
Der 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ist da. Anlass für manchen Journalisten (in der Kurzbiographie als Experte für Hartz IV, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Armuts- und Gerechtigkeitsdebatten angepriesen) sich zum angeblichen Gender-Gejammer zu äußern. Denn Forschung hin oder her – natürlich sind es die Frauen selbst schuld, wenn sie Nachteile erleben, denn sie entscheiden sich ja aus freien Stücken einen schlecht bezahlten Job zu haben, zu heiraten, Kinder zu bekommen und in Elternzeit zu gehen und schließlich zur Rückkehr in Teilzeit.
Is klar. Ist bestimmt sehr schön in dieser neoliberalen Welt. Zumindest wenn man auf der Plusseite ist. Da kann man sich dann sagen, dass man das auch alles selbst verdient hat. Mit Strukturen und Privilegien hat das schließlich nichts zu tun.
Leider kann nicht jeder Journalist gut mit Komplexität umgehen und auch Logik ist nicht jedermanns Sache. Da kann es schon mal passieren, dass man aus „Die Straße ist nass, weil es geregnet hat“ schließt, dass es umgekehrt immer geregnet haben muss, wenn die Straße nass ist.
Aber gut.
Ich hab mir den Bericht durchgelesen und kann das sehr empfehlen. Er ist erstaunlich verständlich geschrieben und doch sehr erhellend.
Vor einigen Tagen schrieb ich über „Betriebswirtschaftlich maximierte Elternschaft“ und dem ewigen Argument, der Mann verdiene ja mehr und deswegen bleibe logischerweise die Frau zuhause, wenn das Kind krank ist und was das für den Lebenslauf der Frau langfristig bedeutet.
Im Gleichstellungsbericht klingt das wie folgt:
Viele Paare artikulieren heute ein Beziehungsideal der egalitären Arbeitsteilung.
Im Anschluss an die Familiengründung ist jedoch bei vielen eine Retradi-tionalisierung zu beobachten: In erster Linie sind es die Mütter, die ihre berufliche Karriere unterbrechen, ihre Erwerbsarbeit einschränken und die Sorgearbeit im Haushalt übernehmen; die Väter konzentrieren sich auf die Erwerbsarbeit.
Zwar streben Eltern dieses Modell der intrafamilialen Arbeitsteilung oft nur für eine vorübergehende Lebensphase, in der die Kinder noch klein sind, an.
In der gelebten Wirklichkeit verfestigt es sich jedoch vielfach, es prägt sich die Zuverdienst-Ehe aus. In dieser Konstellation arbeiten Frauen – oft in geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen – Teilzeit, tragen nur einen klei- neren Teil zum Haushaltseinkommen bei und sind auf Einkommensübertragungen, also Unterhaltsleistungen, ihres in Vollzeit verdienenden Partners angewiesen.
Sprich: In der Theorie wollen sich Paare alles gleichberechtigt aufteilen – in der Praxis tun es viele nicht, v.a. dann nicht, wenn Kinder geboren werden und auch da ist dieses Ungleichverhältnis theoretisch lediglich für die ersten Jahre angedacht, wird dann aber dauerhaft praktiziert.
Zu dieser Entwicklung im Lebensverlauf tragen nicht nur Schwierigkeiten beim beruflichen Wiedereinstieg nach einer sorgebedingten Erwerbsunterbrechung bei, die mit arbeitszeitlichen und arbeitsorganisatorischen betrieblichen Strukturen, mit Qualifizierungs- und Qualifikationsproblemen und Defiziten bei der Betreuungsinfrastruktur zusammenhängen.
Vielmehr enthalten das Einkommensteuer- und das Sozialversicherungsrecht für Verheiratete und – sofern rechtlich gleichgestellt – Eingetragene Lebenspartnerinnen und Lebenspartner Anreize für eine innerfamiliale Arbeitsteilung, bei der ein Elternteil hauptsächlich Erwerbsarbeit, der andere hauptsächlich Sorgearbeit leistet.
[…]
Einkommensteuer- und Ehegüterrecht beeinflussen auch die Ressourcenverteilung innerhalb von Ehen und Eingetragenen Lebenspartnerschaften. So wird bei der Einkommensteuer in der Steuerklassen- kombination III/V die Wirkung des Ehegattensplittings nicht gleichmäßig auf die gemeinsam veranlagenden Personen verteilt.
Damit fällt das laufende Nettoeinkommen für den Partner oder die Partnerin in Steuerklasse V, gemessen am Beitrag zum Erwerbseinkommen des Paares vor Steuern, relativ gering aus.
Im gesetzlichen Ehegüterrecht führt die Gütertrennung in der sogenannten Zugewinngemeinscha dazu, dass in Ehen und Eingetragenen Lebenspartnerschaften, in denen auch nur vorübergehend eine asymmetrische Arbeitsteilung besteht, lediglich die vermögende Person oder die Person mit dem höheren Erwerbseinkommen wirtschaftliche Verfügungsgewalt über den gemeinsam erarbeiteten ehelichen Zugewinn erhält.
Institutionell vermittelte Ressourcenzuweisungen dieser Art beeinflussen die Entscheidungs- und Verhandlungsmacht bei Paaren in einer Weise, die partnerschaftlichen Lösungen abträglich sein kann.
Bereits der Erste Gleichstellungsbericht stellte fest: Recht setzt oder unterstützt Rollenbilder, die auf das Entscheidungsverhalten von Männern und Frauen einwirken und damit Risiken und nachteilige Folgen im Lebensverlauf vor allem für Frauen begründen, aus denen sich gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf ableitet.
Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 123
Man könnte meinen, dass diese Zeilen selbst für bestimmte FAZ Journalisten verständlich sein könnten (setzt natürlich voraus, dass man überhaupt mal in den Bericht gelesen hat – was ich stark anzweifle, denn sonst wäre man mit so einem Kommentar nicht als undifferenziert, sondern schlichtweg als blöd zu bezeichnen).
Jedenfalls: Mitnichten entschließen sich Frauen und Paare aus freiem Willen zu entsprechenden Modellen.
Wen es interessiert: Ab S. 124 kann man dann die entsprechenden politischen Forderungen, die sich aus dem oben genannten Ungleichgewicht ableiten lassen, nachlesen:
Abbau einkommensteuerrechtlicher Anreize zur Spezialisierung auf Erwerbs- und Sorgearbeit in der Ehe, hierbei:
- Streichung der Lohnsteuerklasse V
- Weiterentwicklung zu einem Realsplitting
Für die beitragsfreie Mitversicherung, lauten die Empfehlungen der Sachverständigenkommission:
- Einführung eines eigenständigen Zugangs zur Kranken- und Pflegeversicherung
- zeitliche Begrenzung der beitragsfreien Versicherung
- Ausweitung der beitragsfreien Versicherung auf Angehörige von Wahlfamilien
Und schließlich bezogen auf Minijobs:
- Besteuerung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung
- Einführung einer Sozialversicherungspflicht für geringfügige Beschäftigung
Die Sachverständigenkommission empfiehlt in Bezug auf das Güterstandsrecht:
- Einführung des gesetzlichen Güterstands der Errungenschaftsgemeinschaft
- Informationspolitik betreffend: Umbenennung des Güterstands der Zugewinngemeinschaft; frühzeitige Vermittlung von Informationen über die Folgen von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft; Einbeziehung ehe- und familienrechtlicher Fragen in Programmen zur Förderung der finanziellen Allgemeinbildung („financial literacy“)
- Untersuchung der Praxis der Eheverträge und eine Beratungspflicht vor Vereinbarung einer Gütertrennung
Dass das Allein- oder Zuverdienermodell in Deutschland die Regel ist (v.a. in Haushalten mit Kindern unter 16 Jahren), belegen die Zahlen auch:
Der Anteil der Paare mit Kindern unter 16 Jahren, bei denen beide vollzeiterwerbstätig sind, macht nur 22,2 % aus;
bei 45,4 % dieser Paare arbeiten die Mütter in Teilzeit, bei 20 % ist die Frau nicht erwerbstätig (Wanger/Bauer 2015: 7f.).
Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 41
Man entscheidet sich also in der Mehrheit für die Variante Mann ist Hauptverdiener und die Partner gehen davon aus, dass das verdiente Geld im Anschluss beiden Partnern gleichermaßen zur Verfügung steht. Dem scheint aber nicht so zu sein.
Studien deuten allerdings darauf hin, dass die Partnerinnen und Partner ihre Ressourcen keineswegs zur Verwendung „in einen Topf werfen“; vielmehr sieht es danach aus, als wirkten beim Ausgabeverhalten familieninterne Entscheidungsstrukturen und ökonomische Verhandlungspositionen (Beblo 2012: 193; Beblo/Beninger 2013; siehe auch Rees 2017).
Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 41
D.h., der, der mehr verdient, entscheidet dann auch was mit dem Geld passiert.
Dazu passt der folgende Tweet:
Watt!? Das ist wirklich erschütternd. Fundstück aus der #FAS pic.twitter.com/i1M0q6M7GO
— Christine Finke (@Mama_arbeitet) June 18, 2017
Logisch. Wenn meine Partnerin nicht weiß, was ich genau verdiene, dann kann Gleichverteilung gar nicht erst eingefordert werden.
Fest steht – hat man sich einmal für das Ungleichgewicht entschieden, ist das auch langfristig kaum auszugleichen.
Die Nachteile eines auch nur vorübergehenden Ausstiegs aus der Erwerbsarbeit oder einer länger andauernden Teilzeitbeschäftigung lassen sich über den Lebensverlauf hinweg kaum kompensieren.
Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 42
Und (wenig überraschend), wer mehr verdient, hat größeren Einfluss auf die Entscheidungen:
Für die Ergebnisse der Aushandlungsprozesse innerhalb von Paaren über die Verwendung von Zeit und Einkommen im Haushalt spielt eine Rolle, wie stark sich die eigenen Einkommenspotenziale der beiden Verhandelnden voneinander unterscheiden.
Was die Gleichverteilung der Care-Arbeit angeht, ist es tatsächlich so: je früher sich der Vater entscheidet sich mit seiner Partnerin die Care-Arbeit zu teilen, desto besser klappt es tatsächlich mit der Gleichberechtigung.
Je früher Väter Verantwortung in der Betreuung und Erziehung von Kindern übernehmen, desto nachhaltiger lässt sich eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zwischen den Eltern verwirklichen (vgl. C.V).
Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 42
Zusammenfassend kann man also sagen: Es geht mitnichten um freie Entscheidungen. Die Aushandlungsprozesse sind abhängig von gesellschaftlichen, ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen.
Die oben genannten Rahmenbedingungen stellen somit die Weichen für bestimmte Entscheidungen und begünstigen bestimmte Szenarien eben so, dass es sich im Durchschnitt negativ für Frauen auswirkt (Gender Pay Gap, Gender Time Gap, Gender Pension Gap).
P.S. Fürs Protokoll: Der Gleichstellungsbericht behandelt noch sehr viel mehr Fragen als die hier angesprochenen. Der Blogartikel ist nicht annähernd eine Zusammenfassung des Berichts.