch in meiner Wahrnehmung zu großen Teilen ausbleibt.
Bevor ich weiter schreibe, eine (anscheinend nötige) Vorbemerkung:
Ich weiß, vielen scheint das unmöglich, aber man kann die Polizeigewalt verurteilen UND die Krawalle in Schanze & Co. scheiße finden.
— Enno Park (@ennopark) July 9, 2017
Die Menschen, die sich selbst als Schwarzer Block bezeichnen, haben Straftaten begangen. Gar keine Frage. Sie haben das Hamburger Schanzenviertel verwüstet, Polizisten, Demonstranten und Unbeteiligte verletzt und große Sachschäden angerichtet.
Mir ist übrigens völlig schnuppe, ob diese Gewalttäter nun links, rechts, nur doof oder Krawalltouristen sind.
Mir geht es um den Schaden, den diese Menschen angerichtet haben und der ist, neben dem rein materiellen Schaden, aus meiner Sicht mindestens zweifach:
1.) Ihr Auftreten und ihre Medienpräsenz haben das Anliegen vieler Hundert – wenn nicht Tausend friedlichen, politisch engagierten, demokratisch gewillten Menschen, unsichtbar gemacht.
Wo Autos brennen, schafft es kaum ein Foto einer friedlich demonstrierenden Gruppe ins Fernsehen oder auf ein Titelblatt.
Alle konstruktiven Ansätze werden damit ausgelöscht. Das Bild in den Medien verzerrt sich.
Die Ereignisse treten so stark in den Vordergrund, dass am Ende nicht mal mehr interessiert, WAS da eigentlich auf dem G20 diskutiert wurde.
2.) Ihr gewaltsames Auftreten scheint außerdem für viele Argument genug, dass sich einige Polizisten so verhalten dürfen, wie in den letzten Tagen zahlreich per Videoaufnahmen und Augenzeugenberichten belegt.
Viele der Diskussionen, die ich in den letzten Tagen verfolgt habe, verlaufen nach folgender Logik: Polizisten sind auch nur Menschen, wenn die so unter Adrenalin stehen, dann kann es schon mal passieren, dass die rot sehen und ausrasten und auch mal zuschlagen.
Oder noch schöner: Allein schon der Name der Demo (Welcome to Hell) oder der Umstand, dass man sich – obwohl Eskalation möglich ist – auf einer solchen Demo aufhält, rechtfertigt, dass einem als Demonstrant auch Gewalt angetan werden darf.
Das geht schon alles sehr in die Argumentationsecke: Wer nicht vergewaltigt werden möchte, trägt halt keine aufreizenden Kleider.
Da wird mir wirklich schlecht.
Ich bin Bürgerin und ich habe das Recht meiner Meinung friedlich kund zu tun. Egal wie die Demo heißt. In einer Demokratie lebend, gehe ich davon aus, dass ich bei diesem Anliegen unterstützt und beschützt werde.
Ja, ein Polizist ist unterm Strich auch ein Mensch, aber er hat eine Ausbildung, die ihm ermöglichen sollte, dass es bei ihm selbst unter Adrenalin nicht „klick“ macht und er sich im Gewaltrausch wiederfindet.
Sollte er feststellen, dass dem so ist, sollte er dringend dafür sorgen nie wieder für solche Einsätze eingeplant zu werden.
Am besten fasst es dieser Tweet zusammen:
Die Vorstellung, eine Hirnchirurgin eskaliert mitten in der OP durch, weil sie die Verantwortung und die Situation überfordert, wäre bizarr.
— Was soll das alles (@C_Holler) July 7, 2017
Die Polizei ist ein Staatsorgan.
Treffend schreibt Jasmin Schreiber in ihrem Blogpost:
Er [der Polizist] wird auch nicht als Hans-Peter angegriffen, sondern als Staatsorgan. Die Wut der Randalierer richtet sich nicht gegen die Person, sondern gegen den Staat, den diese Person repräsentiert, und gegen die „Klasse“ Polizei an sich. Hilft dem angegriffenen Polizisten da erst einmal nicht konkret, ist aber wichtig für das, was als Reaktion folgt und für unseren Diskurs. […] Polizisten sind darauf trainiert und diese Souveränität unterscheidet den Staatsdiener von der Privatperson. […]
Und wegen all dieser Dinge, wegen der diametralen Machtverschiebung und dem Unterschied in Waffen- und Schutzausrüstung muss man die Szenen, die sich in Hamburg abgespielt haben, ganz besonders scharf kritisieren und verurteilen.
Ich habe den letzten Teil des Zitats fett gekennzeichnet, weil ich dem zustimme. Weil mich Reaktionen großer Teile der Öffentlichkeit wirklich ratlos zurück lässt.
Sei es nun durch „Promis“ wie Nuhr, der anprangert, dass man sich über die Polizeigewalt aufregt
Immer wieder erstaunlich: Es wird geplündert und gebrandschatzt, und am Ende beklagen sich alle über Polizeigewalt.
— Dieter Nuhr (@dieternuhr) July 8, 2017
oder Statements von Teilen der z.B. Grünen, die in keinem Wort Aufklärung der Polizeiarbeit verlangen.
Das Statement endet mit einem Danke an die Polizei:
Wir danken der Polizei und allen Rettungskräften für ihren Einsatz und wünschen allen verletzten Polizistinnen und Polizisten und Rettungskräften eine schnelle und vollständige Genesung
Oder Martin Schulz, der twittert:
Wir haben den PolizistInnen zu danken. Sie haben unter schwierigsten Umständen Leib & Leben riskiert, um unseren Rechtsstaat zu verteidigen.
— Martin Schulz (@MartinSchulz) July 8, 2017
Bei letzterem könnte man vielleicht noch als Ausrede heran ziehen, dass Twitter und die Beschränkung auf 140 Zeichen es wirklich schwer macht gleichzeitig denen zu danken, die sich korrekt verhalten haben und Aufklärung im Rahmen der durch die Polizei begangenen Straftaten zu verlangen.
(Das oben in Teilen zitierte Statement von Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir hätte genug Möglichkeiten zur Differenzierung gelassen. Ich bin wirklich maßlos enttäuscht. Maßlos!)
Heribert Prantl schreibt in diesem Kontext:
Bei sogenannten Großlagen muss die Polizei zweierlei schaffen: Sie muss Gewalttätigkeiten verhindern und sie muss das Demonstrationsgrundrecht schützen. In Hamburg, beim G 20-Gipfel, hat sie leider beides nicht geschafft.
[…]
Das Versammlungsgrundrecht nach Artikel 8 war das Grundrecht der soeben zu Ende gegangenen Woche; es ist so malträtiert worden wie schon lange nicht mehr.
Lest bitte den ganzen Text, ich würde ihn am liebsten von irgendeiner Kanzel runterschreien:
Grundrechte sind kein abstrakter Kokolores
Und jetzt warte ich auf klare Statements von Politiker und Politikerinnen in dieser Sache. Ich warte darauf, dass sie deutlich machen, dass das was seitens der Polizei passiert ist, aufgearbeitet wird und dass diejenigen, die sich falsch verhalten haben, dafür Rechenschaft ablegen müssen.
Leider ist zu mir noch nichts durchgedrungen.
Im Übrigen verstehe ich auch nicht warum Menschen wie Dudde weiterhin (Gesamteinsatzführer der Hamburger Polizei) im Amt bleiben.
(Wen es näher interessiert, der kann sich mal rund um den Ausdruck „Hamburger Linie“ belesen – die Kurzfassung dazu: „Mehrfach wurden Einsätze unter der Leitung Duddes im Nachhinein von Gerichten kritisiert oder gar als rechtswidrig eingestuft„)
Es lohnt auch den Leserbrief von Professor Hans Alberts zu lesen, der an der Hochschule der Polizei in Münster lehrt(e?):
Was man anmerken muss, vielleicht vorwerfen, ist, dass ihre Positionen und Handlungen nicht dem Erkenntnisstand in der Polizei-Wissenschaft entsprechen. Jahrelang haben wir an der Hochschule der Polizei in Münster Versammlungsszenarien durchgespielt und immer wieder festgestellt, dass eine harte Linie nur zur Eskalation führt und es dann eine seltsame Achse zwischen den Hardlinern der Polizei und den gewaltbereiten Chaoten gibt
Genauso viel könnte ich jetzt nochmal über den Umgang mit der Presse schreiben. Muss ich aber nicht, weil Jasmin Schreiber das bereits getan hat (Absatz „Polizeigewalt gegen Regierungs- und Pressevertreter„).
Zahlreich auch die Beispiele wie mit nahezu unbeteiligten Menschen umgegangen wurde. Ein Beispiel habe ich hier ergänzt.
Wieder so ein Fall über den wir laut Kollegen von @faznet oder @welt nicht reden sollen, weil die Polizei ja alles richtig gemacht hat pic.twitter.com/79pyqnlSxU
— Danijel Majic (@DanijelMajic) July 10, 2017
Jedenfalls, was ich sagen möchte: Unter Demokratie verstehe ich etwas anderes.
In unserem Podcast Der Weisheit berichtet Marcus Richter davon, dass sich das Bild der Polizei in den USA in den letzten Jahren vom Guardian zum Warrior verschoben hat und sich somit von demokratischen Grundideen wegbewegt (Mit dieser Idee arbeitet z.B. der Artikel „From Warriors to Guardians: Recommitting American Police Culture to Democratic Ideals„).
Ich finde dieses Bild sehr stark. Vom Beschützer zum Krieger. Das Bild kam mir während des G20 Gipfels sofort in den Kopf. Hamburger Linie eben. Hart durchgreifen. Eskalation und Kollateralschäden werden dann in Kauf genommen.
Ich bin sehr gespannt, wer dieses Thema nachhalten wird. Große Teile der Medien tun es nicht, die großen Parteien wohl auch eher nicht. Wer also?
— Nachtrag: Kommentare sind jetzt ausgestellt, weil ich gerade keine Möglichkeit zur Moderation habe —